Endlich erlebt
John Fante auch in Deutschland ein kleines Revival. Seine in den
Achtzigern als Geheimtip herausgekommenen Bücher werden jetzt von
Alex Capus neu übersetzt, und zwar ganz großartig, und das zuletzt
bei Blumenbar erschienene »1933 war ein schlimmes Jahr«, in dem ein
Junge von einer Karriere als Baseball-Star träumt und ebenso absurd
wie liebevoll seinen Schlagarm einölt, wurde begeistert besprochen.
»Der Weg nach Los Angeles« heißt der neue Roman, der bereits
1935/1936 geschrieben, aber nie veröffentlicht wurde, weil, wie man
dem informativen Nachwort von Alex Capus entnehmen kann, Verlage wie
der renommierte Alfred A. Knopf mit »ausgesprochen großer
Enttäuschung« feststellten, dass das Buch »einer Publikation
unwürdig« sei.
Diese Ablehnung war ein Tiefschlag für den erst 26-jährigen Fante,
weshalb er das Manuskript in einer Schublade versenkte. Aber der
Sohn italienischer Einwanderer hatte den Sound seiner künftigen
Geschichten gefunden und den Dreh heraus, wie er sie schreiben
würde. Zuspruch bekam er dabei von H.L. Mencken, einem der großen
und gefürchteten Autoren, Journalisten und Polemiker (der Henryk M.
Broder der damaligen Zeit), der wiederum ein Vorbild von Hunter
Thompson wurde. Erst zwei Jahre nach seinem Tod wird Fantes Erstling
wieder hervorgeholt und veröffentlicht, und man weiß sofort, warum
Charles Bukowski einmal gesagt hat: »Fante ist mein Gott.«
Der 18-jährige Arturo Bandini lebt nach dem Tod seines Vaters mit
seiner Mutter und seiner Schwester zusammen und muss in einer
Fischfabrik arbeiten, damit die Familie über die Runden kommt. Er
ist eine Nervensäge, ein Besserwisser, ein aufgeblasener kleiner
Wicht, ein Angeber – und man hat ihn sofort in sein Herz
geschlossen. Er hat zwar eine große Klappe und hält sich für einen
großen Schriftsteller, der diese Tatsache ratlos dreinblickenden
mexikanischen Hilfsarbeitern, mit denen er an einem Fließband steht,
beibiegen muss, aber er ist harmlos.
Und er leidet unter sexuellem Notstand. Die Frauen sind für ihn so
etwas wie außerirdische Wesen, die real nur auf Hochglanzpapier
existieren, und mit denen er sich in einem Kleiderschrank vergnügt.
Er ist imstande sich Knall auf Fall zu verlieben, wahllos, aber
leidenschaftlich und aus der Ferne. »Ich blieb an der Stelle stehen,
an der die Frau ihr Streichholz an der Mauer angerissen hatte. Da!
Ein kleiner, schwarzer Strich. Ich berührte ihn mit den
Fingerspitzen. Köstlich. Du kleiner schwarzer Strich, dein Name ist
Claudia. O Claudia, ich liebe dich. Ich werde dich küssen, um dir
meine Hingabe zu beweisen. Ich schaute mich um. Links und rechts
zwei Blocks weit kein Mensch. Ich beugte mich vor und küsste den
schwarzen Strich.« Dann sieht er, »dass die Mauer mit tausenden von
schwarzen Holzstrichen übersät war. Angeekelt spukte ich aus.« Und
als er bemerkt, dass er von einem alten Mann bei seinem seltsamen
Treiben beobachtet wird, rennt er »zitternd vor Scham« nach Hause.
Dort setzt er sich noch in der selben Nacht hin und schreibt ein
Buch mit dem Titel »Ewige Liebe« oder »Die Frau, die einen Mann
liebt«, fürchterliche Prosa, die seiner Schwester in die Hände
fällt, die das Buch doof und klugscheißerisch findet, weshalb er sie
mit einem Schwall von Beschimpfungen in bester Haddockscher Manier
überschüttet: »Du katholische Ignorantin! Du dreckige Missionarin!
Du widerwärtige, ekehafte, idiotische Jungfer!« Und man befindet
sich mitten in einem wundervollen Streit, wie sich nur Geschwister
streiten können, und bei dem es richtig zur Sache geht, denn
schließlich bekommt Arturo eine Vase an den Kopf geschmissen. »Dein
Held sollte gleich auf Seite eins sterben, dann wäre die Geschichte
besser«, sagt die Schwester. Und so sehr er seinen Roman auch gegen
die »klösterliche Schlampennutte aus dem Bauch einer römischen Hure«
verteidigt, es dämmert ihm langsam, dass seine Schwester recht haben
könnte.
Diese rohe, nicht gerade feingeistige Prosa springt einen an und
lässt nicht mehr los, bis man alles verschlungen hat, denn selten
wurde ein pubertierender Junge mit dem ganzen Größenwahn und den
ganzen Selbstzweifeln so gut in Szene gesetzt, und zwar mit einem
inneren Monolog, der einen ständig vor sich hinkichern lässt. Die
Kunst John Fantes besteht darin, dass dieses ständige Auf und Ab der
Stimmung, die innere Zerrissenheit seines Protagonisten überhaupt
nicht auf die Nerven geht, sondern einen in den Bann zieht,
vielleicht, weil man sich vage erinnert an eine Zeit, in der alles
wahnsinnig existentiell war, es mindestens um Tod und Leben ging und
man sich dabei in Wirklichkeit nur selbst im Weg stand. Und das ist
so hinreißend komisch beschrieben, dass man diesen Roman nur lieben
kann. Und zwar bedingungslos, auch wenn man weiß, dass man es keine
fünf Minuten mit diesem Arturo Bandini aushalten würde.
Artikel
online seit 16.06.19
|
John Fante
Der Weg nach Los Angeles
aus dem Englischen und mit einem Nachwort versehen von Alex Capus
Blumenbar
256 Seiten
20,00 €
978-3-351-05045-0
Leseprobe
|