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Ein Germanist, der das Kino von Kindesbeinen an liebt

Peter Demetz erzählt von den diktatorischen Filmliebhabern &
von
»seinem Prag« unter der Nazi-Okkupation

Von Wolfram Schütte
 

Wie schön, dass es unter Germanisten (seiner Generation) wenigstens einen gab, der nicht nur das Kino liebte & sich zu seiner lebenslangen Leidenschaft bekannte, sondern sich auch noch dazu anstiften ließ, dem Film ein Buch zu widmen! Der 1922 (!) geborene Peter Demetz hat im hohen Alter von 95 Jahren sein Buch »Diktatoren im Kino« geschrieben. Obwohl er darin Lenin, Mussolini, Hitler, Goebbels & Stalin in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen stellte, sprach er im Vorwort erst einmal von sich, seiner jugendlichen Kinogängerei & was ihn zu dieser späten Beschäftigung motiviert hatte. Es waren die eigenwilligen Kinobetrachtungen  & Filmkritiken der mit ihm etwa gleichaltrigen Österreichischen Schriftstellerin Ilse Aichinger, die sie 2000/2001 im Wiener »Falter« veröffentlicht hatte.

Demetz, dessen Mutter im KZ ermordet wurde, war nach Nazi-Rassismus »Halbjude« - Aichinger, Autorin von »Die größere Hoffnung« & langjährige literarisch verstummte Witwe Günther Eichs, »Halbjüdin«. In seinem Vorwort parallelisiert der spätere usamerikanische Germanist (in Yale) ihrer beider frühe Kino-Erfahrungen: »Das junge Mädchen, das sich dem Plüschsessel (in einem Wiener Kino während des Krieges) anvertraut, während sie an die Großmutter denkt, die im Lager Minsk dahinstirbt, und ich im (Prager) »Skaut« die Marx Brothers bewundere und an meine Mutter in Theresienstadt dachte (seit Monaten ohne Nachricht).«

So bewegend die symbolische Identifikation des jungen Demetz im okkupierten Prag  mit der gleich ihm zur selben Zeit in Wiener Kinos Schutz suchenden jungen Aichinger von dem Fünfundneunzigjährigen  gedacht sein mag, so verwunderlich scheint doch die Vorstellung, dass unter Heydrichs rigidem Regime der jüdische Witz der anarchistischen Marx Brothers in einem Prager Kino zu bestaunen gewesen sein sollte. Da dürfte wohl dem alten Demetz die subjektive Erinnerung einen Streich gespielt & Zeiten verwischt haben.

Verwirrender ist jedoch, dass sowohl der Verlag als auch Wikipedia Prag als Peter Demetz Geburtsstadt angeben. Mit acht oder neun Jahren sei er »ein früher Filmfan« gewesen, schreibt er, weil er um 1930 »von dem tschechischen Kinderfräulein« sonntags in Vorstadtkinos von Brünn entführt wurde, das damals 38 (!) Kinos hatte. »Als ich mit fünfzehn allein von Brünn nach Prag zu reisen begann« stößt er im Speisewagen auf ihm zwei bekannte Filmschauspieler & ein andermal lockt ihn eine Menschenansammlung im Brünner Hauptbahnhof in die nächste Nähe einer längst vergessenen »jungen Diva«, die »ich auf eine Entfernung von sechs oder sieben Metern gesehen hatte!« Daraus geht doch wohl hervor, dass er in Brünn & nicht Prag geboren & aufgewachsen ist; denn erst mit Beginn des Protektorats 1939 lebte Peter Demetz in Prag, wo er später auch promoviert wurde & 1948 in den Westen flüchtete.

Das jüngste Buch des emeritierten US-Germanisten ist gewissermaßen ein Nachzügler seiner 2007 erschienenen »Erinnerungen  1939 bis 1945«, die unter dem Titel »Mein Prag« nun erneut von Zsolnay vorgelegt werden. Wie Heinrich Mann, als er im kalifornischen Exil sein »Zeitalter besichtigte« & dabei Privates & Zeithistorisches miteinander verband, hat der US-Germanist seine Familiengeschichte in ein vierteiliges historisches Porträt Prags unter der Naziherrschaft gewissermaßen als Roten Faden des Selbsterlebten eingefügt.

Ähnlich ist auch das Buch über die Diktatoren & ihre Beziehung zum Film konzipiert: Es verdankt seine erzählerische Gestalt sowohl persönlichen Erinnerungen, öffentlich bekanntem Klatsch & Memoirenliteratur als auch historischen Bibliotheks-Recherchen des Autors über die Diktatoren & die von ihnen geschätzten Filme.

Offenbar hat aber kein Verlagslektor es begleitet & seine sprachliche Gestalt oder erzählerische Struktur angerührt (wo jedoch Einiges zu tun gewesen wäre). So liegt es einem, umkränzt von vielen Danksagungen des Autors an hilfreiche Kolleginnen & Bibliothekare, quasi im »jungfräulichen« Zustand vor - wie es der 95jährige Autor als Dokument seiner Person wohl abgeliefert haben dürfte.

Der narzistische Stolz des 95jährigen auf seine Arbeit ist durchaus subjektiv berechtigt – wenngleich er seinen Preis hat. Denn filmhistorisch ist das mehr versprechende als haltende Buch weitgehend irrelevant, weil es kaum neue Einsichten oder Erkenntnisse enthält, die über das film-& zeithistorische Bekannte & Relevante hinausgingen. Obwohl es fachsimpelnden Wissenschaftsjargon meidet, eher »journalistisch« sein weitestgehend  erlesenes Material ausbreitet, lässt Demetz doch zu viele Wissens-Lücken offen, bzw. naheliegende Fragen ungefragt; auch bleibt es zu oft im Vagen, wo es um pragmatisch eruierbare Fakten ginge.

Im Wesentlichen referiert Demetz sklavisch penibel & vielfach unbegründet ausführlich seine historischen Quellen & geht kaum über die Enge des von ihnen Überlieferten hinaus. So wird z.B. nur einmal erwähnt, dass die diktatorischen Herrschaften, die ja in der Regel kein Englisch konnten, doch ihre Verständnis-Schwierigkeiten mit den Hollywoodoriginalen gehabt haben müssten, die sie  doch alle sehr schätzten.

Wenn Demetz schreibt, es sei Aufgabe des sowjetischen Filmministers gewesen, »Importfilme zu kommentieren oder Dialoge zu übersetzen, aber seine Englischkenntnisse waren fragmentarisch, und er behalf sich mit Notizzetteln, ohne Stalins Fragen beantworten zu können«, so erkennt man gewissermaßen Wort für Wort das zitierte Original. Wie dasselbe Übersetzungs-Problem bei den regelmäßigen Filmabenden in der Reichskanzlei oder auf dem Berghof (Obersalzberg) gelöst wurde, wo der Filmfreak Hitler seine Entourage oder ausländische Gäste zum Privatkinoabend verdammte, wird noch nicht einmal als Frage formuliert. Kein Wort auch z.B. zur gesetzlich erzwungenen Synchronisation der Hollywoodfilme in Italien, womit der faschistische Staat – trotz allen Techtel-Mechtels zwischen Benitos Sohn Vittorio Mussolini & den amerikanischen Studios – die ideologische Kontrolle über die ausländischen Filmimporte sicherte.

Interessant dagegen der freilich nicht reflektierte Hinweis, dass Hitler wie Stalin Erotik & Sexualität im Kino nicht sehen wollten. Weil Hitlers erste Kino-Erfahrung in Wien mit spekulativen Aufklärungsfilmen zu tun hatte, wie Demetz andeutet? Weil Stalin als Vater seine Tochter nicht einem anderen Mann geben wollte – aber was hat dergleichen mit dem Kino zu tun?      

Wie überhaupt das Buch besser hieße die »Diktatoren & der Film«. Denn diese Herrschaften, hatten sie erst einmal die Macht ergriffen, ließen sich nicht mehr im verdunkelten öffentlichen Raum des Kinos blicken & nach der altrömischen Devise »Quod licet Ivi non licet bovi« ließen sie sich wie die Hollywood-Produzenten (»MeToo«) das intern vorführen, was (wenn überhaupt) das Publikum erst nach ihrer zensoralen Prüfung oder Laune sehen durfte.

Hitler guckte sich manchen Film zum Leidwesen seiner Entourage mehrfach an; Goebbels (an)erkannte die ästhetische Qualität Käutners & hoffte vergeblich auf einen deutschen Könner, der ihm Wylers »Mrs Miniver« als sanftes Gift zur emotionalen Einstimmung der »Heimatfront« auf den »alliierten Bombenterror« kopierte; Stalin, der gelegentlich empört den Raum verließ & das  sitzengebliebene ZK damit verwirrte, schützte den »Renegaten« Eisenstein vor seinem hasserfülltesten Verfolger, den der Diktator als angeblichen Spion hinrichten ließ & wechselte sein Darsteller-Double nach 30 (!) Spielfilmen aus, um zuletzt seinen georgischen Akzent wenigstens im Kino zu verlieren; Mussolini förderte Monumentalfilme überhistorische Römer wie »Scipione l´Africano« oder fiktive Muskelmänner in der über seinen Tod hinaus fortgesetzten Serie von »Maciste«-Filmen, weil er mutmaßte, seine Landsleute würden ohnehin nur ihn in jenen übermächtigen Helden imaginieren., weil sie ihn ja als sportive öffentliche Erscheinung in den (staatlichen) Wochenschauen laufend bewundern konnten, bzw. mussten.

Anekdoten wie diese & manche andere hat Peter Demetz (auch weit abschweifend) gesammelt für ein kurzweiliges Lektürevergnügen am erlesenen Schauer, mit den Diktatoren auf Augenhöhe beim Filmegucken zusammen zu sein. (Da Demetz Chaplins »Großen Diktator« nicht einmal erwähnt, wird von ihm auch nicht nachgeforscht, ob die drei Diktatoren Chaplins Satire je gesehen haben,)

Goebbels, Hitler, Stalin (& weniger der Theaterfan Mussolini, der den Film seinem intellektuellen Sohn Vittorio überantwortete) haben den Film als suggestive Massenunterhaltung selbstverständlich auf je eigene Art instrumentalisiert & alle haben sie nach Hollywood geschielt. Nur Lenin hatte den Film als pragmatisches Bildungsmittel zur Wissensvermittlung vor Augen, während alle anderen mit ihren  nationalen Filmindustrien ihre jeweiligen Publika massiv oder subtil traktieren, infiltrieren & agitieren wollten.

Einzig dem faschistischen Italien, das die größte intellektuelle & ästhetische Freiheit zuließ & kultivierte, entsprang bereits in der Agonie des Faschismus die entschiedenste antifaschistisch-humanistische Filmkunst der Nachkriegszeit: der Neorealismus.

Artikel online seit 08.04.19
 

Peter Demetz
Diktatoren im Kino
Lenin-Mussolini-Hitler-Goebbels-Stalin
253 Seiten, Abb.
Paul Zsolnay Verlag
24,00 €

Leseprobe

Peter Demetz
Mein Prag
Erinnerungen 1938 bis 1945
339 Seiten, Abb.
Paul Zsolnay Verlag
26,00 €
 

 


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