Home

Termine     Autoren     Literatur     Krimi     Quellen     Politik     Geschichte     Philosophie     Zeitkritik     Sachbuch     Bilderbuch     Filme


Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik

 



Ein vibrierender Tonbild-Roman aus den Fünfziger Jahren

Tom Volfs erstaunlicher Kompilationsfilm »Maria by Callas«

Von Wolfram Schütte

 

Glanz & Elend der Maria Callas ist schon mehrfach in Ton-& Bildokumentationen dargestellt worden. Die griechisch stämmige, in New York 1923 geborene & am 16.9.1977 in Paris gestorbene Sopranistin war in vielerlei Hinsicht ein Unikat: nicht nur als einzig rechtmäßige »Primadonna assoluta« der Nachkriegszeit (& eigentlich bis heute!), die durch ihre phänomenale stimmliche Präsenz den Belcanto des 19. Jahrhunderts rehabilitierte; sondern auch als unübertreffliche, leidenschaftliche Darstellerin auf den großen Bühnen der Welt. Dort schuf sie in den grandiosen Opern Donizettis, Bellinis oder Verdis musikalische Tragödien von antiker Größe. Maria Callas sang so selbstverständlich, als würde sie sprechen.

Zugleich gehörte sie – die sich öffentlich als kapriziöse Diva inszenierte – zum internationalen Jetset der Sechziger Jahre in Italien, Frankreich & den USA. Ihre öffentlichen Skandale (Kündigungen, abgebrochene Aufführungen) & ihre unglückliche Liebschaft mit dem griechischen Reeder & Jetset-Fürsten Onassis fütterten als Gossip die Boulevardmedien rund um den westlichen Erdball. Vergleichbar kontinuierlich war dort nur noch ihre jüngere Zeitgenossin, das »Sexsymbol« Brigitte Bardot, vertreten. So war die einzigartige Operndiva Maria Callas – deren Karriere & weltweite Bewunderung durch die Erfindung der Langspielplatte beschleunigt wurde – sogar auch für jene ein Begriff & eine bewunderte »Celebrity«, die mit Oper oder klassischer Musik keinen passionierten Umgang oder kennerischen Kontakt hatten.

Obwohl ihr künstlerischer Ruf – auch durch »remasterte« CD-Aufnahmen – bei Opernkennern heute immer noch präsent ist, dürfte das öffentliche Interesse am Leben der »Tigerin« am Ausbleichen sein. Jetzt müsste gerade noch der richtige Zeitpunkt sein für das Interesse eines in die Jahre gekommenen musikalisch interessierten Publikums, das mit dem Namen von Maria Callas, mehr als vierzig Jahre nach dem Tod der bloß Dreiundjünfzigjährigen in ihrem Appartement in der Avenue Georges Mandel, nostalgische Gefühle auch an die eigenen Sensationen der Jugend in den Sechziger Jahren des 20.Jahrhunderts verbindet: dem großen Jahrzehnt von Glanz & Elend der einst so weltbekannten Opernkünstlerin.

Der 1985 geborene französische  Fotograf und Filmemacher Tom Volf  hat, nachdem er 2013 in youtube von einem coup de foudre getroffen wurde, die folgenden vier Jahre Leben & Werk der ihm bis dahin völlig unbekannten Sängerin überall auf der Welt, in Archiven & bei Privatiers erforscht & zum 40. Todestag 3 Bücher, eine Ausstellung & seinen Montage- & Kompilationsfilm über »die Callas« vorgelegt.

Er habe sich bewusst gegen Angebote für ein Fernsehfeature & für den Film entschieden, hat der Callas-Aficionado Volf erklärt. Zum einen aus (bewunderndem) Respekt vor der unvergleichlichen Sängerin: »Wenn die Callas singt, hört man ihr zu, man sieht ihr zu und man läßt dem Gesang Raum, bis die Arie zu Ende ist«. Zum anderen aber aus dem eigenem Ehrgeiz, »dass dieser Film dem Zuschauer das Gefühl gibt, er sehe – nach »Medea« von Pasolini – den zweiten Kinofilm von Maria Callas«.

Pier Paolo Pasolini hatte 1968 nach ihrem Karriereende Maria Callas, die in Cherubinis gleichnamiger Oper an der Scala einige ihrer größten sängerischen Triumphe gefeiert hatte, als Schauspielerin für seine eigene polemische Abrechnung mit der Moderne gewonnen. »Wir versuchen, die menschliche Seite Medeas zu finden. Eine Frau, mit allen Erfahrungen einer Frau. Und mehr: alles ist größer, ihre Opfer sind größer, die Szenerie ist größer. Aber der Schmerz ist der gleiche wie bei jeder Frau«, erklärte Maria Callas, die gerade von Onassis, der größten Liebe ihres Lebens, abrupt verlassen & öffentlich gedemütigt worden war. Umso intensiver war ihre darstellerische Identifikation mit Medea.

Im Unterschied zu Pasolinis mythologischer Fiktion ist Volfs »Maria by Callas« ein Kompilationsfilm nur aus historischen Dokumentarmaterial. Volf rekonstruiert den Höhe- & Wendepunkt im Leben seiner Protagonistin aus einer Fülle von unterschiedlichen Bild- & Tonzeugnissen & destilliert daraus seine tief bewegende, nahezu zweistündige Große Erzählung eines außerordentlichen Frauenlebens, wie es zwischen »Norma« & »La Traviata« (ihren Lieblingsrollen) doch so oft von ihr auf der Opernbühne dargestellt worden war.

Ein verschollenes & wieder gefundenes Interview, in dem sie 1970 mit großer Offenheit über sich, ihre Lebens-Träume & -Niederlagen gesprochen hatte, fungiert als Rahmen, innerhalb dessen die Montage der Lebens- & Arbeitszeugnisse weitgehend chronologisch fortschreitet. Allerdings tritt einem nicht die vollschlanke Walküre von kolossalen 100kg ihrer Frühzeit entgegen, sondern erst die um 30kg verminderte blendend-schlanke dunkelhaarige Schönheit, als die sie die Welt kannte & bewunderte.  

Volf hat (freilich nicht immer!) sogar schwarz/weiße Bilddokumente originalgetreu koloriert, aber auch die Tonqualität der Musiken des Films anhand von Originalmitschnitten aus dem Freundeskreis der Sängerin verbessert. Kein Kommentar oder  »verbindender Text« Tom Volfs greift in das authentische Material ein. Es wird gelegentlich mit Untertitel übersetzt & zeitlich lokalisiert. Einzig Maria Callas ist hier präsent – auch in den zwei, drei Briefzitaten, die von Fanny Ardant, bzw. Eva Matthes eingelesen werden. Ob die 10 Arien gewissermaßen als  Materln zu den einzelnen Stationen der Passion der Maria Callas adäquat »passen«, wie Volf behauptet, will ich nicht beurteilen.  

Der rätselhafte Titel geht auf eine Selbstaussage zurück. In ihr erklärt Maria Callas, ihr Leben aus dem unerfüllten Traum, Maria, die liebende Frau & Mutter, sein zu dürfen & ihrer öffentlichen Existenz als die Callas:» das Schicksal hat mir diese Karriere beschert. Ich konnte mich nicht entziehen«. Gleichwohl wird aus ihrer zerrüttenden Familiengeschichte & ihrem prekären Verhältnis zu ihrer problematischen Mutter deutlich, warum ihre zentrale Utopie, der sie sogar ihre künstlerische Berufung geopfert hätte, die Familienharmonie als Ehefrau & Mutter gewesen ist.

Wie alle großen Künstler glaubte sie, eine nahezu religiöse Verantwortung zu haben: zum einen für die Kunst, die ihr »schicksalshaft« nun einmal gegeben worden war; zum anderen dem jeweiligen Publikum gegenüber, für das sie immer das Äußerste zu erreichen sich verpflichtet glaubte. »Was ich gebe, genügt meinen Ansprüchen nie«, hat sie diese quasireligiöse musikalisch-emotionale Hochseilartistik erklärt.

Bei diesem Kräfte zehrenden Potlatsch konnte sie auf Dauer nur verlieren. Ende der Sechziger Jahre neigte sich ihr künstlerischer Höhenflug. Da war aus ihrer Imago aber längst ihr weltberühmtes Image geworden: die zarte Erscheinung einer schlanken, großäugigen Diva mit Stola. Sie einmal mit eigenen Augen & Ohren leibhaftig zu erleben, war damals auf ihren Konzerttourneen jene Antizipation eines öffentlichen Massenerfahrungs-Zeremoniells, das erst in unseren Tagen bei den Pop- & Rockstars & ihrem Publikum in Arenen & Stadien alltäglich wurde.

Tom Volfs biographischer Tonbildroman aus Dokumenten ist insofern ein künstlerisches Konstrukt, als er sich so gut wie nur der schmerzhaften Lebens-Dialektik von Maria & Callas in den Sechziger Jahren widmet: der erst spät als liebende Frau von Onassis »erweckten« (& desavouierten)  Maria & der leidenschaftlichen Artistin, die im Singen jedes Mal den Versuch unternahm, »einen himmlischen Zustand perfekter Harmonie zu erreichen« (Callas).

Tom Volfe gelingt es mit Verve & Liebe, ein dramatisch-vibrierendes  Doppelporträt zu entwerfen, bei dem einen der immense Preis erschüttert, den die Künstlerin für ihre fabulösen Kunstanstrengungen mit ihrem nicht-gelebten Leben bezahlen musste. Darauf das erinnernde Augenmerk gerichtet & uns die Trauer & die Einsamkeit dieser großen Tragödin nacherlebbar gemacht zu haben, ist das Verdienst des nachgeborenen Maria-Callas-Bewunderers Tom Volf.

P.S. Der Zufall will es, dass ich nahezu  zeitgleich in Pressevorführungen Volfes »Maria by Callas« & Brizés »Une Vie« gesehen habe. Diese zeitliche Nähe provoziert Verblüffung, weil dadurch die ästhetische Nähe beider doch so unterschiedlicher Filme auffällig wird. Volf hat einzig aus historischen Dokumenten die romaneske Erzählung eines gelebten Frauenlebens im 20.Jahrhundert destilliert; Brizés freie Adaption von Maupassants Roman »Une Vie« verdichtet aus dokumentarisch fingierten Fragmenten den Film-Roman eine fiktives Frauenlebens im 19. Jahrhundert. Die künstlerische Nähe beider Filme geht sogar so weit, dass in beiden ihre Protagonistin sich jeweils durch wirkliche oder durch fiktive Briefzitate charakterisieren, die durch die Montage ihre Schöpfer den für sich selbst sprechenden Lebensgeschichten implantiert wurden.




Artikel online seit 06.06.18












 

Regie:

 


Glanz & Elend
- Magazin für Literatur und Zeitkritik
Home   Termine   Literatur   Blutige Ernte   Sachbuch   Politik   Geschichte   Philosophie   Zeitkritik    Filme   Impressum - Mediadaten