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In welcher
Gesellschaft wollen wir leben? |
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»Wir wissen erst, was auf dem Spiele steht, wenn wir wissen, daß es auf dem Spiele steht«, schrieb der Philosoph Hans Jonas vor fast 40 Jahren. Jonas war der festen Überzeugung, es stehe inzwischen alles auf dem Spiel, weshalb er für ein radikales Umdenken unserer Handlungsgewohnheiten votierte, um die Zukunft des Menschen nicht zu gefährden. Diesen Warnruf wiederholt Philipp Blom, wenn er nach gut 200 Seiten, die die Gegenwart analysieren, auf die Frage »Was auf dem Spiel steht?«, antwortet: »Alles.« Sein Buch prangert nicht nur die »Wohlfühl-Gurus« an, die keine Zukunft, keine Veränderung wollen, sondern auch diejenigen, denen das, was gerade passiert, vollkommen gleichgültig zu sein scheint: Migration, Klimawandel, kollabierende Sozialsysteme, Umweltgifte, Rassismus oder Bürgerkriege. Eine der Leitfrage lautet: »Was passiert in einer Demokratie, wenn zu viele Leute einfach keinen Bock haben auf Veränderung? Was passiert, wenn zu wenig Zeit bleibt, um sie umzustimmen?« Hängt die Teilnahmslosigkeit großer Teile der Bevölkerung damit zusammen, dass sie, wie Blom konstatiert, in einer »nie dagewesenen Konsequenz zu Konsumenten« erzogen worden sind? Blom schreibt: »Jeder Verbraucher ist ein kleiner Gott, ein tyrannisches Kind mit Kreditkarte.« Doch er ist weder ein Prophet des Untergangs noch ein blinder Optimist. Er sieht allerdings eine große Gefahr für die Demokratie in den jüngsten gesellschaftlichen Entwicklungen. Denn demokratische Strukturen sind kein Naturzustand. Sie sind historisch und kulturell bedingt und somit zerbrechlich. Jede Demokratie braucht überzeugte Demokraten. Wohin eine Demokratie ohne Demokraten führen kann, hat die Weimarer Republik eindrucksvoll bewiesen: Wie Metastasen wächst eine verfassungsfeindliche Stimmung, in der zunächst Begriffe und Wahrheiten nichts mehr bedeuten, und am Ende alles zerstört ist, was ein Zusammenleben möglich macht. Blom will jedoch nicht nur warnen. Er möchte eine Debatte anregen über die tiefgreifende Transformation, die uns derzeit heimsucht. Am Ende seines Buches entwirft er hierzu einige Szenarien, die auf den ersten Blick bloß wie science fiction wirken, auf deren Diskussion bei genauerer Betrachtung aber kaum zu verzichten ist: »Was ersetzt die alten Strukturen, die von der Strömung weggerissen werden?« Es sind veränderte Konsumgewohnheiten, veränderte Arbeits- und Lebensbedingungen, veränderte Märkte und vielleicht auch eine aufgeklärte Haltung – so die Hoffnung des Autors. Wie seinerzeit für den Philosophen Hans Jonas, so wäre Fatalismus auch für den Historiker Blom eine Todsünde. Die Stärke seines Buches liegt gewiss in der anschaulichen und mit konstruktiver Wut formulierten Zusammenschau gegenwärtiger Probleme. Viele dieser Probleme sind gewiss bekannt, hier aber werden sie besonders lebendig. Über die möglichen, im Buch präsentierten Konsequenzen wird zu diskutieren, Antworten auf die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen, werden zu finden sein – bevor es zu spät ist.Artikel online seit 12.10.17 |
Philipp Blom |
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