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Wie wertvoll das Leben ist

Paul Broks Meditation über den unergründlichen Sinn des Lebens

Von Jürgen Nielsen-Sikora
 

Ausgangspunkt der Reflexionen des Neuropsychologen Paul Broks über das Leben und den Geist ist der Tod seiner Frau Kate. In seiner Trauer beginnt Broks mit Aufzeichnungen, die teils sehr persönlich, teils wissenschaftlich, immer ungewöhnlich und unterhaltsam, mitunter aber auch bedrückend sind. Das Buch ist eine Meditation über das Schicksal, den Tod und die Frage, was es heißt, ein Mensch zu sein. Die Mischung aus Erinnerungen und neurologischen Fallstudien, wahren und fiktiven Geschichten, ist nicht zuletzt ein Denkmal für seine Frau, die ihm auf dem Sterbebett bescheinigt: „Du weißt nicht, wie wertvoll das Leben ist. Du denkst, du wüsstest es, aber du weißt es nicht.“

Broks wurde vor gut 15 Jahren bekannt mit Fallgeschichten aus der Welt des Wahnsinns. Darin schildert er Menschen, die glauben, sie seien tot (Cotard-Syndrom) oder ihr Kopf sei voller Wasser und ein Fisch schwimme darin. Im Kern geht es stets um den Zusammenhang von Körper und Seele, um das Rätsel menschlicher Identität und die Frage, was Bewusstsein ist und wie es entsteht. In „Je dunkler die Nacht“ knüpft er an solche neurologischen Krankengeschichten an, etwa, wenn er von Jeff berichtet, der der festen Überzeugung ist, es sei nicht sein Kopf, der dort auf seinem Körper sitze; oder von Roland, der in einem Paralleluniversum lebt und glaubt, einst der Leibwächter von Prinzessin Di gewesen zu sein. Broks verbindet diese Geschichten nun aber gekonnt mit Erzählungen aus dem privaten Umfeld, mit Erinnerungen an Orte und Menschen, an Reisen und Spaziergänge, Erlebnisse und Gedanken, die ihm in Auseinandersetzung mit dem Verlust eines geliebten Menschen wieder in den Sinn kommen.

Da sind zum Beispiel die Stoiker um Marc Aurel, die Broks besonders faszinieren, weil sie glaubten, alles sei wie durch ein heiliges Band miteinander verflochten. Mit Hilfe von Gelassenheit und Seelenruhe strebten sie nach Weisheit.
Da sind aber auch die antiken Mythen, auf die der Neuropsychologe ausgiebig eingeht, da sind Schopenhauer und Nietzsche, Leibniz und Descartes, schließlich Derek Parfit und Daniel Dennett, der Whiskey und das Bier, die Sternbilder und die Landschaften, Religiosität und Freundschaft.

Aus neuropsychologischer Sicht geht Broks auf Phänomene wie die Schlafparalyse ein, die mit starken Halluzinationen verbunden sein kann. Wie schon in „Ich denke, also bin ich tot“ (2004) stehen die Auswirkungen verschiedener Hirnschädigungen im Zentrum. Broks schildert Fälle, die an Antonio Damasios Schilderung des Phineas Gage erinnern, der bei einem Unfall eine Läsion im orbitofrontalen und präfrontalen Cortex erlitt und anschließend eine starke Persönlichkeitsveränderung zeigte (Descartes´ Irrtum, 1994).

Nicht minder interessant sind die Berichte über Phänomene wie Autotopagnosie (die Unfähigkeit, eigene Körperteile zu benennen und zu lokalisieren), oder die Apophänie (grundloses Sehen von Verbindungen, begleitet von der besonderen Empfindung einer abnormen Bedeutsamkeit). Immer geht es letztlich um die Frage: Was ist eigentlich dieses Ich? Auf der Suche nach einer Antwort bringt Broks seine Leser zum Staunen. Und das Staunen markiert bekanntlich den Beginn der Philosophie, die uns vielleicht sagen kann, wie wertvoll das Leben wirklich ist.

Artikel online seit 16.09.19
 

Paul Broks
Je dunkler die Nacht, desto heller die Sterne
Über die Liebe, die Trauer und das Ich
C.H.Beck
320 S., mit 15 Abbildungen
26,00 €
978-3-406-74222-4

Leseprobe

 

 


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