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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik

 



Beethoven Kaleidoskop

Martin Gecks Summa: Ein- & Ausblicke im Universum des Komponisten

Von Wolfram Schütte

 

Wer sich entschließt, Martin Gecks »Beethoven. Der Schöpfer und sein Universum« zu lesen – weil er mehr über den Komponisten erfahren will als das, was man biographisch-musikhistorisch über ihn allgemein weiß -, ahnt wohl nicht, dass er mit dem quicklebendigen literarischen Kaleidoskop eines achtzigjährigen (!), längst emeritierten Musikprofessors konfrontiert wird. Er gehört, zusammen mit dem zwei Jahre älteren Dirigenten & Schriftsteller Peter Gülke zu den Koryphäen dieses speziellen Sachbuchgenres im deutschsprachigen Raum. Beide sind weit über ihre detailliert musikwissenschaftlichen Kenntnisse hinaus literarisch-philosophisch hochgebildete Intellektuelle. Ihr bewundernswerter Typus des »Uomo universale dürfte in der jüngeren akademischen Generation wohl kaum mehr vorkommen.

Geck stammt zudem aus dem »protestantischen Pfarrhaus. Eine Herkunft, der vor allem im 18. & 19. Jahrhundert nicht wenige große deutsche Autoren entstammten. (Einst hat der  Elsässer Germanist Robert Minder dieser kulturhistorisch nachhaltigen Pflanzstätte einen seiner subtilsten Essays gewidmet.) Geck, erfahre ich jetzt lexikalisch, hat schon vor mehr als 20 Jahren eine rororo-Monographie über Beethoven geschrieben; danach aber Biographien Bachs, Wagners, Mozarts, Brahms' & Schumans. Zuletzt, 2014, hat Geck die »Biographie eines Unzeitgemäßen vorgelegt: über den Dichter Matthias Claudius, dessen »Der Mond ist aufgegangen zu den schönsten deutschen Gedichten gehört. Also kein Musiker, jedoch ein früher Journalist (»Der Wandsbecker Bote).

Nun aber wieder Beethoven. Das Buch ist eine Summa auf knapp 500 Seiten, ganz unverkennbar - & vor allem auch weitestgehend les-& verstehbar von musikologischen Laien (wie mir). Ein ungemein reichhaltiges Buch, das man resümierend, gar rezensierend in allen seiner kaleidoskopisch überraschenden Gedanken-Fülle gar nicht umfassen kann. Das hat mit seiner Darstellungsmethode der Autor getan. Ob er insgeheim – den Lesern verrät er's nicht – dafür an Beethovens souverän-eigenwilligem kammermusikalischem Spätwerk nicht gar sein Maß genommen hat? Speziell an den beiden vielsätzigen Quartetten op.113/14?

Im Vorwort des perspektivreichen  Beethoven-Kompendiums Martin Gecks schreibt der Autor: »Ich wollte dem Prinzip treu bleiben, jeder meiner Komponistenbiographien ein unverwechselbares Profil zu geben. Das ist gewissermaßen ein Beethovenscher Anspruch an sich selbst! (»Nur Lumpe sind bescheiden, sagt Goethe) »Diesmal schien es mir überfällig, fährt Geck fort, »über einen großen Komponisten nicht länger als Fachmann ex cathedra zu schreiben, sondern als ein Sänger im Chor der vielen Stimmen, die sich originell zu Beethoven geäußert haben oder bis in die Gegenwart hinein durch ihr eigenes künstlerisches Werk Licht auf das seine zu werfen vermögen.

Das ist ebenso souverän wie weise & anspruchsvoll. Wir Leser sollen im Verlauf der »zwölf themenzentrierten Expeditionen ins Beethoven-Universum (z.B.: »Titanismus, »Natur, »Phantastik, »Utopien, »Beethoven en France) nicht »mit dem Anspruch, die Musik erklären zu wollen, behelligt werden. Vielmehr liegt der Akzent von Gecks Arbeit, auf dem, was andere »ihrem Beethoven abgewonnen haben. Z.B. der heute völlig vergessene Braunschweiger Schriftsteller Wolfgang Robert Griepenkerl. In seiner Novelle »Das Musikfest oder die Beethovener (1838), die der Freund Robert Schumann teilweise in seiner »Neuen Zeitung für Musik veröffentlichte, kommt es bei den Vorbereitungen zu einem Musikfest mit Beethoven-Symphonien zu orgiastischen Katastrophen. Der in Literatur, Musik, Philosophie & Ästhetik beschlagene Linkshegelianer Griepenkerl lässt einen Beethoven-Enthusiasten ausrufen, die neun Symphonien seien  »furchtbare Beweger der donnernden Zeit, mit ihnen habe »die Kunst aufgehört, Spielerei zu sein. Anlässlich eines  Beethoven-Konzerts in Paris sah der Erzähler »ein ganzes Auditorium wie von einem Zauberschlage getroffen aufspringen mit einem Schrei, den man sowohl für einen Schrei des Entsetzens als auch des Entzückens halten konnte.

Wie Heinrich Heine am Ende seiner »Geschichte der Literatur und Philosophie in Deutschland (1834) Kant, Hegel, Ficht ed al prophetisch ins Politische übersetzte, so hört der Braunschweiger Phantast aus Beethovens Dritter & Neunter Symphonie »ein Stück Völkerwanderung, ein Stück Kreuzzüge, ein Stück Reformation, ein tüchtig Quantum französische Revolution mit einem ganzen Napoleon heraus.

Wenn nach Hegel, der Beethoven nie beim Namen nennt, ihn aber wohl als Negativität beschreibt, »Philosophie darin besteht, »ihre Zeit in Gedanken zu erfassen, so trifft diese symbolische Konzentration für Griepenkerl  vor allem auch auf  die Eroica zu. Obwohl sich Geck der Dritten, Fünften & Sechsten besonders detailliert widmet, ist seine entschiedene Widerrede gegen  die ja gemeinhin als »heiterste aller Beethovenschen Symphonien geltende schlanke Achte Symphonie besonders nachdenkenswert. »In keinem zuvor komponierten Musikwerk findet sich ein solches Maß Reflexion über die eigenen Möglichkeiten, behauptet der Autor & fügt hinzu: »Hier spricht ein desillusionierter Idealist. Sarkastisch formuliert: Die Achte bietet ein Protokoll dessen, was beim Schwerhörigen vom >hohen Ton< einer >idealistischen< Sinfonie übrig blieb. Hier gelingt Geck eine beispielhafte Engführung von Biographie, geistiger Entwicklung & musikologischer Analytik.

Der Autor gewinnt seine einleuchtende Behauptung, die mancher naiven Hörererfahrung diametral zu widersprechen scheint, sowohl durch biografische Umstände (Isolation durch die Taubheit) & musikhermeneutische Exegetik als auch durch die Positionierung der Achten als deutliches Punktum nach dem Ende von Beethovens »heroischer Phase, die in der Orgiastik der Siebten, dieser »Apotheose des Tanzes (Wagner), terminiert war. Erstaunlicherweise diskutiert Geck weder die mechanistische Motorik der Achten noch den Perpetuum mobile Charakter ihres letzten Satzes.

Nach dem  Schlußpunkt der Achten, von der Geck zurecht behauptet, dass ihr die »Wärme der anderen Symphonien fehle (notwendigerweise?),  gab es für den Freiheits-Komponisten der nachnapoleonischen Restauration nur noch die entschiedene Transzendenz ins Wort & die menschliche Stimme ( »O Freunde, nicht diese Töne!), um zu einem die Menschheit umspannenden Pathos zu gelangen. Das kammermusikalische Spätwerk ersetzt das Ziel Menscheit durch das Ecce homo, den (prä-leninistischen) Appell »An Alle durch das radikale Selbstgespräch.

Leider widmet auch Geck sich nicht eingehender dem absoluten musikalische Unikum der Siebten Symphonie, deren rhythmische Eigenart sowohl Griepenkerl als auch der Venusberg-Wagner nahekommt, wenn er in dieser »Apotheose des Tanzes (…) die seligste Tat der in Tönen gleichsam idealisch verkörperten Leibesbewegung sieht. Wenn man nach der Arno-Schmidtschen »Verschreibkunst aus der Wagnerschen Leibesbewegung den Silbendreher Liebesbewegung  machte, käme man ihrer orgiasmischen Rhythmik noch näher & könnte von dort auch einen interessierten Seitenblick zu Strawinskys »Sacre du printemps oder Ravels »Bolero werfen. Auch die  formalen Beziehungen von Beethovens Siebter zu Schuberts großer C-Dur Symphonie würden vielleicht erahnbar werden.

Durch fast alle der zwölf  kaleidoskopisch ausgeformten Kapitel zieht sich das besonders im Hinblick auf Beethovens Musik besonders prekäre Verhältnis, wie von & über sie zu reden, bzw. & noch besser zu kommunizieren sei. Welche Rolle spielen zum Verständnis der Musik  formale musikalische Analysen, Biographie & der metaphorischer Ausdruck von Hörerfahrungen. Insbesondere, wenn sich »Leben & Werk bei Beethoven weder trennen noch eindeutig auf einander beziehen lassen! Geck konstatiert ein »tendenziell körpersprachliches Moment von Beethovens Musik. Ebenso »gestisch wie »narrativ scheint ihm der Komponist vor allem in seinem Sonatenwerk vorgegangen zu sein - & als Musterbeispiel  für diese These zieht er vor allem die »Sturm-Sonate heran.

Den Namen bekam sie, weil der Komponist auf Fragen seines von der eigenartigen Form der Sonate irritierten Schülers Czerny mit dem Hinweis auf Shakespeares spätes Stück antwortete. Da Beethoven  mit diesem hingeworfenen Verweis auf »The Tempest gewiss nicht eine musikalische Allegorie meinte, fragt es sich, ob diese Antwort wirklich hilf-, bzw. aufschlussreich für sein Opus 31,2  sein kann. Wie ja auch der Shakespeare-Titel »nur den Anlass für das Zauber-Insel-Stück benennt, nämlich den Sturm, der Prospero & Tochter Miranda auf eine Insel stranden ließ & ihm dort später seinen feindlichen Bruder Antonio zutreibt.

Womöglich wollte Beethoven die neuartigen Freiheiten, die er sich wie kein Zweiter seiner Zeit kompositorisch herausgenommen hatte, mit dem Mummenschanz der »Magical Mystery Tour, die sich   Shakespeare im »Tempest erlaubt hat, »gerechtfertigt sehen? Wobei der höchst selbstbewusste Komponist, der sein Licht nicht untern Scheffel stellte & gewissermaßen sich als Buonaparte der Musik betrachtete, seine vor den Kopf gestoßene Mitwelt schlagartig eingeschüchtert & zur Bewunderung des einsamen Genies angehalten hatte. Humor & Eigensinn besaß er ja (neben Pathos & Geschäftssinn) genug, literarische Bildung auch.

Geck sieht in Beethoven die Inkarnation eines musikalischen Rousseau, während der Komponist von seinen Zeitgenossen eher mit Johann Paul Friedrich Richter verglichen wurde, der sich ja wegen Jean-Jaques Rousseau den Nom de plume Jean Paul zulegte, unter dem er zu Beethovens heroischer Zeit in Deutschland reüssierte. Augenscheinlich kennt der viel wissende Musikwissenschaftler jedoch den Fränkischen Autor nicht aus Erster Hand, sondern offenbar nur über Max Kommerells Jean-Paul-Beschäftigungen. Sonst wären ihm zu Nähe & Ferne beider Oeuvres einlässlichere, detailliertere Betrachtungen möglich gewesen.

Aber trotz solcher Einwände: Martin Gecks oft überraschende, manchmal kuriose & doch immer gedankenreiche essayistische Kreuz- & Querzüge im Universum Beethovens, seines Werkes, seiner Biografie & seiner Interpreten ist für jeden, der den Komponisten schätzt (und wer wäre das nicht trotz oder wegen Beethovens Eigenwilligkeiten?) eine Wundertüte an anregenden Informationen, Spekulationen & Interpretationen. (Nur eine komplette kommentierte Monographie von Beethovens einzelnen Werken sollte man von dieser erstaunlichen literarischer Kammermusik sich nicht erwarten).

Artikel online seit 23.11.17

 

Martin Geck
Beethoven.
Der Schöpfer und sein Universum
Siedler-Verlag, Berlin 2017
508 Seiten, Illustr.,
26,00 €
978-3-8275-0086-1

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