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Diesseitsweltentfremdet

Wim Wenders verfilmt Peter Handkes »Die schönen Tage von Aranjuez«

Von Lothar Struck

 

Immer wieder sind es bei Handke auch Frauen, die zu Reisen in ein neues Zeitalter aufbrechen und/oder in eine neue Welt(erfahrung) aufbrechen. In den 1970er Jahren ist es die »linkshändige Frau«, die selbstbewusst ihre ehelichen Ketten abstreift. Die Nova aus »Über die Dörfer« ist eine Mischung aus Zukunftsdeuterin, Philosophin und Visionärin. Schließlich die starken Frauenfiguren in »Die Abwesenheit« (besonders im Film) und dann die Hauptfigur, der Abenteuerin und »Finanzfürstin« in seinem sperrigstem und ambitioniertesten Buch »Der Bildverlust«.  In »Kali« (2007) ist es eine Sängerin, die von Ferne als eine (Geistes-)Verwandte Novas oder der »Finanzfrau« aus dem »Bildverlust« erscheint.

Und auch die durch das Fragen zu sich und vor allem zur Welt findende Frau im Theaterstück »Die schönen Tage von Aranjuez« ist eine solche starke Persönlichkeit. Sie sitzt mit einem Mann (der nicht »ihr« Mann ist, es vielleicht auch nie war) auf einer Terrasse. Es ist Sommer, die Sonne scheint, nur ab und zu ein warmer Wind.  Im Mai 2012 wurde dieser »Sommerdialog« im Rahmen der Wiener Festwochen von dem inzwischen verstorbenen Luc Bondy uraufgeführt. Knapp drei Jahre später widmet sich Wim Wenders diesem Stück und machte daraus einen Film.

Es ist die sechste Zusammenarbeit von Wenders mit Peter Handke, die 1969 mit dem Experimentalkurzfilm »3 amerikanische LPs« begann. Nur zwei Jahre später schrieb Wenders das Drehbuch nach Handkes Roman »Die Angst des Tormanns beim Elfmeter«. Die introspektive Sicht des schizophrenen Tormanns Bloch, der zum Mörder wird, setzte er kongenial im Film um. Mit »Falsche Bewegung« begann 1975 Handkes Hinwendung zu Goethe. Seine drehbuchartig verfasste Erzählung ist eine moderne Adaption des Wilhelm-Meister-Themas. Wenders führte Regie; der Film gewann insgesamt in sieben Kategorien den Deutschen Filmpreis. Den größten Ruhm erreichte die Zusammenarbeit zwischen den beiden 1987 mit »Der Himmel über Berlin«, mit dem Wenders 1987 in Cannes den Preis für die beste Regie gewann. Handke steuerte hierzu einzelne Drehbuchelemente bei. Merkwürdigerweise wird Wenders' Co-Produzentenstatus zu »Die Abwesenheit« (1992; die letzte Regiearbeit von Handke) nicht in die offiziöse Reihe der Kooperationen von Wenders und Handke aufgeführt.     

Und nun also »Die schönen Tage von Aranjuez«, geschrieben von Handke zunächst in französisch, seiner Frau Sophie Semin gewidmet, die im Film nun die Frau spielt; der Mann wird von Reda Kateb dargestellt. Werkgenetisch erinnert der Dialog dem zwischen Schauspieler und Schauspielerin in Handkes 1990 uraufgeführtem Stück »Das Spiel vom Fragen oder Die Reise ins sonore Land«. Und in seiner Erzählung »Der Große Fall« von 2011 imaginiert der männliche Erzähler ebenfalls einen Dialog mit (s)einer Frau. Beide Texte erscheinen derart als Vorformen für das »Aranjuez«-Stück.

Wenders variiert das Setting des Stückes, schaltet ergänzend eine dritte Hauptperson hinzu. Es ist ein Schriftsteller, der auf seiner mechanischen Schreibmaschine den Text, den er zugleich auch schon als erlebte Rede imaginiert, tippt und wenn die beiden Protagonisten schweigend auf ihren Gartenstühlen sitzen, gönnt er sich kleine Erholungspausen mit der »Wurlitzer«-Musikbox. Gespielt wird er von Jens Harzer, der in Bondys Uraufführung den Mann spielte (mit Dörte Lyssewski als Partnerin). Ansonsten tritt nur einmal kurz ein Gärtner auf. 

Den gängigen Problemen von Kammerspielen im Kino wurde mit einer Verfilmung in 3D nach dem »Natural Depth«-Verfahren begegnet. Drehort ist ein üppiger und großzügiger Garten in der Île de France, der zu einem Haus aus dem 19. Jahrhundert gehört, das einst Sarah Bernhardt gehörte. Die Effekte sind wunderbar und versetzen den Zuschauer sofort mitten in den Garten. Der Tisch, die Limonadengläser, der Apfel, das Spatzengezwitscher, der kleine Hund  – alles wird greifbar; fast imaginiert man schon Gerüche herbei. Und es gehört zu den wunderbarsten Szenen des Films wenn eine kurze Sommerbrise durch die Bäume rauscht und zum Beispiel für einen winzigen Moment das Kleid der Frau sanft bewegt.

Aber man sollte sich nicht von der pittoresken Szenerie einlullen lassen. Die Liebes- und Lebenserzählungen der Frau haben es in sich. Es handelt sich nicht um Party-Smalltalk. So scheint es zwischen den beiden im Vorfeld Absprachen gegeben zu haben wie die gelegentlichen Zurechtweisungen vom einen an den anderen zeigen wenn einer droht in stereotype Dialoge abzugleiten. Denn wie schon im »Spiel vom Fragen« bringen erst die ernsthaften Fragen das Erzählen hervor. Und durch das Finden der Antworten wird das Erlebte (der Frau) nicht »nur« erinnert, sondern noch einmal erlebt, »wiederholt«.  Dies ist ein sehr viel intensiveres, fast physisches Evozieren als die bloße »Erinnerung«.  Bei Kierkegaard kann man den Unterschied lesen: »Wiederholung und Erinnerung sind dieselbe Bewegung, nur in entgegengesetzter Richtung. Denn was da erinnert wird, ist gewesen, wird nach rückwärts wiederholt, wohingegen die eigentliche Wiederholung nach vorwärts erinnert wird.«

Daher ist die Frau eine konzentriert Suchende, zuweilen nach Worten ringende, sich manchmal selbst ins Wort fallende und korrigierende, während der Mann, der nur gegen Ende elegisch von seinem Ausflug nach Aranjuez erzählt, ansonsten locker sein Bein über den Stuhl legen kann. Aber genau diese ernsthafte Lockerheit wird benötigt, um die zum Teil intimen Details ohne Peinlichkeiten zulassen zu können.

Durch das Erzählen, das Wieder-Holen, entsteht Dauer. Aber die ist flüchtig. Und wäre es nicht damit getan, destruiert Handke immer wieder selber das sich abzeichnende »drohende« Paradies. Landschaftsidyllen werden durch einen plötzlich sichtbaren Bombentrichter zerstört, der sofort an Krieg und Unheil denken lässt. Der geglückte Tag, vom dem Handke in den 1990ern träumte, bleibt eine Unmöglichkeit, entsteht nur in Augenblicken. Die Glücksversprecher sind Lügner. Auch in diesem Dialog schimmern die großen und kleinen Unglücke hervor. Der Liebesakt, den die Frau im Stück beschreibt, hat, wie sich nachträglich herausstellt, auf getrockneter menschlicher Scheiße stattgefunden. Verstörende Kippbilder sind dies und man hat zuweilen den Eindruck, Handke wolle sich damit selber zur Ordnung rufen.

Aber die Verstörungen bleiben nicht nur zeichenhaft. Im Film »Die Abwesenheit« redet eine Frau gegen den Lärm der Kampfbomber am Himmel an. Im »Versuch über den geglückten Tag« wie auch in »Don Juan (erzählt von ihm selbst)« dröhnen die Bombergeschwader, »immer neue Staffeln und andere Abwurfmodelle« und verfinstern den »blauenden Maihimmel«. In den Jugoslawien-Büchern sind sie die Erinnerungsfanale an den Krieg, während der Erzähler durch die französischen Wälder streift. Und auch die Sommeridylle im Garten wird am Ende gestört durch Hubschrauber- und Bombergedröhn. Im Text ist zusätzlich von Notarzt- und Hausalarmsirenen die Rede. Wenders lässt diese aus Katastrophenfilmen bekannten Effekte aus und verwendet andere: Er zeigt zu Beginn eine menschenleere französische Hauptstadt. Hat sich gar schon eine Apokalypse ereignet? Handelt es sich beim Mann und der Frau um die »letzten Menschen«? Die Anleihe im Titel, der an die ersten Satz in Schillers »Don Carlos« erinnert - »Die schönen Tage in Aranjuez sind nun zu Ende…Brechen Sie dies rätselhafte Schweigen« - legt den Schluss nahe. Ist der Hochsommer womöglich das Bild für einen nie mehr erreichbaren (Zivilisations-)Höhepunkt? Das Baden der Spatzen im Sand (was nicht gezeigt wird – warum nicht?) das letzte Friedenszeichen einer einst halbwegs intakten Welt? Warum macht sich der Schriftsteller auf? Und plötzlich, für eine Sekunde oder zwei, als die Frau kurz vor Ende fast keusch ihre Schultern entblößt, denkt man an Tarkowskis »Opfer«.

Aber woher kommt dann doch diese Unzufriedenheit des Zuschauers? Ein Film in 3D-Technik hätte die Möglichkeit geboten, die im »Sommerdialog« aufgerufenen Evokationen zu verbildlichen (nicht zu bebildern) und abseits des reinen Abfilmens des Settings cineastische Kontra- oder von mir aus auch Propunkte zu setzen. Die spektakulärsten Eigentümlichkeiten des Films sind Reminiszenzen an die Zusammenarbeit zwischen Wenders und Handke. So taucht die Jukebox schon im »Tormann« auf  und wie einst Woody Allen seinen Helden aus der Kinoleinwand entsteigen ließ, so springt nun der von Wenders immer wieder bemühte Nick Cave (man erinnere sich vor allem an den »Himmel über Berlin«) aus die Jukebox hin zum Klavier und singt »Into My Arms«. Das Bemühen, den Text Handkes nicht in den Hintergrund treten zu lassen, ist mit Händen zu greifen. Ähnlich agierte Wenders schon 1982 in der Inszenierung von Handkes Theaterstück »Über die Dörfer«.

Leider gelingt es nur teilweise die Strenge des Dialogischen in Szene zu setzen ohne dabei Gefahr zu laufen den Text zu banalisieren. Am schwersten wirkt aber etwas anderes. Im Original ist der Film auf Französisch gesprochen worden. Und wer das dunkle, etwas geheimnisvolle Timbre von Sophie Semin kennt, wird mit der eher lieblichen Synchronstimme von Eva Mattes seine Probleme haben. Und dies nicht nur, weil die Synchronisation im 3D-Modus noch eine Nuance sicht- und spürbarer ist und die Lippenungleichheit damit deutlicher wirkt als sonst. Im französischen Trailer wird deutlich, wie präzise Semin den Rhythmus der Sätze setzt. Mattes' Interpretation hingegen wirkt sachlich, nüchtern; zu makellos. Hierdurch erscheint an einigen Stellen der Text Handkes (bzw. die Fassung des Films vom deutschen Original) überkonstruiert. Beispielsweise das Erzählen des Erlebnisses der Frau als zehnjährige auf der Schaukel, eine Initiation des Auf-der-Welt-Seins, den sie als »Blitz« beschreibt. Aber der »Blitz« teilt berauscht nicht den Rezipienten. Wenn man noch im Ohr hat mit welcher Intensität Semin im April 2015 in Graz aus Handkes »Langsame Heimkehr« in Deutsch vorgelesen hatte, bedauert man zutiefst, dass keine deutsche Version des Films mit ihr eingespielt wurde.

Dabei hatte Wenders in der Zusammenarbeit mit Peter Handke immer wieder seine Könnerschaft bewiesen Innenleben von Figuren filmisch sichtbar zu machen ohne sie zu psychologisieren, literarische Vorlagen mit und in seiner Filmkunst zu ergänzen und dabei trotzdem ein autarkes Kunstwerk zu schaffen. Immerhin versetzt der Film den Zuseher in eine andere Zeit und verweigert sich dem, was wir Gegenwart nennen und deren Zwänge uns zuweilen zu erdrücken scheinen. Man sieht zwei Menschen, wie sie miteinander reden und sich gegeneinander zuhören, als ginge es um Alles. Immerhin. So verlässt man fast ein bisschen diesseitswelt-entfremdet das Kino und muss sich danach erst einmal wieder an das Draußen gewöhnen.

Artikel online seit 25.01.17

 

Die schönen Tage von Aranjuez

CAST

Der Mann: Reda KATEB
Die Frau: Sophie SEMIN
Der Schriftsteller: Jens HARZER
Als er selbst: Nick CAVE

CREW
Regie: Wim WENDERS
Drehbuch: Wim WENDERS
Nach dem Stück von Peter HANDKE
Kamera: Benoît DEBIE
Stereographie: Joséphine DEROBE
Ton: Pierre TUCAT, Ansgar FRERICH
Schnitt: Beatrice BABIN
Ausstattung: Virginie HERNVANN
Kostüm: Judy SHREWSBURY
Produktion: Paulo BRANCO & Gian-Piero RINGEL

 


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