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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Intellektuellen-Odyssee

Nachruf auf Roger Willemsen

Von Peter V. Brinkemper



Lieber Roger Willemsen - RIP. Du hast in dieser Welt der immer größeren medialen Dummheit gedacht, dass das Image des literarischen Gebildeten in den Medien in Form einer erlesenen, fast kontextfreien Selbstdarstellung zu konservieren sei. Das war ein kapitaler Fehlschluss, für den Du Dich respektablerweise aufgeopfert und auch öfters politisch und inszenatorisch verzettelt hast. Neil Postman hatte auf die Unvereinbarkeit des beschleunigten Fernsehens seit den 1980ern mit der Buchkultur eindringlich hingewiesen. Alexander Kluge hatte noch Hoffnungen eines alternativen, hochkulturellen TV-Broadcasting geschürt. Als telegene Figur tauchtest Du, Jahrgang 1955, auf in einer Welt vor dem Internet und des noch für mancherlei offenen Privatfernsehens, Premiere, in dem der fragliche Glanz der 1980er Jahre überging in den Hype der scheinbar möglichen Experimente Anfang der 1990er, mit denen dann irgendwann Schluss war. Der Startschuss war der überlegen wirkende ausführliche Talk mit den noch glamourös wirkenden Prominenten. Dies noch vor dem heute üblichen Overkill der mit Redaktionen und Karteikarten bewaffneten Moderatoren, die jedes Einzelgespräch in eine kollektive Quiz-Verhör-Runde verwandeln. Das ZDF griff zu und produzierte vier Jahre Willemsens Woche. Einen Nachschlag brachte der Schweizer TV Literaturclub 2004-6. Übrig blieb später die Produktion der Bücher, zwischen äußerer und innerer Reise, Essay, Politik und reflexiv versponnener Episodik statt Epik, die Moderation des Bedeutsamen auf der lit.Cologne und die Präsentation der klassischen Musik und der Filmsoundtracks, auch als TV-Gala. Da war manches mehr. Die akademische Forschung und Lehre, zwischen Abbruch und Wiederaufnahme. Robert Musil, der langsame Autor, und nicht nur er. In "Törless" steckt ja eine heute noch bemerkenswerte anti/metaphysische Theorie der Folter. Deine Interviews mit Ex-Häftlingen aus Guantanamo, die Manierismen der "Deutschlandreise", der Globaltrip "Die Enden der Welt", das Potpourri "Momentum" (hier werden Extrakte verschiedener früherer Werke zwischen Reise und Literatur verarbeitet und vermischt), die kritische Parlaments-Chronik, der köstlich ausgetextete "Karneval der Tiere", der rauschhafte Erlebnis-Selbst-Versuch zum Foto-Buch "Bangkok Noir", in dem die Welt zum Magen, zur Schlafstatt und zum Bordell wurde. Primushaft fand ich Dein DVD-"Interview" mit Wim Wenders zu "Der Stand der Dinge", voller Spoiler, die Wim die Antworten wegnahmen (das Markus-Lanz-Prinzip). Unsere Wege kreuzten sich im Gymnasium in Bonn, ich kam aus Köln dazu, und in den ersten Semestern an der provinziellen Bonner Universität. Es gab unnötige Distanz, aber auch Anstöße. Eine besondere Anekdote war vielleicht Deine Bemerkung, als ich am großen schwarzen Flügel in der Schulaula saß und zu einem kurzen expressiven Klavierstück von Schönberg anhob, zuvor aber den mächtigen Deckel nicht extra zu öffnen wagte: "Das ist kein Versehen. Das ist Absicht. Diese Musik ist viel zu schade für das Publikum." Danke, Roger, für dieses eitle Bonmot, Du kulturversessener, eifersüchtiger, sensibler Kerl. Die ganze Kultur, für alle oder nur für dich? Warum musstest Du uns jetzt, 2016, schon hinwegsterben?

Dein Peter Brinkemper

Artikel online seit 09-02-16

 

 
 


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