Hunter S.
Thompson schrieb einmal, Schreiben sei wie Ficken, es mache nur den
Amateuren Spaß. Jenseits der Qual jedoch, die das Schreiben über
sein Leben vermutlich auch Benjamin von Stuckrad-Barre bereitet hat,
war es für ihn vor allem eine Therapie, um wieder Zugriff auf sein
Leben zu bekommen, das ihm für einige Jahre entglitten war, weil
Kokain das Kommando übernommen hatte. Niemandem fällt es leicht,
über seine Abhängigkeit zu schreiben. Aber das ist nicht der Punkt,
denn plötzlich ist nicht mehr die Droge der Feind bzw. der Freund,
sondern der Leser, also ein Fremder, dem man sich öffnet und dessen
voyeuristischem Blick man sich aussetzt. Man braucht also eine
exhibitionistische Ader, will man das Publikum nicht langweilen,
sondern unterhalten und in seinen Bann ziehen. Und das beherrscht
Stuckrad-Barre wie kaum ein anderer. In seiner Autobiographie
»Panikherz« lässt sich nachlesen, wie er durch Raum und Zeit jagt
wie ein Getriebener, dessen Leben schneller verbrennt als andere,
und das nicht nur deshalb, weil er drogenabhängig war.
Stuckrad-Barre ist einer der ersten Autoren, die ein Leben als
Popstar geführt haben. Und genau das wollte er auch. Als Schüler in
Göttingen fängt alles an, als Plattenkritiker, um gratis an Musik
und auf Konzerte zu kommen. In seinem Leben auf der Überholspur ist
er Praktikant bei der taz Hamburg, arbeitet als Redakteur beim
Rolling Stone, bekommt einen Job bei der Plattenfirma Motor Music,
wird Gagschreiber bei Harald Schmidt, persönlicher Referent von
Küppersbusch, Redakteur bei den Berliner Seiten der FAZ, Moderator
bei MTV, schreibt in kurzer Zeit mehrere Bücher und geht mit ihnen
auf ausverkaufte Tourneen. Alkohol und Kokain werden zu seinen
ständigen Begleitern, um die immer schneller rotierende Maschine zu
ölen, um sich wegzubeamen und abzuheben.
Mitte der achtziger Jahre wird Stuckrad-Barre von Udo Lindenberg
musiksozialisiert, eine Liebe, die sein ganzes Leben bestehen
bleibt, weil Lindenberg bei ihm eine Saite zum Schwingen bringt, die
mit der Sehnsucht der Jugend zu tun hat, dem Gefängnis des alten
Lebens zu entrinnen. Bei Lindenberg entdeckt Stuckrad-Barre den
»Rausch als Spaß und Selbstzweck, Rausch aber auch als Protest, als
Haltung. Als Art, durchs Leben zu taumeln und nur sehr ausgewählt
die permanenten Ernsthaftigkeitsangebote der Umwelt anzunehmen.« Und
das ist eine Beschreibung, die Lindenberg auch Leuten sympathisch
macht, die ihn eher für etwas schlicht halten, denn es ist nicht das
schlechteste Lebenskonzept. Und auch wenn Stuckrad-Barre in den
Anfängen seines Journalistenlebens Lindenberg einmal im Rolling
Stone in die Pfanne haut, weil er zu klug ist, die fortschreitende
»Mumifizierung« Lindenbergs nicht zu bemerken, so haben ihn die
Lindenberg-Songs doch geprägt. Noch im weggetretensten Zustand kann
er die Lyrics auswendig, findet er in seiner Autobiographie für jede
Situation die richtigen Lindenberg-Worte. Lindenberg wird ein
wichtiger Freund, der immer da ist, wenn Stuckrad-Barre ihn braucht.
Stuckrad-Barre muss konzedieren, dass sich mit Häme ein Idol nicht
so ohne weiteres aus dem Weg räumen lässt, dass enttäuschte Liebe
nur dazu taugt, als »Karikatur seiner selbst« zu enden, und dass
»mitmachen« viel besser ist.
Das kann man leicht als selbstentlarvend empfinden, und nicht wenige
werden sagen, dass Stuckrad-Barre nie etwas anderes wollte. Und das
stimmt auch, aber der Erkenntniswert des
Das-habe-ich-ja-schon-immer-gewusst ist eher gering, denn das
Geltungsbestreben eines jungen Menschen ist letztlich grundsätzlich
von der Paradoxie bestimmt, alles einreißen zu wollen, dies aber nur
tun zu können, wenn man mitmischt, wenn man nicht »rein« bleibt,
indem man alle Angebote ausschlägt und somit auch nichts bewegt.
Stuckrad-Barres literarische Helden heißen Bukowski, Fante,
Hemingway, Kerouac, Burroughs, Henry Miller und Ellis. Nicht zu
vergessen Jörg Fauser, der in Stuckrad-Barre den Wunsch weckt,
»später mal … allabendlich mit Trenchcoat im ROTLICHTVIERTEL
rumzutigern, immer auf der Flucht und in Schwierigkeiten,
Hinterzimmer, Tapetentüren, letzte Münzen in die Jukebox und dann ab
durch den Notausgang, mit der Kellnerin durchbrennen.« Und genau das
macht er dann auch. Sehr konsequent und zielstrebig, bis sämtliche
Türen zugeschlagen sind und es keinen Ausweg mehr gibt. Mit diesen
Leuten im Gepäck ist er gegen das Leben immunisiert, das seine
Eltern für ihn vorgesehen haben und das er fürchtet.
Nach dem Leben als Popstar kommt der Absturz. Stuckrad-Barre geht
durch die Hölle. Er hinterlässt »eine Schneise der Enttäuschung und
Zerstörung«, er verliert den Bezug zur Realität, flüchtet aus allen
sozialen Bindungen, vergräbt sich, heckt wahnwitzige Pläne aus,
solange das Koks das Gehirn auf Touren bringt, und versteht die kurz
vorher entworfene »rätselhafte Pfeilgraphik« selbst nicht mehr, die
das ganz große Ding hätte werden sollen.
Die Sucht ist deprimierend, eintönig, öde. Sie zu beschreiben, daran
sind viele gescheitert, denn sie lässt den Menschen auf ein
Reiz-Reaktions-Bündel schrumpfen, weil kaum etwas passiert und jede
Abweichung vom Gewohnten als bedrohlich wahrgenommen wird.
Stuckrad-Barre bleibt distanziert, analytisch, erscheint nie
mitleidig, und dennoch schafft er es, dass man zu begreifen glaubt,
was das ist, die Sucht. So intensiv und nah und erschreckend und
detailliert hat sonst nur Sebastian Horsley darüber geschrieben.
Vielleicht wegen seiner Gewissheit, wirklich am Ende zu sein, gerät
Stuckrad-Barre aus dem Gleichgewicht, als ihn die Einladung zum
20-jährigen Klassentreffen erreicht. In einer seitenlangen
angstneurotisch gesteuerten Suada, die literarisch zu einem der
Highlights in dem an Highlights nicht armen Buch gehört, fallen ihm
tausend Gründe ein, warum er die Einladung nicht annehmen kann. »Wer
sagt, ›Das müssen wir unbedingt wiederholen‹, will nach Hause. Wer
etwas zu laut und oft sagt, ›Ich bin ein totaler Familienmensch‹,
ist fertig mit den Nerven, sehnt sich nach Einsamkeit. Wer sagt, ›Du
hast dich ja echt kaum verändert‹, möchte genau das über sich selbst
hören, und zwar schnell.« Am Ende der langen Liste von
Verhaltensgestörtheiten, die jeder kennt, bleibt nichts mehr übrig,
ist jede Gewissheit, die den Menschen am Laufen hält, zerpflückt.
Stuckrad-Barre kann all diesen Leuten nicht gegenübertreten, weil er
sich in ihnen spiegeln würde, sich selbst wieder begegnen, dem, der
er mal war und werden wollte. »Die Erinnerung ist die einzige Hölle,
aus der es kein Entrinnen gibt. Und an sie zu rühren, sie zu
betreten, sie mit Gegenwart aufzuladen, heißt, einen Kampfhund zu
reizen.«
Stattdessen entdeckt er auf der Flucht vor ihr eine ungewöhnliche
Schönheit: die Reeperbahn, »wenn die Nacht sich dem folgenden Tag
ergab, wenn es schon dämmerte und die allerletzten Angebote gemacht
wurden, wenn wirklich nur noch die Profis und Fertigen unterwegs
waren und das sanfte Crescendo der Straßenkehrmaschinenbürsten
andeuteten: Das war‘s für heute.« Das mag romantisierend klingen,
auch wenn die gesellschaftliche Konvention in einem solchen Bild nur
etwas abschreckendes sehen kann. Aber Erlebnisse, in denen wir Glück
empfunden haben, werden nun mal später zwangsläufig romantisiert,
weil sie unwiederbringlich vorbei sind und dadurch zu unerfüllten
Sehnsuchtsorten werden.
Stuckrad-Barre hat den Kampfhund Erinnerung gereizt und
herausgekommen ist ein großes Buch, ein Buch, das bleiben wird, weil
er sein Leben in die Waagschale geworfen hat, um Ruhm und Erfolg zu
erlangen. Er ähnelt damit mehr als er es vielleicht weiß, weil der
Name in seinen hagiographischen Aufzählungen nie auftaucht, Hunter
S. Thompson, auch ein Getriebener und großer Autor.
»Das Leben ist ein mittelmäßiges Theaterstück mit einem schlecht
geschriebenen dritten Akt«, zitiert Stuckrad-Barre gerne einen
seiner Säulenheiligen Fitzgerald, weil ihm sein eigenes Leben so
erscheint. Das hört sich wie Koketterie an, denn auf das Leben, das
uns aus seinem Buch entgegentritt, trifft das ganz und gar nicht zu.
Artikel
online seit 06.04.16
|
Benjamin von
Stuckrad-Barre
Panikherz
Kiepenheuer&Witsch
567 Seiten
22,99 €
978-3-462-04885-8
Leseprobe |