Home

Termine     Autoren     Literatur     Krimi     Quellen     Politik     Geschichte     Philosophie     Zeitkritik     Sachbuch     Bilderbuch     Filme





Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


Anzeige

Glanz&Elend
Ein großformatiger Broschurband
in einer limitierten Auflage von 1.000 Ex.
mit 176 Seiten, die es in sich haben.

Ohne Versandkosten bestellen!
 





Von Lucas zu Disney

»Star Wars« 7 – »Das Erwachen der Macht«: Eine Erfolgsserie wird neu justiert

Peter V. Brinkemper

 

J.J. Abrams' »Star Wars: The Force Awakens« hat in den ersten sieben Tagen (seit dem 18. Dez. 2015) rund 813 Mio. Dollar Kino-Einnahmen in den USA und international eingespielt. Bald wird die Milliardengrenze überschritten – wenn es so weiterläuft. Dieser siebte Film der erfolgreichen Space Opera ist der erste Teil einer dritten Trilogie, die Lucasfilm, 2012 an Disney verkauft, herstellt, und zwar ohne Star-Wars-Erfinder George Lucas. Herausgekommen ist keine Spielfilm-Episode mit prägnant erzählter Fortsetzung einprägsamer Personen im bisherigen Sinne, sondern eine hochmobile Fusion zwischen Remake und Reboot. Über deren Kurs wird gerade gestritten.

Man verfolgt eine Revue einzelner Szenen, nach bisherigen Mustern und mit alten Figuren (Remake) sowie neuen gemischten Charakteren und weiterreichenden Anspielungen (Reboot), situiert in einer späteren krisenhaften Epoche, gestaltet nach Art einer durchkonstruierten TV-Serie mit zahlreichen Leerstellen und Cliffhangern. Abrams bedient sich aus dem älteren Lucas-Spielzeugladen und versetzt den Stoff in den expansiven Marvel-Disney-Erlebnispark. Auf diese Weise löst sich die episch eigenständige Struktur der früheren »Star Wars«-Filme auf (trotz der tricktechnischen Einlagen von Dekor, Kampf und Flug) – in die ultimative Geldmaschine heutiger Serien-Events, wobei die Bestandteile auf Zuschauer-Attraktion (jenseits der Fan-Base) sowie vielfach handlungsbezogene Fortsetzung bzw. videospielförmige Endlosschleifen getrimmt sind, statt auf dramatische Geschlossenheit und prozedural exakte Auflösung der Konflikte. Ähnlich sind bereits Folge 8 und 9 sowie weitere Spielfilme mit mehr für sich stehenden Parallelhandlungen geplant.

Von Lucas zu Disney

Lucas hatte während der Arbeit an seiner zweiten Trilogie: »Star Wars« 1-3 die Produktion einer weiteren Spielfilmserie (für sich) ausgeschlossen. Damit wurde ein lange gehegter Plan aufgegeben, trotz der hochfliegenden Erwartungen der engen Fans, gestützt auf das Expanded Universe der Romane sowie die weitere Kommerzialisierung durch Star Wars Games und die jüngere Klonkriegs-TV-Cartoon-Serie. In Lucas Alterswerk, den Prequels 1-3 (1999-2005) wurde die Vorgeschichte, das Leben Anakin Skywalkers progressiv, opulent, doch altbacken erzählt: seine zufällige Entdeckung als begabter Sklavenjunge durch die Jedis im Zeitalter der Republikkrise, seine scheiternde Ausbildung und Verführung zur dunklen Seite der »Macht«. In der klassischen Trilogie 4-6 des jungen Lucas (1977-83) wurde Luke Skywalkers Geschichte, sein Kampf mit dem Imperium und Darth Vader, ehemals Anakin Skywalker, und die Bekehrung des Vaters zur guten Seite der »Macht« subjektiv vorgestellt, analytisch-rückblickend erklärt und als fortschreitendes Drama geschildert. Dabei enthalten beide Trilogien in ihren epischen Nebensträngen und Zeitabständen eine Fülle von Material für viele weitere Geschichten und Spekulationen. Aus heutiger Sicht bemerkenswert ist Lucas’ phantasievoller und flexibler Umgang mit dem Prinzip der Serie und mit der Herstellung von Einzelfilmen: besonders im Hinblick auf die Frage, inwiefern Episoden und Handlungsabschnitte für sich allein stehen und abgeschlossen werden oder unaufgelöste Konflikte und Rätsel für die Charaktere und Zuschauer enthalten, die in späteren Folgen wieder aufgenommen und weiter entfaltet werden.

Disney hat um den aktuellen Teil 7 einen Kreis von absurder Geheimniskrämerei gezogen, die auf lauter Bluffs hinausläuft. Denn die jeweilige neuste filmische Episode von Star Wars konnte und sollte nie das bisherige Universum zähmen, sondern fachte seine kulturelle und kommerzielle Expansion wie eine Epidemie durch ihren jeweiligen Totalitätsanspruch weiter an. Lucas begann die erste »Star Wars«-Verfilmung (die Bezeichnung »Teil 4« wurde erst später hinzugefügt) mit einer von den Studiobossen belachten Obsession und endete als Midas, der mit dem Merchandising endlos verdiente und in die Produktion reinvestierte. Der Disney-Konzern betont die Unabhängigkeit seiner jetzigen Filmproduktion von früheren Konzepten der Firma Lucas und erklärte alle bisherigen Buch-Referenzen des Expanded Universe zu unverbindlichen Legenden. Kritiker und Medien wurden mit Sperrfristen, Spoilerwarnungen und dann doch anbrandenden Andeutungen und Spekulationen regelrecht dressiert. Die völlig ausgehungerten Rezensenten preisen die frische, subjektiv erzählende Machart von Teil 7 und vergleichen ihn mit der noch analog gefilmten Qualität und dem Trick-Handwerk der Stop-and-Go-Motion der Folgen 4-6. Die Geschichte Anakins in den Episoden 1-3 wird formal als digitaler Irrweg des alternden George Lucas verurteilt.

Frischzellenkur

J.J. Abrams Film erweckt den Anschein, dass er und Disney das »Star Wars«-Kino einer Frischzellenkur im Sinne des hauseigenen Family-Entertainments unterzogen haben und sie nun alles, sogar Lucas’ Midi-chlorianer in höchsten Konzentrationen kontrollierten: die alten Mimen und Helden in den Schlachten von Yavin (Teil 4) und Endor (Teil 6), Harrison Ford (mit ca. 23 Mio. Euro Gage: »I’m in it for the money.«), Carrie Fischer und Mark Hamill (als Han Solo, Prinzessin Leia und Luke Skywalker), in Verbindung mit jungen, bisher wenig bekannten Schauspielern. Allen voran verfolgen die Zuschauer die energische Daisy Ridley als intelligente und kampfbegabte, familienlose Schrottsammlerin Rey auf dem Wüstenplaneten Jakku. Dort tobte vor der im Film dargestellten Zeit eine weitere Schlacht zwischen imperialen und rebellischen Streitkräften (ein Jahr nach Endor) und nun breitet sich ein Raumschiff-Friedhof aus. Er dient als Versteck und Umschlagplatz für Geheimwaffen, gesuchte Personen und brisante Infos. Rey begegnet Finn (John Boyega), einem wankelmütigen Normalmenschen und eben nicht geklonten, farbigen Stormtrooper, mit Herz, Empathie und Abscheu gegen die Brutalität der First Order. Das ist der Name einer Organisation von rücksichtslosen, untereinander rivalisierenden und hochrüstenden Warlords, die sich selbst als Nachfolger des untergegangenen Empire und als erneute Bedrohung der weiter schwächelnden Republik aufführen, oft aber abweichende Macht-, Technologie- und Kriegs-Strategien entwickeln. Zu Rey und Finn gesellt sich der Droide BB-8, ein Kugelroboter, der ebenso wie einstmals R2-D2 geheime Informationen einzuspeichern und als Messenger im Auftrag des Widerstandes zu überbringen hat.

First Order – Imitation und Terror

Der Kampf um die politische Verfassung der Galaxis, aber auch um militärische Stärke, Einsatzbereitschaft und Vorherrschaft und die Mobilisierung oder Ausrottung der mystisch-spirituellen »Macht« geht in die nächste Runde, paranormale Disziplinen wie Gedankenlesen, Gehirnwäsche, Telekinese und Laserschwertkampf blühen wieder auf wildeste Weise auf. Kylo Ren ist ein statischer, dabei multipler Charakter, passend zur Gestaltung der alt-neuen Serienepisode, ein aufstrebender Bösewicht und ein unberechenbarer Vertreter an der Spitze des postimperialen First Order – heimtückisch, innerlich gebrochen (Adam Driver). Er scheint vor allem eines zu sein, der Plagiator und Vernichter von Jedi- und Widerstands-Anhängern, ein Propagandist des Todes und der Rache des eine Zeit lang geschlagenen Imperiums. Spirituell hat er schon verloren, bevor das Laserschwert-Kampf mit der von Natur aus viel talentierteren Rey (Daisy Ridley) richtig beginnt. Rey muss erst einmal begreifen, wieviel Dynamik, »Macht« und Begabung in ihr steckt, während Kylo Ren auch seine kämpferischen Defizite verdrängt, wenn er wehrlose Personen ermordet. Instinktsicher weist Rey sofort Kylo Rens »meisterhaften« Anspruch, sie als Schülerin auszubilden, von sich. Anfangs erscheint er noch souverän: Maskiert und mit dunklem Umhang als einer der konkurrierenden Führer des First Order landet er zu Darth-Vader-Fanfaren mit einer Imperatoren-Fähre der Lambda-Klasse vom Resurgent-Sternenzerstörer aus auf Jakku. Er könnte seine Einsätze aber auch mit weniger Pomp und Gewalt und mit mehr Geschick und Erfolg abwickeln. Er ist im doppelten Sinne der Imitator des alten Terrors und der neue Terror einer Imitation, die sich noch nicht voll etabliert hat und auch andere Wege geht. Einen Laserschuss auf ihn stoppt Kylo Ren in der Luft und erledigt zugleich den betagten Lor San Tekka, einem Anhänger des alten Jedi-Force-Glaubens, in einem Blitzmanöver (Max von Sydow: »Das Siebte Siegel« und »Der Exorzist«), dem er die Sternenkarte zu entlocken versucht, die Luke Skywalkers geheimen Aufenthaltsort zeigt.

Die anfängliche Idee, den Oberschrotthändler Unkar Plutt (Simon Pegg) und seine Sklavensammler und brutalen Eintreiber als »Mad Max«-Ausbeutungssystem darzustellen, in dem auch Rey (Daisy Ridley) schuftet, ist vielleicht am besten in dieser siebenten »Star Wars«-Folge umgesetzt. Hier gibt es inszenatorische Geduld und Spielraum für Phantasie und Geschichte. Man befindet sich am Rande eines gewaltigen historischen Schlachtfeldes, zwischen auszuweidenden Riesenkreuzern und defekten AT-AT-Walkers, in einer Übergangsphase, die militärische Siege zur politischen Befriedung nicht zu nutzen wusste. Zu Recht und Unrecht behauptet die an die Sandleute erinnernde Provinzfigur Unkar Plutt, eigentlich gehöre ihm alles, was in der Wüste ausgebreitet sei. Aber genau diese Perspektive trügt, auch für die Zuschauer, die ihre Saga von A bis Z zu kennen meinen. Die Wüstenwelt reitet sei. uptet Unkar Plutt, solange er die physische Macht habe, gehöre ihm eigentlich alles, was vor ihm in der Wüste ausgebenthält ein reiches Anspielungs-Potenzial zur Vor-, Zwischen- und Nachgeschichte, auch im Blick auf das technische Geschick des Sklavenkindes und Pod-Racers Anakin und seines späteren Sohnes und Droiden-Bastlers Luke auf Tatooine sowie der Schrottverwerterin Rey. Und hier tobt sich Abrams’ chaplineskes Schrottsammel- und Verschrottungskonzept mit zahllosen Einfällen und Wendungen aus. Welche Bestandteile der Vergangenheit sind nur noch totes Material, welche die Souvenirs einer bedeutungsvollen Erinnerung an eine bessere Zukunft? Die Camouflage des Schiffsfriedhofs zwischen Dysfunktionalität und verdeckter Einsatzfähigkeit von Fahrzeugen und Maschinen bietet eine erhabene Landschaft des Scheiterns und greift der noch aufgeschobenen Exposition der Figur Reys vor. Auf dem Schrottgelände bahnt sich die grundlegende Stärke und Schwäche des Films an, Bedeutung mit Tempo zu verwechseln. Geschichte wird ersetzt durch tollkühne Verfolgungsflüge.

Das präventive Gute erzeugt das Böse

KY-LO Ren ist kein geringerer als Ben Solo, der abtrünnige Sohn von Han So-LO und Leia S-KY-walker; er stützt seinen zweifelhaften Ruf eher auf unterlegene Gegner, devote Gefolgsleute und Vorschuss gewährende Mächte. Harrison Ford, alias Han Solo, die Figur, die vor allem Alt und Neu verbinden soll, stolpert ins Geschehen, die Fronten und die Geschäfte sind nicht mehr klar getrennt. Ausgerechnet er hat die Spur zu seinem Millenium Falcon verloren und gewinnt ihn nur mit vielen Tricks zurück. Dafür ist er rührend als verirrter Vater aktiv. Um alles wieder gut zu machen, dringt er leichtsinnig über alle Gefahren hinweg ins Reich der neuen Dunkelheit vor. Er zitiert Kylo Ren als seinen verirrten "Ben!" wie einen Schuljungen aus der Ecke des Bösen und macht ihm ziemlich weiche Knie. Kylo Ren fühlt sich dem Erbe seines mütterlichen Großvaters Anakin Skywalker verpflichtet, der dunklen Seite der »Macht«. Er empfindet die präventive elterliche Liebe Hans und Leias und ihre Verteidigung des prekären Guten als Minderung seiner Fähigkeiten, besonders der bösen, die ihm aus seiner Sicht erlauben, erst ganz er selbst zu sein. Auf der Starkiller-Basis stößt er die Laserschwertklinge per Knopfdruck in Han Solos Brust. Wie Han noch sterbend seinem verfluchten Sohn ein zärtliches Streicheln auf die Wange verpasst – das ist wohl wahre Liebe und doch eine Art von herablassender Unterwerfung, die ein militanter Wutsoldat wie Kylo Ren sich nicht gefallen lässt.

Aber funktioniert solch eine Szene wirklich, die Szene eines nur präventiv guten, zuvor real abwesenden Vaters und maßlos verzweifelt böse gewordenen Sohnes, der sich seinen eigenen symbolischen Vater nach dem Zusammenbruch des Imperiums zusammenbasteln muss, um seine wilden Vorstellungen vom imaginären bösen Vater und grandiosen Meister in eine verkraftbare Form zu bringen? Soll man diese und andere Szenen unter einfachem Gut-Böse oder Bekehrungs-und-Verführungsmustern oder Lehrer-und-Schüler-Beziehungen subsumieren? Die Nach-Jakku-Zeit kennt keine ordentliche Moral oder Jedipädagogik mehr. Dazu im Vergleich die alte Gegenkonstellation: die Auseinandersetzung zwischen dem dunklen, vaterlosen Anakin unter der imperialen Maske des Darth Vader und seinem edlen, zunächst unbekannten Sprössling Luke Skywalker, der unberührt vom Bösen mit Hilfe der guten Ersatzväter Obi-Wan und Yoda die Hilfs-Konstruktion des guten Vaters als Brückenkopf zum Bösen erzielt (»Star Wars« 4, 5, 6). Diese zentralistisch einkreisbare Ordnung gibt es nicht mehr. Wie auch immer der neue Film sich als Abfolge von Sensationen und vorsichtige Prägung von Bedeutungen abmüht: Wahre Größe, epischer Atem kommen nicht auf, sie werden peinlich vermieden oder nur ausnahmsweise zugelassen. Sie sind Sehnsüchte der Kinovergangenheit im Gestern und Vorgestern. Es herrscht Panik im Kinderzimmer. Der alte Mythos wird im Kleinen zerhackt, ausgeweidet und immer weiter zurechtgebastelt. Routiniert sind Szenen in Parallelhandlungen, Twists und Clous portioniert, ohne verbindendes Raumgefühl, ohne stabile Entwicklung der Charaktere und ohne Geschichtsbewusstsein im Großen zu liefern. Der Plot wird gesplittet und geschreddert, um alle möglichen Entscheidungen zielgruppenorientiert offen zu halten. Der Mythos wird zum breit angelegten Sortiment im Disney-Kaufhaus, das alles für alle bereit hält, auch rote und blaue Laserklingen. Am Ende hat man das Gefühl, einen Riesen-Trailer für ein alt-neues »Star Wars« Universum, eben ein schamfreies Reboot gesehen zu haben. Lauter aktivierte und stillgelegte und doch irgendwie miteinander verbundene Menschen, Figuren, Monster und Droiden. In seiner oberflächlichen Quirligkeit liegt Film Nummer 7 gar nicht so weit weg von den Episoden 1, 2, 3 und ihrer digitalen Erstarrung, die vom künstlerischen Willen des Altmeisters Lucas getragen war.

Die Figuren in Teil 7 sind partiell durch schlechte Vertonung und idiotische Kurzsätze versimpelt (»Du trägst immer noch dieselbe Jacke«). Viele ehemalige Synchronstimmen mit wunderbarer Klangfärbung sind längst tot (Arnold Marquis als majestätischer Admiral Ackbar oder Ernst Wilhelm Borchert als spiritueller Alec Guinness/Obi-Wan). Das Original klingt sicher besser. Leia – verkörpert von der beliebten Carrie Fischer – ist eine großartige ältere Frau aus einem französischen Problemfilm, die lieber Wein anbauen als Schlachten planen würde. Der alte Konflikt zwischen Leia und Han, die zwischenzeitlichen Probleme mit Sohn Ben, die Ängste vor seinem Anakin-Gen, die Fehlentscheidung, ihn von Luke ausbilden zu lassen, die zerstörerischen Exzesse Bens, die Verführung durch den dunklen Vampir Snoke, die Suche nach dem verlorenen Sohn – all das ist nur Dialog auf Papier, ein äußerlich bleibendes Wiedersehenstheater ohne den früheren Handlungsdruck um die Prinzessin und den Schurken (»Ich weiß«), was allein schon einen ordentlichen Dreiakter verlangt hätte. Wieso hält Leia mütterlich die Stellung im Widerstand (Rebellion wogegen, wenn es wieder eine, wie auch immer verwundbare, Republik gibt?), während Han und Luke sich jahrelang als traumatisierte Schmuggler und Einsiedler herumtreiben?

Götzen im Zwielicht

Der Rekurs auf das Urböse: Andy Serkis (Gollum in »Herr der Ringe«, King Kong, Caesar in »Planet der Affen: Prevolution / Revolution«) hat auch diesmal seine Gesichtsdaten für eine Filmfigur ausgeliehen, ohne zu wissen, wie er am Ende aussehen würde: »Supreme Leader Snoke« ist der geheime, unangreifbare Chef-Götze, der undurchsichtige Anführer und Anstifter des Bösen. Sith, Jedi, Mensch, Humanoid, Alien, Spekulant und Grenzgänger zwischen Leben und Tod? Man sieht ihn als Riesenprojektion – (woher?) – eine deformierte Bestie im sakralen Inneren der Killerstation auf den Eisplanten, eine Super-Katzen-Statue, ein blasses angefressenes Anti-Lincoln-Memorial. Doch diese Erscheinung hält den Vergleich zu seinem brillanten Gollum-Part in Peter Jacksons »Herr der Ringe« nicht stand. Anderseits ist Snoke absichtlich nur ein Phantom und Strippenzieher, er hat sich noch nicht einmal in der Geschichte oder auf einem der Planeten lokalisiert oder materialisiert. Snoke könnte jede Art von vaterlosem Führer und Erzeuger, oberstem Bösewicht oder tückischem Prinzip sein.

Wie gelingt es der First Order, eine neue Todessternwaffe in einen Eisplaneten einzubauen und mit ökologisch nachhaltigen Sonnenkollektoren zu betreiben? Weshalb ist dieser faschistische Orden der dümmlich-egoistischen Bösen in Besitz von machtvoller Großtechnologie im Zeitalter von Unterversorgung und Armut? Wie kann sich der Orden einen neuen Sternenkreuzer und eine blitzblanke Imperatorenfähre ohne professionelle Wartung in ordentlichen Werften leisten? Wie kommt der First Order zu Truppen indoktrinierter oder desertierender Human-Soldaten? Kann er sich die leichter zu kommandierenden Klonkrieger nicht leisten, die von Kamino, einem ursprünglich republikfreundlichen Planeten stammen? Oder widersprechen Klone gleichermaßen dem Konzept der imperialen Sturmtruppen und der faschistischen Ideologie der First Order? Wieso operieren die Rebellen und die Bösen immer noch mit überalterten X-Wing-Jägern und imperialen TIE-Fightern, die mit ihren vertikalen Solarschilden wie japanische Wandschirme auf den Boden aufgestellt sind? Wieso kann die Metropole Hosnian Prime, für eine Wahlperiode das neue Zentrum der Republik im galaktischen Kern nach  Coruscant (und viel zu kurz und missverständlich eingeblendet), mal eben, zusammen mit anderen Welten, von der aktivierten Starkiller-Base ausgelöscht werden?

Effekte und Rätseleien

Die Ungeduld und Halblogik der raschen Effekte und zusammengeclippten Bilder, die bei Abrams’ »Star Trek«-Neuauflagen (2009/13) in die Irre führte, lenkt auch in »Star Wars« Episode 7 die Regie und die Rezeption. »Cloverfield« (2008), der pseudodokumentarische Katastrophen- und Trümmerfilm, der scheinbar sein Material nicht unter Kontrolle hat und damit einen nicht verantworteten Wandel suggeriert, lässt grüßen. Wieviel Zeit hatte sich der späte digitale Lucas genommen, um die Riesenstadt Coruscant, das endlos babylonische New York Metropolis auf einem ganzen Planeten, das einstige politische Zentrum der Galaktischen Republik, darzustellen, bis hin zu den Raffinerien und Sternenkreuzer-Werften. Man denke nur an den Stoßverkehr der Flugschiffe am Himmel über Coruscant in Teil 2. Gerade auf der panoramischen und auf der narrativen Ebene schwächelt der neue Film, das überschnelle Zitieren der Motive bewirkt Effekthascherei, wie in einer mittelmäßigen Marvel-Produktion. »Star Wars« als Konfetti-Ruinen-Party.

Auch die Rätseleien im Netz um tiefere Bedeutung von Figuren und Situationen in »Star Wars« 7  entwickeln kaum greifbare Ergebnisse. Die Veränderungen liegen im Detail und sorgen doch auch für Wandel im Großen. Rey ist zweifelsohne eine beeindruckende, neue Hauptfigur. Ist sie die Tochter von Han oder von Luke? Für letzteres spricht ihre Wandlungsfähigkeit weit über ihre Resistenz gegen Kylo Ren hinaus. Han war immer derselbe, Luke und Leia mussten sich zahllose Ebenen der Bewusstwerdung schmerzlich erarbeiten. Und darauf könnte auch der unverwüstliche Komponist John Williams verweisen, wenn er die musikalischen Motive von Luke und Rey, bei aller melodischen Differenz, in harmonischer Verwandtschaft hält. Sparsam geht er mit der Verwendung der klassischen Motive und Themen um. Damit wäre der Generationenbezug komplett. Luke – der zum obersten Jedi gereifte Mark Hamill – erscheint erst zum Schluss auf der Kinoleinwand, in großartiger Stummheit. Als Eremit auf einer Insel mit steinernen Bienenwaben – die Iren sorgen sich um ihr Kleinod Skellig Michael – empfängt er die junge machtbegabte Schwert-Flüsterin Rey und adelt sie mit seinem wissenden Blick. Die nächste Duell- und Verkaufsrunde kann beginnen. Und vielleicht auch eine klarere Story.

Artikel online seit 26.12.15
 

 


Glanz & Elend
- Magazin für Literatur und Zeitkritik
Home   Termine   Literatur   Blutige Ernte   Sachbuch   Politik   Geschichte   Philosophie   Zeitkritik    Filme   Impressum - Mediadaten