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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Kehraus

Martin Walsers jüngstes/letztes Buch

Von Wolfram Schütte

 

Nachdem ihm sein Altersgenosse Günter Grass 2015 literarisch mit seinem Abschiedsbuch »Vonne Endlichkait« barockisierend & selbstironisch vorausgegangen ist (wenn auch postum), scheint der 1927 in Wasserburg am Bodensee geborene Martin Walser kurz vor seinem 90. Geburtstag  mit einer letzten »Wendung« nun sich selbst auch seinen »Nachruf zu Lebzeiten« (Musil) geschrieben zu haben.

»Statt etwas oder der letzte Rank« heißt das Buch, das Verlag & Autor »Roman« nennen, obwohl es nichts weniger als das ist – selbst wenn man die Genre-Bezeichnung zurecht denkbar weit fasst. Eher wäre von einer Täuschung zu sprechen. Ein »Roman« kommt aber allemal besser beim Publikum an statt etwas, das nicht so heißt – umso eher, als die deutsche Kritik auf den kleinen Rowohlt-Schwindel als erste hereingefallen ist.

Ohnehin hat der späte Walser (ein grandioser Vorleser, dem auf diesem Gebiet nur Grass das Wasser reichen konnte) ein Gutteil seines öffentlichen Erfolgs des letzten Jahrzehnts der fortgesetzten existenziellen Selbstskandalisierung zu verdanken. Um mit dem Titel eines Romans seines Spätwerks zu sprechen: als erzählerische »Angstblüten« eines älteren Herrn in wechselnden Schatten junger Mädchenblüten. 

Der kryptische Titel seines jüngsten Buchs wird nur zur Hälfte verständlich gemacht und zwar durch ein Zitat aus Grimms »Deutschem Wörterbuch«, das dem Buch als Motto vorangestellt ist. Darin wird der »schweizerische« (i.e. in Walserischem Allemannisch) gebräuchliche Begriff »Rank« als »Wendung, Krümmung des Wegs« ins Hochdeutsche übersetzt. Aber wer das schmale Buch dann gelesen hat, wird gewiss die zweite Bedeutung von »Rank« vorziehen. Sie lautet: »Rank ist die Wendung, die der Verfolgte nimmt, um dem Verfolger zu entgehen«. Wenn man sich Martin Walser als Hasen vorstellt, wäre »der letzte Rank« dessen ultimatives Hakenschlagen um seinen Verfolgern endgültig zu entkommen.

(Während Grass nur im letzten, Titel gebenden Gedicht seines literarischen Mixtum Compositums ins heimatliche Ostpreußische wechselt, ruft Walser nur im Alternativtitel seiner literarischen Mischung den vertrauten muttersprachlichen Dialekt auf. Bedeutet das etwas – außer vielleicht der Andeutung einer auffälligen, wo nicht gar gesuchten Parallelität?) 

Als allseits Verfolgten stellt sich Martin Walser seit seiner ominösen »Paulskirchenrede« (1989) immer wieder dar. Ich zweifele auch nicht daran, dass er sich so sieht & empfindet. Erst recht nach dem öffentlichen Skandal um seinen verquasten Roman »Tod eines Kritikers«. (2002) Bereits in seinem Roman »Seelenarbeit« war ihm 1979 die geniale Formulierung seiner persönlichsten Signatur geglückt, als sein Held, der Chauffeur Xaver Zürn, damit fertig werden muss, dass er laufend »an den Chef denkt und genau weiß, dass der Chef nicht an mich denkt«.(Kursivierung von mir).

Dieses psychologische Grundmuster ohnmächtiger Verzweiflung eines Abhängigen & deshalb Unterlegenen ist die Quelle persönlichen Leidens auch des hochsensiblen Autors im literarischen, kommerziellen & emotiven Konkurrenzkampf mit Kollegen ebenso wie um den Verlegerfreund Siegfried Unseld gewesen.

Die bittere Erfahrung der öffentlichen Isolation nach den prekären subjektiven »Geständnissen« in der »Friedenspreisrede« des 61jährigen Autors & der persönliche Rückzug jahrzehntelanger Freunde aus dem linksliberalen Milieu der Bundesrepublik, die ihm die Freundschaft aufkündigten, hat sich in Martin Walsers Psyche zum Ressentiment verdichtet. Er meinte von nun an, er habe aus eigener Schwäche & Liebesbedürftigkeit sich jahrzehntelang öffentlich verbogen & seine ursprüngliche konservative Grundhaltung verborgen. Auf dem Weg zur vermeintlich wieder restaurierten Unschuld glaubte der frühere marxistisch argumentierende Dialektiker sich mithilfe einer euphorischen Nietzsche-Lektüre »jenseits von Gut und Böse« & abseits aller »Theorien«, ontologistisch einrichten zu können.

Mit diesem Stadium der Reife beginnt »Statt etwas« als Bekenntnis des Autors höchstselbst, (nicht eines imaginären Alter egos): »Seit ich utopielos war, bzw. sein wollte, fehlte mir nichts mehr«, behauptet der knapp 90jährige Walser von sich & seiner gelassenen Befindlichkeit. Befreit von den ehemaligen (moralischen) Zumutungen seines vergangenen Lebens, erklärt er übermütig: »Mir geht es ein bißchen zu gut« & variiert sein derzeitiges Seelenleben in einer Abbreviatur von schwärmerischen Wünschen: »Zu träumen genügt« oder »Unfassbar sein wie die Wolke, die schwebt«.  

Wäre dieser späte Walser eine Wolke, der das Träumen genügt, hätte es nicht dessen bedurft, was diesen quietistischen Wunschzuständen an Parabeln, Erzählungen, Skizzen, autobiographischen Erinnerungen oder Aphorismen auf 160 Seiten in 52 unterschiedlich langen Kapiteln folgt. Aber noch immer hat der alte Herr Walser sein erwünschtes Tao nicht erreicht.

Im Gegenteil: Die Vergangenheit (seines Leidens) ist mitnichten für ihn vergangen & wird wie hinter Milchglas schemenhaft immer noch einmal beschworen: buchstäblich nachtragend. Erst muss er mit der Welt abrechnen & durch die Blume sprechend seinen treuen Lesern vor Augen führen, dass er grundsätzlich doch recht (obwohl »einen unerschöpflichen Vorrat an Fehlern«) hatte oder  immer nur »aus Liebe« & Höflichkeit dem Begehren der anderen nachgab.

Diese späten, nur als intimes Selbstgespräch les- & verstehbaren Bekenntnisse einer von gegnerischen, bzw. sogar feindlichen Männern & liebenden Frauen, bzw. bedrängenden Witwen verfolgten männlichen Unschuld, die die »Barmherzigkeit« der Ehefrau lobpreist, kommen natürlich nicht ohne Larmoyanz aus. Übrigens gerade auch dort, wo er in seine »Selbstbeschimpfungsorgien« ausbricht oder »Geständnishaftes  in der dritten Peron« von sich (preis)gibt.

Die vielleicht merkwürdigste Passage ist die 12. Auf einer knappen Seite (meint man als Leser) mache sich der 90jährige rückblickend Gedanken über (moralische) Verfehlungen seines Lebens. »Unter den vielen Versäumnissen spielte Dankbarkeit die größte Rolle. Dicht gefolgt von Undankbarkeit. Und die versäumte Undankbarkeit will sich vordrängen (…) Bei der versäumten Dankbarkeit handelt es sich immer um eine versäumte Mitteilung«.

Er habe also »nur« versäumt, seine Dankbarkeit dem Wohltäter mitzuteilen. Aber Walser lässt diese kleine Sünde im Alltag nicht gelten & verkehrt sein moralisch negatives Verhalten ins (für ihn) Vorteilhafte & »entschuldigt« sich so: »Dankbar war ich immer so sehr, dass ich mich geniert hätte, mitzuteilen, wie sehr ich den schuldigen Dank fühlte. Ich habe immer gefürchtet, der, dem ich die mich drängende Dankesfülle schuldete, würde, wenn ich sie gestünde, glauben, er habe mir des Guten zu viel getan. Meine Dankesfülle beweise ihm, dass ich seine Wohltat nicht würdig sei.«

Wenn er dann auf die »Undankbarkeit« zu sprechen kommt, gilt er sich einzig & allein als deren Opfer: »Zur Undankbarkeit war ich zu feige. Anstatt mich über das mir Angetane zu erheben, duldete ich, was mir zugefügt wurde, widerspruchslos. Der, der es mir getan hatte, musste glauben, ich sei der Ansicht, das mir recht geschehen sei«.

A la mode de Martin Walser: Versäumte Dankbarkeit ist nicht »Undankbarkeit«, sondern resultiert aus der Angst eines Genierten; »Undankbarkeit« ist ihm nicht eigen, sondern nur als erlittener Angriff auf  einen »Feigling«, der widerspruchslos seine Verletzungen hinnimmt.

Aber es wäre unfair, Martin Walsers jüngstes Buch ad se ipsum nur auf solche Sprach-Kasuistiken & parabelhafte Selbstverteidigungen (gegen »den Feind«, den »falschen Freund« oder eine zudringliche »Kollegin«) zu reduzieren. Es hieße, einige amüsante Aphorismen, manche triftige Überlegung (z.B. über signifikante Verhaltensweisen von Siegern & Verlierern im Fußball) & die Komik, den Humor & die Ironie mancher literarischen Kleinkunststücke zu unterschlagen – wie z.B. jene Idee der eigenen »Viereckigkeit« mitsamt dem Auftritt Wilhelmas, der erfundenen Schwester Kafkas. Über die Gedichte (auch eine Parallele zu Grass' »Vonne Endlichkait«) schweigt man besser, statt etwas dazu zu sagen.


Artikel online seit 10.02.17
 

Martin Walser
Statt etwas oder Der letzte Rank
Rowohlt Verlag
171 Seiten
16.95 €

Leseprobe


 

 

 


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