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Literatur und Zeitkritik


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Noch war Polen nicht verloren

Zum Tod von Andrzej Wajda

Von Wolfram Schütte

 

Es gibt wohl in keiner Kinematographie der Welt einen Regisseur, der dem Polen Andrzej Wajda gleicht. Natürlich sind alle Großen jedes künstlerischen Genres einzigartig. Unter ihnen eine Rangfolge zu installieren, wäre absurd. Jeder ist ein Unikat.

Aber der jetzt im Alter von 90 Jahren gestorbene Andrzej Wajda hatte das Glück & die Schaffensfreude, von 1955 an im Laufe seines langen (künstlerischen) Lebens zumeist in seiner Heimat Polen 38 große Spielfilme drehen zu können. Von diesem imponierenden Oeuvre konnten wir (wie auch in anderen Ländern) viele nicht kennenlernen.

Aber diejenigen, die man überall auf der Welt sehen konnte & wollte, reichten, um uns seine wandlungsfähige künstlerische Meisterschaft jeweils à jour vor Augen zu stellen; & uns ahnen zu lassen, dass es keinem anderen europäischen, amerikanischen, russischen oder japanischen Regisseur vergönnt war – auch nicht dem italienischen Dreigestirn Visconti, Antonioni, Fellini – so sehr wie Wajda über mehr als ein halbes Jahrhundert hinweg ein ebenso kritischer wie emphatischer Chronist der bewegten Geschichte seiner Heimat zu sein. Ein vergleichbar symbiotisches Verhältnis von Person, Werk & Nation gab es nur im Opern-Mythos Giuseppe Verdis als dem Symbol der kollektiven Sehnsucht nach einem vereinten, unabhängigen Italien im 19. Jahrhundert. (Zumindest was ihren Umgang mit der Macht & der Zensur angeht, haben die beiden listigen Autoren verwandte Erfahrungen gemacht.)

Wajda war Polen - & nahezu sein gesamtes filmisches Oeuvre dessen episodisch erzähltes Epos: vom 19. Jahrhundert bis in unsere unmittelbare Gegenwart. Der Sohn eines beim sowjetischen Massenverbrechen von Katyn ermordeten polnischen Militärs hatte im Untergrund der polnischen »Heimatarmee« gegen die deutschen Besatzer gekämpft. Der Tragödie einer verlorenen Generation zwischen bürgerlichem Widerstand gegen den Nazismus & der sowjetkommunistischer Nachkriegsordnung  hat Wajda in den bitteren existenzialistischen Melodramen »Der Kanal« & »Asche und Diamant« (1957/58) ebenso neorealistisch in der Grundhaltung wie barock in der ikonographischen Ästhetik beider Filme ein überwältigendes Eingedenken gewidmet.

Der auf einer Müllkippe verendende, tödlich verletzt dorthin getorkelte Zbigniew Cybulski war mit diesem Exitus in »Asche und Diamant« zu einer internationalen Schauspieler-Ikone geworden wie James Dean oder Jean-Paul Belmondo. Der polnische Filmstar verunglückte kurz darauf tödlich. Wajda fand in Daniel Olbrychski seinen Nachfolger, der zuerst in Wajdas Gedächtnisfilm »Alles zu verkaufen« (1968) Cybulskis  darstellte & danach zum Lieblingsdarsteller des Regisseurs  & schließlich zu einem Weltstar wurde. 

Andrzej Wajda aber hörte »auf den Herzschlag der Geschichte« (Klaus Kreimeier), indem er mit »Der Mann aus Marmor«(1977) & »Der Mann aus Eisen«(1981) den Fokus auf  die Rebellion von Solidarnosc richtete & vor aller Augen das kommunistische Herrschaftssystem als korrupt, gemein & verlogen denunzierte. Unmittelbarer, nachhaltiger ist es keinem anderen Filmmacher je gelungen, mit seiner künstlerischen Arbeit politisch wirksam zu werden.

Es war nur konsequent und verständlich, dass zu den jüngsten, sprich letzten Arbeiten des Achtzigjährigen die filmische Evokation des »Massakers von Katyn« (2007) – eine traumatische Wunde im polnischen Kollektivgedächtnis - & »Walesa. Der Mann aus Hoffnung« (2013) gehörte. Es ist die meines Wissens einzige Biographie einer historischen Person noch zu ihren Lebzeiten.

Es versteht sich von selbst, dass Andrzej Wajda, der bedeutendste Filmregisseur Polens & einer der Großen der Welt-Kinemathografie mit dem derzeitigen Rückfall seines Landes in den engstirnigen, religiös-nationalistischen Autoritarismus nichts zu tun haben wollte. Sein gesamtes Oeuvre, das zur Selbst-Befreiung seines Landes immer wieder entschieden beigetragen hat, steht in jedem seiner zahllosen grandiosen Augenblicke gegen das selbstgewählte derzeitige polnische Regime. »Noch ist Polen nicht verloren« - wenn es nun auch ohne Andrzej Wajda sich erkennen & wiederfinden muß.

Artikel online seit 12.10.16
 



Foto:
Mariusz Kubik


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