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Literatur und Zeitkritik


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Nußschale & Flaschenpost

Jafar Panahis virtuoser Film »Taxi Teheran«

Von Wolfram Schütte

 

»Das habt ihr davon!« möchte man am liebsten den Hardlinern im Iranischen »Gottesstaat« zurufen, nachdem Jafar Panahis »Taxi Teheran« im vergangenen Jahr den Goldenen Bären der »Internationalen Filmfestpiele Berlin« erhalten hat. Dort hatte er bereits 2006 für seinen »Offside« einen »Silbernen Bären« gewonnen. 2011 konnte er seinen Platz in der Internationalen Jury der Berlinale jedoch nicht einnehmen, weil der Sympathisant der »Grünen Protests« gegen die Wahlfälschungen in seiner Heimat zu 6 Jahren Gefängnis & 20 Jahren Berufsverbot verurteilt worden war & den »Gottesstaat« nicht verlassen darf.

Der 1960 geborene ehemalige Assistent des größten iranischen Filmmachers, Abbas Kiarostami, ist – nachdem sein weltberühmter Lehrer nur noch im Ausland (zuletzt in Japan) arbeitet - der bedeutendste iranische Regisseur in seiner Heimat. Mit jeder seiner Arbeiten – seit er 1995 mit »Der weiße Ballon« in Cannes debütierte – hat Jafar Panahi auf internationalen Filmfestivals Preise gewonnen & wegen der ästhetischen & politischen Triftigkeit seiner Arbeiten Aufsehen & weltweit Bewunderung erregt.

Panahis künstlerische  Entwicklung ist durch seine drakonische Verurteilung – die einen an die faschistischen & sowjetischen Strafen denken lässt – nicht beendet worden. Der Regisseur hat kürzlich erneut juristisch Revision gegen seine absurde Verurteilung eingelegt & arbeitet mutig weiter als Filmemacher.

»Die Zensur verfeinert den Stil«: dieses oft nur als zynisch verstandene Diktum Ernst Jüngers beweist an »Taxi Teheran« seine substantielle Wahrheit im Hinblick auf das künstlerische Raffinement von Panahis grandiosem Film, mit dem der linke iranische Intellektuelle seinen reaktionären Feinden buchstäblich nicht nur »vor der Nase«, sondern gewissermaßen sogar »auf der Nase herumtanzt«. Vor allem aber: tanzt.

Die Hartliner des »Gottesstaates« sind offenbar (& glücklicherweise!) derzeit oder augenblicklich (?) nicht  mächtig genug – anders als in Putins heutigem Russland -, den regimekritischen Regisseur als Autor & Person zum Schweigen zu bringen. Panahis augenblickliche Bewegungsfreiheit schmälert seine jetzige Tollkühnheit nicht, von sich & seiner Gesellschaft ebenso facettenreich wie kritisch zu erzählen. Denn er hätte ja in dieser ungewissen Lebenssituation künstlerisch »mit verdeckten Karten« spielen können, z.B. mit Allegorien & dergleichen (wie wir es aus Filmen des ehemaligen Ostblocks kennen), um sich aufs Allgemeine herausreden zu können, wenn der Zensor zurecht eine Camouflage vermutet hätte. Das tat aber Panahi nicht.

Im Gegenteil: so offen, so direkt, so frontal, aber auch so souverän, so gewitzt & witzig hat noch keiner seiner intellektuellen Kollegen von sich & dem heutigen Iran gehandelt! Es ist ein großes Vergnügen, ihm dabei zuzusehen & zuzuhören. Denn hier ist ein virtuoser Künstler & kundiger Kritiker am Werk – in einem Film, der freilich nicht in seiner Heimat in die Kinos kommt, bzw. nur in sie käme, wenn es dann der Nachruf auf das jetzt herrschende Regime wäre. Solange das nicht der Fall ist, kann nur alle Welt (außerhalb des offiziellen Iran) diese kaleidoskopisch aufgeblätterten Nachrichten wahrnehmen & Panahis Verfolger müssen ihn wohl zähneknirschend bei seinem freiheitlichen Selbstporträt unter den bösen Augen des Staates gewähren lassen.

Spielfilm als Dokument eines kollektiven Widerstands

Sein Lehrer Abbas Kiarostami hatte in seinem letzten iranischen Film »Ten« (2002) einen SUV zum poetischen Ort gemacht, den eine junge, »moderne« Fotografin durch das Verkehrschaos Teherans steuert & immer wieder neue Fahrgäste mitnimmt. Diese episodische Erzählstruktur  für die Begegnungen in einer Nußschale übernimmt nun auch Panahi. Bestand aber Kiarostamis strenges formales Exerzitium aus 10 Einstellungen, die in der Nußschale des Fahrzeuginnenraums unterschiedliche Aspekte des iranischen Metropolenlebens zur Erscheinung brachten, so ist Panahis »Taxi Teheran« noch um einiges komplexer gestaltet. Kiarostamis klaustophobischer SUV-Innenraum wird nur aus zwei starren Kameraperspektiven konstituiert, die Teheraner Außenwelt ist vornehmlich als Geräusch & optisch nur rudimentär im Hintergrund anwesend. Panahis Film ist optisch viel reichhaltiger instrumentiert & erzählerisch »polyphoner« komponiert. 

Auf den ersten Blick scheint »Taxi Teheran« eine Dokumentation über einen Taxifahrer in der meist vom Verkehr verstopfte Metropole des Iran zu sein. Bald schon erfahren wir, dass der Regisseur selbst am Steuer des Taxis sitzt. Manche der zu-& aussteigenden Kunden »erkennen« ihn, sprechen seinen Namen aus; ein andermal ist es der Regisseur am Steuer des Taxis, der eine Bekannte, die er mit einem Rosenstrauch am Straßenrand sieht, zum Einsteigen animiert. Sie erzählt ihm, dass sie auf dem Weg zu einer Freundin ist, die im Krankenhaus liegt & die sie zur Beendigung ihres Hungerstreiks bewegen will, den die Freundin begonnen hatte, weil sie als Frau wieder nicht ins Fußballstadion durfte & andere fußballverrückte Frauen ins Gefängnis geworfen worden waren.. 

Das ist eine Anspielung auf Panahis pseudo- oder semidokumentarischen Film »Offside«. Aber keine eitle Selbstbespiegelung, sondern sowohl ein Zeugnis fortgesetzter Solidarität unter den Verfolgten des Systems als auch ein Kommentar zu Sinn & Zweck individuellen Widerstands in Form eines Hungerstreiks.

Natürlich ist die Anmutung eines Dokumentarfilms purer ästhetischer Schein; denn »Taxi Teheran« ist ein Spielfilm, bei dem der Regisseur als »der bekannte Filmemacher« sich selbst in der Rolle des »Bewegers« darstellt; und alle beteiligten Mitfahrer sind Freunde, die sich in einem Akt der Solidarität ihm beigesellen. Insofern ist »Taxi Teheran« zwar kein Dokumentar-, sondern unverkennbar ein Spielfilm; jedoch zugleich das sichtbare Dokument einer kleinen, ästhetischen kollektiven Widerstandshaltung & -handlung.

Panahi macht hier als Film, was der belgische Surrealist Magritte einst mit dem berühmten Gemälde einer Tabakpfeife & dem Text »Das ist keine Pfeife« als surrealistisches Vexierbild erfunden hatte.

Der Autor als Selbstdarsteller – das ist zugleich äußerste Selbstpreisgabe wie insgeheimer Selbstschutz. Soweit würde der diskrete Kiarostami nie gehen. Diese Exponierung hat dem eigentlich zum beruflichen Schweigen verurteilten Panahi  womöglich sogar mehr geschützt als wenn er von einem Schauspieler seine existenzielle Situation hätte darstellen lassen. Der Eingriff der Zensur wäre nämlich nun ein direkter Zugriff auf ihn als Person & nicht nur die Kasernierung eines verbotenen Werks. Spiel & Ernst sind in »Taxi Teheran« nicht voneinander zu trennen.

Ironischer Witz & alltägliche Armutskriminalität

Das trifft auch auf den schillernd-ironischen Scheincharakter des Films zu. Er simuliert die Dokumentation des Taxi fahrenden Filmmacher Pahani im heutigen Teheran. Und zwar nicht nur als Roadmovie wie »Ten« (das natürlich auch eine ästhetische Simulation ist); sondern auch noch  als Selbstreflexion der realen Person des Filmmachers, der als Taxifahrer agiert & zugleich durch die kleine, Kopftuch tragende Nichte. Neben ihm auf dem Beifahrersitz mit ihrem Photoapparat hantierend, erzählt sie dem Onkel (hinterm Steuerrad des Taxis & seines Films), dass die Lehrerin alles darüber gesagt hat, was beim Filmemachen im Iran zu beachten sein oder restriktiv unterdrückt werden muss, damit ein Film öffentlich gezeigt werden darf.

Der Katalog an offiziellen Verboten & Geboten, den die Kleine dem grinsenden Onkel herunterbetet, erscheint besonders lächerlich dadurch, dass sie selbst mit ihrer Kamera sich als Filmemacherin betätigt. Mit erzählerischem Amüsement offenbart Panahi damit, dass es mit den heutigen elektronischen Kameras »kinderleicht« ist, Filme öffentlich zu drehen & dass die peniblen staatlichen Zensurwünsche »out of time« sind.

In einer anderen (sehr komischen) Episode erkennt ein Fahrgast, der verbotene DVDs aller Arten anbietet & verkauft, in dem Taxifahrer den berühmten, vom Regime verfolgten Regisseur, weil er Panahi  früher selbst einmal einen verbotenen Film des (befreundeten) türkischen Regisseurs Nuri Bilge Ceylan (zuletzt bei uns zu sehen: »Winterschlaf«) besorgt habe. Jetzt will der agile kleinwüchsige Händler, der Raubkopien aller Filmländer vertreibt, den berühmten Taxifahrer gleich zum mitverdienenden Kompagnon machen, weil dessen pure Anwesenheit als Werbeträger das ebenso illegale wie schwunghafte Straßen-Geschäft mit raubkopierten DVDs offensichtlich belebt. (Wahrscheinlich vertreibt der Schwarzmarkthändler heute auch »Taxi Teheran«).

Aber »Taxi Teheran« glänzt als flüssig erzählte Geschichte von den »offenen Geheimnissen« der iranischen Millionenmetropole nicht nur mit solcher tänzelnder Leichtigkeit & mit dem verständigen Augenzwinkern & hintersinnigem Witz seiner glänzenden humoristischen Episoden. Als ernstes Thema zieht sich durch den Film die Verarmung der städtischen Bevölkerung & die daraus resultierende Kleinkriminalität.

Mit der Diskussion über die Hinrichtung von Dieben beginnt der Film. Eine »Lehrerin« auf dem Rücksitz des Taxis erregt sich über die inhumane Brutalität des Staates, während der Beifahrer neben dem Chauffeur die kürzlich vollzogene Todesstrafe für Raub als nachhaltige Abschreckung begrüßt. Als er das Auto verlässt, gibt er als seinen Beruf »Straßenräuber« an, »der aber Lehrerinnen & Taxifahrer verschont«.

Das ist ein schöner ironischer Einstieg in den Film. Bei der zweiten Erwähnung des virulenten Themas der Kleinkriminalität aus sozialer Not erfährt Panahi von einem ehemaligen Nachbarn, dass dieser von vermummten Räubern zuhause überfallen worden war, aber obwohl er die Vermummten als ihm Bekannte erkannt hatte, sie nicht bei der Polizei denunzierte. Das Opfer schützt den Täter gegen die Barbarei der staatlichen Justiz!

Die kleine Nichte filmt mit ihrem Fotoapparat als Kamera eine Straßenszene. Sie wurde zufällig Zeugin, wie ein Plastik sammelnder Junge einen Geldschein verstohlen an sich nimmt, der einem offenbar reichen Hochzeiter unbemerkt aus der Hosentasche auf die Straße gefallen war. Um aus der (neorealistischen) Dokumentation einen ideologisch frisierten Spielfilm nach den erwähnten staatlichen Richtlinien zu machen, fordert die kleine Regisseurin den armen Jungen vergeblich auf, dem Reichen das verlorene Geld zurückzugeben. Brecht hätte über dieses wunderbare Gleichnis gejubelt. (Weiß bei uns noch jemand, wer Brecht & was sein Episches Theater war?) 

Schließlich wird das Taxi selbst Opfer eines Raubüberfalls, während sich Panahi außerhalb aufhält. Es ist ein fast physisch schmerzlicher Augenblick, der einen als Kinogänger abrupt »ereilt«, wenn der Kamerablick durch die Frontscheibe, mit dem wir eben noch Panahis Verschwinden & den »Schmiere stehenden« Typ auf einem Motorrad beobachtet hatten, plötzlich »erlischt«, weil die Kamera, die uns eineinhalb Stunden lang die iranische Welt offenbart hatte, von dem klauenden Komplizen aus dem Auto entwendet & ausgeschaltet wird. Es bleibt offen, ob es sich dabei um einen kriminellen Akt oder um einen staatlichen Eingriff handeln soll, der als  kleinkriminelle Handlung »getarnt« wurde.

Jedenfalls ist der Schluss von »Taxi Teheran« ein ebenso genialer ästhetischer Coup wie die Schlusseinstellung & die Kamerafahrt am Ende von Antonionis »Beruf: Reporter«.

Artikel online seit02.08.15
 

 


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