Home

Termine     Autoren     Literatur     Krimi     Quellen     Politik     Geschichte     Philosophie     Zeitkritik     Sachbuch     Bilderbuch     Filme





Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


Anzeige

Glanz&Elend
Ein großformatiger Broschurband
in einer limitierten Auflage von 1.000 Ex.
mit 176 Seiten, die es in sich haben.

Ohne Versandkosten bestellen!
 



»Suchen Se ruhij weita, ick hab nüscht dajejen«

Eine Anthologie mundartlicher Gedichte zeigt: Berlinerisch ist dufte – und leider am Verduften.
Einige Überlegungen zum Frech- und Korrektsprech

Von Christiane Pöhlmann

Als das Kind noch ein Kind und die Zeit des Gepflegtsprechs noch fern war, da stieß ganz bestimmt nie Per- mit Imper-, sondern stets nur das Plusquamperfekt mit sich an und trank – nee: – hatte getrunken Sekt. Niemand plagte sich mit »mir« und »mich«, das »ma« lag ja so nah. Irgendwann folgte die Belehrung, Sprache habe doch geschliffener daherzukommen: Icke kieke dette mal, Oogen, Fleesch und Beene ... Nein, mein Kind, so heißt das nicht: Augen, Fleisch und Beine! (Die erste Zeile fand mit dem Dreher: Icke dette kieke mal auch Eingang in Gedicht und Anthologie.) Recht undialektal, dafür fast schon dialektisch gab’s auch die erste Portion Lebensweisheit: Mädchen, die da pfeifen, und Hähnen, die da kräh’n, sollte man beizeiten den Hals umdreh’n. Selbstverständlich gepaart mit dem Hinweis, dass Ilse Werner knorke ist. Damit war klar: Die Sprache hat vielleicht Musike, auf alle Fälle aber es in sich.

Die Andere Bibliothek hat nun mit »Ick kieke, staune, wundre mir« die erste Anthologie ausschließlich mundartlicher Gedichte veröffentlicht. Diese Sammlung zeigt, dass das Berlinische weit mehr als ein Dialekt ist, denn neben grammatischen und semantischen Merkmalen prägt das Idiom auch ein Ton jenseits der Prosodie. Eine Sprechhaltung, die wert aufs Spontane und Spielerische legt und sich, kommunikationswissenschaftlich ausgedrückt, nicht für komplementäre Beziehungen eignet. Weniger geschraubt: Normen, Etikette und Hierarchien – vielet jilt einfach nich. Der Ton wird daher oft als ruppig empfunden, aber auch als Herz mit Schnauze beschrieben. Dialekt ist damit auch Mentalität. Im Bayerischen mag man ja herrlich Granteln können – aber spricht deshalb irgendwer von Galle mit Kehlkopf?

Die Gedichte, eingeteilt in sechs Portionen, zeigen indes auch Aufstieg und Untergang des Berlinischen. Anfang (der literarischen Fixierung) und Blütezeit umfassen drei Phasen und reichen von1830 bis 1933; sie strotzen vor Hedonismus und Freude am Lautlichen. Lyrik und Lied liebten sich, meist nicht als leises Gesumm, sondern als lautes Geschmetter, nachzulesen bei Claire Waldoff, Otto Reutter und Robert Gilbert. Um Fragen von Plagiat und Urheberschaft scherte sich niemand: Der Eckensteher Nante, (vermutlich) ersonnen vom Komiker Beckmann, wird von Glaßbrenner am schönsten und schärfsten gezeichnet, war als Berliner Original aber zum öffentlichen Sprachverzehr gedacht; Hans Brennert stimmt dann 1942 mit »Der Leiermann« den Abgesang auf diese Figur an: »En Mensch namens Nante, dat is lange her – und wer ihm noch kannte, der lebt ooch nich mehr!« Außerhalb des Gedichts feierte Nante noch größere Triumphe; lässig an die Wand gelehnt, stieß er – in einem Sketch Glaßbrenners nachzulesen – aus: »Lebenslauf, ick erwarte dir!« Heute findet man »die Eckensteher-Nase«, die war »wie wenn die Tulpen bliehn«, wohl nur noch winters auf dem Eigenbalkon, wenn man nicht kümmelt, sondern aus dem Easy-Iso-Dauerbecher Matetee schlürft und dazu ein Zigarettlein versmokt.

Bereits der erste Happen (bis 1871) sorgt sprachlich für eine Überraschung. Neben zu erwartenden jiddischen Ausdrücken (»Schmonzes«) und Verballhornungen vor allem des Französischen (»Amankdemank«) findet man Schöpfungen, die irgendwo zwischen Dada und Prince liegen: »An Deutschlands bald’ger 1heit / Da 2fle ich noch sehr.« Beliebt ist die Kombination von hehren Motiven und Alltagskalamitäten:

Kurz, dieser Heroismus
Is nich janz ohne Reiz:
Mich zieht der Rheumatismus
Fürs Vaterland durchs Kreuz.

Und es koddert die Schnauze. Gott durfte gern heidnisch sein, und man sprach ihn mit »Brummbaßjeigen-Fiddelbogenspanner, Intrijanter Seelenruhverbanner« an, mit »Dicker draller Knallerballerflitzer«; falls der Herr nicht begriff, schob man hinterher: »Amor, du, du bist es, den ick meene, Amor, ach, ick bitte dir recht scheene«. Überhaupt bekam die Kirche ihr Fett ab, wobei das Gedicht hier eigentlich auch gesungen gehört:  
An eene Lüje stickt man nich,
Det wär’ ooch sehr fatal,
Denn predigte keen Pfaffe nich
Mehr als en eenzig Mal.

Dass auch weltliche Herren nicht verschont blieben und Dialekt damals in allen Schichten anzutreffen war, sei mit einer Anekdote illustriert, die sich in Felix Philippis »Alt-Berlin« findet: Als die stinkreiche Madame Dutitre, ein weiteres Berliner Original, Untern Linden den König grüßt und dieser schweigend weiterflaniert, fährt sie ihn an: »Na, wat is ’n det, Majestätken, man nich so stolz« – nur um dann den Handschuh, den er ihr flugs geküsst, hinfort unter Glas auszustellen.

Der zweite Teil prunkt mit Gedichten um Gestalten, die Zille sein Milljöh entsprungen sind. Eine der großen Entdeckungen, die in diesem Sammelband zu machen sind, zeigt die Nähe zur Bildkunst. Ringelnatzens Vater Georg Bötticher hat mit seinem Leutnant von Versewitz das literarische Pendant zu den – zumal von Eduard Thöny gezeichneten – preußischen Offizieren im Simplicissimus geschaffen und lässt diesen im köstlichsten Kasinoton sinnieren:

Missjestimmt bald mich davon jemacht.
Bett jelegt stark verdriesslich.
Lang über Leben nachjedacht. ...
Auch nichts: Nichts rausjekriegt schliesslich

Die schönsten Blüten treiben die Berliner Pflanzen bis 1933. Nirgends gehören Musike und Gereime so feste zusammen. Wenn Kunst mundartlich war, dann war sie volksmundartlich. Die Zeile, die der Sammlung den Titel gegeben hat, findet sich im Gedicht »Icke« von einem gewissen Jean de Bourgouis und ist natürlich vertont worden (von Kurt Weill). Der Text ist aber auch als Klopslied und völlig ohne diese Zeile bekannt: Ick sitze da und esse Klops. Uff eenmal kloppts. Ick jeh zur Tür und denk nanu, erst war se uff, jetz isse zu. Ick mache uff und kieke, und wer steht draußen: Icke! Das Berlinerische war zu dieser Zeit so beliebt, dass es eigens gelernt wurde, man denke nur an Claire Waldoff (in der Anthologie ist sie nur im Abschnitt davor vertreten, gepasst hätte sie auch in diesen). Die gewöhnlich gut unterrichtete Quelle der Familie behauptete stets, Waldoff selbst habe noch für »Hermann heeßt er« die Strophe »Rechts Lametta, links Lametta, und der Bauch wird imma fetta, und in Preußen ist er Meester – Hermann heeßt er!« zugedichtet, was vermutlich nicht stimmt, es war wohl reiner Volksmund. Doch wurde damals wenig aufs Copyright geschielt, und am Ende wusste niemand mehr, wer wie wo was. Es war noch einmal die ganz große Zeit des entspannten Hedonismus, auch dies 1928 zu hören von Waldoff: »Hannelore! Hannelore! Schönstes Kind vom Hall’schen Tore! Süßes, reizendes Geschöpfchen mit dem schönsten Bubiköpfchen! Keiner unterscheiden kann, ob du ’n Weib bist oder ’n Mann!«, sodass: »Es hat mir einer anvertraut: Sie hat ’n Bräutjam und ’ne Braut«; gleichzeitig griff bitterstes Elend mit Kellerwohnungen und Hunger um sich:

Mensch, nu laß man bloß det Jammern,
Det de Hose schloddern tut!
Klemm se mit de Wäscheklammern
An de Rippen, denn is jut!

(Aus diesem Geiste könnte der Volkmund durchaus auf die »Hungerharke« als Bezeichnung des Luftbrückendenkmals gekommen sein.)

Für die Nazi- bzw. Exilzeit ist vor allem Robert Gilbert neu zu entdecken, der weit mehr konnte, als nur die Liebe der Matrosen zu besingen. In seiner »Neuen Siegesallee« nimmt er sich die damaligen Größen vor, den »Führer« inbegriffen. Bei »Baldur von Schirach« heißt es: »Trockne Stullen, det macht sehnig, Aufzucht is keen Himmelbett.« Und das Leben kein Ponyhof. Für die (demaskierende) Pointe ging man weit, so im Gedicht »Rasse, Klasse, Kasse«: 

Blond vom Stiebel bis zur Tresse,
So wie unsereens jebaut is –
Mit dem Absatz in die Fresse
Allem, was sozial versaut is –

Die Nachkriegszeit markiert eine Zäsur. Zwar wird noch immer wie wild gekreislert, damit Liebesleid und Liebesfreud erklingen, doch gekremsert wird nicht mehr, Rieke fehlt, Prater und Tivoli sind durch Ruinen und Trümmerberge ersetzt. Das »Restchen Berlin« gibt sich dennoch taff, Gilbert hofft gar nicht erst auf Mitleid von irgendwem:

Wer wird wejen mir da ’ne Schmerzarie heulen?
Ick fürchte, nich mal de Litfaßsäulen –
Und det läßt sich ooch menschlich ermessen,
die ham jetzt janz andre Intressen.

Doch hatte man Berlinerisch einst gelernt, um künstlerisch mithalten zu können, gilt es nun als nicht mehr kompatibel mit der Kunst. In den Westberliner Grundschulen wird auf gepflegte Aussprache geachtet. Wer hier Abitur macht, berlinert nicht mehr, das gilt als plebspöbelpeinlich. Und ordinär – was einiges über die Einstellung zum kleinen Mann aussagt. Tatsächlich erklingt in Westberlin die Mischung aus Dialekt und Internationalismen heute nur noch aus dem Munde eines HausmeistersMannes, der mehr Nante als Spekulante: »Ick frach ümma erst nach de Bonität.« Sprachspielereien kennt man nicht dialektal, aber prosodisch deutlich berlinerisch gefärbt aus dem Lied: Rio Reiser will 1986 als König von Deutschland »Ronny mal wie Waldi in die Waden beißen«. Der Humor scheint vom Kunst zum Kommerz abgewandert, legendär ist die Werbekampagne der Berliner Müllabfuhr Ende der 1990er. »We kehr for you« mag ja selbst heute noch gehen, aber »Bemannte Räumfahrt«? So ungeniert ungegendert? Im Einzelhandel ist zu hören: »Haben Sie Mausefallen?« – »So ville, dat ick se verkoofen kann.« Oder in der Spielzeugabteilung eines Kaufhauses: »Entschuldigen Sie bitte, ich suche ein Tischfußballspiel.« – »Suchen Se ruhij weita, ick hab nüscht dajejen!«

Das Icke soll ja nun in den Duden, wobei man so tut, als wären nicht längst allerlei Konditorprodukte samt ihrer Veredelungen drinne in dem Ding. Und wann hätt sich das Berliner Kindl je um grammatisches Regelwerk geschert? Von wegen »dir« und »dich«:

Ich lieb’ nicht auf den dritten Fall,
Ich lieb’ nicht auf den vierten Fall,
Ich lieb’ auf alle Fälle.

Wenn’s dem Berliner Kindl passt, greift es glatt zum »Ich«.

Man ahnt, dass die Gedichte aus jüngster Zeit nur noch das Schleierkraut im sonst so prachtvollen Strauß sind. Ausgerechnet F. K. Waechter bringt unwillentlich die Misere auf den Punkt. Er führt das Icke-Gedicht weiter, der Protagonist isst auch bei ihm Klops, geht zur Tür, erlebt oder erlebt nicht eine große Sause rund durchs Weltall und erkennt dann:

Du hast jekloppt! Hab nüscht jesehn.
Ick Dussel! Nu wird allet scheen.

Ja, schöne Restwoche auch!

Kunst und Mundart sind heute zweierlei. Die Gedichte können kaum mehr gesungen werden, geschweige denn geschmettert. Als das Kind noch ein Kind und das leise Gesumm noch fern war, schmetterte es beherzt das Bollelied. Darin verliert Vaddern bei ’ner Partie ins Grüne den Sohnemann und kriegt bei der Rückkehr nach Hause Dresche. Vernachlässigte väterliche Aufsichtspflicht und häusliche Gewalt – es braucht heute weniger, um die Zensur auf den Plan zu rufen.

»Seit du publik jeworden, biste doot« heißt es bei Otto Nebel nach 1918. Vielleicht kann ein wenig Reannimäschen also nicht schaden. Nicht dass am Ende Balzac recht behält, der über Berlin meint: »Es wird vielleicht eines Tages die Hauptstadt Deutschlands werden, aber immer wird es die Hauptstadt der Langeweile sein.« Die Berlinerin weiß ja bekanntlich: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert. Sie amüsiert sich dabei janz köstlich, und wenn sie jammert, dann phantasievoll. Das illustriert diese sorgfältig edierte und mit einem Glossar sowie Autorendaten versehene Anthologie. Sie lädt zum Entdecken ein und ist bestimmt nicht nur Reliquiar für Sechser, Stulle und Stempelschein. Jenseits vom Duden-Icke zeigt sie die Möglichkeiten des Frechsprechs. Sollte man sie nutzen – ick hätt nüscht dajejen!

Artikel online seit 08.04.17

 

Thilo Bock, Wilfried Ihrig, Ulrich Janetzki (Hrsg.)
Ick kieke, staune, wundre mir
Berlinerische Gedichte von 1830 bis heute
,
mit einem Vorwort von Hans Christoph Buch
Die Andere Bibliothek, gebunden
468 Seiten
42,– €
9783847703877

Im Buch blättern

 

 


Glanz & Elend
- Magazin für Literatur und Zeitkritik
Home   Termine   Literatur   Blutige Ernte   Sachbuch   Politik   Geschichte   Philosophie   Zeitkritik    Filme   Impressum - Mediadaten