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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Glanz&Elend
Ein großformatiger Broschurband
in einer limitierten Auflage von 1.000 Ex.
mit 176 Seiten, die es in sich haben.

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Kurztrip ins Herz der Finsternis

Fiston Mwanza Mujilas fulminanter Debutroman überzeugt durch
sein Tempo, seinen Rhythmus und seinen klaren Stil, das ist tatsächlich
sowas wie literarischer Hardbop auf dem Weg ins freie Spiel, großartig.

Von Jörn Birkholz

Irgendeine Großstadt in der Demokratischen Republik Kongo, und mittendrin das Tram 83, ein heruntergekommener pulsierender Nachtclub im Stadtland, der zugleich das Zentrum des Lebens - des Nachtlebens ist. Dorthin kommen sie alle, die Helden aus Fiston Mwanza Mujilas, Debütroman »Tram 83«, soeben erschienen im Wiener Zsolnay Verlag. Die Originalausgabe erschien bereits 2014 bei Éditions Métailié Paris.

Ob Prostituierte, Studenten, Touristen, Grubenarbeiter, Straßenräuber, Waffenhändler, Verleger, Kindersoldaten, Ex-Transsexuelle, Dealer, Schamanen usw. usf. - jeder verirrte sich dorthin und »sehnte sich nach denselben Dingen: Geld und Sex (…) Das Tram 83 war einer der Schuppen mit dem größten Angebot. Sein Ruf reichte weit über die Grenzen von Stadtland hinaus. Tram 83 sehen und sterben, schwärmten die Touristen um hier Geschäfte zu machen. Tagsüber irrten sie wie Zombies durch ihre zahlreichen Minen und landeten nachts im Tram 83, um ihr Gedächtnis aufzufrischen.«

Und dort verbringen auch die zwei einstigen Freunde – Lucien und Requiem - ihr erstes Treffen nach Jahren miteinander, und darauf kehren sie immer wieder dorthin zurück. »Sie waren nur zwei verirrte Existenzen in einer Stadt, die mithilfe von Kalaschnikows zu einem Land geworden war.« Der eine; Requiem, Kleinkrimineller, macht Geschäfte und ist spezialisiert auf Einbruch, Entführung und Erpressung. »Requiem hatte Fotos von gut zweihundertfünfzig nackten Touristen. Sie lagen ihm zu Füßen. Sie bezahlten seine Getränke, überwiesen monatlich Geld auf sein Konto, verehrten ihn richtiggehend.« Der andere; Lucien, Historiker und Schriftsteller, der sich dort alles andere als wohl fühlt, macht Notizen. Beide verbindet eine Vergangenheit. Und die »war ein offenes Geheimnis. Requiem schob Lucien alles in die Schuhe: die Niederlage der Regierungstruppen, den Tod seines Vaters, die überstürzte Wiederheirat seiner Mutter, die Scheidung von Jacqueline (mit der Lucien anbändelte) … Das werde ich ihm nicht verzeihen. Solange ich lebe, werde ich alles dransetzen, ihn lächerlich zu machen, ihn niederzumachen, ihn zu vernichten.«   

Gesagt, getan. Lucien lernt im Tram 83 den Verleger Ferdinand Malingeau kennen, der sein Bühnen-Epos herausbringen möchte – vorausgesetzt, dass er es personell (zwanzig Hauptdarsteller!) noch radikal strafft. Obwohl Lucien ahnt, dass eine fünfzigprozentige Reduzierung der Hauptfiguren den Plot zerstören könnte, willigt er zähneknirschend ein. Requiem versucht die Veröffentlichung zu verhindern, indem er Malingeau mit Nacktfotos erpresst, die entstanden waren, als sich der Verleger mit einem Küken (»Küken sind Mädchen zwischen zwölf und fünfzehn Jahren, die sich in den Steinbrüchen prostituieren.«) eingelassen hatte. »Sie hat dich gevögelt und fotografiert. Wenn du Luciens Geschreibsel veröffentlichst, veröffentliche ich die Fotos, auf denen du nackt bist wie ein Wurm.« 

Ungeachtet dessen, organisiert Malingeau eine Lesung für Lucien – natürlich im Tram 83 - die in einem Desaster endet. Bereits zu Beginn der Veranstaltung wird Lucien beleidigt und geschlagen. »Ein junger Mann betrat die Bühne, schlug mit links einen Uppercut. Ein ungewöhnlich harter Schlag. Lucien ging zu Boden.« Kurz darauf wird Lucien aus dem Laden gezerrt und draußen richtig zusammengeschlagen. »Dann prügelten sie weiter auf ihn ein. Sie hatten einen Reifen aufgeblasen. Sie schlugen vor, ihn bei lebendigem Leib zu verbrennen (…) Er erinnerte sich an seinen letzten Auftritt. Hinterland. Applaus. Diese Darbietung hatte ihm siebzehn Monate Haft auf Bewährung und zwei Jahre Berufsverbot für besonders schwerwiegende Körperverletzung, Landfriedensbruch, systematische und geplante Aufwiegelung eingebracht.«  

Ein anderes Mal nötigt Requiem seinen Freund, ihm und seinen Leuten illegal Eingang zu den Minen zu verschaffen, um sich »mit Diamanten vollzustopfen«. Beim Schmiere stehen verliert Lucien seinen Notizblock, kehrt zurück und wird prompt von der Minenpolizei geschnappt.

»Was hast du hier zu suchen?«
»Ich wollte nur mein Heft holen.«
»Zieh deine Schuhe aus.« 
Er zog seine Schuhe aus.
»Gib deinen Gürtel her.«
Er gab ihnen seinen Gürtel.
»Zeig deinen Schwanz.«
Er zeigte sein Ding.
»Nicht schlecht.«
»Erbarmen.«
»Du siehst aus wie ein Intellektueller.«
(…)
»Nimm das.«
Er nahm´s.

Sie rissen die ersten Seiten aus dem Heft. Sie legten ein paar Hanfblätter darauf. Sie bauten lange Zigaretten. Sie rauchten einer nach dem anderen.«

Dem aus Lubumbashi stammenden Mujila ist ein schnoddriges, schnelles und – auch wenn dieses Attribut schon etwas überbeansprucht wirken könnte – schonungsloses Debüt geglückt. Man spürt die Schwüle, die Aggressivität und die Rohheit, und wenn Literatur so etwas schafft, dann kann sie nicht ganz verkehrt sein. Selbiges gilt für die Dialoge, die geschliffen und klar formuliert sind.

Ein lesenswerter Roman über ein Land, das »am Boden liegt. Alles muss wiederaufgebaut werden: die Straßen, die Schulen, die Krankenhäuser, der Bahnhof und sogar der Mensch. Was wir brauchen, sind Ärzte, Ingenieure, Zimmermänner, Müllmänner, aber ganz sicher keine Träumer!«

In diesem Sinne; ein Buch in dem für unsere Helden Traum und Alptraum oft ganz nah beieinander liegen. Nur der, der als erster aufwacht, hat vielleicht noch eine Chance.


Artikel online seit 21.06.16
 

Fiston Mwanza Mujila
Tram 83

Roman
übersetzt aus dem Französischen von Katharina Meyer, Lena Müller
208 Seiten
Zsolnay
Fester Einband
20,00 €
ISBN 978-3-552-05797-5
ePUB-Format
ISBN 978-3-552-05809-5

Leseprobe

 


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