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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Glanz&Elend
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Der Dichtergeselle

Verleger Jochen Jung erinnert sich an Begegnungen mit Dichterinnen
und Dichtern aus Vergangenheit und Gegenwart »Zwischen Ohlsdorf und Chaville«

Von Lothar Struck

Vor einigen Jahren hatte Jochen Jung Gernot Wolfgrubers 1975 erschienenen und längst vergriffenen, inzwischen nahezu unbekannten Roman "Auf freiem Fuß" neu herausgebracht. Er habe damit den vergessenen Autor "wieder in die Welt der Literatur, die ja nicht dasselbe ist wie der Literaturbetrieb, zurückholen" wollen. Dieser kleine aber feine Unterschied zwischen Literaturbetrieb und Welt der Literatur durchzieht Jungs Buch "Zwischen Ohlsdorf und Chaville" wie ein roter Faden. Mehr als 50 Jahre ist der in Frankfurt am Main geborene und in Eckernförde aufgewachsene Jung im Verlagswesen tätig. Jung ist längst der Doyen der österreichischen Nachkriegsliteratur. Sein Name wird derart mit ihr verknüpft, dass seine "deutsche" Herkunft nahezu in Vergessenheit geraten ist. Er trat 1975 als Lektor zu Wolfgang Schaffler in den fast legendären Salzburger Residenz-Verlag ein (zwischenzeitlich erinnert das Gespann Schaffler/Jung ein wenig an Ledig-Rowohlt/Raddatz), wurde später der Geschäftsführer bis er schließlich 2000 seinen eigenen Verlag Jung und Jung gründete.

Reminiszenzen über mindestens fünfzehn österreichische Schriftstellerinnen und Schriftsteller finden sich in diesem Buch. Die Zahl ist nicht genau definierbar, weil es Autoren gibt, die nicht direkt, aber immer wieder (scheinbar am Rand, aber eben nur nicht im Zentrum) vorkommen (Alfred Kolleritsch etwa) oder interessante "Nebenrollen" spielen (Gerhard Amanshauser, Ferdinand Schmatz). Auch die Intensität der Beobachtungen schwankt. So kann Jung kaum seine Enttäuschung über Marianne Fritz verbergen, deren große literarische Kraft er schnell erkannte, die aber lukrativere Angebote vorzog. Auch sein Verhältnis zu Franz Josef Czernin (Stichwort: dessen "absichtlich minderwertige Gedichte", mit denen er  nachträglich Jung und den Residenz Verlag brüskierte) bleibt angespannt. Bei der Geschichte über Diana Kempff ("ein überaus nobler Mensch") glaubt man mit Händen die Diskretion greifen zu können, die Jung als eine der Grundvoraussetzungen seines Berufes ansieht, und die er auch für sich im Rahmen dieses Bandes reklamiert.

Der Titel verheißt zwei Schwerpunkte: Thomas Bernhard und Peter Handke. Tatsächlich spielen beide natürlich eine gewichtige Rolle. Da ist die spitzbübische Freude Bernhards mit einer schönen, türkischen Begleiterin, die Jung fast ein bisschen schüchtern beobachtet. Und wenige Jahre später die schwere Melancholie kurz vor Bernhards Tod in seiner Wiener Wohnung. Im Gegensatz dazu die geradezu paradiesische Erzählung zum Aufenthalt mit Peter Handke in dessen (bzw. Sophie Semins) Haus in Marquemont und die idyllenhafte Erzählung einer Wanderung.

Aber diese beiden Dichter dominieren das Buch nicht und das ist, wie Peter Handke sagen würde, recht so. Ähnlich ausführlich wie über die Begegnungen mit Thomas Bernhard berichtet Jung von seiner 25jährigen Bekanntschaft zu HC Artmann. Alles was dieser sprach, war, so Jung, "Pointe, Witz, Einfall". Ein bisschen hadert Jung immer noch, dass Handke Artmann den Petrarca-Preis nicht zusprach.

Nein, es sind nicht nur die "üblichen Verdächtigen", über die Jung schreibt. Gernot Wolfgruber zum Beispiel, der in wolfgang-koppen-ähnlichem Nichtschreiben auf sein 6. Buch den Verleger seit vielen Jahren warten lässt.  Arnold Stadler, der "Dichter der langen Augenblicke", Ursula Krechel, die mit einer "Gleichzeitigkeit eines hellen Verstandes und der Verletzbarkeit einer Empfindsamen" ausgestattet ist. Und Erwin Einziger, der an Jean Paul erinnernde "Zivilisationsdichter" oder die 2011 verstorbene Ingeborg Day, die als Elizabeth McNeill mit der Vorlage zum Hollywood-Film "9 ½ Wochen" reüssierte. Jung begegnete ihr in einer Bar im 107. Stock des Nordturms des World Trade Centers; "Geisterwalzer" erschien 1983 im Residenz Verlag. "Etwas Verlorenes um diese zerbrechliche Österreicherin" erkannte er bei ihr. Überhaupt ist Reisen wohl einer der wichtigen Lektoren- oder Verlegerpflichten. Für Inge Merkel wurde Mexiko besucht und Thomas Bernhard traf er nicht nur in Österreich, sondern in Opatija (Bernhard nannte diesen Ort immer nur Abbazia) und in Spanien. Der Schriftstellerin Ann Cotten, mit der er Jahre zuvor "einen Blick getauscht" hatte (triumphierend behauptet Jung, dass er ihn, den Blick, "auch noch habe"). zeigte er dann bei einer Preisverleihung "sein" Eckernförde; Cotten ist die einzige Autorin, die in diesem Buch vorkommt, die bei Jung bisher noch nicht publiziert hat.

Aber sind es wirklich "Portraits", die Jung hier zeichnet? Ausdrücklich nein, denn damit journalistische Portraits gemeint sind. Jungs Texte zeigen Tiefe, Empathie, Distanz und Herzlichkeit zugleich, wobei diese Ingredienzien nicht einfach auszubalancieren sind (weder im Leben noch beim Schreiben). Aber Jochen Jung gelingt dies; er ist eben ein hervorragender Stilist, was sich unter anderem darin zeigt, dass er ohne Superlative und Schönredereien auskommt. Der Leser nimmt diese Schonung dankbar entgegen.

Bei Gert Jonke, dem "heimlichen Engel" aus "einem Zwischenreich" wechselt Jung dann doch ein klein wenig vom Erzählen ins Schwärmen. Großartig und rührend zugleich mit welcher Zartheit dieser Mann gezeichnet, Jonkes, des Kärntners, Zerrissenheit seinem "Geburtsland" gegenüber erzählt wird – die Freude einerseits beim Hineinfahren mit dem Zug und gleichzeitig die Sehnsucht nach "Nicht-Kärnten" (daher die Leidenschaft für das Zugfahren). Jung zitiert ausgiebig Jonke und ja, diese beiden Geschichten sind womöglich die gar nicht so heimlichen Höhepunkte dieses Buches.

Nicht immer stieß Jungs Engagement auf Gegenliebe bei den Kollegen, wie sich beispielsweise bei Siegfried Unseld zeigte, der ihm eine "Reihe unverschämter Briefe" schickte, weil "sein" Thomas Bernhard die autobiographischen Schriften nicht bei Suhrkamp, sondern bei Residenz publizierte. Ähnliches geschah mit einigen von Peter Handkes Büchern. Immer wieder gelingt es Jung sich als "Zweitverlag" zu empfehlen. Und oft erscheinen und erschienen dann dort essentielle Werke. Warum die Schriftsteller Jochen Jung vertrauen kann man nach der Lektüre mehr als nur erahnen. Er war nie "nur" ein Lektor, wie ein kleines Glossar am Ende des Buches und das Zitat von Thomas Bernhards neckischem Spruch vom "Fehlerausmerzer" glauben machen soll. Der Rekurs auf Eichendorff als der "Geselle" der Dichter ist typisches Understatement einer großen Verlegerpersönlichkeit.

Artikel online seit 30.11.15
 

Jochen Jung
Zwischen Ohlsdorf und Chaville
Die Dichter und ihr Geselle
Haymon Verlag
176 Seiten
17,90 €
978-3-7099-7213-7

 

 


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