Hilmar Hoffmann habe ich zunächst näher bei der Stiftung Lesen als Leiter und
Auftraggeber kennengelernt. Später folgten Anfragen vom Präsidenten des
Goethe-Instituts und weitere Projekte. Anfang der 1990er war seine Zeit als
Kulturdezernent in Frankfurt vorbei, aber seine Bilanz konnte sich sehen lassen:
eine Fülle von ausgebauten und neu errichteten Museen am Mainufer und in der
Innenstadt, die eine Kulturlandschaft bilden. Miteinander thematisch
kontrapunktierende oder sich gegenseitig erläuternde Hot Spots für alle
Besucher, aus nah und fern. Das galt bereits als Hoffmanns Verdienst und
Vermächtnis, entstanden in Prozessen der glückenden Anbahnung, Vermittlung,
Konzeption und Finanzierung, auch durch die öffentliche Hand quer durch das
Parteienspektrum und mit wechselnden Bürgermeistern. "Kultur für alle" und
später "Kultur als Lebensform" waren die Formeln für das ebenso eingängige wie
konstante Credo des aus Bremen stammenden, aber in Oberhausen anläßlich der
Kurzfilmtage und des Jungen deutschen Films zwischen freier Kulturvermittlung
und städtischer Organisation entscheidende Brücken schlagenden Repräsentanten.
So bildete sich die Aura des Tausendsassas und Proteus, des unaufdringlichen
Inszenators und Genussmenschen, der als Organisator, Verwalter, Leiter und
"Funktionär" sowie Finanzakquisiteur nie nur funktionierte, sondern die Kunst
der Kommunikation einer Volonté générale culturelle beherrschte, um alte und
neue Kulturansprüche zwischen elitärer Geste und sozialer Breite, Tradition und
Avantgarde zu fördern, ohne Niveau, Diskurs und Unterhaltung
auseinanderzudividieren.
Opas Kino war
tot. Opas Kultur
auch. Kultur war jetzt für alle da. Aber die waren sich keineswegs einig. Also
musste Vielfalt zum Allgemeininteresse einer pluralistischen Gesellschaft
erhoben werden. Literatur, Theater, Oper, Film und Architektur waren für
Hoffmann gleichberechtigte Terrains, um Verflechtungen und Synergien, Chancen
und Versäumnisse, Wahrheiten und Ideologien (wie er, Jahrgang 1925, erleuterte,
so in "Der Film
im Dritten Reich" 1988 und "Mythos Olympia", die Ausbeutung der Berliner Spiele
1936 durch Hitler, Goebbels und Riefenstahl im Zuge der erneuten Berliner
Bewerbung 1993) im Kern und auf dem Gipfel sichtbar werden zu lassen, aber auch
an der Peripherie die Einladung zur Annäherung an neue Besucher- und
Publikumsschichten überzeugend auszusprechen.
Gerade aus dem Paradigma des Films zog er viele Überlegungen zu Montage,
Assoziation und Kontrast, Dynamik und Stabilität von sozialer und medialer
Wahrnehmung, die im öffentlichen Raum zwischen musealem Expertentum und
breitenwirksamer Rezeption intuitiv für Bewegung und Gespräch sorgten. Der
Begriff der Kultur reichte von den großen Inszenierungen über die Lebenskunst in
verschiedenen Erlebnismilieus bis zur nostalgischen Beschäftigung mit dem
Taubenflug als Modell für weitgespannte Entfernungen und gezielt überbrachte
Botschaften. Episch bewegte sich Hoffmann zwischen der Tradition, der
mittlerweile klassisch kanonisierten Avantgarde und sozialem Engagement. Das
Bürgerrecht auf lokale und globale, ja weltbürgerliche Bildung und damit auch
einer Kultur als Produktivkraft für soziale und politische Inhalte, Formen und
Visionen weit über das Alltagsgeschäft hinaus hat Hilmar Hoffmann immer
ernsthaft propagiert, als einklagbares Recht einer jederzeit möglichen
Vollfinanzierung von Produktion, Distribution und Rezeption von
wissenschaftlichen Teams und künstlerischen Ensembles in einem dichten Netz von
Institutionen vor Ort, die auch durch Bibliotheken und Mediensammlungen in enger
Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern stehen, und die sich in der Folge
als Standortfaktor und Veranstaltungsmagnet erweisen sollten, jenseits hauchdünn
importierter Teilzeitkräfte und zusammengebastelter Events in den Zeiten von
heruntergesparten Etats und alternden Zielgruppen.
Dieses Konzept eines Rechts oder einer Option auf Kultur als Lebensform bezieht
sich auf einen vitalen, keineswegs einheitlichen, sondern soweit wie möglich
diversifizierten Kulturraum, in dem sich die soziale und geschichtliche
Entwicklung für alle Gruppen und Bürger begreifbar bleiben und durch die
Provokation genuiner Kunst diskutierbar werden. Sowohl für diejenigen, die
bereits um diesen Wert von kulturellem Erleben, Schaffen und Evaluieren wissen,
aber auch diejenigen, die diese Erfahrung, aufgrund bisheriger Schranken und
Defizite noch machen sollten. Wie hoch der Wert von Bildung und Kultur sich
ausnimmt, kann erst ermessen werden, wenn man aus der eigenen kleinen Nische der
Gewohnheiten die Chance und Herausforderung annimmt, die eigene Reflexion
auszuweiten und den Dialog mit den Themen der klassischen und zeitgenössischen
Werke in Literatur und Kunst, Theater, Film und Architektur aufnimmt. Der Dialog
mit Hilmar Hoffmann, zwanglos im Gespräch wie in der gemeinsamen Arbeit an
Projekten, die zu konzipieren oder zu redaktionieren waren, war immer von der
Heiterkeit der Kunst der kreativen Zusammenarbeit geprägt. Wie hätte es anders
sein sollen. Die konkrete Utopie einer Vielbeschäftigung im Goetheschen Olymp,
in dem Depression, Überdruss und Burnout einfach nicht vorstellbar sind. Dieser
Gipfel war verbunden mit einer ungeheuerlichen Ruhe und Beständigkeit, die nie
in Trägheit oder Getue ausarteten, sondern die Vielzahl der Projekte immer
weiter bewegten.
Happy Birthday.
Artikel
online seit 24.08.15
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