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Täglich ein anderer Untergang Eva Horn analysiert »Zukunft als Katastrophe« Von Peter V. Brinkemper
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Eva Horns Studie »Zukunft als Katastrophe« untersucht instruktiv, vergleichend und interdisziplinär, wie sich Zeitgenommen die kollektiven Szenarien eines bedrohten Heute und düsteren Morgen zwischen Faszination und Schrecken vorstellen. Sie geht davon aus, dass die Zeitdimension Zukunft immer stärker die positiv-utopische Bedeutung verliert und Gegenwart, gerade im digitalisierten Heute, zum heiß umkämpften Tummelplatz von alternativen Szenarien der dystopisch-negativen Vorwarnung und Prävention wird. Sie weist nach, wie sich diese apokalyptischen Entwürfe, Zeitparadoxien und Zeitzerrüttungen in hoher und populärer Literatur, im Kino und in Wissenschaft und Politik je für sich ausnehmen und sich miteinander verbinden lassen. Diese Handlungsmuster und Mythen kennzeichnen allesamt »Zukunft« recht kurzfristig nur noch als Schwelle, als jetzt schon angeblich zugespitzte Krise und bevorstehendes Desaster, entweder als bedrohliches Untergangsdrama für eine alarmierte, aber womöglich bisher achtlose und handlungsunfähige kollektive Gegenwart oder im epischen Rückblick eines Übermorgen einen postapokalyptischen Zustand letzter Überlebender inmitten einer an den Sünden und Fehlern der Gegenwart zerbrochenen Zivilisation. Beide Skripte appellieren entsprechend unterschiedlich: das erste fordert konforme politische, moralische und ökologische Einsicht und Umkehr und damit eine Wiederherstellung von Normalzeit, das zweite ein stures anarchistisches, zivilmilitärisches Durchhalten in der anhaltenden Ausnahmezeit, ein Ducken und Überwintern, wenn es denn nach dem eingetretenen Ernstfall »kalt« werden sollte. Dabei
schälen sich in Eva Horns Darlegung verschiedene Modelle, Logiken und
Erzählformen heraus, die sich historisch, systematisch und ideologisch
vielfältig in aktuellen Subgenres, vor allem im englischsprachigen Bereich,
überschneiden. Als Bausteine und Versatzstücke fungieren unter anderem: Die
überlieferte Katastrophen-Lehre der Dramen-Poetik des Aristoteles wird diffus
verallgemeinert, die Paradoxie von geweissagter Zukunft und der
self-fulfilling-prophecy in der Antike zwischen angstbesetzter Vermeidung und
rationaler Vorsorge verschärft sich. Die biblischen Figuren von Paradies und
wüster Erde werden bis in Himmel und Hölle polarisiert. Die Sintflut erweist
sich als katastrophischer Korrekturmechanismus einer misslungenen ersten
Schöpfung von Mensch und Kreatur (Noah). Die Frage nach der Veränderbarkeit des
geschichtlichen Verlaufs und der Relevanz menschlicher Freiheit hat höchste
Priorität im Untergang. Die romantischen, säkularisierten und individualisierten
Figuren des letzten Menschen (Jean Paul, Mary Shelley, Grainvilles »Omégaire«,
Byron) kontrastieren und harmonieren wiederum auch mit Malthus’ statistisch
argumentierendem Theorem zum Wachstum der Bevölkerung und zu den Risiken, wie
der Knappheit der Ressourcen. Die Strategien der nuklearen Aufrüstung und
Abschreckung im Cold-War enthalten die Verlockung, des Ende der Welt durch
menschliche Zerstörungstechnologie unverzüglich herbeizuführen. Vorläufer sind
H.G. Wells und Jules Verne; Zeitgenosse: Günther Anders. Unter
dem Stichwort »Überleben« und »Die Biopolitik der Katastrophe« nähert sich die
Autorin einer zweiten Kern-Ideologie ihrer Thematik: Aktuelle Autoren und
Filmemacher mit oft bescheidenerem Budget stillerer Katastrophen- und
Endzeitfilme, wollen den Ernstfall des Überlebens (auf Zeit) so naturalistisch
wie möglich zur Anschauung zur bringen: durchkommen und überstehen, unter den
widrigsten Bedingungen (auch dokumentarisch gefilmt vor
Katastrophenhintergründen wie dem vom Wirbelsturm heimgesuchten New Orleans).
Dabei stellt Eva Horn die thematische und textuelle Verschiebung heraus: von den
staatlich-militärischen Ernstfallszenarien der Nachkriegszeit zu den heutigen
anarchistischen oder auch politisch regressiven Survival-Bewegungen, dem
»Survialismus« und dem »Homesteading«, in denen überschaubare Familien, Gruppen
und Clans durch noch unentschlüsselte »Verhängnisse« und »Prüfungen« zur
Migration gezwungen sind und dann geradezu mittelalterlich ihr Territorium
abstecken und auf Selbstverteidigung und Selbstversorgung ohne Rückgriff auf
Staat und Großunternehmen setzen, um postnukleare und postindustrielle
Umweltschäden, Klimaumschläge, Verseuchungen, Hungersnöte, rivalisierende
Gruppen und posthumanen Kannibalismus abzuwehren, zu ertragen oder zu
kompensieren. Becketts absurdes Endspiel (1956) ist in seiner Bühnenanordnung (dem lädierten Paar Hamm und Clov und Hamms Eltern in Mülltonnen) und durch seine motivischen Anspielungen in undramatischen Dialogfetzen die abstrakt-negative Chiffre für das, was Eva Horn in den zivilmilitärischen unterirdischen Überlebenstanks für noch adrette Kleinfamilien feststellt. McCarthy sei wiederum der gelungene Popularisator dessen, was bei Beckett tiefer in der Semantik des sich entziehenden Textes verborgen ist. Becketts bilderlose Sprachbilder enthalten beides: eine exakte, fast mathematische Form und einen Inhalt der Verrohung und Entmenschung, sie sind apokalyptischer als die gesamte gegenwärtige Untergangsbebilderung und –betextung, in denen abstrakte Argumentation, globale Gewalt und Human Touch propagandistisch voneinander getrennt ablaufen. Clov: »... Ende, es ist zu Ende, es geht zu Ende, es geht vielleicht zu Ende. Pause. Ein Körnchen kommt zum anderen, eins nach dem anderen, und eines Tages, plötzlich, ist es ein Haufen, ein kleiner Haufen, der unmögliche Haufen. Pause. Man kann mich nicht mehr strafen. Pause.« Und genau hier, in der behutsam anzusetzenden Wertungsfrage, die Eva Horn ausklammert, könnten sich die Geister scheiden: McCarthys clever-markiger Basic-Mix aus Action, Abgrund und Atmosphäre mit den Stilmitteln »Southern Gothic«, »Western« und »Post-Apocalypse«, ist eine Art wohlfeile unterhaltungsfilmische Aufbereitung alter amerikanischer Werte, der (vergeblichen) Suche nach einem Heim und einer Familie, als tragisch-sentimentaler Dauerloop. »Asche wehte über die Straße, und von den geschwärzten Strommasten hingen wie schlaffe Hände abgerissene Kabel und wimmerten dünn im Wind. Auf einer Lichtung ein abgebranntes Haus, dahinter ein Streifen Weideland, öde und grau, und ein nackter roter Erdwall von einer verlassenen Baustelle. Weiter weg Reklametafeln, die für Motels warben. Alles, wie es einmal gewesen war, nur verblichen und verwittert. Auf der Hügelkuppe standen sie in Kälte und Wind und verschnauften. Er sah den Jungen an. Alles in Ordnung, sagte der Junge.« (»Die Straße«) In einem letzten freiwilligen Akt begehrt die romantische Reklamefigur auf, der Marlboro-Mann, er wird in einem völlig zerfetzten Staubmantel eine Zigarette von irgendeiner leergeplünderten benzinlosen Tankstelle doch wieder anzünden, und zwar als Protest gegen alles und jeden: gegen die Konzerne, die ihn vergifteten; gegen die Weisung des Arztes, das Rauchen einzustellen; und selbstverständlich auch gegen die frische Luft, in dem Moment, wo die Bombe in der Ferne im Einklang mit Gott einschlägt. Soweit meine Parodie. Aber ist das wirklich vergleichbar mit den Chiffren des irischen Schriftstellers Beckett? Man hat den Eindruck, dass sich die heutige Internet-Welt, die Gegenwart mit tausend unterhaltsamen Tricks und Tipps, jede Art von Zukunft und Katastrophe abzumildern und zu verdrängen, auch auf die jüngere Literaturwissenschaft von Deutschland bis über den Atlantik in die USA ausgewirkt hat: Interdisziplinarität konvergiert mit kultureller Entropie. Auf die Gefahr hin, sich auf hohem Niveau mit den Klassikern ein wenig zu langweilen, weicht man des öfteren aus, in den Diskurs über technologiegesteuerte Unterhaltungsprodukte und gut verfilmbare Romane. »No Country for Old Men« schrieb McCarthy 2005, zwei Jahre später wurde daraus ein Oscar-prämiertes-Kinowerk der Coen-Brüder. Auch ein Motto für Klassiker oder heutige ambitionierte Autoren? Kein Land in Sicht? Auf diese Weise kann man zwei Katastrophen publikumswirksam verbinden: Die der alten Bildung und die der neuen Unbildung. Irgendetwas bleibt schon hängen. Eva Horns interdisziplinärer Studie können solche Einwände nichts anhaben. Ihre weitgefächerten Argumente und Ausführungen bleiben anregend, wie die letzten Tage der Menschheit. Literatur taugt also doch etwas, als Stoff für katastrophische Konzepte, gesellschaftliche Injektionen und politische Debatten.Artikel online seit 06.08.15 |
Eva Horn |
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