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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Identitätssuche eines Deplatzierten

Eduardo Halfons Roman Signor Hoffman

Von Jörn Birkholz

Ein Schriftsteller reist nach Italien in ein ehemaliges Internierungslager, das sich ihm vollkommen anders präsentiert als erwartet. So startet Eduardo Halfons autobiografisch gefärbter aktueller Roman »Signor Hoffman«, kürzlich erschienen bei Hanser.
In einem vom Verlag geführten Interview kommentierte Halfon die Lieblingsfrage für einen Autor wie folgt:
»Man könnte (…) sagen, dass einzig der Ausgangspunkt jeder Geschichte und jedes Buches, das ich schreibe, autobiografisch ist; dass der Hintergrund meines ganzen Werkes, das, was sich hinter dem Vorhang abspielt, meine Autobiografie ist. Aber das Stück, das dann vor diesem Vorhang aufgeführt wird, ist Fiktion.« 
In acht episodenhaften Geschichten beschreibt der in Guatemala Stadt geborene Autor, teils tragikomisch, teils lakonisch die Identitätssuche eines Mannes - des Schriftstellers Eduardo Halfon.  

Dieser soll im ehemaligen kalabrischen Internierungslager Ferramonti di Tarsia einen Vortrag halten, und versucht dabei das Andenken seines Großvaters zu bewahren. Das Lager entpuppt sich jedoch als Nachbau, als eine Art Attrappe. »Ich verharrte wie gelähmt, während mir allmählich ins Bewusstsein drang, dass das, was ich vor mir sah, nicht mehr war als eine Imitation; dass man erst für gut befunden hatte, das ursprüngliche Lager zu zerstören und dann am selben Ort eine Kopie des ursprünglichen Lagers zu errichten; also eine Art Modell oder Schaukasten gebaut hatte oder Themenpark zum menschlichen Leid (…)«

Nicht zuletzt wird ihm die Gage vom Direktor alles andere als diskret überreicht, nämlich vor allen Augen mitten auf der Bühne. »…vor Publikum, als sollte der ganze Saal seine Geste mitbekommen, als wollte er öffentlich Zeugnis von seiner Großmut geben. Ein Bündel Geldscheine, schmutzige Scheine, wie ich mir vorstellte.« Halfon vertrinkt das Geld mit Marina, der Assistenten des Direktors, im einzigen Lokal des Ortes. »Marina, ich will, dass er (der Wirt) uns weiter Gin bringt und sich Scheine nimmt, bis keine dreckigen Scheine mehr auf dem Tisch sind (…) oder du und ich besoffen und nackt auf dem Kneipenboden liegen.«

Im Verlauf des Romans besucht er in Mexiko das kleine Hafenstädtchen Iztapa, wo er Zeuge wird, wie ein behinderter Junge in einem Käfig gefangen gehalten wird, um ihn vor den Augen der Welt zu verstecken. »Der Junge war in einem Bambuskäfig, lag dort in einer Pfütze aus Schlamm und Wasser oder vielleicht Urin.«

Er bereist mit seinem Bruder Tel Aviv, wo er genötigt wird an der Hochzeit seiner Schwester teilzunehmen, die sich erst kürzlich, dafür aber bedingungslos, dem streng orthodoxen Glauben verschrieben hatte. Das Land ist ihm genau so fremd, wie seine Schwester ihm geworden ist. »Ich lasse auch keine Gelegenheit aus, mich von dem Land zu distanzieren, im wörtlichen Sinn wie im literarischen (…) ich verspüre werde Heimweh noch Loyalität noch Vaterlandsliebe.« Er fragt sich ernsthaft, ob er an der Hochzeit überhaupt teilnehmen soll. Zufällig trifft er in Tel Aviv seine verflossene Liebe Tamara wieder. Sie tauschen ihre Telefonnummern aus. Ein Treffen folgt. Sie zeigt ihm die Stadt und schließlich fahren sie an einen verlassenen Strand am Toten Meer.

Halfon schreibt unaufgeregt, trocken und mit einer sehr feinen Beobachtungsgabe. Etwas eigenwillig wirkt allerdings die Vermengung der Beschreibung von Gräueltaten mit der sexuellen Aufgeladenheit des Helden im letzten Drittel des Romans. Während Halfon mit seiner ehemaligen Geliebten Tamara am Strand sonnenbadet und über Nazigräueltaten sinniert bzw. referiert und den Erinnerungen an seinen nach Auschwitz deportierten Großvater nachgeht, wird permanent sein sexuelles Verlangen in den Fokus gerückt. Sprich; die Schilderungen der Gräueltaten, seine sich offenbarende »Ablehnung« des Judentums, bzw. sein Widerwillen gegen den streng orthodoxen Glauben, werden dem Leser mit einer kalkuliert wirkenden biederen Prise Erotik serviert.

»Als mein polnischer Großvater in Auschwitz in den Block 11 kam, sagte ich zu Tamara und versuchte dabei, an dem Muttermal vorbeizuschauen, wo sich ganz unten am Rücken die Wirbelsäule wölbte (…) Der rote Bikini bedeckte ihre Brüste gerade so. Fast konnte ich den dunklen Schatten der Brustwarzen ausmachen (…) Der jüdische Urgroßvater eines Freundes, sagte ich zu Tamara und versuchte dabei, an ihren runden, weichen Waden vorbeizuschauen (…) Ihr Haar streifte meinen Schenkel. Für einen kurzen Moment fiel mir auf, dass der rote Bikini sich zwischen ihre Hinterbacken geschoben hatte (…) und da spürte ich, wie ein erstes kribbeln mein Geschlecht überlief (…) In Guatemala gab es einen Juden namens Peter, sagte ich zu Tamara und versuchte dabei an ihren so weißen Hinterbacken vorbeizuschauen (…) Vor einigen Jahren begegnete ich einem alten polnischen Juden, sagte ich zu Tamara und versuchte an der sanften roten Erhebung zwischen ihren Schenkeln vorbeizuschauen, die vielleicht ihre aufregende und warme Scheide war (…) Die Familie des polnischen Schriftstellers Jerzy Kosiński (*Cockpit, Der bemalte Vogel, Aus den Feuern), sagte ich zu Tamara und versuchte, an der entblößten Seite ihrer Brust vorbeizuschauen, rettete sich vor den Nazis, indem …« 

Halfon kritisiert in »Signor Hoffman« auf lakonische Weise völlig zurecht die Sensationsästhetik und den Auschwitz- bzw. KZ-Tourismus, »bedient« dieses Klischee aber möglicherweise auf einer ganz anderen Ebene, indem er die Gräueltaten-Schilderungen phasenweise mit verklemmter Strandromantik vermischt, und dadurch das Wesentliche ein Stück weit in den Hintergrund gerät, was den einen oder anderen Leser natürlich letztlich bei Laune halten wird, weil er sich dann ganz banal (jenseits des Bösen!) zu fragen beginnen darf, kriegen sich die beiden denn nun oder nicht; was an dieser Stelle natürlich nicht verraten wird.

Bei der Schwierigkeit, die bedrückenden nationalsozialistischen Vergangenheitsthemen subtil, unaufgesetzt und treffend in einen Roman zu integrieren, ist es ein mindestens gewagter Kunstgriff, das Ganze mit sexuellem Voyeurismus zu garnieren, jedenfalls zwang sich mir dieser Eindruck an einigen Stellen in diesem im Grunde leichtfüßig geschriebenen Roman leider auf.    

*  Anmerkung des Verfassers     

Artikel online seit 17.01.17

 

Eduardo Halfon
Signor Hoffman

Roman

Übersetzt aus dem Spanischen von Luis Ruby
Hanser Verlag
192 Seiten
20,00 €
978-3-446-25275-2

Leseprobe

 


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