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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Literarische Trauer-Musiken & persönlichste Verlustanzeige

Peter Gülkes außerordentliches Buch »Musik und Abschied«

Von Wolfram Schütte

 

Der achtzigjährige Peter Gülke gehört zu jener seltenen Spezies von Autoren, die durch die Weite, Tiefe & Fülle ihres stupenden Wissens einen nicht nur mitreißend belehren, sondern auch ebenso verblüffen wie begeistern können. Denn nur ein Dummkopf wird sich nämlich von einem solchen Schriftsteller, der uns Lesern seine Wissens-Schätze derart selbstverständlich präsentiert wie ein orientalischer Teppichhändler, der seine kunstvoll geknüpften Meisterstücke mit unverkennbarer Liebe vor einem ausbreitet, »durch so viel Bildung eingeschüchtert fühlen«. Der Ignorant, als den man sich in einem solchen Augenblick sieht, wird aber über die Begegnung mit dem erkennbar viel Wissenden erfreut & neugierig gemacht sein, um von dem so freigiebig Ausschenkenden, so viel wie einem möglich ist, zu lernen.

»So viel einem möglich ist«: das heißt, bis an die eigenen Grenzen zu gehen. Die werden bei den passionierten Lesern Peter Gülkes höchst unterschiedlich sein. Denn der aus Weimar stammende Dirigent & Musikologe hat sich das Schwierigste vorgenommen, was im Bereich der geistig-literarischen Beschäftigung mit der menschlichen Kunst möglich ist: über Musik so argumentativ zu schreiben wie andere über Bilder oder Texte: zitierend, hinweisend, abwägend, bedenkend.

Das ist beim Schreiben über Musik, jener »flüchtigen« akustischen Kunst, besonders prekär oder gar unmöglich. (Müsste man im Grunde musikalisch-analytischen Überlegungen nicht sogar zeitgleich akustisch mit dem von ihnen Besprochenen unterfüttern?)

Das Sprechen/Schreiben über Musik ist eo ipso immer synästhetisch-metaphorisch, weil es für seine fluide sprachlose Existenz sprachbildliche Entsprechungen finden muß; wenn es genauer, differenzierter  & diffiziler sein will (also diskursiv-argumentativer), wird es mit der Partitur & der musikologischen Fachterminologie arbeiten müssen. Mit beidem geht Gülke  selbstverständlich & häufig um.

Allerdings werden ihm dann jene seiner potentiellen Leser, die zwar die Musik lieben & schätzen, ohne sich den Kopf darüber zu zerbrechen, ob sie sie »verstehen«, nicht mehr folgen können. Der Verfasser dieses gehört dazu.Vollständig verstehen Peter Gülke aber jene musikalischen Dilettanten, die durch Unterricht Partitur lesen & ein Instrument zu spielen gelernt haben; aber gewiss nicht jene Mehrzahl von »Kennern & Liebhabern«, die für ihren Umgang mit der Musik nur ihre leidenschaftlich-sinnliche Hinneigung & die emotionale Befriedigung durch sie anführen können.

Diesseits der Fachterminologie

Das heißt, wenn Gülke sich seine Gegenstände ganz nahe vor Augen nimmt (vergleichbar einem Uhrmacher), verschwindet er für unsereinen hinter der Fachterminologie (von z.B. »Dominante«, »Terz« etc.). Aber bevor der Musikschriftsteller dorthin aufbricht, wohin man ihm als sympathetischer Leser nicht folgen kann, hat er doch so viel schon  dargestellt & ausgeführt, was auch für einen musikologisch gehandikapten Liebhaber verständlich bzw. verstehbar ist. So kann man zwar nicht als Tamino in den Gülkeschen Weisheitstempel einziehen, muss aber auch nicht mehr als Papageno bloß draußen bleiben. In den »Vorhof« wird man gewissermaßen hier als Leser schon kommen können. Einer beglückenden, wenn auch bescheidenen Erweiterung unserer musikalischen Kennerschaft kann man - gewissermaßen als Gasthörer - des vielfachen Universitätsdozenten Peter Gülke sich erfreuen. Dies umso mehr, als der Autor ein brillanter Stilist ist, der als Schriftsteller »unakademisch« schreibt. Sonst hätte gerade dieses jüngste seiner Bücher gar nicht gelingen können.

Denn sein Buch »Musik und Abschied« ist einzigartig. Es verbindet intimste Schmerzerfahrung & persönlichste Trauerarbeit mit einem vielfältig ansetzenden musikologischen Essayismus zu einem unkonfessionellen literarisch-analytischen Requiem. Gülke sah sich mit dem plötzlichen Tod seiner überaus geliebten, aber schon lange leidenden Ehefrau konfrontiert. Allein zurück gelassen im Leben, das das Paar über Jahrzehnte hin gemeinsam eng geführt hatte, richtete der Verlassene seine Gedanken, wo sie nicht trostlos in fünf »Selbstgesprächen« mit der existenziellen Situation des Todes, der menschlichen Endlichkeit, dem Abschied sich beschäftigen, auf  dergleichen Grenzerfahrungen in der Musik. Überwiegend in der Musik; aber auch in der Literatur (Goethe, Rilke, Mallarmé, Rainer Kunze, Nelly Sachs). Und im Falle seines engen Freundes Dietrich Fischer-Dieskau verbinden sich alle diese Themen zu einer großen Totenrede auf die »Vox humana«.

Peter Gülkes kleine musikologische Essays sind für ihn literarische Ablenkungen von seinem persönlichen Verlustschmerzes & für uns ertragreiche, überraschende Hinlenkungen zu Fragen eines kundigen Forschens, wie, wodurch & womit musikalisch die »die Alten den Tod gebildet haben« (Lessing). Wobei die »Alten« solche sein können, deren Namen, geschweige denn Werke einem unbekannt sind (wie Pierre de la Rue, Ockeghem, Brumel); hauptsächlich jedoch sind es die Klassiker von Monteverdi über Bach, Beethoven, Brahms, Mahler bis zu Janacek, Bartok, Britten oder Schostakowitsch.

Aber mitnichten widmet der Autor sich nur dem Naheliegenden, wie z.B. den bekannten Requiems von Mozart & Verdi, oder Bachs geistlichen Werken, Schuberts »Leiermann«, Tschaikowskys »Pathétique«, Strauss (u.a. dessen »Tod und Verklärung«) & Mahlers »Kindertotenliedern«. Sondern unter Titeln wie z.B. »Sprachmächtige Sprachlosigkeit« oder »Erinnerung, Heimweh« schreibt er in überraschenden Wendungen von »Ombra-Szenen« oder den Motivverschlierungen, Selbst-Zitaten & persönlichen Anspielungen in Dvoraks grandiosem, in der »neuen Welt« begonnenen, sehnsuchtsvollem Cellokonzert.

Weder Tamino noch Papageno: im Vorhof des Weisheitstempels

»Zerbröselnde Themen« beobachtet er bei Beethoven in einem längeren Aufsatz. Dessen schriftstellerische »Ausfahrt« wähle ich als Beispiel, um anzudeuten, wie Peter Gülke sein Thema literarisch exponiert & damit man eine Ahnung von der Prosa dieses Autors bekommt – und Lust auf seine erkenntnisreichen »Durchführungen« in den hier versammelten 54 Essays: »Dem Erleben und Begreifen von Musik täte es gut, wenn wir weniger selbstverständlich fänden, dass sie vorhanden ist,« hebt er an & fährt dann fort:« – genauso jedoch, dass und wie sie endet, sich zurücknimmt bzw. zurückgenommen wird. Je charakteristischer die Prägungen, zwingender die Verläufe, größer die mitgeschleppten Bedeutungen, desto schwerer die Verabschiedung. Weil anspruchsvolle Strukturen autopoetisch agieren, eigenen Willen entwickeln, sodass man fast von handelnden Subjekten sprechen möchte, ist es nicht weit zur Frage, wie man sich von sich selbst verabschiedet, ob man es überhaupt ohne von außen auferlegte Nötigung könne.« Diesem »Auftakt« folgt eine einlässliche Studie von Beethovens »vorwärts drängender« Eroica.

Peter Gülkes Überlegungen, die sich auf vielfältigste & unterschiedlichste Weise der Musik & wie sie (sich) den Abschied (zu)bereitet & ein Ende findet, sind so dicht geschrieben, dass man gut daran tut, sich dieses eigenartige Buch, das der Autor erst einmal sich selbst zum tätigen Trost geschrieben hatte, nur in kleinen Dosen von zwei, drei Essays zuzuführen – um es möglichst intensiv aufzunehmen & möglichst oft zu ihm zurückkehren zu können. Selbst wenn es einem, der nicht so intim & vertraut ist mit der Musik wie der polyglotte Autor, gelegentlich Schwierigkeiten des Verständnisses bereiten dürfte & einige »dunkle Stellen« besitzt inmitten seiner unzähligen erhellenden oder »schönen«.

Artikel online seit 21.11.15
 

Peter Gülke
Musik und Abschied
Bärenreiter, Kassel und J.B.Metzler, Stuttgart und Weimar 2015
362 Seiten
29.95 €

Leseprobe 

 


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