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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Juan Goytisolo, Instituto Cervantes Berlin Mayo 2008

Mut & Leidenschaft zur Dissidenz

Ein Nachruf auf Juan Goytisolo

Von Wolfram Schütte

 

Rafael Chirbes, Juan Goytisolo, Jorge Semprun: es waren diese drei Autoren, die unser (wenn nicht gar der Welt) Bild von der Größe & ästhetisch-geistig-politischen Eigenart der Spanischen Literatur in der Zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts geprägt haben. Nun ist der letzte dieser grandiosen literarische Trias im Alter von 86 Jahren in Marrakesch gestorben. Dorthin war der im großbürgerlichem Milieu Barcelonas 1931 geborene Juan Goytisolo, nach dem Tod seiner französischen Lebensgefährtin Monique Lange, 1996 endgültig hingezogen.

Nach Paris war der politische Linke, dessen erste neorealistischen Bücher wie auch seine späteren avantgardistischen in Franco-Spanien nicht erscheinen konnten, 1957 emigriert. Er arbeitete als Lektor bei Gallimard, hielt sich aber zu akademischen Lehrveranstaltungen u.a. auch in den USA auf, wodurch er, neben Spanisch & Französisch (& später Arabisch), auch fließend Englisch konnte.

Seine Lektoratsarbeit in dem tonangebenden französischen Verlag, wo Goytisolo für die spanischsprachige Literatur verantwortlich war, machte ihn früh zum Kenner & Liebhaber der damals weltliterarisch einzigartig reich instrumentierten lateinamerikanischen Literatur von Fuentes über García Marques bis Cortázar. Diese professionelle Begegnung & Beschäftigung mit dem „Lateinamerikanischen Boom“ blieb für seine eigene literarische Kreativität nicht folgenlos. Von den mittel-& südamerikanischen Meistern ermutigt, nahm sich der Erzähler Juan Goytisolo jene literarisch experimentellen Freiheiten heraus, die er an den Autoren der Neuen Welt bewundert & als Lektor in Frankreich nachhaltig-folgenreich befördert hatte.

Seine in den Siebziger Jahre im Pariser Exil entstandene Trilogie „Rückforderung des Conde don Julian“, „Identitätszeichen“, „Johann ohne Land“ wurde zum Höhepunkt seines umfangreichen literarischen Oeuvres. Die auf Deutsch bei Suhrkamp erschienene „spanische Trilogie“ war mehreres zugleich: ästhetisch das einzigartige Zeugnis einer literarischen Resonanz der lateinamerikanischen Literatur in Europa; geistig-historisch eine ausgreifende kritische Beschäftigung mit der Heimat Spanien von der Antike bis in die Gegenwart & kulturell ein provokanter Hymnus auf das hochzivilisierte multikulturelle, muslimisch dominierte Spanien, das mit dem militärischen Sieg des kastilischen Königspaars Ferdinand & Isabella vernichtet worden war. Die „Reconquista“ durch die “katholischen Majestäten“, die zwar Kolumbus in die Welt schickten, aber zuhause das bis zur Franco-Diktatur währende gesellschaftspolitische Dunkel von religiöser Intoleranz, geistiger Sterilität & politischer Unterdrückung zur Folge hatte, war in den Augen des vielfachen exilierten Dissidenten ein katastrophaler Rückfall in die Barbarei.

Juan Goytisolo trieb seine wort-& phantasiemächtige Verwerfung Spaniens – Thomas Bernhard hat ihm, wohl unbewusst, mit seiner Österreichverfluchung nachgeeifert – sogar so weit, dass seine „Spanische Trilogie“, in der z.B. jener „Verräter“ gefeiert wird, der den muslimischen Feldherrn Tarik nach Europa einließ, in nicht übersetzten arabischen Schriftzeichen terminiert.

Der Exilspanier, der sich in der außerspanischen Welt nicht bloß als Exilant, sondern auch als Dissident aufhielt, gehörte im Paris seiner Zeit zum linksradikalen geistespolitischen Milieu um Sartre & de Beauvoir; besonders aber fühlte er sich, der sich rückhaltlos als Schwuler offenbarte, zu Jean Genet hingezogen. Dessen radikale existenzielle Offenheit schätzte er. Die beiden miteinander befreundeten Autoren hatten wohl auch eine ähnliche erotische Fixierung auf die Physis eines berberischen Männertypus. (Deshalb ruhen sie nun beide auch in nordafrikanischer Erde.)

Juan Goytisolos leidenschaftlicher humanistischer Existenzialismus, der ineins mit seinem individuelle Mut & seiner furchtlosen Suche nach der Wahrheit zu denken ist, war unbestechlich & gegen jeden politischen Opportunismus gerichtet. Anders als Jean-Paul Sartre oder Gabriel García Márquez brach er öffentlich & lautstark mit dem kommunistischen Kuba, als klar & deutlich wurde, wie repressiv der durchaus verehrte Fidel Castro mit homosexuellen Schriftstellern (Padilla, Arenas u.a.) des „antiimperialistischen“ Inselstaats umsprang. In seiner fulminanten, erzählerisch mäandrierenden Autobiographie „Die Häutungen der Schlange“ hat er ohne Scheu & in glorioser Offenheit von sich & seinen changierenden politisch-moralischen Welterfahrungen  gesprochen.

Der Titel des Buches trifft für sein gesamtes Leben & Wirken zu. Immer waren seine ästhetisch hybriden Fiktionen, die sich bis zuletzt in zahlreichen komplexen Romanen niederschlugen, begleitet von einem hochgebildeten, erfahrungshungrigen, reisefreudigen politischen Essayismus: Reportagen & Reflexionen eines luziden Kenners der mittelmeerischen, besonders auch balkanischen Welt & Kultur.

Die intellektuelle Liebe des atheistischen Juan Goytisolo galt einem häretisch-toleranten Sufismus. Seine Bewunderung der muslimischen Kultur, der er sich als voll integrierter europäischer Dissident im Zentrum Marrakeschs zuletzt physisch nahefühlte, richtete sich auf die große historische Zeit des muslimischen Spanien zwischen dem 12. & 15. Jahrhundert. Kaum zu entscheiden, ob die An- & Rückrufung dieses Geschichtsmoments einen nostalgisch erleuchteten „Abend mit Goldrand“ imaginierte oder eine humanistische Wunsch- & Gegen-Utopie in die spätmittelalterliche Welt des maurischen Spaniens projizierte.

Wie der späte Juan Goytisolo, in der Nähe des berühmten (auch schon von einem mörderischen Attentat heimgesuchten) „Platz der Gehenkten“ wohnhaft, über den Islam im Lichte des weltweiten Terrors & der Ausbreitung der islamischen Orthodoxie dachte: wer weiß das? Seine großen Bücher, hörte ich jedenfalls, sind auf Deutsch (wenn überhaupt noch) nur antiquarisch zu beziehen…

Artikel online seit 05.05.17

 

Juan Goytisolo
Landschaften nach der Schlacht
Roman
Aus dem Spanischen von Gisbert Haefs
Suhrkamp
175 Seiten
16,80 €
978-3-518-40231-3


Juan Goytisolo
Der blinde Reiter

Roman
Aus dem Spanischen von Thomas Brovot
Suhrkamp
132 Seiten
17,80 €
978-3-518-41751-5



Juan Goytisolo
Reise zum Vogel Simurgh

Roman
Aus dem Spanischen von Thomas Brovot
Suhrkamp
202 Seiten
21,95 €
978-3-518-42251-9

Leseprobe

 


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