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Literatur und Zeitkritik


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»Denken ist bereits Plastik«

Andres Veiels Dokumentation über »Beuys«

Von Lothar Struck

Man hatte es kaum bemerkt – 2016 war der 30. Todestag und hätte eigentlich ein "Beuys"-Jahr sein können wenn nicht gar müssen. Immerhin versuchte das Museum Schloss Moyland, welches sich als internationales Beuys-Zentrum versteht, mit der digitalen Kampagne #beuysheute an den Künstler zu erinnern. Als Nachklapp könnte man nun Andres Veiels Film "Beuys" sehen, der im Januar 2017 auf der Berlinale Premiere hatte und jetzt in die Kinos kommt.

Natürlich entzieht sich ein Dokumentarfilmer wie Veiel der gängigen Aufmerksamkeitsökonomie. Recht so. Aus den Informationen zum Film wird ersichtlich, wie aufwändig sich die Arbeit von Veiel und seinen Editoren Stephan Krumbiegel und Olaf Vogtländer gestaltete. Zusammen mit Monika Preischl wurde immenses, zum Teil unveröffentlichtes Archivmaterial von Filmen mit und über Joseph Beuys gesichtet und ausgewertet. Nach knapp anderthalb Jahren ist eine Doku-Collage aus Interviews, Diskussionen, Performances und Berichten herausgekommen. Ergänzend gibt es aktuelle Stellungnahmen von insgesamt fünf Freunden und Wegbegleitern: dem Kunsthistoriker Franz Joseph van der Grinten, der politischen Aktivistin Rhea Thönges-Stringaris, Beuys' langjährigem Schüler, Weggefährten und Biographen Johannes Stüttgen sowie der Kunstjournalistin, Beuys-Muse und -Kuratorin Caroline Tisdall. Dann kommt auch noch der vermutlich in diesem Kontext unumgängliche, aber ziemlich nichtssagende Klaus Staeck zu Wort. Auf andere "talking heads" hat man verzichtet, obwohl sie bereits teilweise "abgefilmt" waren. Im Zweifel überließ man Beuys das Wort, so Veiel.

Exemplarisch wird dieses Vorgehen an der sogenannte Tataren-Legende deutlich. Irgendwann einmal hatte Beuys erzählt, er sei nach seinem Flugzeugabsturz auf der Krim 1944 von Tataren geborgen, verarztet und versorgt worden. Dort habe er die Materialien Fett und Filz, die später eine große Rolle in seinem künstlerischen Werk spielen, sozusagen entdeckt. Nach heutigem Wissenstand ist dies längst eine "Fake"-Nachricht, freundlicher ausgedrückt spricht man auch von einem "Narrativ". Veiel verzichtet darauf, es von Dritten dekonstruieren zu lassen. Stattdessen zeigt er diverse Stellungnahmen von Beuys, in dem dieser auf den Mythos angesprochen wird und widersprüchlich bis ausweichend reagiert, was aber für den mit der Materie oberflächlich vertrauten Zuschauer nur schwer als mögliches Eingeständnis der Legende zu erkennen sein dürfte.

Damit zeigt sich ein Dilemma des Films: Wer sich mit Beuys nicht wenigstens ein bisschen beschäftigt hat, wird vieles kaum oder gar nicht verstehen. Auf eine Chronologie verzichtet Veiel zudem; er montiert wild durcheinander. Das führt zu radikalen Sprüngen – für Insider interessant, für den Laien eher verwirrend. Gravierender sind jedoch die Auslassungen. So wird Beuys' depressive Phase Mitte /Ende der 1950er Jahre zwar durch Franz Joseph van der Grinten beglaubigt und man bekommt einige der herrlichen Zeichnungen von Beuys zu sehen, aber die Lücke zwischen dem Aufraffen aus der Depression und der Professur in Düsseldorf schließt der Film nicht. Eben noch antriebslos in Kleve und wenige Sekunden später dann in einer publikumswirksamen und skandalisierenden Performance ("Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt") - wie geht das bzw. was ist geschehen?

Joseph Beuys wird im Film zum Berserker, der seine Projekte mit Provokation, Engelsgeduld und geschickten medialen Inszenierungen vorantreibt. Er ist sich nicht zu schade in Japan für sein 7000-Eichen-Projekt Geld zu sammeln und erfüllt nahezu jeden Wunsch seiner Gastgeber. Kein Mikrophon, das unbesprochen bleibt, keine Frage unbeantwortet. Documentas, Düsseldorfer Akademie, Kojote, Straßenbahnhaltestelle, 7000 Eichen, Grünen-Parteitag - Beuys als Bürgerschreck, Honoratiorenschreck, Künstlerschreck. Die Rastlosigkeit des Künstlers wird durch die hektische Schnittfolge des Films potenziert. Wie fragil das "Konzept" Beuys war, bekommt der Zuschauer in zwei Szenen gezeigt, die ihn vor Studenten in den USA zeigen. Eine, zwei kritische Fragen nach den Ambivalenzen seiner Theorien, der "leeren Rhetorik" – und Beuys wirkt überfordert, flüchtet sich in Worthülsen. Sein Zauber wirkt wie so häufig nur bei den Überzeugten.

Aber der Film, der das Leben des Künstlers zu einer filmischen Plastik formen möchte, verfolgt ein Anliegen: Er möchte Beuys zum Visionär der Verwerfungen der Finanzkrise(n) der 2000er Jahre, die ja bis heute anhalten, machen. Beuys habe, so steht es in Veiels Synopsis, "in einem beharrlichen, subversiv-anarchischen Sinn" die Fragen gestellt, die heute aktueller denn je seien, "etwa nach einer radikalen Demokratisierung, die auch vor einer neuen Ordnung des Geld- und Bankenwesens nicht Halt macht oder der Chancengleichheit in einer immer ungleicheren Welt." So werden Vorstellungen einer "direkten Demokratie" gewürdigt – wobei diese Form der Partizipation zwar einst Ausweis einer linken Gesinnung war, allerdings inzwischen eben auch von rechtspopulistischen Strömungen favorisiert wird, während die proeuropäische Linke eher mit einer Art Elite-Wahlrecht sympathisiert. Und auch andere politische Statements findet man heutzutage zuweilen auf neurechten Foren (und man wird sich des Paradigmenwechsels bewusst). Etwa die Aussage, man lebe nicht in einer Demokratie sondern in einer Art von "parteipolitischer Bürokratie" und es gelte die "faulen, zerfallenden, stinkenden Systeme" zu überwinden (damit meinte er sowohl den Kapitalismus wie den Kommunismus). Nach 96 Minuten, zehn Minuten vor Schluss, hören wir wie Beuys den Kapitalismus "aus den Angeln" heben und Staaten, politische Parteien und Politiker zu Gunsten eines neuen Politik- und Wirtschaftssystems "ausschalten" möchte. Stüttgen sekundiert in einem Statement und weist auf eine antikapitalistische Rede von Beuys vor Delegierten der Grünen hin, die damals niemand beachtet habe. Aber damals waren die Grünen bereits auf dem Weg zur Institutionalisierung (im Hintergrund hört man die Namen derjenigen, die es geschafft haben, darunter Otto Schily und Antje Vollmer; Beuys' schaffte es nicht) und alle vermeintlich stimmenschädigenden Protagonisten wurden von aussichtsreichen Listenplätzen entfernt. 

Der Mensch Joseph Beuys kommt selten vor. Ab Mitte der 1960er Jahre ist er uniformiert und tritt in der Künstlerpose mit Hut, Weste, Hemd, Jeans und stets gut rasiert, auf. Es gibt nur wenige Ausnahmen davon wie die (inzwischen legendäre) Diskussion von 1970 und seine Krankheitsbilder von 1983, als er Hut und Weste auszieht (Tisdall nennt das "mutig"). Plötzlich ist er Mensch und wirkt seltsam verloren. Ansonsten bleibt der Film den medialen Inszenierungen des Künstlers verhaftet, die er nur reproduziert (immerhin bleibt einem die Peinlichkeit "Regen statt Reagan" erspart). Man sieht das, was Beuys wollte, weniger das, was sich dahinter abspielte. Beuys wird geradezu heroisiert – was zwar legitim ist, aber dort eigentlich Grenzen haben sollte, wenn elementare Einzelheiten aus dem Denkkosmos des Künstlers schlichtweg verschwiegen werden. So gibt es keinen Hinweis auf die Anhängerschaft des Künstlers zu der anthroposophischen Gedankenwelt Rudolf Steiners. Immerhin existieren zahlreiche Stellungnahmen und Schriften von Beuys, die belegen, dass Steiners Lehre mehr als nur ein Hobby war, wie zum Beispiel die Rede über das eigene Land: Deutschland. Dabei muss man nicht in den Furor des (Anti-)Biographen HP Riegel einstimmen und hinter jeder Beuys'schen Äußerung nationalistisch-völkisches Steiner-Adeptentum vermuten, aber es ist schon ein dreist-manipulatives Unterfangen, diese Richtung derart zu ignorieren. Auch die handverlesenen Interviewpartner umgehen dieses Thema.

Stark wird der Film immer dann, wenn Beuys' künstlerische Theorien thematisiert werden. Sein mit einer Picasso-Paraphrase garnierter Spott, er schaffe keine Kunst um damit etwas zu "dekorieren" traf den Zeitgeist. Beuys schwebte anderes vor – er wollte die Kunst ideologisch zurüsten, sie sollte einem politisch-gesellschaftlichen Ziel dienen: der Überwindung "des Systems". Hierfür musste er in Kauf nehmen, dass er selber zum "Star" des Kunstbetriebs wurde (noch vor Warhol, wie es einmal in einer kurzen Sequenz heißt). Den Kommerz, den er eigentlich verachtete, benötigte er; ein Widerspruch, der ihm auch im Film vorgeworfen wird. Die besondere Tragik liegt allerdings darin, dass Beuys teleologischer Kunstbegriff inzwischen längst trivialisiert ist. Es gibt kaum noch ästhetische Auseinandersetzungen um und über Kunst. Stattdessen folgt alles einem Sinn, hat eine Botschaft, eine politische Richtung. Indem Beuys seinerzeit die Überwindung des Kunstbegriffs der Moderne forderte und dies inzwischen weitgehend umgesetzt ist, habilitierte er eine postmoderne Beliebigkeit, die den (kommerziellen) Kunstmarkt seit vielen Jahrzehnten fest im Griff hat. Die zeitgenössische Kunst dekoriert tatsächlich keine Wohnzimmer mehr (das war Beuys' Anliegen, Picasso paraphrasierend), sondern es sind Gesinnungsdekorationen geworden. Wer sie kritisiert ist entweder ein Spießer oder, noch schlimmer, ein Verächter der progressiven Sache. Die medialen Deutungsmaschinen stehen unter Volldampf und assistieren bereitwillig bei der Umsetzung. Beuys ist nicht der Erfinder dieser Entwicklung und man kann annehmen, dass er sie nicht so im Sinn hatte, aber er hat sie maßgeblich geformt.

Dennoch: Am Ende geht von dem Film eine seltsame Sentimentalität aus. Und man freut sich, ihn gesehen zu haben.

Artikel online seit 17.05.17

 

Filmstart: 18. Mai


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