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Der nicht mit den Wölfen heult

Er war Vorsitzender des SDS, Verleger von Hölderlin, Theweleit, Kurzeck und Kafka.

Der abenteuerliche Lebensbericht des K.D. Wolff liefert, neben der persönlichen Lebensgeschichte, einen überaus lesenswerten Blick auf die Deutsche Politik- und Kulturgeschichte der letzten 60 Jahre.

Von Peter Kern
 

Dem Hans im Glück gelingt sein Leben, weil er kein homo oeconomicus ist. Das Tauschprinzip beherrscht er nicht, und aus jedem Handel geht er übertölpelt hervor, bis er endlich gar nichts mehr besitzt - außer sein Lebensglück. Im Märchen der Gebrüder Grimm gelingt dieses Kunststück. Kann es auch im richtigen Leben gelingen? Da ist einer, der weiß, was es mit dem Tauschprinzip theoretisch auf sich hat, und lebenspraktisch widerstrebt es ihm, als schlau kalkulierender Bürger einen Karriereplan zu verfolgen. Dennoch macht er sein Glück. Karl Dietrich Wolff ist so einer.

Als er mit seinem Bruder Frank zum Vorsitzenden des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS), organisatorisches Kraftzentrum der Schüler- und Studentenbewegung, gewählt wird, ist diese Bewegung bereits in sich zerfallen. Den Antiautoritären stehen die Traditionalisten gegenüber, den Sozialismus des Moskauer Kasernenhofs als Realsozialismus feiernde Traditionalisten. Im Frühjahr 68 rollen die Panzer aus den Kasernen und zermalmen das Projekt der Prager Reformer. Die Partei um Dubcek will einen die bürgerlichen Freiheitsrechte achtenden Sozialismus. Das Reformprojekt findet sein gewaltsames Ende, aber dem Vietnamprotest vergleichbare Demonstrationen bleiben aus. Der Niedergang der sogenannten 68er-Revolte beginnt in diesem Jahr, und besiegelt ist er ein Jahr später, als es nicht gelingt, die Notstandsgesetze zu verhindern.

Die Revolte endete, und ein Supermarkt an Ideen machte auf. Der bot aber nur verdorbene Ware. Zwischen den angeranzten Angeboten musste man wählen; das Zwanghafte der gesellschaftlichen Verhältnisse, reproduziert im Lager ihrer Gegner. Eine Option war so verkehrt wie die andere: Aktionismus mit Pflastersteinen, Terrorismus mit Bomben, Parteiaufbau im Dienste des Proletariats oder doch Promotion mit Marx und einer Aussicht auf eine unsichere akademische Karriere?  

In seinen Anfängen unterhielt der Rote Stern Verlag eine Abteilung des Supermarkts. Es ehrt den Verlagsgründer, den anfänglich produzierten Müll, der einmal als taufrische Ware gelten wollte, nicht zu unterschlagen. Der Welt hätte nichts gefehlt, wäre ihr Eldrige Cleaver nur als der Verfasser von Soul on Ice bekannt geblieben. So aber lernte sie einen großen Schriftsteller als enthemmten Hassprediger kennen, dessen verrohte, den „Pigs“ geltende Sprache in der zerfallenden deutschen Linken ihren Widerhall fand. KD, wie ihn seine Mitgenossen nannten, nimmt nicht für sich in Anspruch, klüger als diese gewesen zu sein.

Das Buch erzählt tolle Geschichten und Deckgeschichten, und die sind voller Schalk und Witz, was zum Besten der Revolte gehörte. Als ihm, gemeinsam mit seinem Bruder, der Vorsitz des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes zufällt, ist die Verteilung der Arbeit zu regeln. „Wir machten es wie die Aldi-Brüder: Frank kümmerte sich vor allem um Norddeutschland, ich um den Süden…“ Oder die Geschichte vom dritten Mann. Es ist Anfang der 70er Jahre, und die Black Panther Party agiert vor den pfälzischen Kasernen der US-Army, um die GI‘s zur Desertation zu ermuntern. Statt nach Vietnam, mit der Underground Railway ins sichere Schweden. Ramstein, die größte Air Base außerhalb der Staaten, bekommt Besuch. Der wachhabende deutsche Securitymann wehrt die ungebetenen Gäste ab. Es kommt zum Schusswechsel und zur Verhaftung der beiden. Der beiden? Waren es nicht drei? Das dritte Black Panther-Mitglied ging auf die Erfindung des Solidaritätskomitees zurück. Man wollte den Zeugen der Anklage unglaubwürdig machen. Dass der Wachmann keinen dritten Mann wahrgenommen hatte, sollte seine Aussage völlig zweifelhaft machen. Die Geschichte war gut, aber nicht gut genug; denn aufgegangen ist die zur Verteidigung erdachte Strategie nicht. Die beiden Militanten landeten für Jahre im Gefängnis. KD aber erzählt noch einmal die alte Story. Vermutlich hat er sie irgendwann selbst geglaubt.

Mit seinem Buch hat Wolff dem Buchmarkt gegeben, was des Buchmarkts ist: Authentische Ich-Geschichten mit viel prominenten Namen. Eine Autobiografie ist das dafür passende Genre, aber hat er eine geschrieben? Wie bei Hölderlin hätte man gerne die frühe Fassung des Wolffschen Textes, das Manuskript (oder die Bandaufnahme) bevor die Redaktion des Verlages zur Tat geschritten ist. Ein Kapitalspezialist in der Finanzbranche hat laut Waschzettel redigiert. Nichts gegen einen Finanzkapitalspezialisten; sicher übt der einen ehrenwerten Beruf aus.  Aber vielleicht ist er nicht recht geeignet, um wiederzugeben, was die Studenten- und Schülerbewegung ausgemacht hatte. Mutmaßlich hält er sich an das, was ihm einfällt, wenn das Stichwort 68 fällt: Rudi Dutschke der charismatische Vordenker, Cohn-Bendit, der französische Star. Der eine hält völlig unverständliche Reden, der andere spielt seinen Charme bei den Damen aus. Die Revolte als private interest story. Wolff kennt natürlich den von Habermas geschriebenen Strukturwandel der Öffentlichkeit; es war ja eins der für die Studentenbewegung wichtigsten Bücher.  Die öffentliche politische Sphäre zerfällt, von den Topoi der Privatsphäre überwuchert, ist da zu lesen.

Der Autor erwähnt an vielen Stellen seines Buchs die für ihn so bedeutsame Psychoanalyse. Man muss vermuten, dass der Psychoanalyse noch die letzten Patienten abhandenkommen, wenn die Generation weggestorben ist, für die das Datum 1968 bedeutsam war. Auf der Couch zu liegen hilft gegen den narzisstischen Größenwahn, genauso wie es gegen die depressive Selbstverzwergung immunisiert. KD Wolff schildert sich weder kleiner noch größer als er war und ist. Er stilisiert sich nicht im Nachhinein zum Theoretiker der Bewegung. Ganz uneitel nennt er Oskar Negt den Verfasser vieler seiner vor den SDS-Delegierten gehaltenen Reden.

Als es den SDS nicht mehr gab, sah es Wolff als seine Aufgabe an, die antiautoritären Emanzipationsbedürfnisse mit der notwendigen Selbstdisziplinierung zusammenzubringen, um eine neue Organisation zu schaffen. Das war der Plan. Um seinen linksradikalen Verlag und um die von ihm unterhaltenen Buchläden scharte sich ein keineswegs bloß akademisch geprägtes Milieu. Zu den Studenten und Schülern waren die jungen Arbeiter, die Lehrlinge, gestoßen, auch sogenannte Fürsorgezöglinge, Kleinkriminelle, oder ehemalige Knackis, die Pinkis, Effis und Robbis der Bewegung. In Wolffs Biografie tauchen die Outcasts auf. Auf sie hat er nie herabgeschaut, ihnen hat er die Anerkennung nicht verweigert. Den Gestrandeten der Bewegung ging jede Vorstellung davon ab, wie es nun weitergehen sollte. Ihnen war nicht bewusst, dass es ihren Wortführern nicht anders ging und der Plan nicht funktionierte. Sie waren die wirklich Gekniffenen, und mancher von ihnen ließ sich überreden, bei dem großspurig Stadtguerilla genannten Wahnsinn mitzumachen.

Wolff kannte einige der Apologeten des sogenannten bewaffneten Kampfs. In seinem Buch rückt er sie in eine Nähe, die sie ziemlich mickrig dastehen lässt. Lange musste er für diese Kontaktschuld schwer büßen. Hausdurchsuchungen finden in seinem Buch mindestens so häufig Erwähnung wie die segensreiche Psychoanalyse. Die innerstaatliche Feinderklärung, von der Peter Brückner damals sprach, galt Leuten wie ihm, und von der vom BKA verwalteten Liste war schwerlich runterzukommen. Man ahnt, warum Hölderlin für Wolff damals so wichtig wurde.

Er schließt mit seiner politischen Vergangenheit ab, und erst jetzt wird er ein richtiger Verleger. Er nennt das Verlagsgeschäft eine Lebensweise, was Emil Durkheims Begriff des Berufsethos anklingen lässt. Er legt mit Hölderlin los; er will ihn unverstellt, so, „wie ihn die Welt noch nicht kannte.“ Wolff und sein Herausgeber Sattler erneuern die deutsche Editionsphilologie. Sie legen den Textkorpus eines angeblich durch und durch bekannten Dichters frei. Diese Edition ist ein Wendepunkt in seinem Leben, schreibt Wolff. Es folgen noch einige. Dem BKA macht er die drei Buchstaben streitig: die Berliner Kleist Ausgabe, noch so ein Riesending. Kleist, Kafka, Trakl, Robert Walser – es sind die von den bürgerlichen Verhältnissen gnadenlos Aufgeriebenen, die er davor rettet, als Klassiker zu vergammeln. Er macht sie frisch, indem er an die Quelle zurückgeht, sodass sie in ursprünglicher Syntax, Orthographie und Zeichensetzung zu lesen sind.

Wie er an das Manuskript von Kafkas Das Schloss kommt, und wie er es fertigbringt, die Originalseiten von Marbach nach Stuttgart zu bringen, um sie dort auf einen speziellen Scanner zu legen und das Faksimile reproduzierbar zu machen: ein Abenteuerroman für sich. Die Handschrift kommt per S-Bahn nach Stuttgart; jeweils acht Seiten, sodass der Transport mehrmals erfolgt. Die Manuskriptseiten sind im Aktenkoffer, der Aktenkoffer ist mit einer Kette am Handgelenk des Verlegers befestigt, dem Verleger ist zur Begleitung ein Bibliothekar mitgegeben. Ein Überfall im Öffentlichen Nahverkehr erscheint als am wenigsten wahrscheinlich. Das Konvolut ist mit vier Millionen versichert. Später werden die Krupp- und die Volkswagenstiftung die Edition finanzieren. Die alte Deutschland AG, entnimmt man KD’s Buch, war nicht nur gut für Auto und Stahl; in ihren Stiftungen lebte das an Einzelpersonen geknüpfte Mäzenatentum des frühen Aktienkapitalismus fort. Aber das war einmal. Das Schloss zu publizieren, gelang noch, nicht jedoch den ganzen Kafka. Auch der Hans im Glück muss Verluste hinnehmen. Und wir, die Leser, sowieso. Roter Stern/Stroemfeld gibt es nicht mehr.

Artikel online seit 21.08.25
 

K.D. Wolff
Bin ich nicht ein
Hans im Glück?

Studentenrevolte – Hölderlin – Kafka
Redaktion Dietegen Müller
262 Seiten
Kt 28,00 €
978-3-465-04708-7

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