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Interessante Thesen
Peter Trawny liest |
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Ab den 1990er Jahren hat der
Kabarettist Serdar Somuncu öffentliche Lesungen veranstaltet, in denen er
Auszüge aus Adolf Hitlers „Mein Kampf“ darbrachte. Die Art und Weise, wie er das
tat, offenbarte, wie absurd und wirr Hitlers Gedanken und seine Demagogie waren.
Somuncu zeigte in diesen Lesungen, wie lächerlich das Buch im Grunde ist. Wer
darüber lache, sagte er, habe den Unfug verstanden, der darin zum Ausdruck
kommt. Wer die Darbietung jedoch für gefährlich halte und glaube, er mache sich
über Hitlers Opfer lustig, habe nichts verstanden, denn hier lache man schlicht
über den Täter. Einen Höhepunkt bietet das Kapitel über „Volk und Rasse“, in der
Somuncu nicht nur die sprachlichen Fehler hervorhebt, sondern auch den Irrsinn
der zahlreichen Tiervergleiche deutlich macht. Möglich, dass es heute gar keine
andere Lesart des Buches mehr geben kann als die verqueren Ideen Hitlers der
Lächerlichkeit preis zu geben. Ich weiß nicht, ob Peter Trawny Somuncus Vortrag kennt. Vermutlich nicht, denn der Philosoph versucht noch einmal mit aller Ernsthaftigkeit, Hitlers „Mein Kampf“ zu lesen. Hierbei beruft er sich auf den französischen Denker Jacques Derrida, der behauptete, „der Nationalsozialismus sei für uns noch ungedacht“. Trawny versteht Derridas Behauptung wie folgt: „Den Nationalsozialismus zu denken heißt also, sich auf ihn, und das kann nur heißen: sein, des Nationalsozialismus, eigenes Denken, einzulassen, um von ihm aus oder sogar in ihm sein noch Ungedachtes zu finden.“ Zugegeben: Beide Aussagen bleiben ein wenig nebulös.
Klar scheint aber, dass Trawny dem Nationalsozialismus keinesfalls als reinem
Gegenstand einer philosophischen Abhandlung begegnen will. Es geht ihm wohl
vielmehr darum, sich in die nationalsozialistischen Quellen direkt zu begeben,
um von innen heraus die Täter zu durchdenken – gerade so, als wäre auch dies
nicht schon x-mal geschehen. Nun könnte man sich fragen, warum dem so ist, und zu der Erkenntnis gelangen: Das Buch ist es schlicht nicht wert, sich damit philosophisch zu befassen. Es ist ein lächerliches Machwerk (siehe Somuncu), das in den Gaskammern von Auschwitz seinen Schlusspunkt findet. Es ist ein lächerliches Buch, das in den Berichten von David Rousset, Primo Levi, József Debreczeni und anderen Überlebenden des Holocaust seine todtraurigen Antworten findet. Doch Trawny fragt sich nicht wirklich, warum „Mein Kampf“ keine philosophische Auseinandersetzung lohnt, und er gäbe sich mit dem Hinweis auf den Unfug, der darinsteht, wohl auch nicht zufrieden. Aus diesem Grunde beginnt er die Lektüre, um die Schrift als identitätspolitisches Werk „zu deuten“ und zugleich einzugestehen, dass es sich von intellektuellen oder philosophischen Ansprüchen „bewusst“ (sic!) absetze. Doch ganz offensichtlich gibt es zumindest ästhetische Implikationen, denn die in „Mein Kampf“ zum Ausdruck kommende Weltanschauung mit all ihren Konsequenzen sei das „absolute Kunstwerk des Nationalsozialismus“. Neben weltanschaulichen Aspekten gräbt sich Trawny auch
durch Begriffe wie Rasse, Blut, Volk, Hass und Gewalt und weiß hierbei die
gesamte Philosophiegeschichte hinter sich: Mit Hilfe von Platon und Descartes,
Kant und Hegel, Husserl und Heidegger, Spinoza und Hobbes, mit Hilfe von
Nietzsche und Dilthey, Jaspers und Arendt, Deleuze und Agamben wird „Mein Kampf“
gelesen, interpretiert und in einen Diskurs gestellt, den das Buch nicht
verdient. Es gibt sodann einen eigenen Abschnitt zu „Kant im
Nationalsozialismus“, in dem Trawny darauf verweist, wie sehr Kant durch die
Nazis rezipiert worden sei. Nicht Nietzsche, sondern Kant sei der Philosoph
gewesen, „der die intellektuelle Atmosphäre des Dritten Reichs bestimmte“. Was
sagt dies aus über Kants Philosophie? Nichts natürlich. Missbrauch ist in diesem
Falle nicht strafbar, in totalitären Systemen ohnehin nicht. Aber dazu kein Wort
bei Trawny. Das ist ärgerlich, zumal der Verweis auf Hannah Arendts
Berichtspunkt, auch Eichmann habe sich auf den kategorischen Imperativ bezogen,
auf halbem Wege stecken bleibt, denn Arendt hat sehr deutlich gemacht, dass
Eichmann Kants Philosophie „für den Hausgebrauch des kleinen Mannes“
heruntergebrochen und pervertiert hat: Die Maxime des Willens war für ihn
schlichtweg der Wille des Führers. „Tue, was der Führer will“ war die logische
Konsequenz. Das hat mit Kants Philosophie rein gar nichts mehr zu tun! Artikel online seit 31.03.25 |
Peter Trawny |
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