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Die Leere im Zentrum der Identität

Markus Metz und Georg Seeßlen analysieren in »Blödmaschinen II«
die Mechanismen und Strukturen
mit und in denen politische
Wahnvorstellungen hergestellt werden.


Von Jürgen Nielsen-Sikora
 

Bereits im Jahre 2011 nahmen Markus Metz und Georg Seeßlen die glücklich zu Ende verblödeten Menschen ins Visier, deren Bildung irgendwo zwischen IKEA-Katalog und Bild-Zeitung angesiedelt ist. Im Kern ging es in den „Blödmaschinen“ aber um weit mehr, nämlich um die Analyse jener Mechanismen und Strukturen, mit denen Dummheit produziert wird sowie um die folgenschweren Versuche, dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen: Wenn die Welt alles ist, was der Fall ist, der Fall aber immer nur Unterhaltung bleibt, wird Dummheit zu einem strukturellen Problem. Blödheit ist gleichwohl noch mehr als bloße Dummheit, Blödheit ist Dummheit plus Benommenheit.

Der erste Band der „Blödmaschinen“ setzte sich deshalb mit der „Fabrikation der Stupidität“ auseinander. Nun folgt Band 2 mit dem Untertitel: „Die Fabrikation der politischen Paranoia“.
Die Altphilologen wissen, dass sich der Begriff Paranoia aus „para“ und „nous“ zusammensetzt und so viel bedeutet wie „neben dem Verstand“ oder „wider die Vernunft“. Paranoid ist jemand, der an Wahnvorstellungen leidet. Der ICD-11, ein weltweit anerkanntes medizinisches Klassifikationssystem, versteht Paranoia als einen Aspekt von wahnhaften und psychotischen Störungen und auch als Merkmal der paranoiden Persönlichkeitsstörung. Zum Krankheitsbild gehören die Psychose, die Schizophrenie oder auch Halluzinationen. Symptome sind Zurückweisung, extreme Kränkbarkeit, Misstrauen, Angst. „Es gibt keine Blödheit ohne Angst“, heißt es gleich zu Beginn des Buches „Blödmaschinen 2“, in dem es im Kern darum geht, wie politische Wahnvorstellungen hergestellt werden.
Immer wieder verweisen Metz und Seeßlen in ihrer tiefschürfenden Analyse hierbei auf einen Aspekt, der meines Erachtens in allen Debatten über den Wahnsinn in der Politik der Gegenwart zu sehr außer Acht gelassen wird – auf die Infantilität der Herrschenden sowie auf jene politischen Anhänger, die diese Infantilität goutieren: „Donald Trump redet bizarren Schwachsinn mit dem Selbstgenuss eines verzogenen Siebenjährigen – und begeistert damit seine Anhänger*innen, weil er so deren Haltlosigkeit spiegelt.“ Politische Paranoia à la Trump als Spiegel gesellschaftlicher Haltlosigkeit – was also, wenn Trump nur das Symptom einer kranken Gesellschaft ist?
Auch Haltlosigkeit, besser: die haltlose Persönlichkeitsstörung gehört zum Klassifikationssystem des ICD. Mit ihr gehen psychopathische, egoistische und hedonistische Charaktereigenschaften einher. Menschen mit einer solchen Persönlichkeitsstörung sind oft hemmungslos und es fällt ihnen schwer, die eigene Identität an eine Zukunft oder Vergangenheit zu binden.

Wer es nicht schafft, eine stabile Ich-Identität aufzubauen, benötigt Kompensationsmechanismen. Rechte (wie linke) Erzählungen wimmeln deshalb von Gedanken und Ideen rund um das Thema Identität, die sich gegen äußere Feinde abgrenzen, ja, diese mitunter bekämpfen oder gar vernichten müsse. Mit diesen Erzählungen gehen nicht selten soziophobe Tendenzen einher. „Die rechte Erzählung“, schreiben Metz und Seeßlen, verbinde „auf eine unvergleichliche Weise zwei gegenläufige Impulse. Sie >erklärt<, legitimiert und belohnt soziophobes und soziopathisches Verhalten und Denken, und sie verspricht einen Ausweg, eine Lösung, eine Alternative dazu.
Hierbei sind drei Aspekte zentral: „Rache für den Systembruch, Hoffnung auf eine neue Gemeinschaft und Abwehr der Schuld.“ Das heißt, der Versuch, die (als Kind) erlebte Kränkung nicht immer wieder durchleiden zu müssen, dem Anderen die Schuld geben zu können oder dem Anderen all jene Dinge antun zu können, die einem selber hätten angetan werden können.
Hierbei springt ein Aspekt ins Auge, den Metz und Seeßlen wie folgt beschreiben: „Nicht die ökonomischen, sondern die kulturellen Gewinner des Kosmopolitismus werden gehasst. Die soziale Kränkung wird offensichtlich stärker empfunden als der materielle Nachteil.“
Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey haben vor diesem Hintergrund bereits 2022 dargelegt, wie in Zeiten zunehmenden gesellschaftlichen Drucks auf das Individuum dieses sich gegen Zustände auflehnt, die vermeintlich seine eigene Autonomie gefährden. In dieser für den Einzelnen problematischen Situation werden auch demokratische Institutionen mitsamt ihren Normen und Gesetzen als Beschneidung individueller Autonomie verstanden oder als Kränkung des Selbst wahrgenommen. Das (dissoziative) Selbst muss insofern, so die Überzeugung, aktiv gegen eine feindselige Außenwelt verteidigt werden.

Das Gefühl der Kränkung geht hierbei oftmals auf Kränkungen des Selbst in der eigenen Biografie zurück, die auf regressive Weise wieder und wieder reproduziert werden, weil frühe Kränkungen nicht aufgearbeitet worden sind und so unbewusst weiterwirken. Das „innere Kind“ meldet sich, wenn unbewältigte Konflikte der Kindheit das Handeln des Erwachsenen bestimmen und als bedrohlich empfundene Situationen jenen Situationen gleichen, die zu einem früheren Zeitpunkt die Autonomie des Selbst angetastet haben. Resultat: wachsender Zorn auf die staatliche Macht, die Wissenschaft und die Medien, als deren Opfer sich der Einzelne nun darstellt und zugleich nach neuen, anderen Opfern sucht, um selber keines mehr sein zu müssen.
Metz und Seeßlen ergänzen: „Das System, dem man nun feindlich gegenübersteht, hat versäumt, das Wesentliche zu liefern: Eine Beziehung zwischen Ich und Welt, auf der man ein Leben aufbauen kann.“ Die Sehnsucht nach dieser verlorenen Ganzheit bestimmt fortan auch die politische Einstellung.

Wer kein Leben aufbauen konnte, flüchtet sich unter Umständen in eine politische Paranoia. Diese äußert sich dann als „Einschüchterung, Übernahme, Erpressung und Gewalt.“ Tatsächlich neigen Menschen mit einer haltlosen Persönlichkeitsstörung oftmals zu Gewalt sowohl gegen sich selbst als auch gegen andere.
„Die rechte Erzählung … ist eine Maschine der Emotionen: Wer die Erzählung annimmt, darf kindisch sein.“ Zu diesen kindlichen Emotionen gehören dann eben auch Wut und Zorn. Das „Reich der ewigen Kindheit“ kennt hierbei keine Grenzen. Und „wenn es in der Wirklichkeit keine Lösungen“ für all die Probleme des Ich gibt, dann sucht sich dieses Ich die Lösung „in der Fantasie.“

Wer die Auftritte von Donald Trump oder Alice Weidel für bizarr hält, möge sich nur fragen, welche Form der Infantilität gerade die Oberhand gewonnen hat, welches Kind aus ihnen gerade spricht. Und wie viele ihrer Anhänger gerade ebenfalls in ein kindliches Verhalten zurückfallen.
„Die rechte Erzählung bietet … eine Erlösung von inneren und äußeren Widersprüchen.“ Es ist die „Angst vor innerer Auflösung und äußerer Überschwemmung.“
Die Angst vor dem Fremden rührt in diesem Zusammenhang daher, dass er derjenige ist, der dieses Geheimnis entdecken könnte: „die Leere im Zentrum unserer >Identität<.“

Wo Leere ist, fehlt ein Halt. Wo innerer Halt fehlt, bricht unbewusst die Sehnsucht nach äußerem Halt durch: Der Faschismus bietet einen solchen Halt: Strikte Hierarchien, klare Ordnung, Autoritätshörigkeit, Unterordnung, Willkür, Gewalt, Personenkult, Militarisierung und das Versprechen der Erneuerung.

Doch: „Solange es Kritik gibt, gibt es Hoffnung.“ Und allein deshalb sollte man diese ausgezeichnete Studie über politische Paranoia unbedingt lesen.

Artikel online seit 06.06.2025
 

Markus Metz,
Georg Seeßlen

Blödmaschinen II
Die Fabrikation der politischen Paranoia
edition suhrkamp 2846
348 Seiten
22,00 €
978-3-518-12846-6

Leseprobe & Infos

 


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