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Eine Liebeserklärung |
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Der Mann ist Schauspieler, einer der besten auf den deutschsprachigen Bühnen, ein Star, in Hamburg, Wien, Berlin. Der Mann ist Schriftsteller, einer der erfolgreichsten der letzten Jahre. Was immer er anpackt, es wird zum Erfolg. Aber irgendetwas ist mit dem Mann nicht in Ordnung. Seine Genialität und sein Erfolg sind (irgendwie) teuer erkauft. Dabei sind alle seine Bücher großartig. Immer beschreibt er Szenen, die kein Leser vergessen wird. Nach fünf Büchern, in denen Meyerhoff das Leben seiner Familie erzählt, macht er in seinem sechsten Band eine Liebeserklärung an seine inzwischen 86-jährige Mutter. In Wien ereilt ihn mit Anfang fünfzig ein Schlaganfall. Einige Jahre später zieht er mit seiner zweiten Frau und dem kleinen Sohn nach Berlin. Doch alles ist ihm zu laut, zu hektisch, außerdem hadert er mit seinem Beruf als Schauspieler. Er zieht für zehn Wochen zu seiner Mutter an die Ostsee, die dort ein großes Haus mit riesigem Garten hat. Er bewundert ihre Selbständigkeit, ihre Stärke, ihre Fröhlichkeit und auch ihre Trinkfestigkeit.»Seit Wochen habe ich nichts geschrieben und das, obwohl sich in meinem Kopf die Geschichten tummelten.« Hier, bei seiner Mutter, hat er die Muße, die teilweise irrsinnigsten Erlebnisse und Anekdoten, auch aus seinem 30-jährigen Theaterleben, niederzuschreiben und, was ganz wichtig ist, sie ihr auch sogleich vorzulesen. Am Theater wird »Der Sturm« von Shakespeare aufgeführt. Er ist der Luftgeist Ariel. Wenn der Meister ihn ruft, rutscht Ariel vom Schnürboden eine sechs Meter lange Stange hinab auf die Bühne. Hinter der Bühne befördert ihn ein winziger Fahrstuhl wieder auf den Schnürboden. Die Szene wiederholt sich mehrmals. Auf halbem Weg nach oben ist plötzlich alles dunkel, der Fahrstuhl steht, Ariel steckt fest. Der Meister ruft: »Ariel, komm runter«. Es rührt sich nichts. »Ariel, wo bist du denn?« Ich brüllte von weit hinter der Bühne aus dem Fahrstuhlschacht »Ich komme. Meister! Ich komme«. Das Rufen wird ungeduldiger. Ariel: »Es gibt Probleme.« Der Meister: »Was denn für Probleme?« Ariel: »Große Probleme.« Endlich befreit ihn ein Bühnenarbeiter. Ariel kann die Stange hinunter rutschen. Das Publikum hat nichts bemerkt. Oder: Die Grundschüler müssen eine Fahrradprüfung ablegen. Die Schüler haben lange dafür geübt. Der Polizist und seine Helferin sind gnadenlos. Sie machen ihnen kaum Hoffnung, im Straßenverkehr zu überleben. Bei jeder kleinsten Übertretung schreien sie: »Jetzt wärst du tot.« Beim Abbiegen: Blick nach hinten vergessen: »Tot«. Beim Abbiegen: die Hand nicht ausgestreckt: »Tot«. Meyerhoff beim Friseur. Zusätzlich zum Haarschnitt schlägt der ihm vor, die Nase und die Ohren von dem übermäßigen Haarwuchs zu befreien. Mit dem hartgewordenen Wachs reißt er brutal die Haare heraus, Meyerhoff tobt erst, dann fällt er fast in Ohnmacht. Oft haben die Geschichten eine ungeheuerliche Pointe, oft sind sie aber auch tieftraurig, weil man dahinter einen vom Leben gebeutelten Menschen erkennt. Meyerhoff verfügt über ein unerschöpfliches Reservoir an solchen Geschichten. Dabei ist es völlig gleichgültig, ob sie wirklich erlebt wurden oder ob sie seiner Phantasie entsprungen sind. Die Mutter ist eine sehr gute Radfahrerin, hat aber ein Problem, sie kann nicht normal absteigen. Also nähert sie sich einer Wand oder einem Zaun, streift dort entlang, wird dadurch langsamer und kann, kurz bevor das Rad umkippt, absteigen. In den Katakomben des Gorki-Theaters hatten die Schauspieler zu DDR-Zeiten eine unterirdische Sauna und Duschen. In den Pausen gingen sie in die Sauna, um zu entspannen, die Lautsprecher wurden laut aufgedreht, »damit sie die Auftritte nicht verpassten«. Die Autofahrten mit seiner Mutter und den beiden sich ständig streitenden Brüdern haben einiges bewirkt: »Durch jahrelanges Übertrumpfungstraining hatten wir völlig andere Lungenvolumen als kurzatmige Einzelkinder, denen ihre Wünsche von den Lippen abgelesen werden.« Abwechselnd beschreibt Meyerhoff sein Leben mit der Mutter in der Abgeschiedenheit und Anekdoten aus seinem Leben und der Theaterzeit. Er schreibt mit Witz und viel Selbstironie, wobei er das Verhältnis zwischen Komik und Tragik gut ausbalanciert. Auch die Situationen, in denen er sich blamiert, hyperaktiv und jähzornig ist, beschreibt er schonungslos. Typisch ist auch das Ende. Die Mutter, der er in diesem Buch ein grandioses Denkmal gesetzt hat, wird im letzten Satz zitiert. »Ich würde ehrlich gesagt, lieber doch nicht drin vorkommen«, worauf Meyerhoff nur eine kurze Antwort hat. »Na, bravo.« Und, wie man sehen, bzw. lesen kann, sich nicht darum schert. Es ist diese Lakonie, die ihn auszeichnet. Er verfügt über eine Sprache, die vielleicht am Theater geschult, sicher aber dem Leben angemessen ist. Artikel online seit 29.01.25 Wir danken Strandgut - Das Kulturmagazin für Frankfurt & Rhein-Main |
Joachim
Meyerhoff |
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