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Die
Rationalität des Theismus |
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Die Natur mit ihrer Geschichte ist eine Schöpfung ihrer selbst. So lautet eine Weltauffassung, die dem gesunden Menschenverstand ebenso einleuchtet, wie sie auf keinen Widerspruch zeitgenössischer Philosophien trifft. Der Satz kann keineswegs für wahr gelten, er ist im Gegenteil ein unhaltbarer Glaubenssatz, so Karl Heinz Haag. Sein Werk ist gegen ein Verständnis der Naturwissenschaften gerichtet, das sie als Welterklärung missversteht. Solches Missverständnis erbt sich beständig fort; der von der historisch jeweils dominanten Einzelwissenschaft erzielte Fortschritt im Naturverständnis nährt es. Von Kopernikus zu Newton, von Darwin bis zur Zellbiologie der Gegenwart: Die vermeintliche Erklärungsmacht der Naturwissenschaften in Beantwortung der Frage, wie die Genese des Kosmos zu denken sei, hat eine lange Geschichte. In diesem Sammelband schreiben Philosophen und Theologen, Studenten und Professoren, Autoren mit Renommee in ihrer Fachdisziplin wie solche, die mit der Unbefangenheit des Fachfremden urteilen. Der Metaphysiker, dem ihre Aufsätze gelten, taucht langsam aus der Versenkung auf. Zeitungsartikel sind ihm gewidmet, eine Website im Internet und Kapitel neuerer Studien über die als Frankfurter Schule gelabelte Kritische Theorie. Naturgesetze reichen nicht hin, um die Erzeugung eines Naturdings zu erklären; damit es entsteht, bedarf es eines die Naturgesetze und -stoffe organisierenden Zwecks. Ohne solche Zwecksetzung würde die Beziehung auf ein Ganzes fehlen, das doch mehr ist als die Summe seiner Teile. Ihre zweckdienliche Koordination können die Gesetze nicht selbst bewirken, was auf eine metaphysische Dimension der Natur verweist. Diese Dimension ist naturwissenschaftlich nicht fixierbar, aber ohne sie Natur denken zu wollen, ist irrational. Es sei denn, ein die einzelnen Gesetze koordinierendes Supergesetz wäre mit der auf dem Experiment beruhenden Methodik der Wissenschaft demonstrierbar. Das ist in nuce Haags Argumentation. Er verneint also mit Kant, „daß bewiesen werden könnte, die Dinge der Welt wären an sich selbst zu dergleichen Ordnung und Einstimmung, nach allgemeinen Gesetzen tauglich.“ Wenn Kant die Vernunftkritik aber schon geleistet hat, wozu dann noch Haag? Der diesen Band eröffnende Aufsatz klärt auf. Der spätere Metaphysiker verhält sich zum früheren wie jede philosophische Theorie zur Vorläufertheorie, deren zentrale Widersprüche sie auflösen will, so Günther Mensching. Und widersprüchlich ist Kants Verständnis der Naturgesetze, die sein transzendentaler Idealismus auf der Subjektseite ansiedelt. Was Hegel noch überbietet: Die Natur als bloße Entäußerung des Geistes. Haag, so sein Interpret Mensching, arbeitet neben den Kantischen und den Hegelschen auch die Widersprüche der Kritischen Theorie ab. Diese gründeten darin, die Logik der Naturwissenschaften mit der Logik von Herrschaft gleichzusetzen. Dienstbar als Instrument um äußere und menschliche Natur zu unterwerfen, sei die Vernunft mitverantwortlich für die dem Prozess der Aufklärung stets immanente Gefahr, in die zivilisatorische Katastrophe umzuschlagen. Die Selbstzerstörung der Aufklärung scheint ausweglos. Für Haag dagegen sind die Naturwissenschaften nicht bloß Mittel der Naturbeherrschung, die ihre Objekte verfehlen, weil sie nur ihre quantitativen Relationen erfassen, sondern er sieht sie veranlasst, ihren Objekten ein unverfügbares Wesen, ein Ansichsein zuzuerkennen, denn ohne ein solches fehlt der rationale Grund für die Konstanz der Naturgesetze. Diese Haagsche Schlussfolgerung, so Mensching, ist zwingend, wird die naturwissenschaftliche Methode einer erkenntnistheoretischen Reflexion unterzogen. Den Naturgegenständen eignet demnach ein Allgemeines, eine Wesensschicht; sie sind nicht, wie der Nominalismus behauptet, zerstreute Einzeldinge. Zugleich gibt es kein Zurück hinter die nominalistische Kritik der Metaphysik. Deren Wesens- und Substanzbegriffe sind Abstraktionen der philosophierenden Subjekte, die die traditionelle Metaphysik als das Innere und den Grund der Objekte missverstand. Wenn aber der Begriffsrealismus der Tradition so wenig taugt wie der Nominalismus der nachmetaphysischen Moderne, wie ist dann philosophischer Fortschritt zu denken? Mensching resümiert: „Naturwissenschaft und Philosophie können ihre Erkenntnisse nicht allein aus dem Gegebenen, durch Erfahrung aus der empirischen Welt begründen. Der Grund ihrer Wahrheit liegt in einer Transzendenz, für die es eine Gewissheit gibt, allerdings nicht in einer affirmativen Dogmatik. Diese Gewissheit ergibt sich nur negativ, aus den unausweichlichen Aporien aller bisher aufgetretenen Denksysteme.“ Die in diesem Buch vertretenen Theologen schließen mit ihren Reflexionen an den Wesensbegriff an. Stephan Herzberg fächert ihn auf und widerlegt ganz nebenbei ein gängiges Vorurteil über sein Fach, denn es geht bei ihm ohne Berufung auf Dogmatik oder auf Glaubensgewissheit zu. Man liest eine subtile Abhandlung über die Frage, ob sich über die Konstitution des Gegründeten aus seinem Grund, des Einzeldings aus seinem Wesen etwas wissen lässt. Sie sind als Einheit zu denken, nicht im Sinn einer das Singuläre abwertenden Hierarchie; zumindest dies lässt sich wissen. Diesen Gedanken nimmt Haag von seinem Lehrer Caspar Nink auf, wie Herzberg zeigt, und man geht nicht fehl, hört man das Echo dieses Gedankens aus dem emphatischen, für die Kritische Theorie so zentralen Begriff des Nichtidentischen heraus. Das Allgemeine und das Besondere, das Wesen und seine Erscheinung sind demnach verschränkt. Ist diese Verschränkung nicht mit dem Hegelschen Begriff als Vermittlung zu fassen? Für Hegel sind Allgemeines und Besonderes, Grund und Gegründetes, Wesen und Erscheinung zu überwindende Reflexionsbegriffe. Die Welt aus einem göttlichen Prinzip hervorgegangen zu denken, macht in seiner Philosophie keinen Sinn. Der frühe Haag gewann dem Vermittlungsbegriff viel ab, aber seine reife Metaphysik ist nicht mehr Hegel-affirmativ. Sie respektiert die Grenze, die Kant der an Erfahrung gebundenen Vernunft gezogen hat. Der die Differenz von Wesen und Erscheinung einziehende Positivismus - Haag sieht in Hegel den Vorbereiter - ist so unhaltbar wie eine affirmative Metaphysik, die sich über das der Erfahrung Transzendente inhaltliche Erkenntnis anmaßt. Maßt sich Thomas von Aquin diese Erkenntnis an? Herzberg bezweifelt Haags Lesart. Die Schöpfungstheologie des Thomas gehe doch von der Unergründlichkeit der Dinge aus, denn göttlicher und menschlicher Intellekt seien bei ihm nicht identisch. Auch Theo Kobusch lässt Haags Kritik der thomistischen Abstraktionslehre nicht gelten; er affirmiert diese Lehre. Abstrahieren sei bei Thomas kein Absehen vom Akzidentiellen, das sich selbst als Wesenserkenntnis missdeute, sondern ein dem menschlichen Intellekt zukommendes Vermögen, das den Gegenstand zu seinem wahren, wesenhaften Ganzen erst ergänze. Kobusch verteidigt den frühen Haag gegen den späten. Er setzt sein Vertrauen in die Arbeit des abstrahierenden Begriffs, ein Vertrauen, dem Haag Valet sagt, denn ihm gilt solcher Begriff als bloße Imitation und Verdoppelung seines Gegenstandes. Kobuschs Aufsatz endet gleichwohl gar nicht hegelianisch. Er verweist auf einen Haagschen Text mit dem Titel Das Unwiederholbare, den er ein „einzigartiges metaphysisches Glanzstück“ nennt. Was ist das Unwiederholbare, das durch keine Abstraktion auf den Begriff zu bringen ist? Kein Was, sondern ein Wer: „Die jüdische Religion hatte eine Ahnung davon, als sie das Verbot erlies, der ‚Einzigkeit‘ Gottes einen Namen zu geben.“ Peter Kern redet einer Revision der auf den Linkshegelianismus zurückgehenden Religionskritik das Wort und sieht darin die Konsequenz der von Haag so bezeichneten ‚rationalen Gotteserkenntnis.‘ Der Essay von Kern ist der politischste Aufsatz dieser Textsammlung. Nun hat Haag eine negative Metaphysik geschrieben, keine praktische Philosophie und schon gar keine politische Theorie. Aber dem Metaphysiker geht es nicht bloß um die Korrektur eines erkenntnistheoretischen Irrtums, sondern um die Korrektur gesellschaftlicher Verhältnisse, so Kern. Dass die analytische und die sprachpragmatische Philosophie den Begriff eines Inneren der Naturdinge und des Menschen für Mystizismus halten, sei vielleicht verkraftbar. Solcher Positivismus legitimiere jedoch das ökonomische Verhältnis zur äußeren Natur. Die Verheerung des Bodens, der Luft und der Meere sei die Folge der von Kapitalfetisch und Akkumulationszwang gesteuerten Ökonomie, die sich keiner Rücksicht auf ein solches Inneres verpflichtet glaube. Kern gibt den von Haag entschlüsselten Zusammenhang wieder. Aus dessen Reflexion, wonach jedes Naturgebilde mehr sei als seine naturwissenschaftlichen Parameter, schlussfolgert er die Aufforderung, die in den Industrien tätigen Naturwissenschaftler über das Defizit ihres Fachs und ihres Tuns aufzuklären. „Die Erfahrungswissenschaften zerstörten das religiöse Weltbild, aber sie führen auch über die empirische Welt hinaus, wenn sie auf ihre eigene Voraussetzung reflektieren; das ist Haags Hoffnung. Warum soll ein Chemiker oder Physiker dieser Reflexion nicht fähig sein?“ Kerns Hoffnung geht auf politisierte Berufsgruppen und eine erneuerte religiöse Welterfahrung. Die in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen tätigen Naturwissenschaftler gelten ihm, dem ehemaligen Gewerkschaftssekretär, als die Träger der Produktionsprozesse, und ihr physikalisch aufgeklärtes Bewusstsein hält er einer zweiten metaphysischen Aufklärung für fähig. Ob ihm bewusst ist, dass die erste Aufklärung, die er durch eine zweite ergänzt sehen will, mit der Trennung von Staat und Religion der westlichen Welt einen unermesslichen zivilisatorischen Fortschritt brachte und Jahrhunderte von Glaubenskriegen beendete? Haag als politischen Autor zu lesen, ist nicht abwegig, zeigt Hermann Kocyba, indem er auf eine historische Konstellation verweist, die wenigen noch bekannt sein dürfte, denn das annus mirabilis 1968 liegt nun bald 6 Dekaden zurück. Haag hatte als akademischer Lehrer eine treue, im Milieu der radikalen linken Studenten beheimatete Hörerschaft, darunter der theoretische Kopf der Frankfurter Studentenbewegung, Hans-Jürgen Krahl. Dessen an die Marxschen Kategorien anschließenden Reflexionen galten dem sensualistisch nicht wahrnehmbaren Wert, einer ‚daseienden Abstraktion‘, die als entfaltetes Kapital die reale Welt der Dinge und Menschen, der Gebrauchswerte und Bedürfnisse, zu seiner bloßen Erscheinung herabsetzt. Das Wesen als Unwesen; das war die erste Frankfurter Lektion. Bei Haag lernt Krahl die zweite: Die äußere Natur, mit der die bürgerliche, wie jede Gesellschaft ihren Stoffwechsel organisieren muss, verweist auch auf ein den erscheinenden Dingen zugrunde liegendes Wesen. Aber dieses Wesen steht für die Wahrheit, nicht für die Unwahrheit ein. Krahl ist die Intention seines Lehrers Haag natürlich nicht entgangen. Aber theologisch zu argumentieren, wie hätte das angehen können in einem 68er Milieu, das seinen eigenen Konformismus erzeugte? Wolfgang Bock geht der Konstellation Adorno und Haag nach. Was hat der Ältere dem Jüngeren zu verdanken und umgekehrt? Bock bezieht sich vor allem auf die Negative Dialektik und auf die Randbemerkungen wie Unterstreichungen des Haagschen Exemplars, das ihm offensichtlich zugänglich war. Sich daraus einen Reim zu machen, ohne die Vorlage wie ein Turiner Schweißtuch anzusehen, war die selbst gestellte Aufgabe. Es sind die den absoluten Idealismus kritisch kommentierenden Stellen, denen Haags Zustimmung gilt, so erfährt man. Die Negation des Negativen, ein Prunkstück der Hegelschen Philosophie, liest Haag mit Adorno als Verrat am kritischen Widerspruchsgeist und als Feier der Affirmation. Das Negative werde wie in der Umgangssprache zum Schlechten, das es zu überwinden gelte. Der Vorrang des Objekts, ein für Adorno zentraler Gedanke, wie Bock erinnert, weist den Erzeugungsidealismus in seine Schranken und schließt an Kant an, dessen Naturauffassung dem erkennenden Subjekt seine Grenze zieht. Haag greife Adornos Kritik der Identitätsphilosophie auf und entwickele daraus seine negative Metaphysik, schreibt Bock. Rasch sieht er die Grenzen seines Verfahrens, gleichsam graphologisch auf Spurensuche zu gehen. Haags Randnotizen geben kleine Hinweise darauf, wie sich sein Werk zu dem von Adorno verhält. Wer es genauer wissen will, muss wohl Haags Bücher lesen. In dem besprochenen Buch ist ein bislang unveröffentlichter Text Haags publiziert. Der Herausgeber hat ihn unter den Titel Zentrale Probleme der abendländischen Philosophie gestellt. Es sind im Zusammenhang mit seinem letzten Werk entstandene Notizen, und die halten, was der Titel verspricht. Zu Miszellen ausgewachsene Notate zog Haag vielleicht als Fußnoten in Erwägung, manche sind Formulierungsvarianten, einige dienen der Selbstverständigung. Das Fragment mindert das Ganze nicht herab, sondern verhält sich wie ein Kommentar dazu. Es enthält Rohmaterial, an dem Haag sicherlich noch gefeilt hätte, damit Sätze von der präzisen Diktion entstehen, die man von ihm kennt. Als Beispiel für die Güte der Notizen, hier eine über den Empirismus als Vorbereiter der modernen, nachmetaphysischen Philosophie: „Menschliches Denken hat es in seinen Erkenntnissen auch hier immer nur mit subjektiven Ideen zu tun. Diese Ideen sind nach David Hume abgeschwächte Impressionen, Impressionen, die sich verallgemeinert haben, – nichts weiter. Was solchen Ideen a parte rei entspricht, der Idee „Mensch“ etwa, das vermögen Hume und der Empirismus nicht zu sagen. Für sie bleibt das einzelne Bewusstsein in seinen realen Erkenntnissen beschränkt auf seine Impressionen, über die es nicht hinaus kann, weil es von der Dimension des Ansichseins der Phänomene keine Impressionen empfängt. Und weil von ihr menschliches Bewusstsein keine Impressionen besitzt, darf von ihr auch nicht behauptet werden, dass es sie gibt. Der Empirismus folgert aus der Unerkennbarkeit der Dinge an sich die Nichtexistenz von allem, was nicht durch Impressionen menschlichem Bewusstsein gegeben ist. Darin besteht sein Nihilismus… Vom humeschen Empirismus führt der Weg unmittelbar zum modernen Positivismus: zu der These, dass real nur das sei, was in menschlicher Erfahrung positiv gegeben ist.“ Haag vermeidet in seinen Notizen wie in seinen Büchern strikt das Wort Ich, eine Abstinenz, die seiner Rezeption im Wege stehen dürfte, prämiert die bürgerliche Öffentlichkeit doch das narzißtische Prinzip der Selbstvermarktung. Mit Haag ließe sich kommentieren: „In einer wesenlosen Welt nehmen die wesenlosen Subjekte sich selber für ihren eigenen Sinn.“ Seine Erbin und Nachlassverwalterin Friderun Fein schreibt mit dem Takt der wahren Freundin. Sie steuert über den Philosophen aus der Frankfurter Vorstadt Biographisches bei, ohne Anekdötchen zu liefern oder ihn dem Blick durchs Schlüsselloch auszusetzen. Zeit seines Lebens bewohnte er sein Elternhaus in Höchst, das ihn, nach seinem Verzicht auf eine akademische Karriere, mit kleinen Mieteinnahmen knapp über Wasser hielt. Er begriff es als seinen ‘locus standi‘. Max Horkheimer bot ihm finanzielle Unterstützung an, Haag nahm sie nicht in Anspruch. Ein ‚leises Leben’ wollte er führen, das war seine von Fein wiedergegebene Maxime gewesen. Die Freundin trug umsichtig dafür Sorge, dass leises Leben und großes Werk in einem Spannungsverhältnis standen. Auch Mathias Jehn, Leiter des Archivzentrums der Frankfurter Universitätsbibliothek, trägt zur Sicherung des Werks bei. Sein Beitrag gibt einen Einblick in die übernommenen Archivalien, darunter eine Nachschrift von Haags letzter Vorlesung, darunter weitere, die Aporien der Kritischen Theorie betreffende Notizen. Die Akademie hat Haag also doch noch in Ehren aufgenommen. Die Akademie? Als er sich Anfang der 70er Jahr von ihr zurückzog, war längst deutlich, worauf es mit ihr hinausläuft. Heutige Universitäten gleichen den Fraunhofer Gesellschaften oder den Helmholtz-Instituten, mit denen sie um Drittmittel konkurrieren müssen. In ihrem Milieu gedeiht prächtig, was die Kritische Theorie instrumentelle Vernunft nennt. André Möller, AStA-Referent für politische Bildung, denkt über den außeruniversitären locus standi Haags nach und stellt ihm die vielfältigen außeruniversitären Aktivitäten Adornos gegenüber. Der tourte regelrecht durch die deutsche Provinz, war im Radio vertreten, hatte Zugang zu den großen Feuilletons, und all dies lief parallel zum Schreiben seiner Bücher und seinen universitären Verpflichtungen. Möllers Essay kreist um den Begriff aufklärender Praxis. Adornos Präsenz im Rundfunk verdanken wir Texte, die an Aufklärung über das von rechter Rhetorik verspritzte Gift noch immer mehr zu bieten haben als die schnell herausgehauene heutige Literatur. Und Haag? Der ließ sich von der Baseler Universität zu zwei Vorträgen einladen und hielt ein paar im Rahmen der hessischen Lehrerfortbildung, die ihm sein Freund Hubert Fein vermittelt hatte, mehr nicht. Möller schreibt, „Haag erkauft die Ruhe zum Denken und zum Schreiben, die die Akademie bedroht, mit dem Verlust der Unruhe des Diskurses, dem sein Denken gilt und gelten muss, wenn es an vernünftigen Zustanden interessiert ist.“ Ist da was dran, sind an Haag wesentliche Debatte vorbeigegangen? Hätte er seinen Widerspruch zum nachmetaphysischen Denken formulieren müssen? Er hat es getan; seine Metaphysik als Forderung rationaler Weltanschauung sagt doch schon im Titel, wie er sich die fortgeschriebene Kritische Theorie denkt.
Der letzte Aufsatz fasst
Debatten der Tagung, aus der diese verdienstvolle Publikation hervorgegangen
ist, zusammen. Nils Richber verhandelt erneut den Praxisbegriff. Sie ist nicht
der Prüfstein der Theorie, wie die Schlichten unter den linken Gemütern einmal
zu wissen glaubten, sondern sie besteht im Interesse vernünftiger Verhältnisse
auf ihre Autarkie. Die von den Feuerbach-Thesen geforderte praktisch-kritische
Tätigkeit klingt an. Was das mehrfach thematische stille Leben Haags angeht, das
dem oberflächlichen Blick fast als Asozialität erscheint, so steht Richber nicht
an, den Wesensbegriff in Anspruch zu nehmen, um den Metaphysiker zu
charakterisieren: „Die Zurückgezogenheit Haags lässt sich…in Kontinuität zur
Intention begreifen, den Bezug auf das An-Sich negativ in der Unterbrechung des
Für-Anderes und Für-Andere zu behaupten. |
Peter Kern
(Hg.) |
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