Ein kleiner Club
Dieses Büchlein aus dem
Eulenspiegel Verlag kommt wie eine reziproke Mao-Bibel daher: Rot, klein und
voller flotter Sprüche für alle Lebenslagen. Nur soll damit nicht eine
sozialistische Zukunft unterstützt werden, sondern eine liberalistische
Gegenwart. Angeblich handelt es sich um ein Regelwerk für Milliardäre, das diese
nur unter sich herumreichen. Die Anleitung sei nur durch Zufall in die Hände des
Herausgebers gefallen. Und dieser macht sich nun daran, die Öffentlichkeit
darüber zu informieren.
Profiteure der Ungerechtigkeit
Eine solche Information
tut Not, wenn das Szenario auch, wie man unschwer bemerken kann, gefaked ist.
Die Physik kennt den Satz von der Umkehrbarkeit des Lichtwegs: Was angesehen
werden kann, vermag zurückzuschauen. Diese Metapher, die in der
Naturwissenschaft eine wichtige Rolle als eine Generalklausel spielt, stammt aus
der Theologie. Sie ist die aufgeklärte Gegenthese zu Verhältnissen, in denen
Gott auf die Welt schaut und den Menschen sieht. Dieser aber erblickt umgekehrt,
wenn er in den Himmel schaut, nur Wolken. Diese Sichtweise sollte sich mit der
Aufklärung und der Herrschaft des Bürgertums, das statt auf Privilegien und
Geburtsrecht nun offiziell auf Bildung und Wissen setzt, umkehren. In dem Maße
aber, wie sich in der bürgerlichen Gesellschaft eine neue Form von Geldadel
bildet, lösen sich die Gleichheitsversprechungen der demokratischen Gesellschaft
auf. Heute haben wir es weltweit mit neoliberalen Verhältnissen zu tun, die von
einer Finanzaristokratie zusammengehalten werden, den Milliardären. Das
US-Wirtschaftsmagazin Forbes veröffentlicht seit 1987 eine entsprechende
Liste. Die reichsten Männer der Welt sind demnach der Franzose Bernhard Arnauld,
gefolgt von den drei amerikanischen Techmilliardären Elon Musk (Tesla),
Jeff Bezos (Amazon) und Mark Zuckerberg (Meta). Die Anzahl der
Milliardäre hat sich seit dem Jahre 2000 danach mehr als vervierfacht und
beträgt heute 2640 Personen.
Zwischen Skylla und Charybdis
In den USA stellt das
die Wähler regelmäßig vor die Zwickmühle, sich entweder diesem Neoliberalismus
der Demokraten anzuschließen oder den nationalistisch daherkommenden
Willen-zur-Macht-Phantasien Trumps. Donald Trump selbst gehört zu beiden
Lagern. Als Immobilientycoon zählt er zu den reichsten Männern der Welt und
profitiert vom Neoliberalismus der Globalisierung. Als Stimme des Volkes, den
Gott angeblich auserwählt hat, um den kleinen Mann in Amerika wieder groß werden
zu lassen, nimmt er den Kampf gegen Die da oben auf. Dass er selbst zu Denen da
oben gehört, tut seiner Rhetorik keinen Abbruch. Damit ist er der Vorreiter
einer nationalistischen populistischen Bewegung geworden, die seit einiger Zeit
im Moment die politische Sphäre weltweit umtreibt.
Die Internationale der Nationalisten, die mit Vorliebe massenfeindliche
Massenbewegungen organisiert, trifft sich bei der Amtseinführung von Jair
Bolsonaro in Rio de Janeiro ebenso wie bei der zweiten vom Trump in Washington,
mit dabei diesmal Musk, Bezos und Zuckerberg. Dabei sind die Taten der Großen
nur die erfüllten Phantasien der Kleinen, die diese bewirkt haben. Die
Verhältnisse verhalten sich umgekehrt: Wer groß erscheint, ist nur ein
Scheinriese; er kann es nur sein, weil die anderen, die klein sind und klein
bleiben, ihm diese Größe erlauben. Wenn im Leviathan von Thomas Hobbes
die Einzelnen ihr Naturrecht über sich an den König abgeben, so übernimmt in der
Finanzoligarchie das Geld diese Mittlerrolle. Die Ökonomie funktioniert im
Großen wie eine Tombola: Nur weil es auf der einen Seite viele Nieten gibt, gibt
es auf der anderen die Hauptgewinne. Dieses Prinzip ist alt. Das Versprechen der
Reichen des Neoliberalismus bleibt dasjenige der Physiokraten des 19.
Jahrhunderts. Ihr politisches Credo ist und bleibt: „Bereichert euch!“ – „Wenn
ich es kann, kannst Du‘s auch!“ – „Jeder ist seines Glückes Schmied!“ Diesen
Parolen zu folgen, statt die Gerechtigkeit in die eigene Hand zu nehmen, führen
damals wie heute die Menschen auf die Leimrute der gesellschaftlichen
Ungerechtigkeit. An dieser fliegen die einen bei ihrer Karriere buchstäblich
vorbei, während die anderen kleben bleiben und nicht vorwärtskommen.
»Ich
habe nichts gegen Fremde, aber dieser Fremde ist nicht von hier.«
An diesen Verhältnissen
spielt Desinformation eine wichtige Rolle, Subjektivität ist darin, wie Rudolf
zur Lippe sagt, ein objektiver Faktor. Wenn die Klientel der Mächtigen in den
von der Kulturindustrie organisierten Himmel schaut, dann wird ihr Blick
angezogen von der politischen Klasse. Die Wutbürger richten ihr Begehren und
ihre Emotionen auf die Politiker der Gegenseite, die sie mit Geschrei und
Henkersphantasien bedenken. Dass darüber aber in dem Gesellschaftsbau, der einen
Wolkenkratzer gleicht, Meinungsmacher am Werk sind, die den status quo in
ihrem Sinne interpretieren, entgeht den kleinen Männern und Frauen. Sie toben
sich lieber in den sozialen Medien aus, laufen auf der Straße umher und
verprügeln mit Vorliebe Fremde und Grüne.
Ein Handbuch
Hier kommt
»The
Billionaire’s Bible« ins Spiel. Diese
gleicht in Wahrheit weniger den Worten des großen Vorsitzenden Mao als vielmehr
Ratsgeberwerken zur Lebenskunst – wie etwa das Handorakel von Baltasar
Gracián aus dem 17. Jahrhundert, Schopenhauers Eristische Dialektik. Über die
Kunst Recht zu behalten oder modernen Lesebüchern für Dialektiker wie die
121 Keunergeschichten von Bertolt Brecht.
Sie ist, klein wie sie ist, dennoch verwandt mit der Großen französischen
Enzyklopädie von Diderot, Voltaire und d’Alembert. Und so ähnelt die Anlage
des Büchleins mit ihren Stichworten mehr dem Materialienteil von Walter
Benjamins unvollendet gebliebenen Passagenwerk als allem anderen. Aus der
Not Benjamins, der sich in die Materialien gestürzt hat und nicht mehr die Zeit
hatte, aus ihnen aufzutauchen, macht der Autor der
»Billionaire’s
Bible« aber eine Tugend.
Vollständigkeit ist ihm kein Ideal, vielmehr: die Anregung. Er malt die Welt der
Milliardäre nicht komplett aus, sondern gibt nur die einzelnen Segmente des
Kreisbogens ihres Kosmos. Auf diese Weise kann sich jeder Leser und jede Leserin
ein eigenes Bild machen.
Wortallegorien
Diese Bilder sind
Wortallegorien, der Text ist ein Bilderbuch der Wörter. Die entsprechenden
Assoziationen tauchen auf, sobald man eines der 75 Stichworte gelesen hat. Diese
teilen sich in Gut und Böse: Börse und Banken, Hedgefonds, Privatisierung,
Lieferdienste stehen gleichsam auf der Habenseite, während man von den anderen –
wie Kulturleben, Film, Wohnen, Gesundheitsversorgung, Haltbarkeit oder
Geflüchtete – in dieser Welt schon nichts mehr wissen will. Jeweils findet sich
auf der linken Seite ein Zitat eines Milliardärs und auf der rechten Seite ein
entsprechender Kommentar. So lesen wir beispielsweise unter der Nummer 71 ein
Zitat von Elon Musk: „Als nächstes kaufe ich Coca-Cola, um das Kokain wieder
zurückzubringen“. Und der Kommentar dazu lautet:
»Die Produktion und
Distribution von Drogen liegt zum großen Teil in den Händen von Gruppen, die
nicht Bestandteil des etablierten und kompetenten Geschäftslebens sind. Die
partielle Legalisierung von Marihuana in den USA und anderen Staaten zeigt,
welcher Weg einzuschlagen ist. Es geht um die weltweite Legalisierung aller
Drogen, um sie zu einem lukrativen Geschäftsfeld zu machen, das in Unternehmen,
Konzernen und an der Börse gemanagt wird. Dass zurzeit Milliarden von Dollars in
dunklen Kanälen verschwinden, ist ein unhaltbarer Zustand, der in Absprache mit
den jeweiligen Regierungen so schnell wie möglich beendet werden muss.«
Advocatus Diaboli
Ob das Verhältnis von
informeller und formeller Ökonomie hier richtig wiedergegeben wird, mag in
Zweifel stehen. Das Werk ist jedenfalls eine Mischung aus Schreck und
Aufklärung. So kann man sich auch in schwierigen Zeiten zumindest grob
orientieren, wenn man vor lauter Dementi und dem Hin und Her der Debatten in den
Medien nicht mehr weiß, was gesagt worden ist. Deutlich sollte so auch dem
Letzten werden, wer die wirkliche Gefahr für die Demokratie darstellt. Es sind
weder die bösen Russen noch die brutalen Amerikaner, ja nicht einmal die FDP und
die Mächte hinter der AfD und Friedrich Merz in Deutschland. Sondern es ist eine
Organisation des Wirtschaftslebens, die nach Karl Marx mit dem tendenziellen
Fall der Profitrate ihrem Untergang entgegenstrebt, aber in der Realität
anscheinend noch 100.000 Jahre an der Macht bleiben kann. Da aber Unbewusstsein
oder Bewusstsein einen Faktor in dieser Machtkonstellation darstellt, ist dem
kleinen Büchlein eine große Leserschaft zu wünschen.
Artikel online seit 01.02.25
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Matthias Duderstadt
The Billionaire’s Bible
Eulenspiegel Verlag
160 Seiten
Nur echt im Mao-Bibel-Format!
10,00 €
978-3-359-03064-5
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