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45 Jahre gelebte Literaturgeschichte Von Jürgen Nielsen-Sikora |
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Köln, Albertusstraße, unweit des Rheins und des Doms: Seit 45 Jahren öffnen sich
hier die Türen zur Buchhandlung von Klaus Bittner. Wer die Räume nicht kennt,
mag darin zunächst nichts Ungewöhnliches erblicken – wer aber einmal zu Besuch
in dem Haus Nummer 6 war, weiß, was Paralleluniversen sind. Bereits ein Blick
auf die Homepage verrät, dass an diesem Ort Dinge passieren, die alles andere
als gewöhnlich für eine Buchhandlung
sind: »Gelebte
Literaturgeschichte«
ist die Fotogalerie betitelt, auf der neben vielen anderen großen Literaten
Ágnes Heller, Teju Cole, Navid Kermani, Joseph Vogl, Durs Grünbein, Susan Sontag,
Thomas Kling und Jurek Becker sowie der Illustrator Nikolaus Heidelbach
erscheinen. Auf einem besonders charmanten Portrait sitzt der Übersetzer, Schriftsteller und Rezitator Harry Rowohlt mit Zigarette und Bier am Mikrofon neben Klaus Bittner. Ein anderes Foto zeigt den Autor der »Jahrestage«, Uwe Johnson, Pfeife schmauchend gemeinsam vor dem Laden mit dem Hawaiihemd tragenden Buchhändler. Die Geschichte dieses Fotos ist schön und rührend zugleich: 1983, kein Jahr vor seinem Tod, erhielt Johnson den Literaturpreis der Stadt Köln (ab 1985: Heinrich-Böll-Preis) für sein literarisches Lebenswerk. Bittner organisierte am Abend zuvor eine Lesung mit dem Preisträger, der wiederum einen Tag später in der Eingangstür des Buchladens stand und aus Sorge, der Laden könnte wirtschaftliche Probleme haben, sich vergewissern wollte: »Herr Bittner, klappt das denn hier auch – finanziell?« Daraufhin antwortete Bittner ihm: »Naja, im Moment habe ich noch viele Schulden, aber grundsätzlich geht es.« Nicht nur deutsche Literaten wie Johnson statteten dem Laden einen Besuch ab. Es kamen (und kommen bis heute) viele internationale Größen. Darunter der im vergangenen Jahr verstorbene New Yorker Autor Paul Auster und seine Frau, die Schriftstellerin Siri Hustvedt, oder die Nobelpreisträger Toni Morrison und Joseph Brodsky. Eine Veranstaltung ist Bittner bis heute in bleibender Erinnerung: Der große US-amerikanische Schriftsteller William Gaddis (»Die Fälschung der Welt«) sollte nach Köln im Rahmen des Festivals der amerikanischen Literatur kommen. Doch Gaddis war bereits sehr krank. Er benötigte einen Flug der 1. Klasse mit Sauerstoffzufuhr. Die Lufthansa hatte jedoch nur in der 2. Klasse Vorrichtungen dieser Art. Das Flugzeug musste eigens dafür umgebaut werden. Eigentlich unbezahlbar, doch die Fluggesellschaft sprang hier als Sponsor der Veranstaltung ein und organisierte dies auf eigene Kosten. Am Ende kam die gesamte deutsche Presselandschaft nach Köln, um über das Ereignis zu berichten. Während wir über Gaddis sprechen, tritt eine junge Frau an uns heran, die bereits zwei Bücher in der Hand hält, hört kurz zu und fragt den Buchhändler sodann: »Was ist denn ihr Lieblingsbuch?« Bittner muss überlegen, gesteht, dass er eigentlich nicht wirklich ein Lieblingsbuch habe. Doch einer der Gründe, warum er Buchhändler geworden sei, sei William Faulkners Roman »Licht im August«. Der Roman erschien 1932 und spielt wie viele von Faulkners Büchern im fiktiven Yoknapatawpha County. Zahlreiche Protagonisten, wechselnde Erzählperspektiven und Rückblenden durchziehen die Handlung. Bereits die erste Seite wartet mit einem Schicksalsschlag auf: Als eine der Figuren, Lena Grove, 12 Jahre alt war, »starben im Laufe eines Sommers Vater und Mutter in dem Blockhaus mit den drei Stuben und der ungeteilten Diele. Starben beim Schein der trüben, von Käfern umschwirrten Petroleumlampe, in einer Kammer, deren roher Balkonboden von bloßen Füßen abgetreten und glatt geworden war wie altes Silber.« Faulkner nutzt symbolische Motive, um Themen wie Fanatismus, Identität und Isolation zu debattieren. Danach habe er alles von Faulkner gelesen, wie er es grundsätzlich versuche, wenn ihn ein Autor besonders berührt, alles von ihm zu lesen, sagt Bittner. »Früher zumindest«, setzt er hinzu, da dies heute aus Zeitgründen kaum noch möglich sei. Die junge Frau ist beeindruckt und nimmt sogleich auch »Licht im August« mit. Klassiker wie diesen muss man hier nicht bestellen. Das Sortiment der Buchhandlung genügt höchsten Ansprüchen. Hier wird ausschließlich Literatur verkauft. Entsprechend ist das Publikum eher akademisch-gebildet. Es kommen auch viele junge Menschen, sagt Bittner. Immer wieder tauchen zudem Kunden auf, die inzwischen in Berlin oder München wohnen. Sie schauen vorbei, wenn sie in Köln sind, sich vergewissernd, ob es die Buchhandlung denn auch noch gibt. Denn ein Laden, der allein auf Qualität und weniger auf massentaugliche Ware setzt, ist fraglos eine Rarität in dieser Zeit. Aber es sei sehr ermutigend, zu sehen, dass auch die jüngere Generation dieses Angebot annimmt. Es gebe allerdings auch jene mit abgeschlossenem Germanistik-Studium, die noch nie etwas von Thomas Bernhard gehört haben. »Ich frage mich, was das für ein Studium gewesen ist, in dem man nie etwas von Bernhard gehört hat. Sowohl inhaltlich als auch privat, vom Interesse her. Was wird in so einem Studium denn dann noch vermittelt?«
Doch trotz des Anbaus ist es kaum möglich, Lesungen mit mehr als 50 Gästen in der Buchhandlung zu organisieren. Ist absehbar, dass eine Veranstaltung mehr Menschen anzieht, mietet Bittner in der näheren Umgebung Räume an. Früher war die Neugier ein wenig größer, sagt er, heute schwankt die Zahl der Interessierten stärker. Das mache Kalkulationen deutlich schwieriger. Auch gibt es heute wesentlich mehr Konkurrenzangebote. In Köln zieht insbesondere die Litcologne Literaturinteressierte an. Es gab allerdings Lesungen, die fast völlig unter dem Radar des Publikums liefen. So kam einst der 2018 verstorbene Schweizer Literat Jürg Laederach und sah sich nur drei Menschen vor Ort gegenüber. Laederach bemerkte daraufhin: »Ach, das hat doch keinen Sinn«, packte sein Saxofon aus und spielte den Gästen ein paar Stücke vor, so dass aus dem scheinbar erfolglosen Abend ein ganz besonderer wurde. Abseits der kontinuierlich stattfindenden Lesungen kommen Besucher der Buchhandlung heute aus ganz Deutschland und dem deutschsprachigen Ausland. Bittner hat sich einen Namen als Buchhändler erarbeitet, der nicht selbstverständlich ist. Darauf sei er auch stolz. Der Name habe im Lauf der Zeit dann fast von alleine immer wieder prominente Autoren angezogen, die bereit gewesen seien, für eine Lesung nach Köln zu kommen. Einzelne Lesungen werden auch aufgezeichnet, etwa vom Deutschlandfunk. So einst mit der dänischen Schriftstellerin Inger Christensen oder dieser Tage mit dem Schweizer Schriftsteller Peter Stamm: »Das macht Spaß!«, verrät Bittner. Auch die US-amerikanisch-libanesische Schriftstellerin und Malerin Etel Adnan fand einmal den Weg von Paris nach Köln. Damals, erinnert sich Bittner, konnte sie schon kaum noch gehen, aber wenn sie saß und im Gespräch war, war sie voller Energie und sehr lebendig. »Ich habe die Frau geliebt.« Er habe sie irgendwann entdeckt und gelesen und auch ihre Ausstellungen besucht. Der Kontakt kam durch ein Ehepaar zustande, das in Paris einen Verlag hatte und eines Tages nach Köln gekommen sei. In Paris lebte dieses Paar in der Nachbarschaft von Adnan, die den Kölner Dom so sehr geliebt habe. Es war für sie »das Bauwerk auf dieser Welt.« Wer wollte dem widersprechen? Es ist aber nicht nur das Geschäft in der Albertusstraße, das ein Magnet der Literaturszene ist. Bittner betreibt darüber hinaus einen kleinen Verlag, der mittlerweile über 60 Bücher publiziert hat, darunter namhafte Autoren wie Kathrin Röggla, Juli Zeh, Ilija Trojanow, Hertha Müller und Thomas Meinecke. Dieser Tage erscheint ein Band über Anne Dorn, die im November einhundert Jahre alt geworden wäre und deren nahezu gesamter Vorlass beim Einsturz des Stadtarchivs 2009 verloren gegangen ist. Klaus Bittner selbst ist 75 Jahre alt. Es mag sein, mutmaßt er, dass die Rosinen, die er versuche, herauszupicken, aus einem Markt, der nur so von Neuerscheinungen überschwemmt werde, nicht die Rosinen seien, die die jüngere Generation suche. Das sei grundsätzlich auch in Ordnung. »Aber ich verstehe die Verlage nicht mehr. Denn zum Teil sind die Bücher sehr nachlässig gehandhabt. Es geht hier nicht um die drei, vier Druckfehler, die in jedem Buch passieren. Aber bei manchen fragt man sich doch: Hat dieses Buch denn kein Endlektorat gesehen? Und gleichzeitig verschwinden sehr gute, wichtige Verlage wie zuletzt der Berenberg-Verlag.« Oder kleinere Verlage schlüpfen unter einem Label in einen größeren Verbund. Dies scheint ein Trend zu sein, der sich immer weiter fortsetzt. Darüber hinaus gebe es viele Buchhandlungen, die schließen wollen oder, aus unterschiedlichen Gründen, schließen müssen. Wie es mit der Albertusstraße weitergeht, wenn er eines Tages aufhöre, wisse er im Moment nicht. Ebenso wenig könne er wirklich abschätzen, was der Einfluss Künstlicher Intelligenz auf dem Literaturmarkt langfristig anrichte. Wir sind uns jedoch einig, dass es hier wenig Anlass gibt, besonders optimistisch zu sein.
Gefragt nach den Schätzen in seiner Buchhandlung kommt Bittner abermals auf
Thomas Bernhard zu sprechen. Er hatte einmal einen ganzen Meter signierte
Erstausgaben des Österreichers, dessen von zahlreichen Skandalen begleitete
Bücher um die Tragik kreisen, dass Menschen, die nach Vollkommenheit streben,
sich in diesem Streben selbst zerstören. Die wertvollen Erstausgaben hat Bittner
vor einiger Zeit an einen Salzburger Gastronom und Sammler verkauft. Eines Tages
stand dieser in der Tür und fragte, ob er hier signierte Exemplare von Bernhard
bekäme. Zufällig hatte Bittner diese wenige Tage zuvor von zu Hause mit in das
Geschäft gebracht. Lange Zeit hatte er Bernhards Bücher an das Schauspiel Bochum
unter der Intendanz von Claus Peymann in den 1980er Jahren geliefert. Er selbst
war bei fast allen Premieren dabei. Wo auch sonst als an diesem ungewöhnlichen
Ort im Schatten des Doms sollte man also nach solchen Schätzen suchen? |
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