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Der mechanische Witz

Oder: Die Freude des Lusitanisten. Asterix in Portugal

Von Wolfgang Bock

Der neue Asterix-Band, der mittlerweile überall zu haben ist, spielt in Portugal, also der Provinz Lusitanien des römischen Reiches. Das war eines der wenigen Länder der römischen Welt, welches die Gallier noch nicht bereist hatten. Das neue Produktionsteam der Hefte besteht aus den Textern, Zeichnern und Übersetzern Fabrice Caro, Didier Conrad, Thierry Mébarki, Klaus Jöken und vielen anderen. Es hat nach dem Tod von René Goscinny 1977 und Albert Uderzo 2020 eine schwere Bürde – gleichsam einen eigenen Hinkelstein – zu tragen. Denn es folgt nicht eigenen schöpferischen Einfällen, sondern die sogenannten Kreativen müssen ihre Ideen in dem Dispositiv unterbringen, das die Marke Asterix Ihnen zuweist.

Das mag für moderne Verhältnisse, die einem expressionistischen Kunstbegriff und damit einer Vorstellung von Authentizität für den Künstler folgt, schwierig sein. Zum Glück gibt es aber bereits seit der Frühzeit der Moderne populäre Mischformen wie die Karikatur oder später die Produkte des Dadaismus und des Surrealismus, die weiter mit dem Kitsch einer übertriebenen und parodistischen Form spielen. Marshall McLuhan wies überdies 1951 in seinem Buch Die mechanische Braut darauf hin, dass die Tradition der amerikanischen Zivilisation in der Populärkultur und damit in den Autos von Chevrolet und den Comics von Superman wurzelt.[1] In einer solchen Übergangsform von Kunst und Design und hoher und niederer Kultur sind auch die Asterix-Hefte angesiedelt. Ihr Witz lebt davon, Elemente der griechischen und römischen Antike den „Barbaren als Kulturhelden“ (Bazon Brock) gegenüberzustellen. André Stoll hat auf den Spuren von Umberto Eco und Roland Barthes frühzeitig die Zeichen und Codes des Comics aus Frankreich hinreichend analysiert.[2] Was den Witz angeht, der sich aus einer Varianz von sich wiederholenden Elementen speist, so hat Henri Bergson bereits im Jahre 1900 in seinem Buch Das Lachen das Wichtigste darüber ausgeführt. Der französische Lebensphilosoph erläutert den Effekt aus der Erwartung der Zuschauer von etwas Lebendigem, an dessen Stelle dann eine mechanische Reaktion tritt. Ebenso spielt umgekehrt ein Sinn für Humor eine Rolle, der sich nicht über eine einfache Wiederholung, sondern über eine kluge Anpassung an neue Verhältnisse freut.[3] Das ist der Grund, warum auch zum 100. Mal bei Asterix darüber gelacht wird, wenn die Römer verprügelt und die Piraten versenkt werden. Und auch, wenn Obelix gerne einen Schluck Zaubertrank haben möchte oder – wie in der Geschichte des neuesten Heftes – die Mosaiksteine, die man in Lissabon als Straßenpflaster findet, zu einem Hinkelstein aufschichtet. Andere mehr oder weniger liebgewordene Klischees werden hier natürlich auch auf die eine oder andere Weise mechanisch wiederholt. Aber es gelingt den neuen Autoren, die clichés, die im Französischen Abklatsch bedeuten, jeweils in eine neue und aktuelle Situation zu bringen, sodass das Motiv sich damit nicht nur ermüdend wiederholt, sondern es sich in einem gewissen Rahmen auch verjüngt.

Die Anwendung von Regeln aus der Tradition auf neue Situationen ohne Wiederholung ist selbst eine Kunst. Wir finden Sie bereits im antiken Japan im Kopfkissenbuch der Dame Sei Shonagon (ca. 966-1010).[4] In Europa entsteht die Idee eines authentischen Neuen im 19. Jahrhundert, der Begriff jedenfalls fällt erst bei Heinrich Heine und Charles Baudelaire als Gegensatz zur Antike. Noch in der Barockzeit galt das Ideal einer Verschaltung von traditionsreichen Mimes in Varianten als Inbegriff der Bildung. Das Neue entstand also zunächst aus der Differenz der Zusammensetzung des Alten. In gewisser Weise knüpfen die Praktiken der Comic-Produktion, bei der etablierte Serien wie Lucky Luke, Spirou oder eben Asterix von jungen Leuten weitergeführt werden, an diese vormoderne Tradition an, die in der Postmoderne als Kritik an großen Systemen (Lyotard) wieder aufgenommen wird. Das anzuschauen, macht umso mehr Freude als die letzten Alben, die der Zeichner Albert Uderzo (1927-2020) ohne seinen Texter René Goscinny nach dessen Tod herausgebracht hatte, deutlich machte, wer der Kopf und wer die Hand des Unternehmens Asterix gewesen ist. Die Produktion eines Comics beschäftigt mittlerweile fast so viele Menschen wie ein Film. Man benötigt Geldgeber, eine Strategie im Großen wie im Kleinen und viele Regeln aus der Filmproduktion gelten auch hier. Andreas Platthaus beispielsweise hat das Medium des Comics als Proto- und Postform des Films oft genug dargestellt.[5]

Auf diese Weise auch intellektuell gerüstet, um die gleichsam unreine Form des Comics gegenüber einem puristischen Kunsturteil genügend verteidigt zu haben, macht die Lektüre des neuen Asterix-Heftes umso mehr Spaß. Und man vermag die Witze, die sich hier als konkrete Poesie in den Sprechblasen als Namen und in den Wimmelbildern als humoreske kleine Handlungen abspielen, zu würdigen. Auch in den größer angelegten Panoramabildern, die oftmals eine halbe Seite einnehmen, erkennt man – Asterix auf Korsika lässt grüßen – Motive der schönen portugiesischen Natur als Steilküste im Norden und als Städtebild von Lissabon, dass hier noch Olispo heißt. Die Logik der Figurenzeichnung folgt natürlich den Nationalklischees von den kleinen und freundlichen portugiesischen Männern und den schönen Frauen, in der Empirie oft mit Damenbart. Männlein wie Weiblein aber sind allesamt den klagenden Kunstformen verpflichtet. Hier hört man nicht nur den Fado als traurige Ballade im Hintergrund, sondern auch die berühmte portugiesische Melancholie als saudade, als unstillbare Sehnsucht nach dem Meer und dem Tod.

Der Plot soll hier ausnahmsweise nicht verraten werden. Der Kritiker ist ansonsten ein großer Anhänger der Brecht’schen Theorie, wonach das Ende immer in einer Kritik ausgeplaudert werden muss, um die Darstellung umso besser würdigen zu können. Aber so viel sei immerhin verraten, dass dieses Ende sich um einheimische Produkte dreht. Und um gallische Landsleute als Parodie auf die scharenweise in Portugal in Wohnmobilen überwinternden Rentner aus den nördlichen Ländern Europas wie Frankreich und Deutschland, mit deren Hilfe diesmal die Römer besiegt werden. Gelungen ist auch der Coup, wonach Asterix und Obelix sich als Portugiesen verkleiden. Wobei das dann allerdings ähnlich aussieht, wie wenn in einer Star Trek-Folge der Landungstrupp sich genetischen Veränderung unterwirft, um als Klingonen durchzugehen oder um nicht gegen die Erste Direktive zu verstoßen. Bei Star-Trek ist das eine Hommage an die Maske, auf der die Hauptlast der Filme ruht. So hängt in der Populärkultur eben alles mit allem zusammen.

Hingewiesen sei noch auf den Sprachwitz, der die Eigenart des Portugiesischen, Substantive auf – ção zu bilden, vielfach aufnimmt. So heißt eine Pferdetankstelle beispielsweise Essão oder es ist in den Sprechblasen von Gefühlen als „Welche Emoção!“ die Rede. Dem Verdikt einer übermäßigen Sexualisierung der Frauendarstellung im Comic – aufgrund dessen ein Heft der Spirou-Reihe unlängst zurückgezogen werden musste – fällt die Asterix-Gruppen nicht anheim. Es gibt zwar bei der Darstellung der Orgie, die Caesar auf einem Schiff im Hafen unter dem Fackelschein des Torre de Belem (nach dem auch die portugiesischen Vanilletörtchen benannt sind) veranstaltet, eine Tanzgruppe. Die Tänzerinnen tragen zwar knappe weiße Kostüme wie Marilyn Monroe im Film Das Verflixte 7. Jahr, diese Szene erinnert aber doch eher an den biederen Friedrichstraßenpalast in Berlin als an das Moulin Rouge in Paris.

Insgesamt handelt sich bei dem Album also um eine durchaus gelungene Mischung aus Altem und Neuem, wenn auch nicht das Verhältnis erreicht ist, was der Bauhaus-Lehrer Lazlo Moholy-Nagy seinen Studenten empfohlen hat. Dessen Wahlspruch lautet bekanntlich: Nicht zu viel Neues, damit die Betrachter nicht überfordert werden. Das gilt auch für Asterix in Lusitanien. Asterix war zwar noch nie ein Hort der Aufklärung und man sollte auch seine entsprechenden Hoffnungen dämpfen. Über den Titel aber darf sich der Kritiker als Lusitanist (also als ein Romanist, der sich mit der Sprache und Kultur Portugals beschäftigt) dennoch freuen!

[1] Marshall McLuhan, Die mechanische Braut: Volkskultur des industriellen Menschen. Amsterdam: Verlag der Kunst 1996.
[2] André Stoll, Asterix - das Trivialepos Frankreichs: Die Bild- und Sprachartistik eines Bestseller-Comics, Köln: Dumont 1974.
[3] Henri Bergson, Das Lachen: Ein Essay über die Bedeutung des Komischen, Hamburg: Meiner 2024.
[4] Sei Shonagon, Kopfkissenbuch (neu übersetzt und mit einem Nachwort von Michael Stein), München: Manesse 2019.
[5] Im Comic vereint. Eine Geschichte der Bildgeschichte, Berlin: Insel 2000.

Artikel online seit 18.11.25
 

Fabcaro, Didier Conrad
Asterix in Lusitanien
Band 41
Egmont 2025.

 


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