Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik Impressum & Datenschutz |
|||
Home Belletristik Literatur & Betrieb Krimi Biografien, Briefe & Tagebücher Politik Geschichte Philosophie |
|||
|
|||
Die Zeit, als sich noch alles um Literatur drehte
Zwei
Pflichtlektüren zum 100. Geburtstag von
Siegfried Unseld, dessen |
|||
Unternehmen Unseld ist das aktuelle Heft der Zeitschrift für Ideengeschichte überschrieben. Es gilt den 100. Geburtstag von Siegfried Unseld zu feiern. Da die Konvolute privater Korrespondenzen inzwischen zwar archiviert, aber gesperrt sind, bleibt der Leser glücklicherweise mit moralisierend verpackten Schlüssellochgeschichten verschont und man konzentriert sich im Schwelgen und Räsonieren auf das Lebenswerk, dem Verlagsimperium rund um den Suhrkamp-Verlag. Jan Bürger und Stephan Schlak präsentieren als Herausgeber mehr als ein Dutzend Aufsätze und Essays. Man sollte sie zusammen mit Hundert Briefe lesen, einer soeben erschienenen chronologischen Sammlung von einhundert Briefen Unselds zwischen 1947 und 2002. Neben Ulrike Anders fungiert auch hier Jan Bürger als Herausgeber. Zwei Texte in der Zeitschrift für Ideengeschichte stammen von Schriftstellern – ein Gedicht von Durs Grünbein und die Eloge von Rainald Goetz aus dem Jahr 2014, in der er so grandios den Gang Unselds schildert. Jan Bürger entwickelt dann in der Dokumentation einer Lektorenbesprechung am Chiemsee zwischen Peter Suhrkamp, Siegfried Unseld und dem Lyriker und Übersetzer Rudolf Alexander Schröder im Jahr 1957 eine Art »Initiation« Unselds zwei Jahre vor dessen offizieller Inauguration und weist auf die Richtungsänderung hin, die damit einher ging. Im Gegensatz zur Gruppe 47 hatte Peter Suhrkamp die Exilanten mit offenen Armen aufgenommen. »Für radikale Spielarten der Moderne, die internationale Avantgarde oder avancierte neue Theorien öffnete sich der Verlag allerdings erst unter Siegfried Unseld«, so Bürger. Aber keine Ausnahme ohne Regel: Im Briefband erfährt man etwas überraschend, dass sich Peter Suhrkamp bereits 1954 um den Avantgardisten Samuel Beckett erfolgreich bemühte. Mit Brecht und Hesse standen Unseld ab 1959 zwei »Portal-Figuren« (Michael Krüger) zur Verfügung. 1967 machte Brecht 50% des Umsatzes des Verlags aus. Wie der Titel nahelegt, wird häufig auf das Unternehmertum des Verlegers rekurriert. Man merkt auch heute noch subkutan Spuren gut gepflegter Ressentiments, wenn es um Unselds Geschäftstüchtigkeit und Durchsetzungsfähigkeit geht, seine Ideen, auch notfalls gegen Widerstände umzusetzen. Bürger und Anders schreiben im Nachwort zum Briefband, Unseld habe »Geist und Geschäft« zusammengeführt und die immer wieder propagierte Unvereinbarkeit schlichtweg ignoriert. Vergessen darf man dabei allerdings nicht, dass die Gesellschaft hungrig nach Lektüre war und sich in den 1960er Jahren sukzessive politisierte. Der Boden für Spielformen der literarischen Avantgarde war bestellt. Immer wieder wird Unseld mit Forderungen seiner über die Jahre arrivierten Autoren aber auch der Lektoren konfrontiert. Da war beispielsweise Max Frisch, der 1974 offen mit einem Weggang von Suhrkamp drohte. Aber die kommunistisch inspirierte Geschichte der Schweizer Arbeiterbewegung konnte und wollte Unseld in einer geplanten Schweizer Suhrkamp-Filiale nicht gegen seine damaligen Teilhaber (der Schweizer Familie Reinhart gehörten 50% des Verlags und man bürgte für Bankkredite) publizieren. Frischs Protest verflüchtigte sich, als er seine Vertragskonditionen verbessern konnte. Stefan Schlaks Nacherzählung der »Halbzeit« 1974 (rund um Unselds 50. Geburtstag) ist eine der Höhepunkte aus Unternehmen Unseld, fängt er doch sowohl die aristokratischen Attitüden des Verlegers bei diesem »intellektuellen Staatsakt« ein, ohne ihn dabei zu denunzieren und vermittelt zugleich gekonnt einen Wimmelbild-Flashback in die Zeit, als sich noch alles um Literatur drehte. Unseld verlegte zwar das ideologische Rüstzeug der 68er-Bewegung und verbreitete erfolgreich die zeitgenössischen »politischen Mobilisierungsthemen« (Detlev Schöttker), war aber selber eher ein konservativer Sozialdemokrat, der sich zu Willy Brandt hingezogen fühlte und von Henry Kissinger, den er bereits Ende der 1950er Jahre bei einem USA Aufenthalt kennenlernte, fasziniert war. Mit den sozialistischen Experimenten seiner Autoren konnte er wenig anfangen und Ziele und Methoden der RAF lehnt er ab. 1967 schrieb er Hans Magnus Enzensberger, der das gesellschaftspolitische Kursbuch herausgab und den er mit großzügigen Angeboten als festen Angestellten für seinen Verlag gewinnen wollte in einem sehr persönlichen Brief: »…wenn Kursbuch zu einer ›Revolution‹ aufriefe, könnte es nicht mehr im Suhrkamp Verlag erscheinen. Falls Du das beabsichtigtest[,] müssten wir uns trennen. Ich hoffe aber, daß dies nie der Fall sein muß.« Unseld hatte sich beim Kursbuch das Recht zur Intervention ausbedungen, wenn Suhrkamp-Autoren über Gebühr kritisiert werden sollten. Willi Winkler zeichnet anhand des Kursbuch Nr. 20 von 1970 einen solchen Fall nach, als es unter anderem um Peter Handke und seine Erzählung Die Angst des Tormanns beim Elfmeter ging. Enzensberger versicherte Unseld zwar, dass zwei Autoren ihre Spitzen auf Handke entfernt hätten. Aber es blieben drei Texte, in denen der Autor »angegriffen« wurde. Der Verlag konterte mit einer Anzeige (wohlgemerkt im eigenen Heft!), in der die Lobe auf Handke aufgelistet wurden. Ab Nummer 21 erschien das Kursbuch dann bei Wagenbach; Enzensbergers Putsch, der seit mehr als zwei Jahren eingefädelt wurde, ging auf. Unseld hatte einen veritablen Umsatzbringer verloren. Aber er zeigte damit, dass ihm die Loyalität des Verlags zu seinen Autoren wichtiger war als die vermeintlich große politische Geste. Und Unseld war nicht nachtragend, verlegte weiterhin Enzensberger und schmiedete Pläne mit ihm. Natürlich muss auch das Verhältnis Unselds zu Frauen angesprochen werden. Mara Delius hat ein paar Bilder ausgesucht, die den Verleger in heute her peinlich anmutenden Posen zeigen. Natürlich wird die Disparität zwischen männlichen und weiblichen Autoren angesprochen, so als wäre dies damals nicht der Spiegel der Zeit gewesen. Leider vermisst man in Delius' Beitrag Hinweise auf das in wichtigen Positionen weiblich geprägte Arbeitsumfeld Unselds, wie Burgel Zeeh, Büroleiterin und als »Seele« des Verlags apostrophiert oder Michi Strausfeld, Helene Ritzerfeld oder Maria Dessauer. Als »Charmeur« erwies er sich im Bemühen um Ingeborg Bachmann, wie Ina Hartwig feststellt. Es brauchte allerdings mehr als ein Jahrzehnt bis er sie zum Wechsel von Piper nach Suhrkamp umstimmen konnte. Im Heft ist ein Brief von Ingeborg Bachmann abgedruckt, indem sie Unseld bittet, in keinem Fall die Farbe Violett für den Umschlag ihres Romans Malina zu verwenden. Hartwig bietet hierzu eine interessante Deutung an. Die Bitte war allerdings vergeblich. Malinas erstes Cover ist ein kräftiges, »ins Purpurne hineinspielende[s] Violett«. Aber die Vorstellung, dass Bachmann mit Martin Walser auf dem Boden sitzend die Manuskriptseiten von Malina redigiert, lässt einem lange nicht mehr los. Violett ist auch die Farbe des ersten edition suhrkamp-Bandes. Zwei Aufsätze beschäftigen sich dezidiert mit dieser 1963 begonnenen und entgegen allen Unkenrufen sehr erfolgreichen Reihe und dem Design des »säkularen Regenbogens« (Florian Illies) von Willy Fleckhaus, dem Art-Director des Verlages. Die Auflagenerfolge einzelner es-Bände kann man in den antiquarisch verfügbaren Ausgaben nachlesen; teilweise wurden bis zu 100.000 Stück verkauft, interessanterweise auch von Materialbänden, also Sekundärliteratur. Der Preis von 3 Mark war ein Türöffner. Es ist am Rande interessant, dass Unseld stets von »Spektralfarben« sprach. Wie wichtig ihm die Reihenfolge der Farben war, zeigt sich in einem im Briefband abgedruckten Schreiben an eine Buchhändlerin, die er darauf hinweist, dass die edition suhrkamp-Bücher nicht wie bei ihr praktiziert alphabetisch, sondern nummerisch sortiert werden sollen, um diese Spektralfarben richtig wirken zu lassen. Aber Unseld meckerte nicht nur – er schickte auch ein Plakat, auf dem die Autoren für potentielle Leser in alphabetischer Reihenfolge mit ihrer Buchnummer aufgelistet wurden. Niklaas Maaks Essay über die zum Verkauf stehende »Villa Unseld«, jenem »sanft bürgerlich möblierten Haus« in der Frankfurter Klettenbergstraße 35, ist eine amüsante Mischung aus Nostalgie und Wehmut. Mit einigen Fotos aus dem Privatarchiv von Joachim Unseld werden Ort und Zeit noch einmal heraufbeschworen. Das gilt auch für Kleinigkeiten, etwa, das Unselds Frau für 4000 Gäste im Jahr gekocht haben soll oder über die automobilen Vorlieben des Verlegers. Fast zwangsläufig, dass Maak zeitweise ins Schwärmen gerät und das Kleinfamilienhaus zur »Fabrik zur Produktion von massiver intellektueller Hitze« deklariert, in dem, wie einst in den Fabrikantenvillen des 19. Jahrhunderts, »Wohnen und Produzieren, Leben und Arbeit, Liebe und Geschäft dicht beieinander« lagen. Ende August, also nach Druck der Zeitschrift, teilte der Verlag den Verkauf der Villa mit. Ob es die geforderten 4,1 Millionen Euro gab, wurde nicht übermittelt. Bodenständiger geht es bei Lothar Müllers Rekonstruktion eines Adolf-Hitler-Romans von Georges Steiner zu, der Unseld nach deren Publikation in einem englischen Magazin zuging. Ungelesen ihn zunächst akzeptierend, wurde Unseld rasch intern durch eine Einschätzung Maria Dessauers eines Besseren belehrt. Immer noch zweifelnd, konsultierte er sieben Autoren (»Tribunal« nannte es Steiner, der sich jedoch dessen Urteil unterwerfen wollte). Die Stellungnahmen von Hans Magnus Enzensberger und Dolf Sternberger werden vollständig publiziert. Die vehementesten Ablehnungen kamen von Frisch und Johnson. Der Tenor war insgesamt negativ. Der Roman ist nie in deutscher Sprache erschienen; Steiner, der Schöpfer der »Suhrkamp-Kultur«-Metapher, wollte ihn nur dort publiziert haben. Eine spannende Rekonstruktion.
»Unternehmen
Unseld«
ist ein guter Einstieg zu den
»Hundert
Briefen«.
Als im Verlag 1954 ein Roman des Journalisten Rolf Becker publiziert wurde, beantwortete Unseld ihm auch »journalistische Fragen« , so beispielsweise nach dem Lebensstil einiger Autoren. Der Verleger zögerte nicht mit Auskünften beispielsweise über Rudolf Alexander Schröder, Günter Eich, Hermann Kasack oder Wolf von Niebelschütz. Man erfährt – natürlich alles »im Vertrauen« -, dass einige Autoren Vorschüsse erhalten. Bei einigen konstatiert er, dass sie von ihren Honoraren kaum leben können, um dann jedoch schließlich zu bilanzieren: »Im Großen und Ganzen sieht es bei uns also so aus, daß die Autoren bestehen können. Durch jede Publikation in unserem Verlag verstärkt sich ihr Rang, und in diesem Verhältnis erhalten sie besseren Zugang zur Milchkuh Rundfunk«. Das Selbstbewusstsein kannte keine Grenzen. Rasch hat man sich festgelesen, zumal die Anmerkungen zu jedem Brief präzise den notwendigen Kontext erhellen. Unseld war das, was man einst einen »Macher« nannte. Er wirbt, teils erfolgreich, teils vergeblich um Ingeborg Bachmann, Ilse Aichinger oder Christa Wolf, beruhigt die entstandenen Aufgeregtheiten bei Max Frisch und Thomas Bernhard, wirft sich in den Staub vor Peter Handke und entwickelt mit Theodor Adorno und anderen Vertrauten neue Projekte. Etliche davon werden nie realisiert, wie beispielsweise Unselds Pläne für je eine juristische, theologische und literaturkritische Zeitschrift. Andere, wie die Neuausgabe der Klassiker (in einem eigenen Verlag), sind zunächst erfolgreich, bevor sie stagnieren. Interessant auch seine Absagen. Um die (den Verlag ratlos zurücklassenden) Gedichte von Norbert Elias nicht publizieren zu müssen, lenkt er ab und rät dem Philosophen, erst einmal seine wissenschaftlichen Arbeiten zu Ende zu bringen. Anders sein Vorgehen beim jungen Hans Wollschläger, in dessen Manuskript er zwar »ungewöhnliches artistisches Können« sieht, aber bekennt, an der Lektüre gescheitert zu sein. »Ich sehe Ihre wirkliche hohe schriftstellerische Leistung«, lobt er, aber resümiert »daß Sie etwas geschaffen haben, was seinen eigentlichen Sinn nur für Sie selbst hat.« Er ermutigt Wollschläger weiterzuschreiben, was im Kern bedeutet: etwas anders zu schreiben und beschwört ihn, dieses Manuskript auch nicht an einen anderen Verlag zu geben, um den gerade entstehenden Ruf (als Übersetzer) nicht zu beschädigen (was, wie man erfährt, dann fast zwanzig Jahre doch geschah). Zuweilen wird Unseld zum Kümmerer in Lebensfragen, etwa bei Uwe Johnson nach dessen Übersiedlung nach West-Berlin. Für ihn lässt er auch seine Beziehungen spielen und bittet Henry Kissinger um eine positive Intervention, dass der junge Autor zum »Harvard International Seminar« eingeladen wird. »Johnson ist überaus intelligent, vielleicht zunächst nicht allzu leicht kom[m]unikabel, aber das gibt sich«, so der Verleger gönnerhaft. Natürlich erhielt Johnson die Einladung. Bewundernswert diese Synthese aus Loyalität, Langmut und Optimismus. Das dauerhafte Verständnis zum Schweigen von Wolfgang Koeppen ist längst legendär. Aber Unseld schmeichelt nicht nur, er versteht es auch, bisweilen Nachdruck zu artikulieren. Deutlich sieht man dies in einem Brief an Paul Nizon, der mit der Fertigstellung seines Romanprojekts Canto 1962 ins Stocken geriet. Der Verlag hatte Nizon eine Zeit lang monatlich unterstützt – alleine: er »lieferte« nicht. Nizon artikulierte proaktiv sein Scheitern, fürchtete, dass die Vorauszahlungen mit dem fertigen Werk irgendwann verrechnet würden und er bei einem schlechten Verkauf wiederum in seiner Existenz gefährdet sei. Unseld machte aus seinem Herzen keine Mördergrube: »Wenn ich mir Ihre Situation und gleichzeitig die Art Ihres Arbeitens vergegenwärtige, so komme ich zum Schluß, daß es vielleicht eben die materielle Sicherung war, die dieses Werk bisher verhinderte.« Er schlägt vor, »stärker und härter [zu] werden, härter vor allem gegen sich selbst…« Gleichzeitig spornt er wieder an. Nizons Erwähnung, demnächst eine Art Meta-Stück fertigzustellen, ließ Unseld die Möglichkeit, weitere sechs Monatsraten für die Fertigstellung dieses Textes zu gewähren. Canto erschien dann 1963; das Buch ist literarisch bedeutend, aber Nizon erreichte nie den Erfolg, den sein Verleger erwartete. Niemand war vor Unselds Einlassungen und bisweilen oberlehrerhaften Korrekturen sicher. So wies er 1975 formvollendet den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt zurecht, der in einem Vorwort über eine mögliche »Wiedervereinigung« Deutschlands räsoniert hatte. Unseld erläuterte etymologisch und historisch, dass die Verwendung dieses Wortes unpassend und unklar sei, denn es könnte je nach Interpretation eine »Rückführung zum Deutschen Reich oder gar zum Großdeutschen Reich, zu den Grenzen von 1933 oder 1938 oder 1940« gemeint sein. Aber das, so Unseld, wollten doch nicht einmal die Vertriebenenverbände und schlägt die Formulierung »kommende Vereinigung« vor. Schmidts Antwort fiel ausführlich aus und endete mit der Ablehnung dieser Wortschöpfung: »Wir würden einen neuen Begriff einführen, der sich in der öffentlichen Diskussion, in Presse und Fernsehen als Kurzform schwerlich durchsetzen könnte, wo doch ein eingeführter Begriff existiert, der auch dem Mann auf der Straße sinnfällig werden läßt, was das politische Ziel bleibt: nämlich die Wiederherstellung der Einheit der deutschen Nation.« Neben den bereits zitierten stechen vor allem zwei Briefe aus der Auswahl hervor. Zum einen der Brief an Helene Weigel vom 31. August 1961, knapp zwei Wochen nach dem Mauerbau. Weigel hatte sich öffentlich und, wie Unseld feststellte, »leidenschaftlich« für die »Massnahmen der DDR-Regierung« ausgesprochen. Er ermahnt sie mit einer geschickten Mischung aus Klugheit, Charme und Eloquenz, mit diesen öffentlichen Aussagen im Hinblick auf die Rezeption und Reputation des Werkes von Bertolt Brecht vorsichtig zu sein. Zwei Inszenierungen von Brecht-Stücken seien bereits abgesagt worden und er spüre eine wachsende Reserviertheit bei Buchhändlern, Brechts Werke weiterhin aufzunehmen. Unseld lässt keinen Zweifel daran, dass er diese Form der »gewaltsamen Separation leidenschaftlich« ablehne, will sich aber nicht über sie stellen: »Ich zögere, als Jüngerer und gerade Ihnen und Ihrer Exilerfahrung gegenüber von der Klugheit taktischen Verhaltens zu sprechen, aber für uns beide sollte dies über das Engagement gestellt sein« und stellte klar: »Zweifeln Sie nicht an meiner Loyalität Ihnen gegenüber und bauen Sie auf die Gewissheit, dass bei uns alles geschieht, Brechts Werk und seine Wirkung zu sichern.« Und dann gibt es noch diesen sehr langen Brief an Martin Walser vom 22. September 1973. Walser war in den USA, gab Vorlesungen und Seminare, unter anderem an der University of Texas in Austin. Er hatte Unseld fast euphorisch von seinen Erlebnissen dort berichtet: »Jeden Tag wuchs die Entfernung zu meinen BRD-Bedingungen, und sie wächst noch, das ist das Allerschönste…« Unseld erkannte, dass der »großartige Kerl« (Unseld über Walser an Ingeborg Bachmann) neuen Lebensmut gefasst hatte, nachdem seine letzten Bücher verrissen wurden und eine amerikanische Lizenzausgabe nicht zustande gekommen war. Er möchte diese Phase Walsers zu einem Neuanfang nutzen, wurde grundsätzlich und formulierte emphatisch: »Vor allem wünsche ich mir, Du würdest Dich nicht über Gebühr von den Zeitläufen irritieren lassen, nur soviel, als es Deiner Produktion hilft und diese anregt. Du solltes[t] vielleicht am Beruf des Schriftstellers zweifeln aber nicht daran, daß Du Dein Leben anders als schreibend leisten kannst. Wandle Du Dich zu dem, der Du bist, der Du warst. Alle Adaptionen sind unecht.« Eine Anspielung auf Walsers DKP-Sympathien und eine sanfte Empfehlung, sich von Parteinahmen und politischer Orthodoxie fernzuhalten. Man sollte erkennen, so Unseld an den »lieben Martin«, dass solche Partei die Intellektuellen nicht bräuchten und wenn, dann »nur als nützliche Idioten«. Walser soll den Fokus auf die Literatur richten: »Die Geschichte von Kristlein [eine Hauptfigur in drei Romanen Walsers] wird bedeutender sein und bleiben, mehr Wirkung ausüben als politische Bekundungen.« Er appelliert an seine Schöpferkraft, entwickelt sogar Entwürfe für Theaterstücke, bietet ihm monatliche Zahlungen an und schlüpft in die Rolle eines Motivationstrainers: »Und wenn es gelingt und wenn wir nur ein klein wenig Glück haben, dann kann es eine materiell neu konsolidierte Phase Deines Daseins ergeben. Du kannst das schaffen. Du hast die Kraft. Du hast Phantasie.« Dieser Brief ist ein motivationspsychologisches Meisterwerk und zeigt zudem exemplarisch, wie Siegfried Unseld die Rolle des Schriftstellers sah. Und er wird immer zu Walser stehen. Auch dessen Paulskirchenrede von 1998 verteidigt Unseld gegenüber seinem »Freund Ignatz«. Dass einige Autoren immer wieder die »Industrialisierung« des Verlags beklagten, begann bereits in den 1960er Jahren. Zunächst waren diese Einwände ideologisch bedingt. Ab den 1980ern wurde das Programm auf eine breitere Basis gestellt. Man nahm Titel auf, die im Feuilleton auf wenig Gegenliebe stießen, sich jedoch ökonomisch sehr erfolgreich erwiesen. Intern wurde das Haus immer wieder von Abgängen getroffen. Vor diesem Hintergrund muss man auch den Brief aus dem Jahr 1996 an Thomas Hettche sehen. Dieser hatte einen »Aura-Verlust« des Verlags beklagt, der sich »zunehmend negativ in den Medien« zeige. Unseld schmetterte die Vorwürfe ab und zählte die zahlreichen Übersetzungen von Suhrkamp-Autoren auf, konzedierte jedoch, dass das Programm zu groß sei, »aber wir haben Autoren, die produktiv sind.« Er kritisierte die zunehmende Usance der immer höheren Vorauszahlungsforderungen. Man erinnert sich an das Gespräch mit Michael Krüger in Unternehmen Unseld. Die Agenten, die ab den 1980er Jahren von Schriftstellern immer stärker zur Durchsetzung ihrer (finanziellen) Forderungen eingesetzt wurden, waren, so Krüger, nicht Unselds Welt. Die Ökonomisierung der Verlags- und Literaturwelt wurde nicht zuletzt von den erfolgreichen Autoren immer weiter forciert. Unselds großes Pfund, der persönliche, bisweilen intim-private Kontakt zu Autoren, ist heute bei einem Verlag dieser Dimension nur noch schwer vorstellbar. Das Ergebnis ist häufig eine Zerklüftung der Gesamtwerke bedeutender Autoren. Verlagstreue findet sich nur noch selten. Das Werk wird verlags- und, nebenbei, auch übersetzungstechnisch zerstückelt; es geht nur um das jeweils aktuelle Buch. Einher geht diese Entwicklung natürlich mit der stetig sinkenden Bedeutung von Literatur, die nur noch ein Bruchteil des Freizeitangebotes der Gesellschaft ausmacht. Im Nachwort beschreiben Anders und Bürger, wie Unseld beim Sichten des Nachlasses von Hermann Hesse dessen Korrespondenz- und Adressenarchiv vorgefunden hatte. Unseld verfeinerte diese Methoden (Computer gab es ja noch nicht) und behielt dadurch einen aktuellen Überblick. 50.000 Briefe habe er hinterlassen, heißt es. Wieder einmal ist man erstaunt, mit welcher Zuverlässigkeit und Schnelligkeit dieses Medium funktionierte. Der Leser hat nach der Lektüre das Gefühl, mit den Hundert Briefen (die meisten davon werden erstmals publiziert) eine guten Synthese zwischen Verlags-, Autoren- und Zeitgeschichte vorzufinden. Dabei werden auch die krisenhaften Zeiten (Lektorenaufstand, Umsatzeinbußen einzelner Reihen, die bereits Ende der 1970er Jahre einsetzen, Gesellschaftersituation, Nachfolgeregelung) aufgezeigt. Die Lektüre von Unseld-Briefen (wie auch vor einigen Jahren der Auswahl der Reiseberichte) ist ein Blick zurück in Zeiten, die von Intellektualität, Respekt und Lust auf konfrontativen aber produktiven Austausch geprägt waren. Ein Blick in ein vergangenes Jahrhundert.
Und dem kann man ab 28. September weiter frönen. Die
Siegfried
Unseld Chronik wird teilweise online verfügbar gestellt, zunächst die Jahre
von 1970 bis 1993. Es soll sich um 2.650 digitalisierte Seiten sowie 3.000
Seiten mit Notizen und Reiseberichten handeln. Anspruchsvolle Lektüre für lange
Winterabende ist also garantiert. |
Siegfried Unseld
Zeitschrift
für Ideengeschichte Heft XVIII/3 Herbst 2024
|
||
|
|||