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Wer ist schuld
an der Misere?
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Rektifikationen
Eine steile These Eine fragwürdige Methode
Das Material dazu wird
von Schröter lang und breit vorgebracht. In den ersten vier Kapiteln will er das
deutsche Allgemeine des psychiatrischen Diskurses darstellen, von dem der Jude
Freud die absonderliche Ausnahme abgeben soll. Dieser soll sich auf den eigenen
Weg der Selbstisolierung aus dem wissenschaftlichen Diskurs begeben haben. Die
entsprechenden Behauptungen einer Ablehnung seines Verfahrens durch die Mehrzahl
der deutschen Psychiater, wie Sigmund Freud und sein Biograf Ernest Jones sie
behaupteten, will Schröter damit materialreich widerlegen. Ihm ist kein Argument
gegen Freud zu krude, als dass er es nicht übernähme, freilich oft genug hinter
einem Zitat versteckt. Die Sache hat System: Schröter trägt eine Unmenge von
Details zusammen, die er in seinem Sinne interpretieren will: Dafür bietet seine
gewählte chronologische Betrachtungsweise genügend Anlass, während dabei die
vorgängige These, nach der die von Schröder dargelegten Daten und Fakten
sortiert werden, unangetastet bleibt. Zwar nennt er im gewissen Maße auch
kritische Äußerungen, er platziert und gewichtet diese aber so, dass ihre
wirkliche Bedeutung entstellt erscheint. Wie in einer Talkshow, wo jeder zu Wort
kommt, wird am Ende nichts gesagt. Vielmehr wird die Sphäre der Sprache im
Allgemeinen diskreditiert. Der Positivismusstreit der deutschen Soziologie
ist anscheinend an Schröter vorbeigegangen. Nach außen hin will der Autor als
ein objektiv abwägender Wissenschaftler daherkommen, um die vermeintlich
subjektiven Unzulänglichkeiten der Freud'schen Methode wissenschaftstheoretisch
zu korrigieren. Hinter diesem Schirm aus selbstgerecht bekundeter Absicht und
positivistisch beigebrachten Dokumenten aber kann er dann seinem eigentlichen
Anliegen nachgehen: dem Aufweis der angeblichen Unzulänglichkeit von Freuds
Theoriegebäude.
Verleugnung, Verkleinerung und Verneinung –
Im zweiten großen Abschnitt des Buches
befasst Schröter sich dann mit der erwähnten Gleichschaltung der Psychotherapie
im NS. Hier reduziert er durchgängig die differenten und kritischen
Forschungsergebnisse Jeffrey Cocks, Helmut Dahmers und anderer auf die
eindimensionale und apologetische Version von Regine Lockot und Co., die
rechtfertigend im Sinne der damals Beteiligten sprechen wollen.[5]
Die zentralen kritischen Autoren werden ausgespart und stattdessen wieder
ermüdende und unerhebliche Details in den Vordergrund gerückt. Solche reduzierte
Perspektive wird dann erneut als „ganzheitliche Forschung“ ausgegeben. Wahr ist
dagegen: Von den etwa einhundert Psychoanalytikern in Deutschland im Jahre 1933
bleiben bis 1936 noch fünf „arische Deutsche“ übrig. Die jüdischen
Psychologinnen und Psychologen müssen aufgrund der neuen Rassegesetze
emigrieren. Unter dem Druck des Regimes, der ihnen nicht ungelegen kommt,
gewinnen die verbliebenen drittrangigen Therapeuten die Patienten der geflohenen
ersten Garde der Psychoanalyse, sie rücken aber auch zusammen. Sie machen
jedenfalls die Psychoanalyse fit für die Nazis, d.h. Jung, Müller-Braunschweig,
Schultz-Hencke, Kemper, Boehm und Co. entwickeln eine mit der NS-Ideologie
konforme Version einer „germanischen Tiefenpsychologie“. Zu dieser zählt Carl
Gustav Jungs erwähnte radikale Unterscheidung einer „jüdischen Triebtheorie“ von
der Fassung eines „deutschen Unbewussten“.[6]
Das „deutsche Es“ soll danach anders als das jüdische kaum sexuell bestimmt
sein. Dafür wird es als wild und gefährlich imaginiert. Es müsse, so stoßen auch
Harald Schultz-Hencke und später sein Schüler Fritz Riemann in dasselbe Horn,
von seinen hemmenden „Grundformen der Angst“ befreit werden befreit werden und
könne erst dann nach seiner Bestimmung tüchtig streben, wie bei der Landnahme
eines schwächeren Volkes. Dafür benötige der NS die germanisch reformierte
Tiefenanalyse im Einklang mit dem ebenso gleichgeschalteten psychiatrischen
Diskurs.[7]
In diesem Sinne wurden die einzelnen therapeutischen Schulen von Jung, Adler und
Freud zu einer funktionalen Gruppe zusammengefügt. Diese Folgen wiegelt Schröter
unter Beibringung seiner „Fakten“ wieder ab. Schenkt man ihm und der Gruppe, für
die er spricht, Gehör, dann handele es sich dabei um eine Entwicklung, die auch
ohne den Exodus der jüdischen Therapeuten in Deutschland passiert wäre. Das muss
man nicht glauben. Vor diesem Hintergrund der Notlüge und Schutzbehauptung der
von der Arisierung auch fiskalisch profitierenden Therapeuten dient dem Autor
die Analyse Freuds als bloßer Anlass zur begründeten Distanzierung von ihr. Eine einseitige „Geschichte der Psychoanalyse“ ohne kritische Stimmen Die Zusammenhänge, um deren affirmative Rechtfertigung es in diesem Buch in Wirklichkeit geht, behandelt Schröter also in den letzten beiden Kapiteln seines Buches. Er tut das unter Aussparung der Kritiker dieser Entwicklung. Die einschlägigen Werke Helmut Dahmers, Hans-Martin Lohmanns, Lutz Rosenkötters und die französische Kritik von Elisabeth Roudinesco oder die brasilianische von Chaim Katz sucht man hier vergeblich. Nur die eigene Schule und deren Version soll gelten. Was Freud im ersten Teil des Buches vorgeworfen wird – die Isolierung auf die eigene Gruppe und die Ignoranz der internationalen wissenschaftlichen Community – wird von Schröter offenkundig selbst praktiziert: eine Reaktionsbildung. In solcherart verzerrten Darstellung der Person und der Lehre Freuds und seiner Mitarbeiter werden in bedenklichem Maße antisemitische Standards sichtbar. Absonderung von der Gemeinschaft gilt seit jeher den Juden als Hauptvorwurf. [8] Auch darin handelt es sich um eine Fortsetzung der offiziellen Einordnung des Juden Freuds im Göring-Institut. Offiziell wird von Schröter kein rassistischer Grund genannt, aber in der Sache erscheint umso deutlicher ein Bild des Wiener Psychologen, der selbst für den „Sonderweg“ verantwortlich gemacht wird, der diesem widerfährt. Eine Versiegelung der QuellenOffiziell soll also Freud den „Sonderweg“ gegangen sein, nicht sein Kritiker Schröter und dessen Verstümmelung der Lehre. Schaut man wiederum genauer hin, so erkennt man, dass Schröter mit seiner Methode der Fetischisierung des Materials nicht zuletzt versucht, eine Versiegelung der Quellen vorzunehmen und das Feld durch seine alleinige Lehrmeinung zu besetzen: Als Leser muss man sich erst durch den kaum verdaulichen Korpus des Buches hindurcharbeiten, um zu erkennen, dass in jedem Kapitel den Gegnern Freuds immer wieder das Feld freigeräumt und er damit gleichsam zum Abschuss freigegeben wird. Im Zentrum steht dabei die Eliminierung der Triebtheorie. Das Ergebnis ist ein irrlichternder Text, der vorgibt, wissenschaftlich vorzugehen und dahinter seine das Material in Wirklichkeit verstellende Absicht verbirgt. Die selbsternannten Hüter der Psychoanalysegeschichte und der lange Schatten des Göring-Instituts
In den letzten Jahrzehnten konnte die
Öffentlichkeit eine Aufarbeitung der Verstrickungen verschiedener Berufsgruppen
wie der Juristen, der Diplomaten (Außenpolitiker), der Soziologen und der
Philosophen mit dem NS-Regime verfolgen. Es sind allerdings die Disziplinen der
Geschichte und der Psychologie, die sich bis heute einer umfassenden Aufklärung
ihrer entsprechenden Kontamination widersetzen. Beide glauben anscheinend, ein
exklusives Deutungsrecht der Geschichte zu besitzen.[9]
Hinter dieser Abwehr verbreiten sie munter ihre Mythen weiter und machen
Proselyten unter jungen Menschen. Schon Alexander Mitscherlich berichtete davon,
dass der von Schröter als Mann der Mitte hochgelobte Psychiater Johannes
Heinrich Schultz – der stellvertretende Direktor des Göring-Instituts,
der nach 1945 unbehelligt weiter praktizierte und hauptsächlich Homosexuelle
„therapierte“ – ihm den entsprechenden Bescheid gab: Auf seine Versuche, bei ihm
in einer Analysestunde die Verbrechen der Nazis anzusprechen, hielt er ihm ein
solches Ansinnen als einen homoerotischen Komplex vor. Mitscherlich ging dann zu
einer freudianischen Analyse nach England. »Es führt eine gerade Linie vom Lehrverbot für Schultz-Hencke 1929 über den Auftrag Freuds an Boehm 1933, er solle die DPG vor dem Einfluss des dissidenten Kollegen bewahren, bis zum Beschluss von 1949, mit dem die Freud-Schule, wie sie es seit Jahrzehnten gewohnt war, theoretische Meinungsverschiedenheiten durch Ausgrenzung zu erledigen suchte. Der IPV-Vorstand, mit anderen Worten, hatte sehr bewusste vereinspolitische Gründe, den Antrag der DPG vorerst abzulehnen, und seine Linie setzte sich durch.« (S. 725) Wer also ist wieder schuld auch an dieser Misere?
[1]
Vgl. Eva Weissweiler, Die Freuds. Biographie einer Familie, Köln:
K&W 2006. So möchte Andreas Peglau die angeblich tabuisierten Ergebnisse
der Forschungen am NS-Göring-Institut in Reichs Namen
rehabilitieren und Stephen Theilemann versucht sich in seiner Biographie
Harald-Schultz Henkes an dessen Reinwaschung von den Vorwürfen der
Nazi-Kollaboration (vgl. Andreas Peglau,
Unpolitische Wissenschaft? Wilhelm Reich und die Psychoanalyse im
Nationalsozialismus, Gießen: Psychosozial
Verlag 2013 und Steffen Theilemann, Harald Schultz-Hencke und
die Freideutsche Jugend, ebd., 2013).
[2]
„Like doctors in general, psychotherapists could
offer the Nazis the type of practical, technical expertise they required
in mobilizing and maintaining the human resources of a modern industrial
society geared for rearmament and war.“ (Geoffrey Cocks,
Psychotherapy in the Third Reich. The
Göring-Institute. Second Edition, Revisited and Expanded,
New Brunswik [USA] and London [UK]: Transaction Publishers 1997, S. 68).
[3]
„Während Schultz-Henckes ‚Neo-Psychoanalyse‘ nach 1945 in Deutschland
zunächst Konjunktur hatte, ist es ab dem 1960er Jahren still um sie
geworden, was viel mit Entwicklung des Zeitgeistes in Westdeutschland zu
tun hatte. Gegen das negative Vorurteil, das sich an seinen Namen
geheftet hat, ist festzuhalten, dass Der gehemmte Mensch wohl der
bedeutendste, innovativste Beitrag zum psychotherapeutischen Schrifttum
ist, der in den NS-Jahren in Deutschland entstand.“ (Schröter S. 666).
Das von Schröter zur Avantgarde gekürte Buch ist ein schlimmes Machwerk
der NS-Propaganda. Es stammt von 1940 und entwickelt unter den
Kategorien „a. Laster, b.
Erlebnisweisen und c. Typische
Entwicklungsbilder“ ein Fahndungshandbuch.
[4]
Vgl. Erich Fromm, „Die gesellschaftliche Bedingtheit der
psychoanalytischen Therapie“, in: Zeitschrift für
Sozialforschung IV, 1935, S. 365-397,
hier S. 385.
[5]
So z.B. in ihrem Buch Reinigung der Psychoanalyse von 1994.
Dessen Titel suggeriert, wie der ihres Buches von 1985/2002 Erinnern
und Durcharbeiten eine Auseinandersetzung, die wie bei Schröter
ebenfalls nicht stattfindet (vgl. S. 402-404). So werden die
entsprechenden Schutzbehauptungen der beteiligten Akteure
festgeschrieben.
[6]
Vgl. C. G. Jung, „Zur gegenwärtigen Lage der
Psychotherapie“ (1934), als
Herausgeber des Zentralblattes für Psychotherapie, jetzt in
Gesammelte Werke, Bd.
10, Olten 1960-1978, Walter Verlag, S. 190f. Schröter hält den
programmatischen Text schlicht für nebensächlich und hält sich nicht
weiter damit auf.
[7]
Von hier aus versteht man Hans Freyers Weltgeschichte und Carl
Schmitts Nomos der Erde. Man versteht nun auch Woody Allens Satz
besser, wonach er, immer wenn er Deutsch höre, den Wunsch verspüre,
Polen zu überfallen.
[8]
Schröter rapportiert ausführlich und anscheinend zustimmend eine Kritik
an der Psychoanalyse vom Münchner Psychiater Emil Kraepelin: „Der
Haupteinwand, der gegen die Anschauungen Freuds erhoben werden muss, ist
nicht die übermässige Betonung der Sexualität, sondern die
Unzulänglichkeit seiner wissenschaftlichen Methodik. Sie wird durch zwei
Eigentümlichkeiten gekennzeichnet, einmal die masslose Verallgemeinerung
einzelner Beobachtungen, sodann die Aufstellung beweisloser
Behauptungen. Damit hängt zusammen die unbekümmerte Vernachlässigung von
Einwänden und gesicherten Erfahrungen.“ Schröter kommentiert jedenfalls:
„Kraepelins Ausführungen, die den Finger auf tatsächlich vorhandene
Probleme legen, entsprechen weithin den einschlägigen Passagen in der 8.
Auflage seines Lehrbuchs.“ (S. 183).
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Michael
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