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Pot au Feu
Tran Anh Hungs Liebeserklärung an die französische Hohe Kunst
Von Wolfram
Schütte |
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Es gibt Filme (wie auch
andere Kunstwerke), die einen so glücklich gemacht hatten, dass man wünschte,
möglichst viele andere teilten das genossene Vergnügen mit einem. So einer ist
„Geliebte Köchin“.
Nach Rouffs Roman über
den fiktiven „Napoleon der Gastronomie“ namens Dodin Bouffant – gewissermaßen
die literarische Inkarnation des noch heute bekannten Gastrosophen
Brillat-Savarin - hat Tran Anh Hung seine 2 ½ stündige Hommage an die
kulinarische Kunst, als Inbegriff der französischen Kultur, nach einem eigenen
Drehbuch mit Juliette Binoche (Eugénie) & Benoit Magimel (Dodin) gedreht. Bevor man eine menschliche Person zu sehen bekommt, zeigt die Kamera die „Persönlichkeit“ einer großen erdigen Selleriewurzel, die offenbar gerade aus dem Gemüsegarten von Eugénie entnommen wurde. Die Köchin ist dabei, Salate & Gemüse frisch zu ernten & sie in die geräumige Küche mit Metallherd & offenem Kamin, mehreren Tischen samt einer Vielzahl von großen & kleinen Kupferkesseln & allen nötigen sonstigen Handwerksmitteln der Kochkunst abzuliefern. Zur Einrichtung gehört auch eine handbetriebene Eiszertrümmerungmaschine, wie auch ein Fass mit Eiswasser, um das eben blanchierte Gemüse abzukühlen. Neben Eugénie ist dort Dodin, der Chef de Cuisinier, bereits zugange. Für Hilfsdienste ist die Serviererin Violette zur Stelle. Sie hat diesmal ihre kindliche Kusine Pauline (Bonnie Chagneau-Ravoir) in die Küche mitbringen dürfen. Während Koch & Köchin ihren professionell auf einander abgestimmten Tätigkeiten routiniert nachgehen, verständigen sie sich über Blickkontakt immer wieder beglückt über die Neugier des kleinen Mädchens. Dodin fordert Pauline auf, eine seiner Saucen zu kosten & ihm zu sagen, welche Ingredienzien sie enthält – eine „Prüfung“, welche das Kind blendend besteht. Denn Pauline aus bäuerlicher Familie will Köchin werden & bei Dodin lernen. Er bittet Eugénie, Paulines Eltern zu besuchen & das hochtalentierte Kind bei ihnen „loszueisen“. Sie wollen es bedenken. Während der ersten halben Kino-Stunde in der Küche, beim gemeinsamen Umgang mit Fischen, Hühnern & Gemüsen in Töpfen & Pfannen, die sich in vollkommener Stille unter den Händen aller Tätigen zur Abfolge eines mehrgängigen Menüs verbinden, entsteht unter den mobilen Kamerablicken Jonathan Ricquebourgs, quasi dokumentarisch die ebenso faszinierend gespannte wie sinnlich aufblühende Atmosphäre einer verschworenen Gemeinschaft Gleichgesinnter, die im stetigen Geben & Nehmen kochend das Kunstwerk eines raffinierten Menüs gemeinsam gestalten. (Als Cinéast könnte man darin auch die metaphorische Beschwörung der Produktion eines französischen Autorenfilms assoziieren.) Diese Ouvertüre über die Hohe Kunst des Kochens gleicht der Zelebration eines religiösen Rituals, das dann erfüllt scheint, wenn Violette mit den gelungenen Creationen aus der Keller-Küche hoch in den Speiseraum geschickt wird, wo sich dann der Maitre de Cuisine mit seinen befreundeten Kennern & Liebhabern, zumeist im Gespräch über Essen & Trinken, daran erfreut. Währenddessen speisen in der Küche auch die drei Frauen. Das Personal bleibt unter sich, wenn auch kulinarisch auf gleichem Niveau mit der Herrschaft. Zum Abschluss des rituellen gastronomischen Schwelgens auf zwei (Klassen-)Ebenen kommen die Männer in die Küche, um Eugénie in den höchsten Tönen zu preisen & sich bei ihr zu bedanken. Zurecht; denn seit rund zwanzig Jahren sind seine Haushälterin Eugénie & der reiche Bonvivant Dodin ein Paar – insgeheim nicht nur beim Kochen. Obwohl er sie schon mehrfach gebeten hatte, seine Ehefrau zu werden, hat sie auch jetzt wieder ihn abgewiesen. Auch bestimmt sie, wann er ihr nächtlich „beiwohnen“ darf. Dann schließt sie abends die Tür ihrer Dachkammer nicht ab – wie heute, wenn der berühmte Koch im Nachthemd hinaufsteigt, die Tür öffnet & voller Bewunderung den sinnlich lockenden Rücken der nackten Geliebten bewundert - & die Tür hinter sich schließt. Ein Idyll sinnlichen Glücks, seliger Sorglosigkeit, subtilster Gaumenfreuden & harmonischer Freundschaften. Man fühlt sich als Kinozuschauer, angezogen von der Pracht & Herrlichkeit der kleinen Provinzgesellschaft, die Ricquebourgs Kamera in schwelgerischer Farbigkeit, warmem Kerzenlicht & fließenden Bewegungen auf die Leinwand zaubert, an Renoir Vater & Sohn erinnert, an den impressionistischen Maler von Tischgesellschaften & an das farbsatte Spätwerk des sinnenfreudigen Filmregisseurs.
Aber was wäre diese
eindrückliche Beschwörung der subtilsten Koch-Kunst von La France profonde wert
– und hätte der Liebe nicht? Das Besondere dieser Liebe aber ist, dass die
sozial abhängige, beruflich gleichwertige Eugénie selbst bestimmt, wann
der Patron nachts ihr Geliebter sein darf. Während ein Fettammer-Essen der Schlemmer, bei dem jeder eine ganze gemästete Ammer mit Kopf & Knochen, jeweils verhüllt unter einer großen Serviette, verspeist – als exzentrisches historisches Ritual zelebriert wird, das heute in Frankreich verboten ist (Der todkranke Mitterand hat sich darüber hinweggesetzt & derart mit intimen Freunden seinen Lebensabschied gefeiert), dient eine andere Episode des Films dazu, die Subtilität kulinarischer Hochkunst gegenüber dem kumulativen Auftrumpfen in Positur zu setzen. Auf das achtgängige Menü eines „eurasischen“ Prinzen, zu dem der französische Maitre Cusinier eingeladen wird, will er mit der Apotheose des Pot au feu, dem schlichten Klassiker der französischen Küche, „antworten“. Ein Wettstreit, den Tran Anh Hung nicht materiell, sprich: optisch, sondern nur verbal, will sagen: gesprächsweise auftischt. Mit der Darstellung des Glücks des gemeinsamen kulinarischen Tätigseins läßt sich Tran Anh Hung Zeit, so dass „Geliebte Köchin“ die nachdenklich-sanfte Ruhe einer (asiatischen?) Meditation ausstrahlt; dagegen schließt der Film in seinem letzten Drittel mit mehreren erzählerischen Ellipsen. Von Eugénies baldigem Tod erfährt man durch die zuerst verwirrende Einstellung, in der Dodin das Schlafzimmer (wieder im Nachthemd) verlässt & in das Zimmer der Bediensteten läuft. Geht er etwa fremd? Er weckt die schlaftrunkene Violette mit der panischen Aufforderung ins Schlafzimmer zu eilen. Eugénies Name spricht er aus, durch die geöffnete Tür sieht man ihren leblosen Körper im Doppelbett liegen. Der in trostlose Trauer verfallene Dodin vergräbt sich in sich selbst. Als Paulines Eltern erscheinen & ihn bitten ihre Tochter trotz Eugénies Tod als Gehilfin aufzunehmen, wehrt er die Bitte erst ab, willigt aber dann ein, als die verzweifelten Eltern von der unerschütterlichen Passion ihrer Tochter für das Kochen hört. Sie sitzt dann später sogar an seiner Seite, als der Maitre de cuisine die Köchinnen testet, die ihm von seinen besorgten gastrophilen Freunden zugeschickt werden - & alle seinen Anforderungen nicht entsprechen. Bis eines Tages einer der Freunde ganz aufgeregt bei Dodin & Paulette erscheint, zwei Teller präsentiert, mit denen er ein Markknochen-Gericht von einer Köchin apportiert. Das überzeugt Dodin („Genau so schmeckt das Mark der Rinderknochen, merk Dir das!“, rät er der jungen Pauline). Sofort verlässt er mit dem Freund die Küche, um die endlich gefundene Nachfolgerin seiner geliebten Eugénie aufzusuchen - & kehrt aber doch zurück, um Pauline (die Zukunft, peut-etre) zum Mitgehen aufzufordern, so dass die drei unseren Blicken entschwinden …
Ein wunderbarer,
märchenhafter Schluss. (Denkt man.) Aber noch bewegender ist dessen Coda: der
langsame Kameraschwenk hin & her über die Kücheneinrichtung, die Näpfe &
Kupfertöpfe, mit deren kulinarischem Erlebnissen man in den letzten zweieinhalb
Stunden so vertraut geworden war. Und als die Kamera wieder beim Tisch ankommt,
sitzt überraschenderweise das Ehepaar an ihm. Eine Momentaufnahme, die uns
bislang unbekannt war. Und Eugénie fragt Dodin, als was er sie zur Ehefrau
genommen habe: als Geliebte oder als Köchin? „Als Köchin“, antwortet er; &
Eugénie ist sehr glücklich darüber (weil das Geständnis des Maitre de cuisine
seine Maitresse de cuisine damit endgültig an seine Seite stellt.)
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Geliebte Köchin
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