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Pot au Feu

Tran Anh Hungs Liebeserklärung an die französische Hohe Kunst
des Kochens & Liebens

Von Wolfram Schütte
 

Es gibt Filme (wie auch andere Kunstwerke), die einen so glücklich gemacht hatten, dass man wünschte, möglichst viele andere teilten das genossene Vergnügen mit einem. So einer ist „Geliebte Köchin“.
Der in Vietnam geborene französische Filmregisseur Tran Anh Hung hat ihn nach einem 1924 erschienenen frankoschweizer Roman gedreht. Dessen Autor war der Genfer Schriftsteller Marcell Rouff, der, wie ich Wikipedia entnehme, zusammen mit einem Freund zwischen 1921/28 so etwas wie einen Vorläufer des „Logis des France“ in 48 (!) Bänden publiziert hat.

Nach Rouffs Roman über den fiktiven „Napoleon der Gastronomie“ namens Dodin Bouffant – gewissermaßen die literarische Inkarnation des noch heute bekannten Gastrosophen Brillat-Savarin -   hat Tran Anh Hung seine 2 ½ stündige Hommage an die kulinarische Kunst, als Inbegriff der französischen Kultur, nach einem eigenen Drehbuch mit Juliette Binoche (Eugénie) & Benoit Magimel (Dodin) gedreht.
Zumeist nur für die Handvoll passionierter Gourmet-Freunde, wohlhabende Kenner & Liebhaber aus der Hautevolée der Provinz, bereitet Dodin Bouffanter zusammen mit seiner langjährigen Köchin Eugénie in der großen Küche im Keller seines kleinen Schlösschens mehrgängige exquisite Menüs. Der Prozess der Herstellung der Speisen ist das erzählerische Zentrum von „Geliebte Köchin“.

Bevor man eine menschliche Person zu sehen bekommt, zeigt die Kamera die „Persönlichkeit“ einer großen erdigen Selleriewurzel, die offenbar gerade aus dem Gemüsegarten von Eugénie entnommen wurde. Die Köchin ist dabei, Salate & Gemüse frisch zu ernten & sie in die geräumige Küche mit Metallherd & offenem Kamin, mehreren Tischen samt einer Vielzahl von großen & kleinen Kupferkesseln & allen nötigen sonstigen Handwerksmitteln der Kochkunst abzuliefern. Zur Einrichtung gehört auch eine handbetriebene Eiszertrümmerungmaschine, wie auch ein Fass mit Eiswasser, um das eben blanchierte Gemüse abzukühlen.

Neben Eugénie ist dort Dodin, der Chef de Cuisinier, bereits zugange. Für Hilfsdienste ist die Serviererin Violette zur Stelle. Sie hat diesmal ihre kindliche Kusine Pauline (Bonnie Chagneau-Ravoir) in die Küche mitbringen dürfen. Während Koch & Köchin ihren professionell auf einander abgestimmten Tätigkeiten routiniert nachgehen, verständigen sie sich über Blickkontakt immer wieder beglückt über die Neugier des kleinen Mädchens. Dodin fordert Pauline auf, eine seiner Saucen zu kosten & ihm zu sagen, welche Ingredienzien sie enthält – eine „Prüfung“, welche das Kind blendend besteht. Denn Pauline aus bäuerlicher Familie will Köchin werden & bei Dodin lernen. Er bittet Eugénie, Paulines Eltern zu besuchen & das hochtalentierte Kind bei ihnen „loszueisen“. Sie wollen es bedenken.

Während der ersten halben Kino-Stunde in der Küche, beim gemeinsamen Umgang mit Fischen, Hühnern & Gemüsen in Töpfen & Pfannen, die sich in vollkommener Stille unter den Händen aller Tätigen zur Abfolge eines mehrgängigen Menüs verbinden, entsteht unter den mobilen Kamerablicken Jonathan Ricquebourgs, quasi dokumentarisch die ebenso faszinierend gespannte wie sinnlich aufblühende Atmosphäre einer verschworenen Gemeinschaft Gleichgesinnter, die im stetigen Geben & Nehmen kochend das Kunstwerk eines raffinierten Menüs gemeinsam gestalten. (Als Cinéast könnte man darin auch die metaphorische Beschwörung der Produktion eines französischen Autorenfilms assoziieren.)

Diese Ouvertüre über die Hohe Kunst des Kochens gleicht der Zelebration eines religiösen Rituals, das dann erfüllt scheint, wenn Violette mit den gelungenen Creationen aus der Keller-Küche hoch in den Speiseraum geschickt wird, wo sich dann der Maitre de Cuisine mit seinen befreundeten Kennern & Liebhabern, zumeist im Gespräch über Essen & Trinken, daran erfreut.

Währenddessen speisen in der Küche auch die drei Frauen. Das Personal bleibt unter sich, wenn auch kulinarisch auf gleichem Niveau mit der Herrschaft. Zum Abschluss des rituellen gastronomischen Schwelgens auf zwei (Klassen-)Ebenen kommen die Männer in die Küche, um Eugénie in den höchsten Tönen zu preisen & sich bei ihr zu bedanken. Zurecht; denn seit rund zwanzig Jahren sind seine Haushälterin Eugénie & der reiche Bonvivant Dodin ein Paar – insgeheim nicht nur beim Kochen.

Obwohl er sie schon mehrfach gebeten hatte, seine Ehefrau zu werden, hat sie auch jetzt wieder ihn abgewiesen. Auch bestimmt sie, wann er ihr nächtlich „beiwohnen“ darf. Dann schließt sie abends die Tür ihrer Dachkammer nicht ab – wie heute, wenn der berühmte Koch im Nachthemd hinaufsteigt, die Tür öffnet & voller Bewunderung den sinnlich lockenden Rücken der nackten Geliebten bewundert - & die Tür hinter sich schließt.

Ein Idyll sinnlichen Glücks, seliger Sorglosigkeit, subtilster Gaumenfreuden & harmonischer Freundschaften. Man fühlt sich als Kinozuschauer, angezogen von der Pracht & Herrlichkeit der kleinen Provinzgesellschaft, die Ricquebourgs Kamera in schwelgerischer Farbigkeit, warmem Kerzenlicht & fließenden Bewegungen auf die Leinwand zaubert, an Renoir Vater & Sohn erinnert, an den impressionistischen  Maler von Tischgesellschaften & an das farbsatte Spätwerk des sinnenfreudigen Filmregisseurs.

Aber was wäre diese eindrückliche Beschwörung der subtilsten Koch-Kunst von La France profonde wert – und hätte der Liebe nicht? Das Besondere dieser Liebe aber ist, dass die sozial abhängige, beruflich gleichwertige Eugénie selbst bestimmt, wann der Patron nachts ihr Geliebter sein darf.
Aber Dodin wünscht sehnlichst, dass Eugénie auch seine Ehefrau wird – umso mehr, als die Geliebte häufiger von rätselhaften Schwächeanfällen heimgesucht wird. Nachdem die offenbar Kranke sich von einem auch den Freunden bekannt gewordenen Anfall in ihrem Zimmerchen erholt, kocht Dodin einzig ihr ein mehrgängiges Menü & bittet sie, ihr beim Essen zusehen zu dürfen.
Im Dessert hat er einen Verlobungsring versteckt. Dieser gewissermaßen ebenso ritterlich-verschmitzten wie der gemeinsamen Passion entsprechenden Werbung kann die liebevoll Bedrängte nun nicht mehr widerstehen. Sie stimmt der Heirat im großen mediterranen Stil zu, will sagen der langen Tafel mit vielen Freunden im sommerlichen Garten.
Als das Paar allein ist, erreicht der Film einer seiner rührendsten, tiefsinnigsten Momente. Eugénie bleibt an der Tür zum nun gemeinsamen Schlafzimmer schüchtern stehen, überschreitet aber vorerst nicht die Klassenschranke & zieht den Ehemann wieder, wie verschämt, in ihr altes Zimmer.

Während ein Fettammer-Essen der Schlemmer, bei dem jeder eine ganze gemästete Ammer mit Kopf & Knochen, jeweils verhüllt unter einer großen Serviette, verspeist – als  exzentrisches historisches Ritual zelebriert wird, das heute in Frankreich verboten ist (Der todkranke Mitterand hat sich darüber hinweggesetzt & derart mit intimen Freunden seinen Lebensabschied gefeiert), dient eine andere Episode des Films dazu, die Subtilität kulinarischer Hochkunst gegenüber dem kumulativen Auftrumpfen in Positur zu setzen. Auf das achtgängige Menü eines „eurasischen“ Prinzen, zu dem der französische Maitre Cusinier eingeladen wird, will er mit der Apotheose des Pot au feu, dem schlichten Klassiker der französischen Küche, „antworten“. Ein Wettstreit, den Tran Anh Hung nicht materiell, sprich: optisch, sondern nur verbal, will sagen: gesprächsweise auftischt.

Mit der Darstellung des Glücks des gemeinsamen kulinarischen Tätigseins läßt sich Tran Anh Hung Zeit, so dass „Geliebte Köchin“ die nachdenklich-sanfte Ruhe einer (asiatischen?) Meditation ausstrahlt; dagegen schließt der Film in seinem letzten Drittel mit mehreren erzählerischen Ellipsen.

Von Eugénies baldigem Tod erfährt man durch die zuerst verwirrende Einstellung, in der Dodin das Schlafzimmer (wieder im Nachthemd) verlässt & in das Zimmer der Bediensteten läuft. Geht er etwa fremd? Er weckt die schlaftrunkene Violette mit der panischen Aufforderung ins Schlafzimmer zu eilen. Eugénies Name spricht er aus, durch die geöffnete Tür sieht man ihren leblosen Körper im Doppelbett liegen.

Der in trostlose Trauer verfallene Dodin vergräbt sich in sich selbst. Als Paulines Eltern erscheinen & ihn bitten ihre Tochter trotz Eugénies Tod als Gehilfin aufzunehmen, wehrt er die Bitte erst ab, willigt aber dann ein, als die verzweifelten Eltern von der unerschütterlichen Passion ihrer Tochter für das Kochen hört.

Sie sitzt dann später sogar an seiner Seite, als der Maitre de cuisine die Köchinnen testet, die ihm von seinen besorgten gastrophilen Freunden zugeschickt werden - & alle seinen Anforderungen nicht entsprechen. Bis eines Tages einer der Freunde ganz aufgeregt bei Dodin & Paulette erscheint, zwei Teller präsentiert, mit denen er ein Markknochen-Gericht von einer Köchin apportiert. Das überzeugt Dodin („Genau so schmeckt das Mark der Rinderknochen, merk Dir das!“, rät er der jungen Pauline). Sofort verlässt er mit dem Freund die Küche, um die endlich gefundene Nachfolgerin seiner geliebten Eugénie aufzusuchen - & kehrt aber doch zurück, um Pauline (die Zukunft, peut-etre) zum Mitgehen aufzufordern, so dass die drei unseren Blicken entschwinden …

Ein wunderbarer, märchenhafter Schluss. (Denkt man.) Aber noch bewegender ist dessen Coda: der langsame Kameraschwenk hin & her über die Kücheneinrichtung, die Näpfe & Kupfertöpfe, mit deren kulinarischem Erlebnissen man in den letzten zweieinhalb  Stunden so vertraut geworden war. Und als die Kamera wieder beim Tisch ankommt, sitzt überraschenderweise das Ehepaar an ihm. Eine Momentaufnahme, die uns bislang unbekannt war.  Und Eugénie fragt Dodin, als was er sie zur Ehefrau genommen habe: als Geliebte oder als Köchin? „Als Köchin“, antwortet er; & Eugénie ist sehr glücklich darüber (weil das Geständnis des Maitre de cuisine seine Maitresse de cuisine damit endgültig an seine Seite stellt.)

Artikel online seit 26.02.24
 

Geliebte Köchin
Originaltitel:
La Passion
de Dodin Bouffant
Produktionsland/-jahr: Frankreich 2023
Genre: Romance
Regie: Trần Anh Hùng
Darsteller: Juliette Binoche, Benoît Magimel, Pierre Gagnaire, Galatéa Bellugi, Emmanuel Salinger, Patrick D‘Assumaçao
Lauflänge: 136 min
FSK: 6 Kinostart: 08.02.2024

 


 

 


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