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Wie abgedunkelte Räume im Sommer

Katharina Pektor legt einen bibliophilen Band zu den
Übersetzungen Peter Handkes von René Char vor.

Von Lothar Struck
 

Bislang hat Peter Handke seit 1980 33 Bücher ins Deutsche übersetzt. Nicht eingerechnet drei eigene Theaterstücke, die er vom Französischen selber übertragen hatte. Handke hat immer darauf hingewiesen, den professionellen Übersetzern nicht die Arbeit weggenommen zu haben. Seine Übertragungen dienten auch (wenn nicht sogar vordringlich) dazu, die Aufmerksamkeit auf andere, bis dahin unbekannte Autoren zu lenken. So übersetzte er aus dem Slowenischen fünf Bücher mit Gedichten von Gustav Januš, zusammen mit Helga Mračnikar Der Zögling Tjaž von Florjan Lipuš und 2020 Erste und letzte Gedichte von Fabjan Hafner. Vom amerikanischen Autor Walker Percy übertrug er zwei Bücher und steuerte sogar eine neue Version von Shakespeares Wintermärchen bei. Handke wagte sich auch an die griechischen Klassiker Euripides und Sophokles. Der größte Teil – insgesamt 20 Bücher - sind Übertragungen aus dem Französischen. Von Marguerite Duras nahm er sich der Erzählung La Maladie de la Mort im Hinblick auf eine spätere filmischen Realisierung an. Handke machte deutschsprachige Leser mit Emmanuel Bove, Francis Ponge, den späteren Nobelpreisträger Patrick Modiano, Georges-Arthur Goldschmidt, Bruno Bayen und den in (französisch schreibenden) griechischen Lyriker Dimitri Analis bekannt.

Auch vom französischen Lyriker René Char (1907-1990) übersetzte Handke zwei Bücher. Char genießt in Frankreich eine hohe Reputation. Albert Camus charakterisierte ihn 1959 »Dichter des Aufruhrs und der Freiheit« und nannte ihn den »größten lebenden Dichter«. Dies bezog sich nicht nur auf sein lyrisches Werk, sondern auch seinen bewaffneten Kampf in der französischen Résistance ab 1941 (»Capitaine Alexandre«). 1983 wurde sein Werk in die »Bibliothèque de la Pléiade« aufgenommen.

Handke nahm sich zunächst 1984 der Gedichtsammlung Le Nu perdu et autres poèmes 1964–1975 an. Sie erschien unter dem deutschen Titel Rückkehr stromauf, Gedichte 1964–1975, in der »Edition Akzente« im Hanser Verlag. 1990 dann in einer bibliophilen Ausgabe der »Edition Petrarca« im Münchner Klaus G. Renner Verlag, Die Nachbarschaften Van Goghs (Les voisinages de Van Gogh [Erstausgabe in Frankreich 1985]).

Im Rahmen der »Edition Petrarca« erscheint nun bei Wallstein der Band René Char und Peter Handke - Gute Nachbarn, der sich der Genese und des Umfelds dieser beiden Übersetzungsarbeiten widmet. Katharina Pektor, aktuell Leiterin der digitalen Edition »Peter Handke: Notizbücher« am Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, ist eine der besten Kenner des Werkes von Peter Handke und fungiert hier als Herausgeberin.

Der Hanser-Band Rückkehr stromauf ist bedauerlicherweise nur noch antiquarisch bzw. bei Suhrkamp als »Print on demand« erhältlich. Einen Eindruck von Klang und Rhythmus von Chars Lyrik erhält der Leser dennoch, da die Gedichte aus Die Nachbarschaften Van Goghs französisch/deutsch abgedruckt werden. Danach folgt die nur wenige Briefe und Postkarten umfassende Korrespondenz zwischen Char und Handke (die Übersetzung übernahm Helmut Moysich). Im ersten Brief 1983 schreibt Handke an Char schwärmerisch, »dass ich mit immer größerer Freude an Ihren Texten arbeite; für mich ist es eine Weise, eine universelle Kindheit wiederzuentdecken. Und zusätzlich lerne ich lesen durch das Übersetzen, wie es schon der Fall war mit den Gedichten Hölderlins oder den Fragmenten der Vorsokratiker.« Handke besuchte den »lieben großen Dichter« in L’Isle-sur-Sorgue und die beiden tauschten Pflanzenstöcke aus. Die Herausgeberin spürt die Journaleinträge Handkes zu Char auf. Hier kann man auch Impressionen eines Besuchs Handkes von 1983 nachlesen. Es folgen chronologische Gesprächsausschnitte Char betreffend zwischen 1985 und 2008.

Handke erzählt, wie er nicht die Worte, sondern das in ihm sich formierende Bild übersetzt. Und von dem Ehrgeiz, die Lakonik Chars zu übernehmen, was stets scheiterte – die Sätze waren im Deutschen immer länger. Wenn »die Gefahr naht, daß es eine Aussage oder Bedeutung bekommt, oder daß es symbolisch wird«, so Handke, »dann weicht er [René Char] sofort in eine dunklere Klarheit aus.« Besonders interessant ist eine Äußerung im Gespräch mit France Huser aus dem Jahr 1990, das hier erstmals in deutsch vorliegt (abermals Moysich). Handke bezeichnet Char als einen »Archäologen der Worte«. Er selber sei »nur ein Leser.« 2008 allerdings zeigte er sich dann plötzlich distanziert, attestiert Char »mangelnde Bescheidenheit« und »bemerkt, wie sehr ihn der Ton seiner Dichtung – euphemistisch gesprochen – auf die Nerven gehe«.

Das Herz des Buches bilden die beiden aufschlußreichen Aufsätze von Katharina Pektor zu den beiden Übersetzungsbüchern. En passant erfasst sie Handkes Erzählimpetus, erklärt seinen »Übersetzungsrausch« Anfang der 1980er Jahre, streift Chars Bekanntschaft mit Martin Heidegger und protokolliert die schroffe Ablehnung Chars, den Petrarca-Preis entgegen zu nehmen. Zusätzlich sind einige Faksimiles der Übersetzungsmanuskripte abgebildet. Auffallend, dass Handke auf zwei Seiten eine Form von Kommentierung vornimmt. So setzte er unter der Übersetzung zu Sommeil aux Lupercales/Schlaf am Faunsfest in Parenthese vier Ausrufezeichen. Und unter Vindicte du lièvre/Verfolgung des Hasen findet man »?!« (oder sind es zwei Ausrufezeichen?). Die Arbeiten zu Die Nachbarschaften Van Goghs, die im Sommer 1987 begann, wurden ohne Hilfe Chars durchgeführt, der zu diesem Zeitpunkt bereits schwer erkrankt war und auf Briefe Handkes nicht mehr antwortete. Der Band erschien erst nach Chars Tod.

Im Essay von Elisabeth Schwagerle werden die Übersetzungen Handkes in Bezug auf die Bedeutung seines Werkes behandelt. 1989 sagte Handke, die Char-Übertragungen seien »die schönste Übersetzungserfahrung« jemals gewesen. Die verschiedentlich geäußerten Kritikpunkte an der Übersetzungen Handkes werden nicht ausgespart. Zu unterscheiden sind hier eindeutig benennbare Fehler und Ungenauigkeiten und erlaubte (?) »Freiheiten« des Übersetzers. Schon zu Beginn macht Pektor klar, dass diese Char-Übersetzungen eben immer »Handke-Char-Gedichte« bleiben werden (wie die Übersetzungen beispielsweise von Paul Celan immer »Celan-Char-Gedichte« sind). Auch Schwagerle skizziert in Bezug auf die »Enthistorisierung der Realität« poetische Verfahrensweisen von Handke.

Den Abschluß bilden ein instruktiver Aufsatz Manfred Bauschulte über die Rezeption Chars in Deutschland nebst der diversen Übersetzungen und -Ausgaben und eine kurze Reminiszenz von Michael Krüger auf seine Zeit auf dem Gymnasium, die Langeweile des Deutschunterrichts und die Entdeckung von Hypnos von René Char, einst eines seiner »Trostbücher«.

Der Lektüregenuss dieses fast schon bibliophilen Buches gelingt nicht zuletzt deshalb, weil die Beteiligten auf den so lähmenden Germanistenjargon verzichten. Fast spielerisch wird die zunächst hermetisch und »orakelhaft« scheinende Lyrik von René Char plötzlich offener. Bauschulte spricht von den Gedichten als »kleine Kapseln, die versuchen, die zum Teil rätselhaften Sprachbilder durch dosierten sinnlichen Nachvollzug aufzusprengen.« Dies gelingt, ohne über sie einen »Vorhang von Erklärungen« (René Char 1985) zu werfen. Neugierig macht die schöne Formulierung, die von Elisabeth Borchers übernommen wurde. Danach seien Chars Gedichte wie »›abgedunkelte Räume‹ im Sommer, vielleicht in einem Haus in der Provence«. Keine Frage, Katharina Pektor ist ein großartiges Buch gelungen.

Artikel online seit 15.03.24
 

René Char und
Peter Handke

Gute Nachbarn
Gedichte, Briefe, Texte und Bilder
Herausgegeben von Katharina Pektor

Übersetzung der französischen Briefe und Interviews ins Deutsche von Helmut Moysich
251 S., 39 farb. Abb.
28,00 €
978-3-8353-5578-1


 

 


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