Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik                                           Impressum & Datenschutz

 

Home   Belletristik   Literatur & Betrieb  Krimi   Biografien, Briefe & Tagebücher   Politik   Geschichte   Philosophie  


 







RWF als Wünschelrute & Wundertüte

Ian Penmans Auskristallisation der »Fassbinder«-Zeit

Von Wolfram Schütte
 

Nun, »Tausende von Spiegeln« sind es nicht, die uns der britische Autor unter dem lockenden Titel »Fassbinder« verspricht; aber 450 wurden es doch: ein paar einzeilige & einige, die umfänglicher sind als maximal eine Seite, in denen Ian Penman seine wildwuchernde Beschäftigung mit Rainer Werner Fassbinder, 40(!) Jahre nach dessen Tod, aufgesplittert hat.

Unter der umfänglichen RWF-Literatur dürfte dieses jüngste Buch das originellste sein. Der Mann mit dem symbolträchtigen Namen nimmt den deutschen Filmemacher nicht nur aus seiner eigenen persönlichen Perspektive & Biographie wahr (»RWF kam mir damals als der größte Rockstar vor, größer als alle echten Rockstars«), er ist ihm en gros et en détail auch so etwas wie jener Zweig, der nach Stendhals berühmter Metapher in einem Salzbergwerk nach einiger Zeit Kristalle anzieht, womit Stendhal die Ausbildung der Liebe in der menschlichen Seele versinnbildlichen wollte.

Penman lässt an Rainer Werner Fassbinder die ganze kulturpolitische Epoche sich auskristallisieren, beschreibt dabei gleichzeitig seinen eigenen Weg zu RWF, betrachtet aber auch, was nach RWF kam, überlegt, wie sich der Einzigartige im Heute ausnehmen würde & erfindet sogar fiktiv mögliche Fassbinderfilme u.a. nach Vorlagen von Nabokov, Cheever, Joseph Roth oder Walter Abisch.

Der 1959 geborene englische Kulturjournalist, der vor allem im Bereich der Pop-Musiken arbeitete (& damit gewissermaßen die britische Entsprechung des usamerikanischen Greil Marcus & des deutschen Diedrich Diederichsen ist) kennt sich nicht nur in der Bio-& Filmographie Fassbinders bis zu dessen letzten Augenblicken aus (wie wohl derzeit kein zweiter), sondern schweift kenntnisreich & lustvoll zu anderen Zeitgenossen RWFs ab – wie natürlich zu Douglas Sirk, aber auch z.B. Jean Genet, Straub-Huillet, Syberberg, Theweleit, oder gar zu Uwe Johnson. Selbstverständlich gehören auch Benjamin & Adorno oder Barthes zur intellektuellen Topografie des Autors einer vagabundierenden »Fröhlichen Wissenschaft« aus anarchistischem Geist & spielerischer Phantasie.

»Die meisten meiner liebsten Fassbinder-Momente«, schreibt der bekennende Fan, »haben mit Zärtlichkeit und Traumata zu tun«. Seine Filme, von denen er noch weiß, in welchem Kino er sie zum ersten Mal gesehen hat, »enthalten die klarste Darstellung von Einsamkeit… eine Einsamkeit, noch brutaler und schneidender dadurch, dass sie unter Menschen verortet ist; Einsamkeit im Gewühl der Menge; eine stumm klagende Einsamkeit«. Oder: »Angst« scheine sein »Lieblingswort« gewesen zu sein, weil es überall in seinen Filmen auftauche, sowohl beim frühen wie späten Fassbinder. Seine Figuren verbreiteten »ein erstickendes Gefühl der Ausweglosigkeit. Widerstand ist zwecklos, finale Entfremdung, nicht zu überwinden«.

Wie seine Filme enden, fragt er einmal rhetorisch & antwortet lakonisch: »Ohne Hoffnung«. Dann resümiert er, von der »Sehnsucht der Veronika Voss« aus, die er besonders schätzt, das Oeuvre Fassbinders vom Debut »Liebe ist kälter als der Tod« bis zum ultimo von »Querelle« (2 Morde). Mehrfach enden die Filme in Selbstmorden oder Drogen-Überdosen – als werde der Exitus RWFs darin schon präludiert.

Andererseits kam Penman als er »jung war und vom Leben keine Ahnung hatte« Fassbinders pessimistischer Blick auf »diese erschöpften Existenzen hellsichtig und wahrhaftig vor. Heute frage ich mich«, setzt der Bewunderer seine Überlegung fort, »Ist diese Art Weltsicht nicht allzu typisch und allzu bequem für einen in seiner Entwicklung steckengebliebenen Mann, der sich angewöhnt hat, den eigenen Schmerz zum Fetisch zu machen, ohne dabei das geringste Mitgefühl für den oft viel größeren Schmerz anderer zu empfinden?«

So subjektivistisch & kritisch sich der britische Kenner & Liebhaber in das Oeuvre Fassbinders auch vertieft & sogar späte Entdeckungen im Internet wie die »Bremer Freiheit« (mit Wolfgang Kieling!) macht, so schwärmerisch bleibt er bei seiner Fassbinder-Umwälzung. »Den reinen visuellen Genuss dürfen wir nie aus den Augen verlieren; wir dürfen nie vergessen, wie reinweg schön seine Filme sein konnten. Alle, die wir im Kino saßen, wollte er verführen, genau wie er die Menschen auch sonst verführte. Er wollte ätzen, strafen, wüten und aufbegehren; aber er wollte auch gleichzeitig von der ganzen Welt geliebt werden«. Sollte nicht der nächste Film, den zu drehen ihn sein Tod verhinderte, »Ich bin das Glück dieser Erde« heißen?  

Die Fülle der hier versammelten Feststellungen, Überlegungen, Spekulationen, Behauptungen, Zitierungen ist nicht resümierbar: so viele kontroverse sind sie, manche auch absurd, unerheblich & läppisch. (Auffällig aber, dass als einzige aus Fassbinders Schauspieler-Universum nur Hanna Schygulla nicht näher von Ian Penman betrachtet wird, ohne dass es verständlich oder begründet worden wäre.)

Vor allem aber ist Ian Penmans »Fassbinder« ein phantastisch aufwühlender, weit in Zeit-& Kulturgeschichte der Siebziger- & Achtziger Jahre ausgreifender, das Swinging London auf dem Weg zum anarchistischen Punk höchst intim beschreibender Innerer Monolog des mit allen Wassern gewaschenen Erzählers, dem man in nostalgischem Rausch des assoziativen Wiedererinnerns folgt – als wäre man unmittelbar Zeuge, wie er hier sein außergewöhnliches Buch zu einem bunten Fleckerlteppich verwebt, den der vielfach ausgezeichnete Robin Detje übersetzt hat.

Aber eine von Penmans verstreuten Reflexionen & Maximen freut einen als passionierten Kinogänger doch sehr: "Noch Jahrzehnte später kann ich in mir die verwirrende Kraft wieder wachrufen, die gewisse Filme haben, wenn man sie das erste Mal im Kino sieht. Eine Erfahrung nahe an der Epiphanie. Nicht nur hinter den Augen, sondern im ganzen Körper. Eine Störung in der Wahrnehmung der Zeit." Gut möglich, dass mancher Leser ähnliche euphorische Erfahrungen mit diesem schillernden Buch macht.

Artikel online seit1.04.24

Ian Penman
Fassbinder
Tausende von Spiegeln
Aus dem Englischen übersetzt von Robin Detje
edition suhrkamp 2802
Suhrkamp Verlag, Berlin 2024
243 Seiten
20,00 €
978-3-518-12802-2


 

 


Glanz & Elend
- Magazin für Literatur und Zeitkritik
Home   Literatur   Krimi   Biografien, Briefe & Tagebücher   Politik   Geschichte   Philosophie    Impressum - Mediadaten