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Fortgesetzte Demütigung des Menschen

Ali Asgari & Alireza Khatami haben ein iranisches
Meisterwerk vorgelegt:
»Irdische Verse«

Von Wolfram Schütte
 

Von Ernst Jünger soll die Behauptung stammen: »Zensur verfeinert den Stil«. Auf keine Kinematographie trifft das im letzten Halbjahrhundert folgenreicher zu als auf den Film in der theokratischen Diktatur des Iran. Seit dem magistralen Oeuvre Abbas Kiarostamis (1940/2016) hat das Land uns Cinéasten der Welt immer wieder mit unerwarteten neuen Filmemachern & -macherinnen überrascht, deren Werke mehr oder weniger verschlüsselt, insgeheim oder beiläufig, jedoch offensichtlich so mehrdeutig gestaltet sind, dass ihre Konterbande oder »hints« zum Begleitambiente ihres künstlerisch-ästhetischen Ausdrucks notwendig gehören.

Die stetige Existenz von originellen Neuzugängern, deren sozialkritische Filme sowohl den Behörden der »islamistischen Republik« ein Dorn im Auge sind als auch auf den großen Filmfestivals der Welt bewundert & regelmäßig mit Preisen ausgezeichnet werden (obwohl ihre Schöpfer zumeist den Iran dann weder verlassen, noch diese Filme in ihrer Heimat in den Kinos laufen dürfen) hat schon zu komplizierten Verschwörungstheorien geführt. Als wolle der überlistete Staat, der mit Arbeitsverbot & zeitweiser Verhaftung der Künstler operiert, durch die widerwillige Duldung ihrer kritisch oder gar illegalen (»Taxi Teheran«) Tätigkeiten insgeheim sein Ansehen als liberal in der Welt verbessern.

Solche Kopfgeburten erbitterter Exil-Iraner sind jedoch Unsinn. Man braucht nur an das Verhalten der DDR gegenüber ihren in der BRD publizierenden Literaten & Literatinnen zu denken (z.B. Günter Kunert oder Christa Wolf), um den von der Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit erzwungenen zurückhaltenden Umgang von manchen Diktaturen mit ihren künstlerischen Dissidenten zu begreifen.

Die jüngste derartige Überraschung sind die »Irdischen Verse« von den beiden Filmemachern Ali Asgari & Alireza Khatami. Beide stammen aus unterschiedlichen iranischen Minderheiten, hatten sich mit ihren ersten Filmen auf dem Toronto-Filmfestival kennengelernt. Khatami ist iranischer US-Bürger, Asgari lebt in Teheran.

Die beiden haben selbstbewusst erklärt: »Die Zeit, eine Geschichte um das Feuer herum zu erzählen, ist vorbei. Jetzt ist es an der Zeit, eine Geschichte innerhalb des Feuers zu erzählen. Also haben wir das Feuer von allem befreit, was den Flammen im Weg stand. Wir wollten sehen, wie scharf dieses Medium werden kann, wie direkt es sein kann. Es gibt eine Zeit, Geschichten zu erzählen, und es gibt eine Zeit, um Zeugnis abzulegen«. Und der US-Bürger   Khatami fügt hinzu: «Die Ereignisse im Iran haben alles vor und nach der Bewegung >Frau, Leben, Freiheit< in den Schatten gestellt. Es gab ein Kino davor, und es wird ein Kino danach geben«.

Ihre »Irdische Verse« soll der erste Film  nach dem tollkühnen Mut der iranischen Frauen zur offenen Rebellion gegen das Mullah-Regime sein, der an der unterdrückten Bewegung »Frau, Leben, Freiheit« nun selbst Maß nimmt &  ein vielfaches Zeugnis vom leidvollen Leben im iranischen Alltag unter der Knute der  totalitären Macht ablegt.

Sein Titel klingt wie eine Variation der von Chomeini einst folgenreich inkriminierten »Satanischen Verse« Salman Rushdis, stammt aber von einem Gedicht der iranischen Dichterin Forugh Farrochzad (1935/1967). Deren elfteiliges Ghasel-Poem mit diesem Titel diente Asgari/Khatami als formale Gliederung ihres »schneidenden« Film-Poems.

Direkter, triftiger & entschiedener hat noch kein Film aus dem Iran die oppressive Herrschafts-Struktur der »Islamischen Republik« als fortgesetzte menschliche Demütigung von der Geburt bis zum Tod uns vor Augen gestellt. Und zwar durch die Minimal Art einer neunmal wiederholten gleichen Kamera-Einstellung.

Die unterschiedlichsten Personen werden dadurch in dem immer gleichen Fokus präsentiert, sie bewegen sich vor der fixierten Kamera & blicken direkt auf die Zuschauer, die dadurch Zeugen ihrer oft verzweifelten Verhaltensweisen sind, den aus dem off an die Personen gerichteten Aufforderungen & Befehlen Folge zu leisten oder ihrer offensichtlichen »Zurichtung« zu entkommen & aus dem Bild zu fliehen. Neben diesen erschütternden Augenblicken von menschlicher Demütigung, entstehen auch manchmal bitter-komische Momente eines verzweifelten Kampfs gegen die Bürokratie der Diktatur, die einem Kafkas Lachen beim Vorlesen seine literarischen Albträume verständlich machen.   

Die junge Frau, die sich aufgrund einer Annonce in einem Empfangsraum vorgestellt hat & auf eine versprochene Arbeitsstelle zu hoffen sich anschickt, bemerkt jedoch im Laufe des Gesprächs, dass die höflich-einschmeichelnde Stimme des Arbeitgebers sie bloß umgarnen will, um sie sexuell gefügig zu machen. Als sie seine hinter freundlichen Versprechen verborgenen Absichten bemerkt hat, verlässt sie fluchtartig das Sofa, auf dem sie Platz genommen hatte & von uns Zuschauern (gewissermaßen an der Seite ihres Verführers) von oben herab die ganze Zeit über betrachtet worden war. Das zuletzt leere Bild der Szene wird erfüllt von den fluchenden, bösen Verwünschungen der zur Kenntlichkeit veränderten Macho-Stimme aus dem Off, dem sein Opfer entkommen ist.

Begonnen hatten die »Irdischen Verse« mit einer lange währenden Totalen auf das Häusermeer von Teheran. Durch raffiniert verschleierte Zeitraffer scheint die Hauptstadt aus Morgennebel & Smog in den hellen Tag zu erwachen. Von nun an blättert der Film, jeweils durch Schwarzfilm getrennt, sein neunteiliges Ritornell in chronologisch aufsteigender Verhör-Dialog-Situationen auf.

Ein gerade Vater Gewordener möchte beim Standesamt seinem Sohn den Vornamen »David« geben. Der Beamte hinterm Schalter (mit dessen Blickrichtung wir Zuschauer auf den Bittsteller blicken) will wissen, warum er unbedingt nur diesen Namen gewählt habe. Es sei der Name eines von seiner Frau besonders verehrten Schriftstellers, antwortet der zunehmend genervte Vater, der sich in eine grotesk-kafkaeske Diskussion verwickelt sieht – bevor er erfährt, dass der Vorname »David« nicht möglich sei, nur dessen islamische Übersetzung »Davood«. (Ich vermute, dass der hebräische Name »David« in der Islamischen Republik ein Tabu ist.)

Die nächste Erfahrung der religiös-staatlichen Reglementierung zeigt ein kleines Schulmädchen, das sich nach Unterhaltungsmusik aus ihren Kopfhörern in einem Textilkaufhaus wiegt – bis das Gespräch ihrer Mutter mit einer Verkäuferin, dem man zuhört, dazu führt, dass das Schulmädchen immer aufs Neue aus dem Bild verschwindet & von Mal zu Mal mehr in Textil (wie dem Tschador) vermummt zurückkommt, wie es die Schulordnung vorschreibt. Doch wie glücklich ist sie, wenn sie am Ende wieder »entblättert« wird.

Der Reigen dreht sich weiter zu einem Mann, der nur eine Führerscheinverlängerung beantragt, sich aber dafür entblößen muss, weil ihn seine Tattoos an den Armen verdächtig  gemacht haben & er sich auf  Brust & Rücken ein langes Gedicht hatte eingravieren lassen. Allerdings erfährt man in den Untertiteln nicht, ob es sich um aufmüpfige Poesie oder   nur um einen privaten Tick handelt, der bei der Bewilligung eines Führerscheins ja doch niemanden etwas angeht, bzw. nichts bedeuten sollte.

Die nächste Sequenz spielt in einem Zimmer mit großem Fenster, hinter dem ein Baukran manövriert: Unverkennbar ein Arbeiter, der seinen Job durch den Bankrott seines Arbeitgebers verloren hatte, wird bei seiner Bewerbung peinlich genau auf seine Glaubenssicherheit geprüft & offenbart dabei verleugnete & verschwiegene Mängel oder beschränkte religiöse Verständnisse, z.B. vom metaphorischen Sinn einzelner Suren des Korans. Arbeit nur bei Religionsausübung?

Eine burlesk-satirische Note hat die folgende Szene. Ein Filmemacher, der sein Drehbuch bei der Zensurbehörde eingereicht hatte, wird vom Zensor instruiert, was alles nicht erlaubt ist. Er reißt jedes Mal die inkriminierten Teile aus seinem vorgelegten Aktenordner – bis er am Ende nichts mehr in Händen hält.

Die rührendste Episode zeigt die sadistische Demütigung einer älteren bürgerlichen Dame, die nach ihrem verschwundenen einzigen Gefährten ihres Witwenlebens, einem Chihuahua, der ihr gestohlen worden war, bei der Polizei nachsucht. Statt des vermissten Luxushündchens bekommt sie nach einem langen, grotesken Wortwechsel mit dem Polizisten auf der Wache einen zufällig dort vorhandenen fremden Hund zugewiesen.

Unheimlich ist die ultimative Sequenz von »Irdische Verse«: In einem großen, lichten Hochhaus-Raum sitzt ein uralter Mann (dessen Äußeres stark an den Sterbenden in Kubricks »2001-A Space Odyssee« erinnert) an einem großen Schreibtisch & starrt apathisch in die Kamera, also auf uns Zuschauer. Ein anschwellender dumpfer Ton kündigt ein Erdbeben an, das die Zimmereinrichtung ins Wanken bringt & sie über dem stoischen Alten am Ende   zusammenbrechen lässt.

So bedrohlich die reale Erdbebengefahr in Teheran ist, so metaphorisch dürfte dieses seismographische Ende der »Irdischen Verse« von Ali Asgari & Alireza Khatami doch gemeint sein. Die poetische Stringenz ihrer episodischen Versuchsanordnung zur Kenntlichmachung der innersten Verfassung der »Islamischen Republik Iran«, übertrifft Brechts thematisch verwandte Szenenfolge »Furcht und Elend des Dritten Reichs«. Der tollkühne Film der beiden Iraner ist »Episches Theater« in Reinform.  

Artikel online seit 11.04.24
 

Irdische Verse
Mit:
Bahram Ark, Arghaven Shabani, Servin Zabetian
Regisseur: Ali Asgari, Alireza
Khatami
Land: Iran
Jahr: 2023
Genre: Satire
Länge: 77 Minuten
FSK: 6


 

 


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