Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik                                           Impressum & Datenschutz

 

Home   Belletristik   Literatur & Betrieb  Krimi   Biografien, Briefe & Tagebücher   Politik   Geschichte   Philosophie  


 







Teleportation, Fluch oder Segen?

J. O. Morgans fortschrittskritischer Roman »Der Apparat«

Von Gregor Keuschnig
 

Auch die Figuren im 2022 im Original erschienenen Roman Der Apparat (im Original: Appliance; deutsche Übersetzung von Jan Schönherr) des 1978 geborenen schottischen Autors J. O. Morgan bieten dem Leser wenig Identifikationspotenzial. Das ist allerdings beabsichtigt, denn in den elf Kapiteln wird jeweils über andere Protagonisten erzählt, die keinerlei Verbindung miteinander haben.

Morgans Apparat macht das, was einst in den Star-Trek-Folgen mit einer Mischung aus Faszination und Schauder als "beamen" bestaunt wurde. Objekte oder Personen konnten von einem Ort zum anderen "transportiert" werden, was den Effekt hatte, dass die Personen, die "weggebeamt" wurden sich vor den Augen des Zuschauers auflösten – um dann wenige Sekunden später am gewünschten Ort zu erscheinen. Teleportation" nannte man das ein bisschen wissenschaftlicher und der Ruf nach Scotty, dem Bordingenieur, der das Beamen vornehmen musste, war legendär.

Was zunächst als sperriger Klotz in der Küche eines Institutsmitarbeiters getestet wurde, entwickelt sich im Fortgang der Storys in diesem Buch zu einer immer wieder aufs Neue optimierten, erfolgreichen Technik. Zunächst konnte man nur Gegenstände teleportieren (was bei Umzügen praktisch war) und es stellt sich einmal mehr, frei nach Walter Benjamin die Frage, ob ein repliziertes Gemälde am Ende noch identisch mit dem Gemälde vor der Übertragung ist. Schließlich wird man Zeuge, wie ein Mann sich zu Testzwecken den Apparat aussetzt; auch hier ist unklar, ob es danach eine Veränderung gab. Später läuft das System anscheinend gut. Einige Wünsche erfüllen sich nicht. So ist es nicht möglich, an Krebs erkrankte Patienten ohne ihre Tumore sozusagen geheilt zu teleportieren, weil der Apparat immer alles transformiert und wieder "zusammensetzt". Die Präzision ist selbst denen ein bisschen unheimlich, die in oder an der Herstellung arbeiten, wie eine Journalistin feststellen muss, die einen "Mr.Jacks" in der Bar trifft. Er ist selber von der Fehlerunanfälligkeit überrascht und entwickelt darüber eigenartige Theorien. Es ist eines der interessantesten Kapitel im Buch.

Immer mehr setzt sich das Teleporter-System durch, macht Reisen überflüssig und wird schließlich auch in einer "Home"-Version angeboten, in dem komplette Wohnungen nebst Kleidung entsprechend zugerichtet und zu einer "technischen Einheit verschmolzen" werden. Eine andere Form des uns bekannten "Smart Home". Natürlich gibt es einige Personen, die sich dem Apparat und seinen Vorteilen widersetzen, aber die kommen irgendwann einfach nicht mehr mit ihrem Auto weiter, weil die Straßen nicht mehr ausgebessert werden. Und Flughäfen dienen nur noch als Kinderspielplätze.

Unsere digitale Gegenwart kommt nicht vor. Morgan ist irgendwann von den 1980ern direkt abgebogen ins Star-Trek-Beamen. Hierin liegt durchaus ein Reiz dieses Buches. Auch die Form, indem man voneinander unabhängige Texte den Erfolg des Dings erzählen lässt, ist gelungen. Insgesamt erscheint Der Apparat als eine Allegorie über schleichende Herrschaft der Techkonzerne der digitalen Internetwelt. Auch bei Morgan hat der Apparat-Hersteller eine große Macht. Als eine Frau ihre Tochter als vermisst meldet und dies als einen technischen Fehler dem Unternehmen vorwirft, weiß dieses, sich zu wehren. Technische und physikalische Details werden allerdings nicht erörtert. Und leider gibt es auch keine explizit politische Ebene in diesem Buch. Wer mit "Die" gemeint ist, bleibt unklar.

In der letzten Geschichte beobachten zwei Wanderer (!) eine zufällig an ihnen vorbeifliegende Rakete mit dem Ziel Mond. Dort will man endlich an die Ausbeutung der Rohstoffe gehen, die dringend notwendig sind, um neue Apparate zu konstruieren. Die Technikgläubigkeit der beiden ist grandios erzählt. Am Ende reden sie sich die Welt zurecht: "Die müssen also neue Maschinen auf dem Mond bauen, damit sie neue Mineralien runterschicken können, um hier unten neue Maschinen zu bauen, damit sie neue Leute auf den Mond schicken können?" Das Fragezeichen ist nur rhetorisch.

Der Wachstums- und Fortschrittsgedanke ist also das Bindeglied zwischen Morgans Apparat und unserem PC. In beiden Welten steht fest: Ein Zurück gibt es nicht. Diese Essenz, die einem über den Umweg der Lektüre deutlich gemacht wird, erscheint einem dann plötzlich unheimlich.

Artikel online seit 11.09.23
 

J. O. Morgan
Der Apparat
Roman
Übersetzt von Jan Schönherr
Rowohlt
240 Seiten
24,00 €
978-3-498-00302-9

 


Glanz & Elend
- Magazin für Literatur und Zeitkritik
Home   Literatur   Krimi   Biografien, Briefe & Tagebücher   Politik   Geschichte   Philosophie    Impressum - Mediadaten