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Weberaufstand 2.0

Anmerkungen zu Gavin Muellers radikaler Kritik am
gegenwärtigen linken Technik-Optimismus.


Von Peter Kern
 

Der alten Arbeiterbewegung galten der Fortschritt der Menschheit und der technische Fortschritt als identisch, ein den christlichen, den kommunistischen und den sozialdemokratischen Flügel einendes Verständnis. Dieses Buch formuliert den völligen Widerspruch zu diesem Begriff der Sache. Der technologischen Entwicklung sei die Verwandlung der Gegenwartsgesellschaft in einen totalen Überwachungskapitalismus anzulasten. Das höchste Stadium dieser Entwicklung manifestiere sich in der Computertechnologie. Seit sie die Arbeitsverhältnisse umgewälzt hat, habe die Logik der Macht die Psyche der Menschen beinahe völlig durchdrungen. Dagegen helfe nur, eine Bewegung im Geist der alten Maschinenstürmer zu initiieren. Ein Weberaufstand 2.0 schwebt Gavin Mueller, einem Dozenten an der Universität Amsterdam, vor.

Sein Buch mit dem sprechenden Untertitel Autonomie und Sabotage nimmt Bezug auf die englischen Vorläufer der schlesischen Weber, sich gegen die Fabrikarbeit zur Wehr setzende, gleichsam wie Freimaurer agierende, dabei Gewalt gegen Sachen wie Menschen ausübende Geheimbündler. Marx nennt die Emeuten gegen die von Wasser und Dampf mechanisierten Sägemühlen und Webstühle „Pöbelexzesse.“ Als Historiker der bürgerlichen Gesellschaft äußert er Verständnis für die „brutale Revolte des Arbeiters gegen das Arbeitsmittel“, aber als Kritiker der Verhältnisse geht ihm dieses Verständnis ab. Die dem Verwertungsimperativ unterworfene Maschinerie mache die Arbeitskraft unverkäuflich, „wie außer Kurs gesetztes Papiergeld“, heißt es im Kapital. Er nennt es eine „Dummheit… nicht die kapitalistische Anwendung der Maschinerie zu bekämpfen, sondern die Maschinerie selbst.“ Diese Dummheit wird in diesem Buch zur Klugheit und zur politischen Strategie geadelt.

Marx hatte einen Kapitalismus vor Augen, dessen Einhegung durch das bürgerliche Gesetzbuch darin bestand, die Arbeit von dreizehnjährigen Kindern auf zwölf Stunden am Tag zu begrenzen. Marx wird in diesem Buch ausgiebig zitiert, aber sein Autor hat keinen historisch bestimmten Begriff von Technik, sondern einen schlecht abstrakten. Damit landet man eher bei Heidegger und seinem ‚Gestell‘, als bei dem Kritiker der politischen Ökonomie. Solcher Webfehler ist sehr misslich, denn die in diesem Text vorgetragene Gegenposition zu den Hymnen auf künstliche Intelligenz, autonomes Fahren, ChapGPT oder das Internet of Things fehlt in der öffentlichen Debatte ja schmerzlich. Wird dieser Kontrapunkt aber in der Weise dieses Manifests gesetzt, kann die Kritik allemal einpacken. Denn sie stolpert über ihre Sektiererei. Mueller lässt sich einerseits von den hippen Schlagworten nicht das kritische Denken verbieten; andererseits ist es mit diesem Denken nicht sehr weit her.

Der Autor weist zu Recht darauf hin, dass sich technische Innovation keinem interesselosen Wohlgefallen, sondern einem ökonomischen Interesse verdankt. Der Presserummel um die Innovation ist meistens Teil der Anstrengung, sie durchzusetzen. Es geht um staatliche Forschungsgelder, die abgegriffen werden wollen, oder um das Anpreisen von Anwendungsmöglichkeiten. Industrie 4.0 ist ein bald genial zu nennendes Marketinglabel gewesen, vor zehn Jahren erfunden und als durchgehende Digitalisierung der Produktions-, Administrations- und Vertriebsprozesse in den wenigsten deutschen Betrieben wirklich zur Anwendung gekommen. Als Internet of Things erlebt das Label gegenwärtig ein Upgrading, aber es fällt ihm schwer, in der Konkurrenz mit der künstlichen Intelligenz (KI) zu bestehen.

Die KI gilt als Mittel, die Bürobereiche - neudeutsch Corporate Center - weiter zu verschlanken. BASF, Bayer, Daimler, Deutsche Bank, Lufthansa, SAP und Siemens haben in der jüngsten Vergangenheit administratives Personal in Tausendergröße abgebaut, und dieser Abbau wird mit GPT et altera weitergehen. Jede standardisierte, repetitive Tätigkeit, jede in einen logisch gebauten Satz übersetzbare Arbeitsanweisung, lässt sich automatisieren. Der per Sprachbefehl initialisierte Algorithmus prüft, ob alle Bewerbungsunterlagen vorhanden sind, ob ein Zahlendreher eine Überweisung blockiert, ob der Kunde eine Reklamation zu Recht geltend macht. Die klassischen Angestelltenabteilungen werden ausgedünnt: Controlling, Personalverwaltung, Finanzbuchhaltung.

Automatisierung ist das Mittel, und der Zweck ist es, menschliche Arbeitskraft zu ersetzen; der Autor erinnert an diesen gerne vergessenen Zusammenhang. Aber seine Technologiekritik kennt nur schwarz oder weiß. Die Technologie sei im Kern patriarchalisch, lautet sein kritischer Topos; die Überwachung am Arbeitsplatz per digitaler Technik sei total, lautet ein weiterer. Solche Sätze klingen selbst, als wären sie von einem Algorithmus diktiert. Von Empirie nicht angekränkelt sind Urteile über Fachgebiete, die dem (nach Selbstauskunft) Kulturwissenschaftler verschlossen sind: Die Computertechnik, schreibt er, habe die Chirurgie in eine Krise geführt, weil sie verhindere, dass die Fingerfertigkeit der künftigen Chirurgen sich ausbilde. Der Computer mache ungeschickt. Dabei ist das Gegenteil richtig: Die Robotik ist in der Medizintechnik äußerst hilfreich; sie macht aus einem mittelmäßigen Operateur einen sehr guten, so die Ansicht von Fachleuten. Der Da Vinci-Computer beispielsweise, eingesetzt bei der Prostata-Resektion, hat die Folgeschäden dieses diffizilen Eingriffs sehr reduziert.

In des Autors schwarz-weiß Raster eingeklemmt ist die von ihm vorgeschlagene politische Strategie: Es soll eine markige, von einem hasenfüßigen Reformismus abgesetzte Radikalität sein. Der Reformismus – die Politik der Gewerkschaften - hintertreibe „die Bildung einer militanten kämpfenden Klasse.“ Gewährsleute kompromissloser Politik sind ihm die Syndikalisten, die Anarchisten, die Black Panther Party. Hier seien die Wurzeln einer unverfälschten Widerständigkeit zu finden. Es ist das Klischeebild eines Widerstandes, mehr abgezogen aus der von Hollywood-Filmen gelieferten Bebilderung, als aus der Geschichte dieser Bewegungen, deren Totenglocke regelmäßig läutete, sobald sie ihr Heil in gewaltförmigen Aktionen suchten. Der Autor feiert die „Hacker-Kultur“. Mit dem Allerweltswort Kultur lässt sich alles adeln. Vandalismus sei „angenehm…für die Zerstörenden.“ Der Romantizismus des Autors geht so weit, dem Darknet einen Kranz zu winden; es sei „ein Raum ohne Überwachungskapitalismus.“ 

Herr Mueller, der Uni-Dozent, propagiert Sabotageakte. Man kann nur hoffen, die von brennenden SUV’s und Müllcontainern faszinierten Kids in Leipzig Connewitz und Berlin Neukölln lesen sein Buch nicht. Sie würden sich bestätigt finden. Dieser Ästhetisierung von Gewalt eignet ein großes Maß an Unverantwortlichkeit.

Das Extreme berührt sich, lautet ein sehr weiser Satz. In diesem Buch kann man ihn bestätigt finden. Sein Autor will eine „wirksame radikale Politik“ auf den Weg bringen, ihr „historische Tiefe, theoretische Raffinesse und politische Relevanz“ verleihen. Er klopft sich also selbst auf die Schulter, und en passant erledigt er die „Gewerkschaftsbürokratie“, die er als „gehirngewaschen“ bezeichnet. Gegen Ende seiner Apologie des lustigen Maschinenstürmens schreibt er, „…dass mein Argument nicht auf einem Lebensstil, dass es nicht einmal auf einer Ethik basiert, sondern auf Politik.“ Wahrlich, es ist ein auf Ethik Verzicht leistendes Politikverständnis, das hier propagiert wird. Sein Erfinder heißt Carl Schmitt. Von ihm, dem Staatsrechtler, stammt das von den Nationalsozialisten begeistert aufgenommene Postulat, in der Politik hätten moralischen Kategorien nichts zu suchen, da ginge es nur um Freund oder Feind. Herrn Muellers Feind ist die „Tech-Bourgeoisie“. Noch so eine Wortschöpfung, die Analyse vorgaukelt und doch nur dem Ressentiment Ausdruck verleiht.

Der Text hat eine erhellende Passage zu bieten (wenigstens etwas, könnte man sagen). Es geht um das Recht auf Reparatur, das der Autor in Spiel bringt. Die Genialität der Genius-Bar von Apple besteht doch darin, dem aufkreuzenden Kunden das Neugerät mit dem Hinweis aufzuschwätzen, das kaputte zu reparieren, lohne nicht. Die Masse der Elektrogeräte kommt unter diesen Auspizien auf den Markt und verlässt den Markt wieder per Ex und Hopp. Ein Recht auf Reparatur kann die auf Ersatzteillager und Servicetechniker verzichtende Geschäftspolitik unterlaufen, die in Beidem bloß den Abzug vom Gewinn wittert. Die Europäische Kommission und das Europa-Parlament sind für eine solche Rechtspraxis vermutlich zu haben. Gesetzt, es treten Akteure auf, die den Prozess der Gesetzgebung anstoßen und bis zu einem guten Ende begleiten. Womit wir bei dem in diesem Buch so übel beleumundeten Reformismus wären.

Artikel online seit 10.07.23
 

Gavin Mueller
Maschinenstürmer
Autonomie und Sabotage
Aus dem Englischen von Josefine Haubold
Edition Nautilus Flugschrift
231 Seiten
20,00 €  
978-3-96054-307-7

Leseprobe & Infos

 


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