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Eine befreiende Lektüre |
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I Das Buch will nun einerseits verstehen, auf welche Art und Weise versucht wurde, sich zu befreien und warum die Befreiung stets gescheitert ist. Diesen Widerspruch aller Befreiungen aufgreifend, fragt Menke andererseits danach, ob es Alternativen zu diesem Scheitern gibt und wie diese aussehen könnten. Grundlegende Voraussetzung, Freiheit/Befreiung anders zu denken, ist die Einsicht, dass Befreiung stets ein dialektischer Prozess ist: »Die Befreiung kämpft immer einen doppelten Kampf: Sie kämpft gegen die Herrschaft und zugleich kämpft sie mit und gegen sich selbst. In der Theorie der Befreiung geht es um den Kampf, den die Befreiung gegen sich selbst führen muss, wenn sie die Herrschaft bekämpfen will.«
II Der deutsche Philosoph Wilhelm Kamlah (1905-1976) würde wohl vom Widerfahrnis sprechen, eine Art Unverfügbarkeit, die wir erfahren und die die menschlichen Fähigkeiten strapaziert. Da sich von Erfahrungen nur erzählen ließe, müsse die Theorie der radikalen Befreiung von Erzählungen ausgehen, so Menke weiter, der diesen Gedanken in den für ihn entscheidenden und historisch wirksamen Faktoren der Befreiungsgeschichte des Menschen nachverfolgt: Der Ökonomie und der monotheistischen Religion. Die gegenwärtigen Formen der Knechtschaft seien paradoxerweise »die Effekte von Versuchen radikaler Befreiung« dieser beiden Modelle.
III Diese beiden Erzählungen will das Buch zusammendenken und für eine Theorie radikaler Befreiung fruchtbar machen. Zu diesem Zweck deutet Menke die Ökonomie als radikalen Naturalismus, die Religion als den Exzess des Normativen – weil Gottes Gebot als ein Urgebot in seiner Struktur ungesetzlich und erst somit sowohl unbedingt verpflichtend als auch befreiend sei, denn hier komme das Gebot der Befreiung von außen und überfordere das Selbst gewissermaßen: »Aber diese Überforderung des Gebots ist nicht, wie die Religionskritik der Aufklärung meinte, repressiv, sondern produktiv, weil transformativ: Das verinnerlichte Hören des Gebots schafft neue Existenz; eine Existenz, die die unendliche Differenz des Selbst vom Selbst im Selbst bejaht; also eine Existenz, die diese Differenz ist.«
IV Wahre Befreiung ereigne sich hingegen nur »in der Erfahrung des Unerwarteten«, die »die Gewohnheit durchbricht.« Freiheit/Befreiung gleicht insofern einem Wunder, das nicht vorhersehbar ist, weil es spontan geschieht. Sie ist kein Vermögen, sondern eine »Wirkung, die wir in der Erfahrung erleiden«, ein Widerfahrnis, das einen Neuanfang beschreibt. Die Befreiung muss jedoch über diesen Anfang hinausgehen und die Unfreiheit negieren und zugleich muss sie »die Erfahrung der Befreiung bejahen, und die Befreiung zu bejahen heißt, sie zu denken. Die Befreiung zu denken verlangt jedoch, sich an die Faszination der Erfahrung zu erinnern: Das Denken erinnert sich daran, dass und wie es aus der Erfahrung geworden ist.« Das ist das eigentlich radikale Moment des Denkens, in dem die Befreiung die Art und Weise verändert, »wie wir Bestimmungen vornehmen: wie wir wahrnehmen, empfinden, wünschen, wollen, dass etwas, eingeschlossen wir selbst, ist (oder sein soll).« Es gilt, die Subjekte daran zu erinnern, was sie bereits erfahren haben und »wann, wie und worin« sie sich schon befreit haben. Freiheit bedeutet letztlich: Identität mit sich. Nur in diesem Sinne sei auch Erziehung befreiend. Mit Nietzsche gesprochen: »Deine Erzieher vermögen nichts zu sein als deine Befreier.«
V |
Christoph Menke
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