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Kritische Theorie theologisch

Yael Kupferbergs Studien zum Judentum im späten Werk Max Horkheimers

Von Peter Kern

Dieses Buch hat Horkheimers Spätwerk zum Gegenstand. Es sieht in diesem Werk das jüdische Bilderverbot in philosophischer Fassung aufgehoben. Gott zu verbildlichen unterliege dem Verbot, Gott zu denken, sei ein Gebot. So hat der alte Max Horkheimer gedacht. Die von Yael Kupferberg aufgeführten Belegstellen sind bekannt, sie summiert zu lesen, gibt ihrer These mächtig Gewicht.

Man könnte die Sache abtun und eine nachmetaphysische Stellung des Gedankens zur Welt einnehmen, ein das Flair des Progressiven umwehender Denkhabitus. Die Sache hat aber einen Haken; in Horkheimers von der Autorin zitierten Sätzen: Ohne Theologie gibt es keine logischen Unterschiede zwischen wahr und falsch, zwischen gut und böse, zwischen anständig und gemein. Ohne eine letzte Instanz, auf die sich diese Unterscheidungen beziehen können, hat keiner der Begriff einen logischen Vorzug vor den anderen. Oder an anderer Stelle: Und selbst die Aussage, was schlecht sei, setzt logisch eine letzte Autorität voraus, die es verbietet…Wahrscheinlich liegt der kritischen Theorie, trotz ihrem Verzicht, die Wahrheit auszusprechen, ein Paradox zugrunde: sie weiß, daß es keinen Gott gibt und doch glaubt sie an ihn.

Einen mit der Logik vom ausgeschlossenen Dritten operierenden verständigen Mann wird ein solches Paradoxon provozieren: Was jetzt? Gott ja oder nein? Kann sich der Herr Philosoph nicht entscheiden? Horkheimer hat mit seinen in tagebuchartigen Notizen, Miszellen und Aphorismen festgehaltenen und erst postum veröffentlichten Texten eine Provokation hinterlassen. Die ist zu Zeiten verpufft, aber dabei soll es nicht bleiben. Diese Absicht steht hinter dem Buch, und es ist sein großes Verdienst. Zu Lebzeiten hat Horkheimer sein Bekenntnis zum ganz Anderen vor allem in Spiegel-Interviews öffentlich gemacht. Das hat heftigste Reaktion hervorgerufen, denn das progressive Flair reimte sich damals auf revolutionär. Theologische Sätze konnten nur auf verfestigten Konservatismus verweisen oder auf Schlimmeres noch: Auf einen reaktionär gewordenen, resignierten alten Mann. Manch einer der ihn damals der Abkehr von der radikalen Kritik bezichtigte, verzehrt heute als Emeritus seine Pension, und die Kritische Theorie ist ihm, wenn überhaupt, noch eine mild-historisierende Studie wert. Das Buch gönnt den Kritikern von damals noch einmal einen Auftritt. Horkheimer sei ein Idealist, lautete das Urteil, und damit schien alles gesagt.

Mit dem Bilderverbot, so Horkheimer, ist die Sehnsucht ausgesprochen daß es bei dem Unrecht, durch das die Welt gekennzeichnet ist, nicht bleiben soll. Daß das Unrecht nicht das letzte Wort sein möge. Diese Sehnsucht gehört zum wirklich denkenden Menschen. Solche Sätze sind von einer Diktion, mit der man sich in den heutigen aufgespreizten Theoriewelten völlig lächerlich machen würde. Es ist die Sprache des vom Horkheimerkreis ‚interieur‘ genannten inneren Zirkels, wo keine Verstellung herrschte und man vertraulich miteinander reden konnte. Es ist die schnörkellose Sprache von Antifaschisten, die das Los der Emigration miteinander geteilt haben. Wer nicht spürt, daß es Unrecht ist, daß einer leidet und der andere davon profitiert, ist kein Mensch.

Mit der Macht der Bilder hat dieser Kreis seine politische Erfahrung gemacht, und deshalb ist ihm das Bilderverbot so wichtig. Aber es geht doch um Theologie, nicht um Politik? Keineswegs. Die profanierte Religion des Antisemitismus hat mit einer sakralen, der kultischen Erhöhung des Führers dienenden Bildsprache gearbeitet. Die Nazis wussten um das von Uniformen, Fahnen, Fackeln und Aufmärschen ausgehende Faszinosum. Ihrer Politik eignete ein hypnotisches Moment. Ihre Bilder verhielten zum Staunen. Sie schwächten damit das Urteilsvermögen, denn solchen Bildern wohnt ein manipulatives Vermögen inne, schreibt die Autorin. Sei das religiös gesetzte Bilderverbot erst einmal durchbrochen, entstehe ein Sog, der es den weltlichen Mächten erlaube, sich mit einem Pomp auszustatten, der die Ohnmächtigen auf die Knie zwinge.

Das Bilderverbot soll demnach einen Schutz gegen Verblendung und falsches Bewusstsein bieten. Zugleich steht dieses Verbot, so erfährt der Leser, für Horkheimers Vorbehalt gegen eine positivistische Faktengläubigkeit, die eine Erfahrung im nichtwissenschaftlichen Sinn nicht mehr zulasse. In den Einzelkapiteln ihres präzis gearbeiteten Buchs stellt Frau Kupferberg immer wieder den Zusammenhang her, der zwischen dem Wort vom ganz Anderen und dem Kantischen Begriff des Dings an sich herrscht. Mit diesem Begriff trennt Kant die dem menschlichen Wissen und den methodischen Naturwissenschaften zugängliche Welt der Erscheinung von einer diesem Wissen verschlossenen, Ding an sich genannten, wesenhaften ‚Hinterwelt‘ ab.

In dieser ‚Hinterwelt‘ (ein Pejorativ von Nietzsche) würden sich die nicht ganz Mitgekommenen tummeln, so die Kritiker des Kantianismus. Nur die Naturwissenschaften böten reelles Wissen, lautet seither das Credo der Aufgeklärten. Darauf reagiert Horkheimer: Das Reich der Freiheit ist eine Hinterwelt. Die zur Theorie halten, sind Überbleibsel wie die Getreuen des Talmud und des messianischen Vertrauens. Was bei Nietzsche ein Schimpfwort ist, ist bei dem an einer transzendenten Welt festhaltenden Horkheimer ein Ehrentitel.

Nun vertritt Horkheimer keine theologische Orthodoxie, der die offenbarte Wahrheit genügt und die das Wahrheitskriterium der Wissenschaft - den mit Gründen verteidigten Geltungsanspruch - missachtet. Kann er eine Begründung für die transzendente Welt liefern? Yael Kupferberg sucht und sucht, aber sie wird nicht recht fündig, so will es dem Rezensenten scheinen. Die metaphysische Sehnsucht selbst ist ja noch keine Begründung. Zur Erinnerung: Gott ist vorausgesetzt, damit zwischen gut und böse unterschieden werden kann. Nur seine Existenz macht die ethische Forderung autoritativ. Aber nach Kant (dem Horkheimer folgt) ist dieser Beweis gar nicht zu erbringen. Von menschlichem Wissen führt demnach kein Weg zum Absoluten. Also bleibt nur der Glaube, und Gott bekommt das Etikett einer bloßen Idee angeheftet. Die Unterscheidung zwischen Glauben und Wissen führt Kupferberg ein. Der alte Spruch kommt zu Ehren: Kant habe das Wissen begrenzt, um dem Glauben Platz zu machen.

Man muss kein Parteigänger der Nachmetaphysik sein, um hier den Pferdefuß zu spüren. Die als kategorisch ausgegebene Moral setzt Gott voraus, aber dem Gottesbeweis ist eine Absage erteilt. Wie geht es aus dieser Aporie hinaus? Mit dem Begriff des Bilderverbots, sagt die Autorin. Ist das Bilderverbot aber nicht die nämliche Aporie in theologischer Form? Hier weicht sie aus und ausgerechnet in Richtung Nachmetaphysik. Die positive Religion, so der von ihr zitierte Habermas, liefere epistemische Anregung zu Postulaten, mit denen sie ein bereits religiös artikuliertes Bedürfnis in den Horizont vernünftiger Überlegungen einzuholen versucht. Der nach Selbstauskunft ‚methodische Atheist‘ Habermas und Horkheimers Sehnsucht nach dem ganz Anderen, sind aber keineswegs kompatibel, wie Yael Kupferberg vorgibt.

Die Autorin macht sich einen schlanken Fuß, indem sie dem Glauben auflastet, was das Wissen leisten müsste. Kant soll ihr beispringen mit seinem Verdikt, dass, wer vorgebe, von Gott zu wissen, sich des Unglaubens schuldig mache. Gott als regulative Idee ist gleichsam das jüdische Bilderverbot in philosophischer Fassung, resümiert die Autorin. Wie aber soll diese Position gegen einen Einspruch zu sichern sein, er komme von einem logischen Positivisten, einem Sprachpragmatiker oder einem kritischen Rationalisten?

Es hilft nichts, mit der Sehnsucht ist nicht weiter zu kommen. Wenn das Transzendente in der uns erscheinenden Welt keine ontologische Spur hinterlässt, steht der Glaube an Gott auf verlorenem Posten. Es ist nicht Hybris, von einer solchen Spur wissen zu wollen. Ein Schüler und späterer Vertrauter von Horkheimer, hat dessen Gedankengang fortgetrieben, und es ist tragisch, dass Haags ‚negative Metaphysik‘ von der Autorin nicht zur Kenntnis genommen wird. Denn seine Metaphysik liefert die Begründung, die Horkheimer schuldig blieb.

Haag argumentiert auf dem Feld, das in der modernen Welt als Hartwährung gilt, dem der Naturwissenschaft. Er geht den fetischisierten physikalischen Wissenschaften auf den Grund. Er kann zeigen, dass deren Gesetzesbegriff auf ein Wesen hinter den Dingen verweisen muss. Was höchste Autorität in unserer Welt beansprucht, verweist auf eine absolute Autorität? Ja, genau. Die vom erkennenden Subjekt wahrgenommenen endlichen Dinge können ihre Existenz in Raum und Zeit nicht selbst bewirken. Haag lotet die Grenze des naturwissenschaftlichen Erklärungsvermögens aus.

Am Beginn der wissenschaftlichen Entzauberung des mittelalterlichen Kosmos steht der Sieg des Nominalismus über die Scholastik. Wäre das neue Dogma wahr und gäbe es, wie vom Dogma behauptet, nur das Sammelsurium zerstreuter Einzeldinge, wären Naturgesetze undenkbar. Gesetzmäßigkeit kann es nur in einer nach Arten und Gattungen geordneten Welt geben, deren Ordnung die nur Sektoren von Natur erfassenden Gesetze aber nicht selbst erwirken können. Es braucht dazu eine allmächtige, die Mittel auf ihre Zwecke hin ordnende Vernunft. Haag entfaltet seine Argumentation im Anschluss an den von Kant verworfenen kosmologischen Gottesbeweis. Und um zu paraphrasieren: Er stellt Kant vom Kopf auf die Füße. Dass die der Objektwelt zukommenden Naturgesetze ihren Sitz in einem überindividuell gedachten Subjekt haben sollen, verwirft er als widersinnig.

Mit Haag lässt sich ein der Kritischen Theorie eigenes Begründungsdefizit wettmachen. In seinen eigenen Worten: Wie bei Adorno fehlt auch bei Horkheimer eine Rechtfertigung der eigenen Position vor der bisherigen Philosophie: insbesondere die Erkenntnis, was an der realistischen und der nominalistischen Doktrin richtig, was falsch wäre. Wo er durch genaue Analyse der beiden Hauptrichtungen der abendländischen Philosophie einen legitimen Standort hätte gewinnen müssen, herrscht vor allem bei ihm Unklarheit über die philosophische Basis der „Kritischen Theorie“…Wichtig für eine Fortführung der kritischen Theorie wäre im Zusammenhang einer Untersuchung über ihren philosophischen Kern auch die Frage gewesen, inwiefern Ausbeutung der Arbeiterklasse ein Modell ist für die von Marx noch nicht gesehene Ausbeutung der Natur. Das Subjekt der Verelendung ist tiefer zu fassen: nämlich als ausgebeutete Natur, die gegen ihre sinnlose Ausbeutung revoltiert, indem sie den Menschen die Möglichkeit ihrer Subsistenz Stück für Stück entzieht.
Diese Sätze finden sich im Nachlass, und der liegt im Archivzentrum der Frankfurter Goetheuniversität.



Artikel online seit 14.03.23
 

Yael Kupferberg
Zum Bilderverbot
Studien zum Judentum im späten Werk Max Horkheimers
207 Seiten
Wallstein Verlag
28,00 €
978-3-8353-5266-7

 


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