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Eros, Glut & Wut

Die erstaunliche Entdeckung von Michael Kosmelis
»Die zwei und vierzig jährige Äffin«

Von Wolfram Schütte
 

Jean Paul, mit dem er zeitweilig befreundet & der von ihm als Person beeindruckt war, sprach ihm „Glut und Wut“ zu; der russische Botaniker Michael Adams, mit dem zusammen er Georgien bereist hatte, nannte eine dort entdeckte Kratzdistel nach ihm - & bis zum Erscheinen eines der jüngsten Bücher im „Verlag Das kulturelle Gedächtnis“ wäre sein Name weiterhin im weiten Feld der Anonymi der deutschen Literatur verborgen geblieben.

Nun aber verdanken wir es dem Literaturwissenschaftler Dirk Sangmeister, dass der Name Michael Kosmeli zusammen mit seinem 1800 erschienenen Debüt-Roman „Die Zwei und vierzig jährige Aeffin“ genau 250 Jahre nach der Geburt dieses Oberschlesiers (1773/1844) wie ein überraschend aufgetauchter Komet strahlend uns Liebhabern zum Kennen  & literarischen Genießen in der ansprechenden Gestalt vor Augen kommt, mit welcher der Berliner Verlag seine Ausgrabungen, Fundstücke & Entdeckungen ausstattet.

Der rätselhafte Titel bezieht sich nicht auf eine exotische Primatin, eher pointiert der knapp siebenundzwanzigjährige Autor, möglicherweise bewusst polemisch, eine attraktive Schwarze aus Afrika mit „hoher Abstammung“, die auf Wunsch eines Grafen ihre Autobiografie vorlegt, indem sie „nach dem Beispiel eines großen Schriftstellers sich einer gewissen babylonischen Schreibart bedient“. Gemeint sei damit - versichert Sangmeisters erste Fußnote, der noch zahlreiche ihrer Art folgen werden -  der seinerzeit hochberühmte Jean Paul gewesen & dessen eigenwillig-skurrile, „babylonisch“ in entlegene Zitate abseitigster Lesefrüchte ausschweifende Prosa, die Kosmeli in seinem literarischen Debüt skrupellos imitiert, so dass Sangmeister ihm nachgehen muss, damit wir Heutigen die meisten von Kosmelis ironischen Anspielungen verstehen & seine Sottisen begreifen.

Sogleich zu Beginn geht der literarische Newcomer frech gegen die Reinheitsgebote „des Gelichters von Adel“ (Kosmeli) vor – was Jean Paul erst mit seinem 1820/22 erschienenen Alterswerk „Der Komet“ ins Visier genommen hat. „Mein Großvater“, lässt Kosmeli seine 42jährige Heldin auf jean-paulinischer Art behaupten, „war ein abyssinischer Magnat. Da mich meine edle Mutter nicht ganz legitim empfangen haben mochte, weil sie wahrscheinlich die copula carnalis zum Prolog der copula episcopalis machte“ (vulgo: fruchtbringenden  vorehelichen  Geschlechtsverkehr hatte); „so flüchtete sie mit ihrem kostbaren Schmuck, aus Furcht vor ihrem stolzen Vater, der den Makulanten  seines fleckenlosen Stammbaums mit aller Rache eines Premierministers verfolgt haben würde, ohne dabei seine makulierte Tochter zu schonen“.

Ohne dadurch ihren mutmaßlichen Erzeuger benannt zu haben, berichtet die Selberlebensbeschreiberin, wollte ihre schwangere Mutter auf der Flucht, „dem Embryo doch einen namhaften Vater geben“, indem sie einem zudringlichen Prinzen („mit der Resignation eines Freudenmädchens“) ehelich nachgab: “Ich bekam noch fünf Geschwister. Zwei erschlug der Blitz, einen zerrrissen wilde Hunde und wenn die übrigen unglücklich geworden sind, und der Prinz ein weiches Herz hat, so darf er sich  doch über ihre Existenz nicht den geringsten Vorwurf machen, er ist so unschuldig daran, wie an der Pest von Neapel“.

Sie war 9 Jahre alt, als man ihre Mutter, die nur ihrem (sexuellen) „Vergnügen nachging und ihre Kinder für ein notwendiges Übel hielt, das bei den Domestiken und einer verschroben, sittenlosen Französin gut genug aufgehoben wäre“, eines Morgens tot auf einem Teppich liegend fand. „Einige Umstände machten, dass verschiedene Damen ihre Todesart beneiden zu können glaubten“. Ein geheimnisvoller Satz, der womöglich aber auf einen vergleichbaren Exitus hindeutet, den der Lustspielregisseur Ernst Lubitsch während eines Techtelmechtels mit einer Statistin in einem Hollywoodstudio ereilte. Jedenfalls ist der Satz ein Muster der provokant-provozierenden erotischen  Zweideutigkeiten, in denen der amüsante Stil Michel Kosmelis schillert. 

Von ihrer unersättlichen Mutter hat die attraktive „Äffin“ – ein Lola Montez avant la lettre - wahrscheinlich ihre promiskuitive Kopulationsfreudigkeit geerbt. Jedenfalls macht sie Michael Kosmeli nicht nur zur ersten schwarzen  Heldin eines deutschen Romans – und das zur feinsinnig-prüden „Goethe-Zeit“! Es versteht sich von selbst, dass der episodisch fortschreitende Roman, der sich  als „das vermaledeiteste Märchen unter der Sonne“ bezeichnet, anonym bei einem Verleger erschien, der so etwas wie ein Vorläufer des Achtundsechzigers Jörg Schröders & seines „März“ Verlags war. Will sagen: ein ebenso gewitzter wie geschäftig-geschäftstüchtiger Roué, der vom damaligen dänischen Altona aus für den deutschen Literaturmarkt operierte - & der Zensur immer wieder ein Schnippchen schlug.

Denn selbstverständlich wurde Michael Kosmelis „Zwei und vierzig jährige Äffin“ verboten! Und das gewiss nicht nur wegen seiner unersättlich sich begattenden Heldin, die das „faire l´amour“ als „Praktische Philosophie“ bis ins Lesbische treibt & feiert, sondern auch einen bisexuellen Liebhaber hat, einen „Domherren“, der noch auf dem Sterbebett begierig ist, zu beichten, dass er  schon früh in seinem geistlichen Leben die Jungfrau Maria mit jungen Männern (!) „betrogen“ habe. (Wie man weiß, ist dergleichen auch in unserer Zeit unter der katholischen Geistlichkeit verbreitet.) .

Die nonchalant, gleichsam „selbstverständlich“ behandelte Erotik ist das eine, was an „Der Zwei und vierzig jährigen Äffin“ auffällt; das andere, für das „christliche Abendland“ & die europäische Gesellschaft wahrhaft Schockierende ist die „buhlerische“ Lust des Autors an der Blasphemie & sein sarkastischer Nihilismus. Das ist, wage ich zu vermuten, aus der Schule des „göttlichen Marquis“ geplaudert – umso mehr, als Michael Kosmeli seine „Äffin“ zur Kennerin & Liebhaberin der einschlägigen zeitgenössischen pornografischen Meisterwerke aus Frankreich & England erklärt.

Von Rabelaischer Qualität ist die Idee einer Akademie zur Rettung der guten Laune. In diesem „Spott-, Läster- und Lachclub“ sollen, mit Hilfe von Korrespondentenberichten, „die Lächerlichkeiten von ganz Europa versammelt“ & später in Buchform gesammelt & ediert werden. „ Zur Nebenunterhaltung werden die Werke der bittersten Spötter aller Nationen, die mit Knute, der Geißel und den korrosiven Salzen am empfindlichsten umzugehen wissen, vorgelesen. Jeden Monat werden Prämien ausgetheilt, um den Eifer sich im Lästern auszuzeichnen, gehörig anzufachen“. Der beste, der sich satirisch „über die ursprüngliche Bösartigkeit des Menschen“ hergemacht hat, soll mit einer „Schäferstunde“ der Äffin belohnt werden.

Der skurrilste Einfall könnte fast ein Apokryphe des Marquis de Sade sein: Der reiche Lord Blockhead, der in Frankreich lebt & die Heldin geheiratet hatte, verfällt auf die spleenige Idee, sich & seinen Lieblingshund auf dem Höhepunkt seines Glücks zu ersäufen, wobei seine Witwe & Universal-Erbin in spe             „seinem Manoevriren im Wasser noch eine ganze Weile recht gefaßt“ zusah, „bis mir ihn der Strohm aus dem Gesichte fortführte“. Danach fuhr sie in die Oper & schlief „ungewöhnlich ruhig und gut“. Natürlich trauert sie ganz in Schwarz vorschriftsmäßig – wie der Hohn auf die guten Sitten zum sublimen Vergnügen des sich rückhaltlos amüsierenden Autors gehört.

In einem staunenswert gelehrten Nachwort, das man mit ebenso viel Vergnügen an der humoristischen Formulierungskunst des Editors wie mit Respekt für dessen Findigkeit, die geringen Spuren zu finden, die der umtriebige Autor von seinen Erdentagen hinterlassen hat, wird der solitäre Einzelgänger Kosmeli, der immerhin neben Jean Paul auch Adalbert von Chamisso &  Goethe kannte, vor dem Hintergrund seiner Zeit erkennbar. Während von Chamisso bei dem ewig unsteten Abenteurer, der n.v.a. die Britischen Inseln ebenso besuchte wie das Zaren- & das für einen Europäer gefährliche Osmanische Reich, an seinen Peter Schlemihl dachte, lauschte der Goethe des West-Östlichen Divans dem bis nach Persien gereisten skurrilen Mann, wenn der Vielsprachige  von seinen orientalischen Erfahrungen plauderte.

Jean Paul aber, der „Glut und Wut“ seines zehn Jahre jüngeren Kollegen bewunderte, hat sich von ihm zu jenen Figuren anregen lassen, die als „Leibgeber“, „Schoppe“ oder „Gianozzo“ zur Fraktion der Ungemütlich-Unheimlichen in seinem Werk gehören. Selbst im blatternarbigen Nikolaus Marggraf aus dem „Kometen“ sieht Sangmeister den durch Blatternarben hässlichen Kosmeli noch spuken: zurecht.

Aber die poetischste Nachwirkung Michael Kosmelis im Oeuvre Jean Pauls dürfte die Person Vult sein, der Flöte spielende Zwillingsbruder Walts. Denn der zwar „vogelfrei“ herumzigeunernde, aber immer am materiellen Existenzminimum dahinlebende Michael Kosmeli lebte von der Musik. Er konnte Querflöte spielen, wozu später die Maultrommel hinzukam. Konzerte mit diesen Instrumenten ermöglichten ihm seine bescheidene Lebensweise, denn ein Literat, gar ein professioneller war er so wenig wie ein Hauslehrer.

Sangmeister hat eine ebenso überraschende wie einleuchtende Erklärung dafür, dass ab 1830 – also 14 Jahre vor seinem Tod in Breslau – der Maultrommler  Kosmeli  keine öffentlichen Auftritte mehr absolvierte: Wer in der „Goethezeit“ über 50 Jahre wurde, hatte üblicherweise schon viele Zähne verloren. “Mit jedem Zahn, der verfaulte oder wegbrach, veränderte sich der Resonanzraum des Maultrommlers. So kam jeder Solist mit zunehmendem Alter unweigerlich an einen Punkt, an dem er sein Instrument nicht mehr so virtuos beherrschte, dass man sich damit für Geld hätte hören lassen können“.   

Arno Schmidt, hätte er Kosmeli gekannt & ihm eines seiner Abendstudios gewidmet, hätte ihm „Bong“ nachgesagt. Ich denke mir, dass er unter seinen deutschen literarischen Kollegen als Mensch/Charakter/Unikat gewirkt haben muß wie Werner Herzog unter seinen Kollegen vom Neuen deutschen Film (der BRD).   

Artikel online seit 05.06.23
 

Michael Kosmeli
Die zwei und vierzig jährige Äffin
Das vermaledeiteste Märchen unter der Sonne
Herausgegeben von Dirk Sangmeister
Verlag Das kulturelle Gedächtnis, Berlin 2023
240 Seiten
26,00 €
978-3-946990-75-8

 

 


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