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Kulturindustrie

zur Aktualität eines kritischen Begriffs

Ein Essay von Peter Kern und Dieter Maier
 

Was soll das sein, Kulturindustrie? Das Wort hat sich verloren. Den Sachverhalt gibt es durchaus noch, vielleicht mehr denn je. Der Begriff »Kulturindustrie« stammt von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer. Die beiden Philosophen schrieben im US-amerikanischen Exil Philosophische Fragmente, die sie später Dialektik der Aufklärung nannten. 1944 wurden die Fragmente mit 500 Exemplaren in einem Kleinverlag veröffentlicht. Adorno trug den größten Teil des Kapitels Kulturindustrie, Aufklärung als Massenbetrug bei. Wir nennen ihn hier als Hauptautor. Er analysiert, wie der Kulturbetrieb sich immer stärker an die industrielle Produktion angleicht. Die »Massen«, tagsüber in Fabriken und Büros ausgebeutet, werden in ihrer Freizeit durch die angebotenen Kulturgüter (damals Film, Schallplatten, Radio, Zeitschriften) entmündigt, ruhiggestellt und als Konsumenten der Kulturgüter angestellt. Indem die kulturelle Produktion derselben Warenlogik unterliegt wie die industrielle, macht sie den Alltag der Massen alternativlos. Die »ökonomische Riesenmaschinerie« der Kulturindustrie produziert »traumlose Kunst fürs Volk«. Im Vergleich zu heute erscheint diese Riesenmaschinerie wie ein mittelständischer Betrieb. Adornos Einsichten über Hollywood sind aber immer noch aktuell, seine bittere Abrechnung mit der Kulturindustrie war ein hellsichtiger Blick in die Zukunft.

Adorno beschreibt eine Übergangsphase, während der Kultur, die noch auf Autonomie bestand, durchkapitalisiert wurde. Er und Horkheimer wussten, dass dieser Prozess in der kapitalistischen Gesellschaft notwendig und irreversibel ist. Sie beharren keineswegs auf einem Gegenkonzept von wahrer Kultur. Dennoch benennt das Kapitel in der Dialektik der Aufklärung einige Momente einer noch nicht kapitalistisch völlig vermarkteten Kultur: »Sinn der Erzeugnisse«, »geistiger Atem« und »Idee das Ganzen«, »Wahrheit«, und Spontaneität, die abgestumpft wird. Das »denkende Subjekt« gibt es noch, allerdings als »bereits geschlagener Feind«[1]. In einem Résumé über Kulturindustrie von
1963 stellt Adorno dem Kunstwerk als Ware seinen Begriff der »Autonomie der Kunstwerke« entgegen.[2] Adorno hat das, was hier mit einem Unterton von Wut Einspruch gegen die Kulturindustrie einlegt, in seinen kulturkritischen und musiktheoretischen Schriften ausführlich dargelegt.

Künstlerische Kreativität ist mittlerweile fast rückstandslos in der Kulturindustrie aufgegangen. Die kulturelle Ware hat über das Kulturgut so gründlich gesiegt, dass autonomes künstlerisches Schaffen zu einem schwer verkäuflichen Restposten wurde.

Die Gegenkultur, die mit der Protestbewegung von 1968 entstand und sich innerhalb des Kulturbetriebs einige Zeit halbwegs eigenständig halten konnte, wurde vom Gravitationsfeld der Kulturindustrie aufgesogen oder ist in ein Reservat verbannt. Klägliche Reste dieser Gegenkultur hängen gerade noch am Tropf des Feuilletons. Heute schickt die Kulturindustrie Suchtrupps aus, die Kreationen außerhalb des Mainstreams aufspüren sollen, um sie den diversen Plattformen als Frischzellen zuzuführen. Für das, was übrigbleibt, steht Kafkas Hungerkünstler.

Vermarktung ohne Vorbehalt

Adorno beschreibt die Spannung von künstlerischem Anspruch und dem Zwang zur Vermarktung. Vermarktung meint mehr, als dass Künstler ihre Werke verkaufen müssen, um zu leben; das war immer so. Massenkunst gerät im Kapitalismus so gründlich in die ökonomische Zirkulationssphäre, dass sie überhaupt erst als Ware entsteht. »Geistige Gebilde kulturindustriellen Stils sind nicht länger auch Waren, sondern sie sind es durch und durch«[3]. Weniges kann sich diesem Zwang entziehen und in einer Nische einrichten. Es ist ein Residuum von noch nicht vollständig Vergesellschaftetem.

Die Spannung zwischen Anspruch und Anpassung war zu Adornos Zeit noch erfahrbar in Filmen, die Muster des klassischen Theaters enthielten, oder in Musicals, die an Operetten, an das Verfallsprodukt der Oper, erinnerten. Komponisten wie Kurt Weill komponierten beides, kompromisslose und marktförmige Musik. Künstler, die etwas auf sich hielten, pflegten zumindest ein kalkuliert distanziertes Verhältnis zu Hollywood und Broadway. Es waren solide Handwerker, die sich ihr Geld dort verdienten, wo es welches gab. Schamgefühl hinderte sie daran, sich restlos zu verkaufen. In seinem Résumé präzisiert Adorno, dass »der Ausdruck Industrie (…) nicht wörtlich«[4] zu nehmen sei. Die heutige Kulturindustrie ist Industrie ohne Wenn und Aber. Dieser ökonomischen Umbrüche wegen muss das Résumé periodisch aktualisiert werden. Im Folgenden versuchen wir dies, indem wir einige Aspekte der Kulturindustrie beleuchten. Methodisch stellt sich das Problem, die von Adorno und Horkheimer benutzten Begriffe im Kontext des Internets und der Digitalkultur fortzuschreiben.

Das Internet hat die Krypto-Währung der Daten etabliert. »Die Währung des Internets ist Aufmerksamkeit« (früherer Google-Mitarbeiter nach FAZ 4.12.21)Damit bezahlt der Kunde all die ihm gebotenen Dienstleistungen. Seine Vorlieben, seine Gewohnheiten, seine intimsten Bedürfnisse werden ihm abspioniert, ein alter Topos der Kritischen Theorie, der nun erst im vollen Umfang wahr geworden ist. Das digitale Netz ist seine Verbindung zur Welt, es potenziert seine Fähigkeiten, wie der Besitz des Geldes, aber das Netz wird auch über ihn geworfen, und er wird abgefischt. Was Customer Relationship heißt, und in der Vorinternet-Ära ein wackeliges Konstrukt im Verbund eines Konzerns war, hat das Internet auf eine solide, wissenschaftlicher Datenanalyse zugängliche Basis gestellt. Von Kindesbeinen an wird die Kundschaft mit ihrer Rolle vertraut gemacht, gleichsam als Follower einem Influencer nachzuäffen und die von diesem beworbenen Marken zu kaufen.

Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung, vier Milliarden Menschen, nutzt mittlerweile das mobile Internet. Die Googles und Amazons, gestartet als virtuelles Universallexikon, Waren- und Bücherkatalog, haben über die Jahre so viel Datenmaterial und Rechnerleistung aggregiert, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie mit ihrer akkumulierten Kapitalmacht ihre angestammten Domänen verließen und in den angrenzenden Branchen wilderten. Amazon gründete eigene E-Bookverlage und verkauft nicht mehr nur anderer Leut‘s Streamingdienste, sondern streamt selbst, produziert seine eigenen Serien und Filmproduktionen. Ohne die Datenbanken von Microsoft und Amazon lässt sich der nächste Automatisierungsschritt in der deutschen Automobilindustrie nicht realisieren, das den gesamten Produktionsfluss steuernde Internet of Things, das weniger Maschinenstillstand und weniger Fertigungspersonal bedeutet. Die deutschen Maschinenbauer, Jahrzehnte lang unangefochtene Weltmeister der Branche, schreckt die Nachricht auf, dass Google Robotik und Cloud Computing kombiniert, weil sie fürchten, zu simplen Hardwareproduzenten, zu Herstellern von Allerweltsware, zu Zulieferern degradieren zu werden. Apple hat das Geschäftsmodell vorgemacht; man kommt ohne eigene Fabriken aus und hält dennoch den größten Batzen der in der Software steckenden Wertschöpfung in den eigenen Händen. Die das klassische Engineering in den Schatten stellende Softwareentwicklung, die Produktiv- und Distributionskraft des Internet, ein Quasimonopol der US-amerikanischen Plattformen - die Karten in den Branchen der entwickelten Industrieländer und zwischen den Industrienationen selbst, werden neu gemischt. Klassische Geschäftszweige der alten Kulturindustrie gehen unter, neue Teilbranchen spült es nach oben. Walt Disney hat mächtig gegen Netflix &Co zu kämpfen, ein einziger Influencer macht mehr Geschäft als die alte, klassische Werbeagentur; die Grenzen zwischen Industrie, Handel und Kulturindustrie zerfließen.

Die Kulturindustrie ist in die Industrie eingewandert. Das iPhone ist so gut ein kulturindustrielles Produkt wie ein industrielles. Die auf ihm gespeicherten Apps und Games sorgen für Entspannung in den Poren des Arbeitstags, die das Smartphone zugleich verdichtet. Es verwaltet den Terminkalender, navigiert durch den Verkehr, fungiert als der Notizblock, das Flugticket, das Adressbuch der Angestellten. Der Techniker macht damit Fotos und bestellt Ersatzteile. Auf der Fahrt zu und vom Arbeitsplatz lassen sich Emails erledigen, oder man entspannt sich mit der neusten Netflix-Serie. Adorno und Horkheimer hatten, um das Verfahren der Kulturindustrie zu verdeutlichen, ein Bild aus einem Comic gewählt: Die Tochter flieht aus dem Elternhaus und steigt aus dem Fenster, derweil der Vater im Dunkeln die Leiter hält.

Die neusten Entwicklungs- und Fertigungstechniken verdanken sich der Gaming-Industrie. Das Verfahren der Augmented Reality, die Integration eines virtuellen Bildes in eine reale Umgebung, hatten die Erfinder von Pokemon Go etc. den Ingenieuren in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Industrie voraus. Die Design-, Fertigungs- und Administrationsarbeiten in der so genannten Industrie 4.0 profitieren von der Gaming-Branche so sehr, dass diese folgerichtig ihre staatliche, für Forschung vorgesehene Förderung durchgesetzt hat. Eine Staatsministerin für Digitalisierung findet für das Gaming euphorische Worte: »Hier liegen die Tartanbahnen der Zukunft. Auf diesen Bahnen müssen wir trainieren, die Begeisterung für die digitale Welt wecken und allen Bevölkerungsgruppen die Chance geben teilzunehmen: ‚Dabei sein ist alles.‘«[5]

Schon beim Eintritt in die Berufswelt hat der künftige Angestellte ein kulturindustrielles Verfahren zu absolvieren, das Assessment Center. Spielerisch wird die soziale Verträglichkeit des Probannten ebenso geprüft wie seine schnelle Auffassungsgabe. Hat er diesen TÜV bestanden, ist gewährleistet, dass er sich in die Unternehmenskultur einfügen kann. Heutiges Betriebsklima wird sozialwissenschaftlich generiert. Zu den Soft Factors, die bei Laune halten sollen, gehört der zur Identifikation angebotene, der eigenen Belegschaft wie der Öffentlichkeit mit PR-Maßnahmen präsentierte Vorstandsvorsitzende. Zur Unternehmenskultur passend ist das in Gebäuden und Grundstücken angelegte fixe Kapital. Die Kantine bietet Street Food und gleicht einem Trend-Restaurant, der Platz davor soll an einen Campus erinnern und heißt auch so. Die Angestellten werden bei und nach der Arbeit fürsorglich belagert, die Kulturindustrie bringt Work und Live in die Balance.[6]

Das Internet in seinen Anfängen wurde hymnisch gefeiert: Archiv des menschlichen Wissens, digitales Gedächtnis der Menschheit, neue Bibliothek von Alexandria. Darin drückt sich nicht bloß die Ideologie von Claqueuren aus. Wer das Internet nutzt, dessen Arbeitskraft erfährt einen mächtigen Schub. Die Quellen, die Zitate, die Lexika-Einträge, die Schreibweisen (wie schreibt man Claqueur?), die Datensätze, die Theorien, das Forschungswissen – all die Vorarbeit, womit sein Text verwoben ist, liegt bereit, gleich, ob der Text in einem theoretischen Werk, in einer medizinischen Diagnose oder in einem technischen Gerät resultiert. Zweifellos hat das Internet auch der Kulturindustrie neue Anwendungsbereiche erschlossen, die Top down-Berieselung um eine Button up-Veranstaltung ergänzt. Das Internet mehrt aber auch die intellektuellen Mittel der Menschheit, um aus der Unmündigkeit auszubrechen, in der die Branche sie festhalten will. Das hier akkumulierte Wissen ist nicht nur eines der instrumentellen Vernunft. Wessen Geschäft es ist, mit der Herrschaft über Technologie und Produktionsapparat die Gesellschaften zu beherrschen, der ahnt die verborgene Sprengkraft des Internets. Es ist nicht das Verhängnis, zu der es eine Kulturkritik erklärt, die von Herrschaftsverhältnissen nichts wissen will. Die Informationstechnologie besitzt eine Öffentlichkeit herstellende, befreiende Kraft. Sobald eine Herrschaftsclique durch massenhaften Protest in Bedrängnis gerät, greift sie zuverlässig zum Knopf, der das Internet abschaltet.

Der technologische Schub des Internets hat aus der Kulturindustrie einen neuen Typus von Industrie gemacht. Im Unterschied zur traditionellen Industrie durchlaufen ihre Produkte (etwa Algorithmen, die Personendaten verarbeitet haben) mehrere Stadien der Reproduktion. Sie können, wenn sie z.B. an Werbeagenturen oder an die Marktforschung verkauft werden, zur Ware werden, dann aber wieder als Vorprodukt in ein weiteres digitales System importiert oder von Nutzern modifiziert werden (liken, teilen, bewerten) und gehen dann als Endware in die Benutzeroberfläche ein. Ihr Warenkern, also der Teil, der den höchsten Wertschöpfungsanteil enthält, ist dabei meist unsichtbar, aber Teil eines Plattformangebots, das als Ganzes gekauft werden kann, oder gekoppelt mit einem Content und/oder mit einem konkreten, einzelnen Warenangebot. Die Ware umlagert ein Bedeutungshof, ein Content, der erst hergestellt wird, wenn die Ware schon fertig ist.[7]

Das Vorprodukt für personenbezogene Werbung ist eine solche fluide und immaterielle Kette. Dieser Kette entsprechen mehrere intern vorgeschaltete oder allgemein zugängliche Märkte. Softwareunternehmen und Werbeagenturen oder auch Influencer konkurrieren in diesem Produktstadium. Zur herkömmlichen Industrie gibt es Bilder von Fabrikgebäuden, Fertigungsstraßen und Erzählungen über Arbeit. Die digitale Produktion ist unsichtbar, bilderlos und ohne Geschichten. Sie wird, wo immer es sei, an der PC-Tastatur verrichtet. Mit der Tastatur als Werkzeug entstehen Symbolreihen in virtuellen Räumen, in denen das arbeitende Subjekt gleichsam verschwunden ist.

Bei personenbezogener Werbung besteht die »Person« zunächst aus Bits und Bites, bis der Internetnutzer die Produktinformation aufs Endgerät bekommt und staunend feststellt, dass er die angesprochene Person ist. Das Warenangebot ist kontextuell ästhetisiert (Bildhintergrund, Musik, Grafiken, Biografie-Bruchstücke, personale oder lokale Assoziationen). Das harte Warenangebot ist mit einer Aura versehen, die ihm das Zudringliche nehmen soll. Als undurchschautes Ganzes ist die Kulturindustrie das getreue Abbild der Gesellschaft, die sich ebenfalls als undurchschaubar präsentiert.

Der durchgängige Zug kulturindustrieller Produkte ist, dass jedes einzelne aus einer unübersehbaren Menge fast gleicher Produkte nach Rechenvorgängen ausgewählt wird, ohne besondere Beurteilung durch ein auswählendes Subjekt. Die Produkte weisen keine Spuren ihrer Herstellung auf, wie es bei traditioneller Fertigung mit Nähten, Lötstellen und diskret angebrachten Firmenlogos noch der Fall war. Stattdessen kleiden sie sich in neue Kontexte, die scheinbar nichts mit ihnen selbst zu schaffen haben (Slapsticks, Sketche, Tanzeinlagen oder gymnastische Übungen). Es ist der Ablenkungstrick der Taschendiebe, Zauberkünstler und Hypnotiseure: Die Zuschauer schauen gebannt, während ihnen jemand das Geld aus der Tasche zieht. Dieser ständige Kulissenwechsel schwächt das Urteilsvermögen durch Überforderung. Man hört den neusten Hit, besichtigt das Innenleben eines Automobils, das Markenlogo des Konzerns erscheint, dann der Rezeptvorschlag für ein leichtes Sommermenu, präsentiert vom Star aus der Serie. Das geschwächte Urteilsvermögen hat seine Niederlage schon eingestanden. »Keine Ahnung« – die Floskel ist inflationär geworden.  

Unsichtbar gemacht sind die materiellen Produktionsbedingungen der virtuellen Marktplätze, die Rohstoffproduktion für die Endgeräte, der Transport, die Hardware, die Rechenzentren, deren Energielieferanten mit ihren Kraftwerken und Leitungen, das Leitungsnetz, die Sender, Satelliten und Kabel der Datenübertragung und die Produktion der Endgeräte selbst. Die Produktion findet »ganz hinten« auf dem Globus statt, bei sogenannten Contract Manufacturers, in den Sonderwirtschaftszonen riesiger chinesischer Industriekomplexe. Es sind Arkanbereiche; wie es in diesen Fabriken zugeht, ist so unbekannt, wie das Leben in einem Hochsicherheitstrakt. Manchmal dringt eine Nachricht nach draußen, und man hört von Arbeitskräften, die sich aus dem Fenster zugehöriger Wohnblocks stürzten. Das Unternehmen hat wohl mit Auffanggittern dem Treiben ein Ende gemacht.

Die Kreativitätsindustrie - Contents und Profile

Die für kulturindustrielle Produkte Verantwortlichen bemühen sich krampfhaft um Differenzierung ihrer Produktion. Nach Adorno und Horkheimer musste diese Differenzierung misslingen: »… die mechanisch differenzierten Erzeugnisse (erweisen sich) als allemal das Gleiche«[8] Alle Riffs der Rockmusik tauchen wieder und wieder auf; die Musikkonzerne präsentieren den neuen Star, der sich vom alten unterscheidet wie der neue PKW vom Vorgängermodell: geändertes Design, andere Gadgets. Die Promotoren der einfältigen Vielfalt heißen »die Kreativen« oder Creators. Kreativität war einmal der Ausweis ernsthafter Künstlerinnen und Künstler. Sie war das Gegenteil von mechanischer Reproduktion. Heute ist der Wortsinn in sein Gegenteil verkehrt. Kreativität bedeutet auf keinen Fall, dass jemand aus Rohmaterial oder gar mit Hilfe des eigenen Kopfs ein Kunstwerk schafft. Die Begriffsverwirrung ist Ausdruck einer Neuordnung innerhalb der Kulturindustrie, die keine klaren Hierarchien hervorgebracht hat. Die Musikindustrie und die Game-Industrie streiten sich um die oberen Plätze. Der oberste gehört der Kreativwirtschaft. Auf Kreativität haben aber alle – außer Exoten wie Komponisten, Maler, Literaten oder Tänzerinnen – ein Patent eingereicht. Der Bundesverband Musikindustrie (BVMI, Berlin) verortet die Musikwirtschaft »innerhalb der Kultur- und Kreativwirtschaft«. »Kreative« sind mit einem Anteil von 15 Prozent eine der sieben Teilbranchen der Musikwirtschaft.[9]

Der Versuch, solche Unklarheiten durch Rückgriff auf Inhalte zu erhellen, führt in weitere Verwirrungen und zum Begriff Content. Das englische Wort bedeutet Inhalt oder Gehalt. In der Contentindustrie (so nennt sie sich) ist das Wort zunächst der Gegenbegriff zur Software. Contents können in den unterschiedlichsten Formen vorliegen, als Text-, Bild-, Audio- oder Videodaten. Sie können unabhängig von dem besonderen Medium produziert und auf unterschiedliche Benutzergruppen hin zugeschnitten werden. Content hat also nichts mit inhaltlicher Bestimmtheit eines Werkes oder mit dessen unverwechselbarem Gehalt zu tun, sondern mit einer auf einen Endnutzer oder das Publikum gerichteten Absicht.[10] Was als Content in Content Factories produziert ist, löst die Kategorie des Werkes auf. Content ist wie ein Endlosprogramm, eine zirkuläre Sinnsuche, die sich immer schon selbst gefunden hat.

Der traditionelle Begriff von »Sinn« erhält hier eine neue Bedeutung. Sinn steht nicht im Zentrum einer Sache, ist nicht mehr das, was sie ausmacht. Das Sinnangebot ergänzt nun das Warenangebot, hat aber keinen inhaltlichen Bezug zu ihm. Die ersten Soap Operas waren Radio- und Fernsehprogramme der Seifenfirma Procter and Gamble. Sie liefen von 1937 bis 2009 und hatten mit Seife nichts zu tun, außer dass sie vom selben Lieferanten stammten und das Sinnangebot auf das Warenangebot lenken sollten.[11] Die Soap Operas haben sich mittlerweile von Werbezwecken gelöst, ihr Sinnbezug sind sie selbst. Heutige Marketingmanager gehen kleinteiliger vor. Sie schaffen ein der Ware sinnfrei zugeordnetes Sinnelement, das Content, oder selektieren es aus einem Fundus. Dieses mit einem meist rudimentären Sinn aufgeladene Content transportiert das Warenangebot zur Kundschaft. Der Zusammenhang zwischen Ware und Content ist assoziativ und wird technisch hergestellt. Wer ein Kunstbuch zu Italien sucht, erhält eine Notiz zu diesem Buch, die sich als Rezension ausgibt, und daneben Angebote zum Bildungsurlaub in Italien; wer ein italienisches Kochbuch sucht, wird auf italienische Restaurants in seiner Nähe geleitet. Abgestimmte Werbung kombiniert Vertriebsleads (auf die Vermarktung ausgerichtete Merkmale von Waren) mit Kontaktdateien und erstellt dann eine Liste von Zielpersonen. Falls diese Gratisnutzer sind, werden sie mit Werbung bombardiert, falls es Abonnenten zum Beispiel einer Online-Zeitung sind, werden sie etwas diskreter zum Angebot geleitet. Die Kontaktdaten können auch an Callcenter verkauft werden. Das Content ist eine für diesen Werbezweck produzierte Ware, die eine Reihe von Stadien und Modifikationen durchläuft und am Schluss, wenn sie ihren Zweck erfüllt und ihren kommerziellen Sinn verloren hat, ihren Warencharakter durch eine kulturelle Tünche verschleiert.

Bei User-Generated-Contents werden Produzenten zu Konsumenten und umgekehrt. Das Content nimmt die Wirkungen, die es auslöst, in sich auf. Die Ware Content wird also nicht einmal produziert und dann in Umlauf gebracht, sondern während des Umlaufs konsumiert und leicht verändert (re)produziert. Contents sind liquide immaterielle Waren, in deren Gebrauchswert suggerierte Autonomie eingeht. Der Gebrauchswert ist der bloße Träger des Tauschwerts, aber dieser kann sich nicht realisieren, ohne, wie es bei Marx heißt, den Gebrauchswert mitzuschleppen. Im Fall von Content schleppt er den Schatten demokratischer Mitsprache mit.

Diese im Fluss sich verändernden Waren müssen wiedererkennbar sein. Das besorgen an sie gekoppelte Personen- und Gruppenprofile, die wie Etikette an die Stelle differenzierender Gebrauchswerteigenschaften treten. Das Profil muss zu einem Nachfragesegment passen wie ein Puzzlestück. Die Nachfragesegmente werden aber immer kleinteiliger, was eine Oberflächensoziologie als Gesellschaft der Singularitäten beschreibt. Die Menge von für den Warenverkauf interessanten Merkmalen wie jung, weiblich, akademisch, kaffeetrinkend, krimilesend, alt, männlich, konservativ, wandernd, teetrinkend etc. ist begrenzt. Eine Inflation von sich ähnelnden Profilen birgt die Gefahr, dass sie sich gegenseitig entwerten. Die in der Unterhaltungsbranche aus Nutzerdaten generierten Hitlisten sollen diesem Mechanismus entgegenwirken und die Stars des Geschäfts herausfiltern. Wer nicht in die oberen Ränge der Hitliste geliked wird, fällt automatisch durch das Raster.

Abkürzungen wie »App« (für Application) »verschleiern, dass es sich um Softwareprogramme handelt. Diese Verschleierung ist absichtlich und böswillig und spiegelt sich in den bunten comicartigen Designs selbst von hochtechnischen Programmen wider.«[12] Die sprachliche Camouflage gelingt reibungslos, weil die Frage nach Gründen und Hintergründen in der kontextarmen Sprache des Internets kaum noch gestellt werden kann. Die simplen Satzkonstruktionen meiden Kausal- und Begründungskonjunktionen (»weil«, »obwohl«…). Sinn schrumpft in der Sprache der Twitters zu knappen deskriptiven Sätzen, die nur das Allernotwendigste mitteilen. Die Symbolsprache des Internets besteht aus zusammenhanglosen Icons und Emojis, die Emotionen in redundante Stereotypen übersetzen In diesen Stereotypen gehen keine Entwicklung und keine Ambivalenzen ein. Spannungsbögen sind nicht mehr möglich. Das Smily ist ein eingefrorenes Lächeln, das für alles Mögliche an positiven Gefühlen herhalten muss. Bildchen sind an die Stelle der Wörter getreten; mit einer solchen kindischen Semantik lässt sich nichts Ernsthaftes mehr ausdrücken.

Die Nutzer können selbst bestimmen, wann, wo und wie sie auf diese Ware zugreifen. Da ihre Suche mit einem Sinnelement, einem Bedürfnis, einem Feeling oder einer politischen Vorliebe verknüpft ist, führt sie ein elektronischer Pfad unmerklich auf das von ihnen hinterlegte Konsumprofil zurück (»Verkaufstrichter«). Sie finden sich selbst, ihre Wahlfreiheit ist bloßer Schein.

Die Pseudoautonomie in der Konsumsphäre verweist auf die Industrie 4.0 genannte Produktionsweise, die dem Einzelkonsumenten ein auf ihn zugeschnittenes Gut verspricht. Der Kunde konfiguriert am PC aus einem Ausstattungsangebot die für ihn passenden Ausstattungsmerkmale, geht zur virtuellen Kasse, zahlt und die Bezahlung ist der Anlauf des Herstellungsprozesses. Die fertige Ware wird sodann versandt und kehrt zu ihrem ideellen Urheber zurück. Die auf Sportschuhe und Sneakers spezialisierte Konsumgüterindustrie macht das Versprechen der 4.0-Investitionsgüterindustrie bereits wahr. Weitere Industrien werden folgen.

Dem Anschein nach können die Nutzer beim Warenfluss mitbestimmen, was ihnen gefällt; ihre Vorlieben erfolgen auf Geheiß des Empfehlungsalgorithmus. Sie können ein Liedchen zu einem Hit machen oder durchfallen lassen. Dieses Verfahren erweckt einen demokratischen Schein. Die Mikroaktivitäten des Einzelnen sind der Rohstoff, um das System als Ganzes zu optimieren. Nutzerinnen und Nutzer haben ein Mitspracherecht bei dem, was ihnen gefallen soll. Sie werden auf eine passive Demokratie hin konditioniert, die die Illusion der aktiven nährt. Der Massenbetrug durch die Kulturindustrie »verhindert die Bildung autonomer, selbstständiger, bewusst urteilender und sich entscheidender Individuen«[13].

Das Internet trat mit einem radikaldemokratischen Versprechen an. Jeder sollte sich ohne Filter, wie sie z.B. eine Redaktion darstellt, äußern können. Jürgen Habermas fragt in seinen »Überlegungen und Hypothesen zu erneutem Strukturwandel der Öffentlichkeit«[14], welchen Einfluss die sozialen Medien auf die kritische Öffentlichkeit und damit auf eine Säule der Demokratie haben. Er merkt an: »Wer argumentiert, widerspricht. Nur über das Recht, ja die Ermutigung zum reziproken Neinsagen entfaltet sich das epistemische Potential der widerstreitenden Meinungen im Diskurs...«. In der Folge kommt er auf diesen Gedanken nicht mehr zurück.

Die technische Einrichtung von Internetplattformen minimiert die Möglichkeit des Neinsagens. Sie zwingt die Nutzer (user) zu einer Textkürze, bei der sich Argumente nicht entfalten können. Diese schrumpfen zu Meinungen. Widerspruch muss auf die kritisierte Position beziehbar sein, sonst läuft er ins Leere. User haben aber nicht den technischen Zugriff, um ausführliche Einwände in erkennbaren Zusammenhang mit der kritisierten Position zu platzieren. Sie gehen im Rauschen der Plattformen unter. Die Algorithmen der großen Plattformen sind so geschrieben, dass user möglichst lange auf diesen Plattformen bleiben und der dortigen Werbung ausgesetzt sind. Das funktioniert nur, wenn sie positiv angesprochen werden. Negatives sortiert das Content-Management aus.

Inhaltlich waltet bei diesem Management Beliebigkeit. Contents, die priorisiert werden sollen, werden mit Bild/Ton/Text verknüpft, die Aufmerksamkeit erregen, aber sachlich mit dem Content nichts zu tun haben. Die Gewöhnung an diese Beliebigkeit lässt Kritikvermögen verkümmern. Das Reagieren per Mausklick verführt zu raschen Antworten. Urteilsbildung ist so nicht möglich.

Positive Bewertungen über Emojis (Smilys, Likes, Daumen nach oben) sind verbreitet, negative werden seltener angeboten. Statt Rede und Gegenrede waltet ein plumpes Dauerplebiszit. An die Stelle von Negation tritt ein sprachloses Beiseiteschieben (to disrupt).

Je länger und intensiver das Internet die Mentalität der Menschen beeinflusst, desto mehr verkümmert das Urteilsvermögen. Kritisches Denken wird zu einem Merkmal einer aufgeklärten Minderheit. Das kann zu der Paradoxie führen, dass diese Minderheit die Demokratie gegen eine Mehrheit verteidigen muss.

Das digitale System würde eine und sei es noch so simpel begründete Kritik nicht erkennen können. Es gelten nur die momentanen Präferenzen von Millionen Ja-Sagern. Eine massenhafte Notenkonferenz, die nicht nein sagen kann, tagt rund um die Uhr. Für Argumente ist kein Icon vorgesehen. Stattdessen wird disrupted, also sprach- und gnadenlos weggedrückt. Der den Nutzern zugestandene Knopfdruck gewöhnt ihnen die Urteilsfähigkeit ab; argumentierende Kritik wird zu einem Überbleibsel des analogen Zeitalters.

Der Klick auf ein Icon ersetzt das Wort und vermittelt sprachfreie Botschaften. Emojis werden »als Ersatz für Sprache und als passiv-aggressives Druckmittel« eingesetzt[15]. Jemandem einen Link zuschicken, kann Zustimmung, Missfallen oder eine Aufforderung zum Weiterleiten oder Befolgen enthalten. Bei einer Kundgebung der Occupy-Bewegung vor der Frankfurter Oper rief ein Aktivist ins Mikrofon: »Schickt euch Links zu!«, wo es früher geheißen hätte: »Solidarisiert euch!« Fotos teilen oder zuschicken bedeutet Sympathie oder Protest (Als Anmerkung eine Anekdote: Der Nachbar bevorzugte für den Hund den Garten statt das Gassi-Gehen, sodass es den Anwohnern buchstäblich stank. Eine akademisch gebildete Anwohnerin schickte dem Autor wortlos Fotos der Hundehaufen zu, die man ohnehin sah und roch. Dieser Schritt von der analogen in die digitale Welt, dieser Klick-Akt, sollte wohl etwas bekräftigen, ähnlich dem performativen Sprechakt, der etwas befiehlt, verspricht, kommentiert usw.).

Wahrnehmung im Profil

Profile besorgen den Sprung von unsichtbaren Algorithmen zum Wahrnehmbaren. Sie geben den errechneten Bedürfnissen der Konsumenten ein Gesicht, wenn auch nur »im Profil«, also von der Seite gesehen. Sie täuschen im virtuellen Raum Gegenständlichkeit vor. Die Unternehmer suchen sich die Werbeträger und Influencer, die zum Produkt und der anvisierten Zielgruppe passen. Profile enthalten etwas von der Person. Die Person soll für möglichst viele, ähnliche Projektionen eine Fläche bieten. Sie hat keine Biografie und keine Identität, lockt aber mit biografischen Bruchstücken und massentauglichen Hobbys. Die Talk Shows mit ihrer Fetischisierung von Prominenz haben für die biografische Masche die nötige Vorarbeit geleistet.

Es gibt in den Sozialen Medien für jede Zielgruppe entsprechende Profile und sie verkörpernde Personen: Zum Beispiel für Mädchen in der Phase der Pubertät (Lisa und Lena, die Hanni und Nanni des Internets, so Der Spiegel); für junge Mütter; für CDU-Kritiker; für Sportautozubehör-Begeisterte; für erfolgreiche Jungunternehmer; für erfolgreiche Jung-Unternehmerinnen etc.

Wer sich als Akteur auf dem Markt der Kulturindustrie behaupten will, muss auf entsprechenden Seiten ein Profil hinterlegen. Suchanfragen führen dann Angebot und Nachfrage zusammen. Die Person hinter dem Profil ist letztlich austauschbar. Da die unterstellten Publikumswünsche immer stärker nach Alter, Geschlecht, Herkunft und Ausbildung differenziert sind, müssen viele Profile her, was zu störender Unübersichtlichkeit führt.

Auch Parteien, Bildungsträger, Kliniken etc. erarbeiten sich Profile. Bei den Unternehmen heißen diese Profile neuerdings Purpose. (»Purpose statt Profit«, so der Slogan einer Werbeagentur), Bildungsstätten reden von Leitbild. Hat ein Produkt der Kulturindustrie einmal irgendwo eingeschlagen, schlägt es überall ein. Hinter dem Profil läuft freilich alles ungefähr gleich ab. Die Außendarstellung wird wichtiger als das, was drinnen getan wird. Diese Hyperdifferenzierung, dieser Nominalismus verliert das Ganze aus dem Blick, das, wofür die werbende Institution eigentlich da ist. Und je grandioser das angepriesene Profil, desto misstrauischer wird das Publikum.

Profile sollen auf dem Markt für kulturindustrielle Produkte differenzierend wirken, damit keine ähnliche Ware der Konkurrenz gekauft wird. Diese Abgrenzung hat etwas Zwanghaftes. Je mehr an Profilen gefeilt wird, desto größer ist die Konkurrenz auf dem Markt, und desto eher sind Anbieter potentiell überflüssig. Als Ausweg bietet sich das Gegenteil der Profilierung, die bewusste Grenzverwischung etwa in Hybridprodukten an. Sinnverwandte Contents sprachlicher, grafischer oder musikalischer Art werden hierbei vermischt, so dass statt des scharfen Profils ein Synergieprodukt entsteht. Diese Grenzverwischung ist ein alter Hut. Sie gehört zum Geschäftsmodell der traditionellen Kunstsparten. In der Museumsnacht wird Musik alter Meister im Saal der alten Meister gespielt. In Musikabenden werden Lesungen eingeflochten und umgekehrt. Zu Bach-Passionen wird getanzt. Derartiges soll Synergien erzeugen, verführt aber dazu, den Eigenwert eines Kunstwerks nicht mehr wahrzunehmen. Bildungsbürgerliche Sparteneinteilung, die einmal der Konzentration auf die Substanz gedient haben mochte, wirkt im heutigen Kunstbetrieb antiquiert.

Während der Corona-Pandemie, die die Ökonomie der Kulturindustrie durchgerüttelt hat, übernahmen die Lobbys, wofür in harmonischeren Zeiten die Branchenprofile herhalten mussten. Auf einmal gab es keinen Kuchen zu verteilen, sondern Krümel. Die Vergabekriterien der staatlichen Zuschüsse für Solo-Selbstständige förderten zu Tage, was die Gesellschaft für relevant oder scheinrelevant hielt. Den Zuschuss von 9.000 € bekam, wer Betriebskosten (Firmenwagen, Büro usw.) geltend machen konnte. Das waren die »Kreativen« mit ihren Apparaturen. Einfache Nur-Künstler und Literaten wurden auf die Grundsicherung verwiesen. Wer nichts weiter hatte als einen kreativen Kopf, war zu weit vom kapitalistischen Verwertungsprozess entfernt, also nicht systemrelevant. Gleichzeitig förderte die Bundesregierung Videospiel-Produzenten mit 250 Millionen Euro, damit »Deutschland als Games-Standort international endlich konkurrenzfähig« werde.[16]

Innovationen und das immer Gleiche

Die Kreativindustrie lebt von ständigen Innovationen und produziert das Immergleiche[17] mit neuem Anstrich. Musik, Sprache und Bild verfügen nur über eine begrenzte Zahl von Parametern. In der Musik kommen von den elf Halbtonschritten der Tonleiter nur einige wenige eingängige Intervalle in Frage, Dissonanzen werden vermieden[18]; das Verbot von zu vielen Wiederholungen und anderen Takten als den gängigen schränkt die Auswahl zusätzlich ein, zudem ist die Zahl der akzeptierten Instrumente aus dem Fundus des romantischen Orchesters begrenzt. Die neue Musik arbeitet mit einem ungleich weiteren Spektrum, ist aber unvereinbar mit der Unterhaltungsmusik. Die Sprache ist an Grammatik und sinnvolle Kontexte gebunden. Das Bild wird unübersichtlich, wenn es über ein begrenztes Maß an Linien, Formen und Farben hinausgeht. Moderne Dichtung und Malerei haben diese Grenzen überschritten, taugen damit aber nicht mehr zur Massenware.

Trotz dieser begrenzten Variationsmöglichkeiten innerhalb des akustischen, optischen und sprachlichen Materials muss die Innovationsmaschine ständig neue, vermarktbare Trends ausmachen. Künstlerische Kreativität läuft hier ins Leere, denn sie ist vom Auftraggeber gehalten, vom Pfad des Vertrauten so wenig wie möglich abzuweichen. Also muss der eigene Fundus durchstöbert werden, der ständig in großem Tempo wächst. Um diese Aufgabe zu bewältigen, nutzen die Unternehmen Daten von Millionen von Internetnutzerinnen und –nutzern und machen sie damit zu unentgeltlichen Produzenten. Ihre Likes und Bewertungen sind unbezahlte Mikroarbeitsleistung, und sie merken es nicht. Dass man ihre im Netz hinterlassenen Spuren, die Cookies, werbetechnisch auswertet, daran haben sie sich längst gewöhnt. Zwar sind die Konzerne gesetzlich verpflichtet, den Nutzern ihrer Websites die Zustimmung zu den Cookies abzuverlangen. Das Ablehnungsprocedere hat man aber derart kompliziert gemacht, dass Zustimmung wohl die Regel ist. Die Welt, sagen sich die Konzernherren, will betrogen werden, und die Kundschaft stimmt zu. Adornos und Horkheimers »betrogene Massen« werden zu Promotoren des Massenbetrugs.

Der Alltagsgeschmack, der sich in analogen Zeiten in Radiosendungen wie der »Schlagerbörse« wöchentlich neu artikulierte, muss vor der Angebotsmasse kapitulieren. Streaming-Weltmarktführer Spotifys schrieb im Juli 2020 an seine Aktionäre, die Zeit der Top Forty charts sei zu Ende. »It is now the Top 43.000«.[19] Spotify hatte 2018 190 Millionen aktive Nutzer und 40 Millionen Musikstücke im Angebot. »Auf Spotify gibt es gut 12.000 beliebte Playlists« mit rund 50.000 Musikern«, schreibt die FAZ[20], »ein riesiger Pool an vielversprechenden und kommerziell interessanten Talenten«, deren Musik offenbar beim Publikum ankommt, denn sonst wären sie nicht auf diesen Playlists vertreten, so die FAZ. Ein individuell einstellbares Computerprogramm enthält Filter, die »vielversprechende Kandidaten weiter« eingrenzen. Potentielle Stars werden durch die computergestützte Auswertung von Daten gefunden. »Clever programmierte Computer-Algorithmen und künstliche Intelligenz sollen Prognosen liefern. Algorithmen generieren Tipps, mit denen Streamingdienste ständig ihr Publikum ‚bombardieren‘«. Damit »lenken und prägen sie den Musikkonsum, der wiederum von den Datenanalyseprogrammen der Labels ausgewertet wird, um noch mehr Musikinhalte zu liefern, die maßgeschneidert sind für die Parameter von Spotify.« (FAZ). Aber sie generieren auch »Rückkopplungsschleifen«. »Ich hörte die Musik, von der mir der Algorithmus sagte, dass ich sie hören sollte«[21]. Damit wird die Sache schnell langweilig. »Die Hitmaschine produziert nicht nur das Musikangebot. Sie schafft auch ihre eigene Nachfrage«, schließt der FAZ-Artikel.

Wenn die künstliche Intelligenz solche Schleifen hervorbringt, muss qualifizierte menschliche Arbeitskraft in die Datenverarbeitung einbezogen werden. Hier treten die Werbeagenturen und ihre Trend Scouts in Aktion. Die Agenturen beschäftigen mit Vorliebe Absolventen von Kunsthochschulen. Deren Faible für Kunst ist groß und ihr Kunstgeschmack nicht zu verbildet, sodass auch Straßenkunst rezipiert wird. Die Werbeagenturen bringen Influencer und Industrie zusammen und schlagen die Brücke von noch nicht vermarkteten Elementen zu Reklamekampagnen.

Mensch und Maschine

Mensch und Maschine treten auf den Internetplattformen in Interaktion, um das Angebot zielgenau auf das entsprechende Nachfragesegment zu richten. Moritz Altenried untersucht dies am Beispiel des von Amazon entwickelten Mechanical Turk. Das Wort kommt von einem »Schachtürken«, »einem vorgeblichen Schachautomaten, der im 18. Jahrhundert für einiges Aufsehen sorgte, tatsächlich aber von einem versteckten Menschen bedient wurde – eine geradezu perfekte Metapher für die Tarnung menschlicher Arbeitskraft als maschinelle Intelligenz«. Dieses Instrument »wurde an einer Stelle entwickelt, an der Algorithmen scheiterten. Es wird in Crowdwork-Plattformen eingesetzt. Überall in der Welt erledigen Menschen, wo immer sie sind, in Sekunden oder Minuten Aufgaben (Microtasking) und werden dafür schlecht bezahlt. Altenried nennt es die »digitale Fabrik«[22]. In dieser Fabrik verschwimmen die Unterschiede zwischen fixem Kapital (Maschinen, Gebäuden usw.), variablem Kapital (Löhne und Gehälter) und der Ware, die die traditionelle Fabrik noch physisch verlässt. Der Grenzwertnutzen des einzelnen Produkts ist gering, ein Song oder ein Videoclip kosten immer genauso viel, egal, wie oft sie heruntergeladen werden. Die Gewinne entstehen im System. Es wird angeschoben von Hitlisten mit austauschbaren Einzelelementen. Damit aber kehrt das Produkt virtuell zu den Nutzern zurück, die das Auf und Ab der Hits in Bewegung halten; es wird ihnen immer vertrauter.

In der Kritik der politischen Ökonomie von Marx und Engels tritt das Produkt den Produzierenden entfremdet gegenüber. In der digitalen Produktion unterlaufen Zirkel von Akzeptanzprognosen und Anpassungen diese Entfremdung; das Produkt schmeißt sich gleichsam an den Produzenten ran. Notfalls wird die digitale Herkunft durch Heimatlichkeit verschleiert: »Akustische Instrumente könnten da sehr, sehr gut passen,« sagt ein Manager der Musikindustrie, »Alles, was eben diese Natürlichkeit und Regionalität vielleicht auch in Sprache, insbesondere deutsche Musik oder wo man hört, dass jemand Deutsch singt. Das ist für uns die musikalische DNA.« »Deutsche Musik« gibt es nicht, er meint schnulzenhafte Deutschtümelei.[23]

Auch eine gelingende Interaktion von Mensch und Maschine steht vor dem Problem der dauernden Selbstreproduktion. Trend Scouts und Talentsucher (in den Medienkonzernen die Abteilung A&R, Artists and Repertoire) müssen auch einmal etwas Neues einspeisen und das, was der Algorithmus nicht liefern kann, durch eine gute Nase wettmachen. Ausgetretene Pfade ständig betreten, und sie immer mal wieder verlassen: ein notwendiges Wechselspiel, denn die algorithmische Auswertung der Likes und der Trendforscherdaten schleppt das oben erwähnte Dilemma mit, dass Konsumenten das bevorzugen, was ihnen zuvor suggeriert wurde. Adorno nennt dies den »Zirkel von Manipulation und rückwirkendem Bedürfnis«[24].

Auch die Gefälligkeitsklicks und von Nutzern künstlich generierten Likes zur Aufbesserung des Einkommens, die Mikroarbeit der Mecanical Turks, müssen herausgerechnet werden. Aber nach welchen Parametern? Auch negative Bewertungen sind nicht immer spontane Regungen; mit ihnen werden Konkurrenzen auf dem enger werdenden Markt ausgetragen, Fraktionen können sich bilden und erbarmungslos zuschlagen. Bewertungen im Internet sind ein Hebel, um das eigene Unternehmen auf der Bildschirmanzeige nach oben zu rücken und die Konkurrenz nach unten zu drücken. »Es gibt Firmen, die sich auf diese Form des Betrugs spezialisiert haben und ihre Dienste offen im Netz anbieten.«[25] 10 000 Fake-Follower wurden in 2020 für 39,99 Euro gehandelt.

Das System ist prinzipiell anfällig und kann in kostspielige digitale Sackgassen führen. Promotoren des Massengeschmacks, die künftige Hits oder neue Plots identifizieren sollen, stecken in dem hermeneutischen Zirkel, eigene Vorlieben bei der Analyse des Massengeschmacks ausklammern zu müssen, wobei diese Vorlieben selbst Ergebnis des medialen Dauerkonsums sind - von begründeten ästhetischen Kriterien kann hier keine Rede sein.

Die Influencer

Der Begriff der sozialen Medien kennzeichnet die hier zu verhandelnde Sache in mehrerlei Hinsicht treffend. Das von den Influencer genutzte soziale Medium vermittelt zwischen den Bedürfnissen von Altersgruppen und dem Warenangebot großer Konzerne. Pam und Dan (Pseudonyme für zwei in Deutschland sehr erfolgreiche Influencer) interagieren im Zwischenbereich von Werbung und Lebensberatung. Sie füllen dabei von der familiären Sozialisation vernachlässigte Funktionen aus.

Die Ökonomie ihres Geschäfts zu beschreiben, bietet wenig Schwierigkeit. Es ist Werbetätigkeit, die als solche nicht erscheint und durch ihr Nichterscheinen als besonders erfolgreich gilt. Die ubiquitäre Werbung hat zum Überdruss geführt. Ihr hängt das Bild des geheimen Verführers an. Vance Packards Kritik ist längst Alltagswissen geworden. Die Influencer reagieren auf diese Kritik, die in ihrer extremen Form Konsumterror beklagt und in ihrer moderaten den Manipulationsverdacht hegt. Sie nehmen dieser Kritik die Spitze, indem sie möglichst dezent, quasi nebenbei, auf das beworbene Produkt verweisen. Sein Markenname wird nicht permanent wiederholt, um den aufdringlichen Charakter von Werbung zu vermeiden. Selbst ihre Berufsbezeichnung ist den Influencer peinlich. In ihren zahlreichen Interviews verweisen sie stereotyp darauf, sie wollten keineswegs beeinflussen, sondern bloß Anregungen geben.

Anfänglich sind die erfolgreichen Influencer wohl tatsächlich Amateure gewesen. Mit der wachsenden Zahl ihrer jugendlichen Fans sind sie ins Radar der Medienagenturen geraten. Diese organisieren Reklamekampagnen für Zielgruppen, die mit der klassischen Werbung in Funk, Fernsehen und Zeitungen nicht zu erreichen sind. Die Auftraggeber dieser Agenturen sind im Falle der Beiden Konzerne wie Puma, Otto Versand, Prada, Calzedonia, Jack Wolfskin oder die Warner Brothers. Diese Konzerne engagieren eine aufs Internet spezialisierte Werbeagentur, und diese wiederrum engagiert Pam und Dan.

Die Influencer, ein Glied in der Lieferkette Richtung Kunde, verkaufen den Agenturen ihre in Zeit gemessene Arbeitskraft, die Investitionen in ihren Mitarbeiterstab und in die technischen Geräte, soweit diese nicht im Eigentum des Konzerns sich befinden. Ihre eigentliche Ware aber sind die Kontaktdaten ihrer Followers (Pro Tausend Follower bekommt der Influencer etwa zehn Euro). Auf diese greifen auch Instagram, Twitter, Tiktok et altera zu, als Gegenleistung für die von ihnen gebotene Verkaufsplattform. Auf ihr kommt der Follower zur Ware, statt dass die Ware umständlich den Weg zum Kunden suchen muss, wie in der in den klassischen Medien geschalteten Reklame. Der Gebrauchswert der Arbeit des Influencers liegt in dieser Erleichterung, die er den Tauschwerten verschafft, damit diese - die in den noch unverkauften Waren schlummern - erlöst werden können. Die Ware, hat Marx in Das Kapital geschrieben, wirft ‚Liebesblicke‘ nach möglichen Kunden, damit diese ‚Transsubstantiation‘ gelingt. Sie reizt durch ihre Aufmachung auf; die Dingwelt borgt sich bei der Menschenwelt die Sprache dieser Aufreizung. Die Produkte werden mit schönem Schein aufgemotzt. Der Erzeugungsprozess dieses Scheins hat sich ständig verbessert. Die Influencer-Plattformen in den sozialen Medien sind eine Rationalisierung und eine Innovation dieses Erzeugungsprozesses (den Wolfgang Fritz Haug in seiner Kritik der Warenästhetik gültig beschrieben hat[26]).

Das Provisionsgeschäft des Influencer funktioniert über den Link zur Outdoorjacke, die Dan so gut steht, und die dem Follower den gleichen coolen Auftritt verspricht. Kommt der Kauf zustande, hat der Influencer seinen Job erledigt und bekommt sein Geld. Sein Geschäft ist zudem diversifiziert. Die von Otto versandte eigene Kleidermarke, der Werbespot für Porsche, die vegane Pam-Box, der Kochbuch-Bestseller, demnächst die Eigenmarke eines Müsliriegels ergänzen das Provisionsgeschäft. Die Workout-Videos von Pam sind zeitlich so gestreckt, dass die Warner Brothers möglichst viele ihrer Hits anspielen können.

Nun kann sich die statistische Mehrheit der Zielgruppe keinen Porsche leisten. Dan steht für das Lebensgefühl, das auf den Sportwagen hinauslaufen soll. Der Porsche dient als vorgehaltene Karotte, zu erhaschen sind die zum ihm passenden Brillen, Stiefel, Jacken, Hosen, Uhren und Urlaubstrips. Die für Nachhaltigkeit zuständige Pam hat neben veganen Lebensmitteln noch Workouts gegen überzählige Pfunde und Kleidung aus recycelten Materialien im Angebot. Die Kleidungsstücke der beiden sind im gehobenen Preissegment angesiedelt. Wer nach Pams Rezepten kocht, braucht, der nur im Biomarkt erhältlichen Zutaten wegen, ein überdurchschnittliches Haushaltsbudget.

Obwohl sie für die Waren milliardenschwerer Konzerne werben, sieht der Auftritt der Influencer nach Heimarbeit und Küchenstudio aus. Pam und Dan geben vor, alles selbst zu machen; nur der Bruder oder der befreundete Fotograf gingen ein bisschen zur Hand. Ein Smartphone, ein Laptop, und schon könne es losgehen, suggerieren sie. Sie treten wie Amateure auf, darin liegt ihre Professionalität. Es soll nach Hobby aussehen, und alle für das Influencing und den professionellen Gebrauch der neuen Medien notwendigen Fertigungsschritte erscheinen nicht: Kein Schneiden von Szenen, kein Einmontieren von zugesandten Videoclips, kein Mischen oder Überblenden. Der Wechsel vom Follower zum Influencer sei jederzeit möglich, gaukelt der Influencer vor. Das Interesse, das die Nutzer an Instagram nehmen, lebt von dieser Täuschung. Sie ähnelt dem Andy Warhol-Versprechen, wonach jeder in seinem Leben einmal für 15 Minuten berühmt sein kann.

Die Influencer beeinflussen den Konsum, die Kauflust ihrer Nutzer im Auftrag großer Firmen, aber sie suggerieren Unabhängigkeit. Ihr Geschäftsmodell ist der Schein; ohne die Aufträge der Konzerne wären sie nichts. Für diese Konzerne erfüllen sie eine den Scannerkassen vergleichbare Funktion. Sie registrieren, welche Ware gut läuft und welche ein Ladenhüter ist.  Sie erfüllen eine Funktion in den Datenflüssen der Vertriebsabteilungen, aber sie machen diese Funktion unsichtbar. Sie verschwinden hinter den lebendigen Subjekten, die Pam und Dan ebenfalls sind. Die Follower wissen um den Trick, täuschen sich nicht über den Zweck der ganzen Übung. Sie schauen das Ganze durch die Finger an, sind schon dankbar dafür, dass die Waren nicht zu aufdringlich beworben werden, sondern die Werbung fast beiläufig am Rand des Displays erscheint.

Auch frühere Zeiten kannten ihre Influencer; Haug weist darauf hin. Es waren Dichter, Komponisten, Chansonniers gewesen, die, von niederländischen oder englischen Handelsgesellschaften bezahlt, deren Kaffee und Tee anpriesen. Seither hat sich das Werbegeschäft permanent umgewälzt. Die klassische Werbeagentur ist längst verschwunden. Der Overhead war zu groß, die Villa im Westend zu teuer, das Personal fest angestellt und überaltert. Es war eine ästhetischen Schein herstellende Manufaktur.[27] Wer heute keine personalisierte Werbung zu bieten hat, wer keinen Early Adopter für entsprechende Zielgruppen auf dem digitalen Lager hat, wer sein HB-Männchen, seinen Camel-Globetrotter oder seine Ariel-Clementine nicht zum Influencer fortentwickelt hat, hat die Zeiten verschlafen.

Die den Follower vermittelte Biografie der Influencer löst Identifikation aus. Pam und Dan haben in der Sprache der Jungen ‚ihr eigenes Ding gemacht‘. Dieses Ding ist die Negation des Vorhersehbaren. In Dans Fall wäre auf das Maschinenbaustudium die Anstellung bei einer Firma Dürr oder Trumpf gefolgt, bei Pam die wenig aufregende Verkaufstätigkeit in der elterlichen Karlsruher Boutique. Dieses Detail ihrer Biografie ihre Fans wissen zu lassen, ist wichtig, es macht den Markenkern der beiden aus. Ihre Fans fühlen Identität mit den Stars, weil es denen gelungen ist, einem Lebenslauf auszuweichen, dem auch sie gerne ausweichen würden. In ihren Praktika, der Ausbildung und den Gesprächen ihrer Eltern erlebt die nächste Angestelltengeneration - gegenwärtig noch in verlängerter Adoleszenz - was auf sie zukommen wird. Eine vergleichsweise permissive Lebensphase wird zu Ende gehen. Am Horizont taucht eine dem Beruf geschuldete, wenig attraktive, von Disziplin und Vorgesetzten gekennzeichnete Lebensführung auf. Ihre Träume von einem freieren Leben zerschellen am Realitätsprinzip. In der Phantasie, in der Identifikation mit ihren Pams und Dans, dauern die Träume fort.

Im Liebeshandel zwischen Ware und Käufer macht der Influencer den Kuppler, den Mittler. Der Influencer, der zum Träumen einlädt, bekleidet sich mit der Ware, diese fährt ihn an exotische Orte, sie musiziert für ihn, bekocht ihn, hält ihn fit im Gym. Und wer wie Pam oder Dan sein will, kann sich ihnen anverwandeln, indem er sich die Außenhaut von Pam und Dan, ihre Warenattribute, ebenfalls zulegt und damit den Liebreiz, den Appeal, den sie ausströmen. Die Waren sind die Mitgift, die ich in den Kauf nehme, wenn ich der Follower des Influencers bin. Marxens Geldfetisch kommt in diesem Austausch zum Tragen. Dans Attraktivität hängt am Besitz seines teuren Porsches. Beinahe erscheint der Besitzer des Sportwagens als der Eigentümer der Porsche AG (von der Dan über eine Agentur gebucht wird). Dans Job ist es, viele Leasingverträge, z.B. für einen Tagestripp mit der erotisch Umworbenen, zu veranlassen.

Im Subtext der Botschaften eines erfolgreichen Influencers schwingt ein Gleichheitsversprechen mit: Ich bin wie du, ich kenne Deine Träume und nehme sie ernst; ich interessiere mich für dich und das, was du tust; denn du und ich, wir gehören zur gleichen Gruppe und haben gleiche Interessen. Das im Unbewussten des Followers gespeicherte Bild eines Influencer suggeriert Gleichheit und wechselseitige Anerkennung. Damit zehren die Accounts der Influencer, ihren Kontoinhabern unbewusst, von dem Gedanken der Solidarität. Sie partizipieren an der Idee einer Gesellschaft, in der die Beziehung der Gesellschaftsmitglieder nicht über Geld vermittelt wäre. Dieser Phantasiestoff ist in das Beziehungsgewebe zwischen Follower und Influencer eingesponnen.

Das Verhältnis von Star und Fan hat Günther Anders in Die Antiquiertheit des Menschen so beschrieben: »Jeder Johnny will küssen wie Clarke Gable«, und daraus gefolgert: »Damit wird die Wirklichkeit zum Abbild ihrer Abbilder.«[28] Das Verhältnis von Influencer und Follower ist diesem, auf den Kopf gestellten Abbildrealismus nachgebildet. Die von Pam begeisterten jungen Frauen wollen deren makellose Figur haben, die von Dan begeisterten jungen Männer seine kräftigen, tätowierten Oberarme und seinen Waschbrettbauch. Dass junge Frauen ein bis vor kurzem noch als Unterwäsche geltendes Kleidungsstück in der Öffentlichkeit eines Fitnesscenters tragen, geht auf solche Vorbilder zurück. Pam tritt in der Öffentlichkeit des Internets mit dem beworbenen Bustier eines Sportartikelherstellers auf. Sie verschiebt Schamschwellen bei den Rezipientinnen ihres Outfits. Die auf Instagram posierende Pam weist mit ihrer knappen Bekleidung und ihrer kindlichen Stimmlage Züge einer Lolita auf. Fast die Hälfte ihrer Fans sind männliche Verehrer. »Die kommerzielle Befriedigung von Schaulust« haben Negt/Kluge einmal einen »Prostitutionsersatz« genannt[29].  

Das Posing von Pam und Dan übt einen tyrannischen Effekt auf die Körper junger Männer und Frauen aus. Es vermittelt, so müsse ein Körper sein, und wenn er vom Ideal abweiche, weiche er wie ein Fehler ab, und es fehle am Willen, ihn fehlerfrei zu machen. Weil Natur kein unveränderbares Ansich besitzen soll, gilt sie als völlig formbar. In den von Pam veröffentlichten Fragen kommt mitunter Verzweiflung zum Ausdruck: »Wie werde ich bloß meinen Muffin Top los«, fragt eine junge Frau. (Das Wort steht für die aus der Form geratene Figur, bei der das Bauchfett über die Hose quillt, wie der Muffinteig über die Backform). Pam ist Ratgeber in solchen Nöten und verschärft sie zugleich. Sie rät zu ihren gymnastischen Übungen und zu ihrem, kalorienarme Gerichte bietenden Bestseller. Sie setzt mit ihrem Körper eine ästhetische Norm, und dieser Norm nicht genügen zu können, setzt ihre weibliche Fangemeinde unter Druck. Von diesem Druck wiederrum lebt Pams Geschäftsmodell. In einer Jugendclique als Muffin Top geschmäht zu werden, ein verheerendes Stigma.

Die Vorbilder ahmen auch ihre Gefolgsleute nach, benutzen vor allem deren Sprache. Pam spricht meist englisch, seit sich ihre Fangemeinde internationalisiert hat. Bei Dan fallen alle Codewörter der Jugendszene, alles ist cool, geil, krass, oder fett. Manchmal erlaubt er sich eine kleine Zote. Dann spricht er von seinem Porsche, den er »hakt« und fügt hinzu »die Jungs wissen, was ich meine.« Solche Sprüche sind eher pflichtgemäße Verbeugung vor der jugendlichen Kundschaft als Ausdruck von Dans Sprachniveau. Er beherrscht beide Codes, den der Jungen und den elaborierten. »Chapeau«, sagt Dan beispielsweise zu den Angestellten einer von ihm beworbenen Autowaschanlage als Lob für den polierten Sportwagen. Wird er von einem Werbefachblatt interviewt, spricht er das Idiom der Marketingleute. Er will inspirieren, für die Brand Awareness sorgen, den beworbenen Marken Authentizität geben und für seine eigene Visibility sorgen.

Auch Pam agiert auf beiden Sprachebenen. Spricht sie zu ihren Fans in ihrer Lolitarolle, nutzt sie die höhere Stimmlage. Im auf YouTube eingestellten Forbes-Interview, vor Leuten, denen sie ihre Dienste anbietet, redet sie in tieferer Stimmlage. Sie spricht über »my age group« in einem perfekten Englisch und verkauft sich und ihren Verkaufskanal als soziales Medium für die Weltmärkte. »You don’t see borders on social media.«

Die Sprache der beiden Influencer wäre für einen Hermeneutiker wie Ulrich Oevermann eine Fundgrube der Absurdität. Was antwortet man auf Dans Frage am Wochenbeginn »Was geht ab?« Erwartet Dan eine Antwort? Ist er beleidigt, wenn er keine bekommt? Wie sein Wochenende war, mit dem Porsche bei 280 km/h auf dem Nürburgring, hat man im Video gesehen. Pam postet: »I want to interact and talk with you personally.« Ein Gespräch hat Rede und Gegenrede zur Bedingung. Instagram schließt die Möglichkeit einer solchen Interaktion nicht aus. Pam und Dan bekommen jede Menge Fanpost. Eine E-Mail ist rasch geschrieben, aber Tausende zu beantworten, ist nicht möglich. Interaktion wird daher simuliert. Pam fragt beispielsweise, ob sie das Chocolate Granulate kalorienreduziert oder in der schmackhafteren Vollmilchschokoladenversion backen soll. Auf ein Like, den hochgereckten Daumen, schrumpft die Kommunikation zusammen. Es ist das gängige, vom Follower genutzte Zeichen.

Das an den Follower gerichtete Wort des Influencers, »erzeugt den Schein einer personalisierten Sozialbeziehung,… reproduziert somit die Strukturlogik von Entfremdung und Verblendung«, schrieb Oevermann einmal über die alten sozialen Medien. Er sprach von einer »fernseh- und rundfunkspezifischen Beziehungsfalle.«[30] Instagram erweitert die Spezifik dieser Beziehungsfalle.

Rückmeldungen ihrer Rezipienten, sogenannte Feeds, erhalten die Influencer auch in Form zugesandter Videos. Pam stellt die für sie brauchbaren in ihr Netz. Als brauchbar gilt, was als lustig oder als exotisch erscheint.  Beleibte Männer, die in engen Gymnastikhosen ihren Sexy Dance nachmachen, oder eine Singapurin, die den Tuesday Workout absolviert, erfüllen dieses Kriterium. Damit solche Videos nicht zu viel Werbezeit beanspruchen, werden sie meist im Schnelldurchlauf präsentiert. Die Followers wirken verulkt, die Szenen erinnern an Charlie Chaplins Film Modern Times.

Bei den Influencern auf Instagram hat sich eine semiotische Hierarchie etabliert, die die Schrift dem Gesprochenen und dem Visualisierten nachordnet. Die wertvollste Mitteilungsweise ist das Video, dann kommt das Audio (der Podcast), dann das Geschriebene. Das Geschriebene verlinkt in der Regel auf eine Shoppingseite. Die Audiodatei macht sich zunutze, dass man online sein kann und noch anderweitig beschäftigt.

Der Vorrang, den sie dem Bild vor der Schrift einräumen müssen, ist den Influencern bewusst. Um im Geschäft zu bleiben »geht viel Zeit drauf, Instagram-Bilder und -stories zu produzieren, damit meine Fans immer etwas zu gucken haben«, so Pam in einem ihrer zahlreichen Interviews. Sie glaubt nicht an die Kraft des Buchstabens, sondern an die des Video-Contents und des Podcasts. Sie nutzt die Rezeptivität der menschlichen Sinne Sehen und Hören. Ihre beiden Werbekanäle und die beiden Sinnesorgane sind als kommunizierende Röhren angeordnet. Instagram ist eine Fortentwicklung der Regenbogenpresse, die ihre Auflagen einmal maximiert hat, indem sie die Schrift minimiert und ihre Spalten mit großflächigen Bildern aufgelockert hat.

Bei den Produkten der Kulturindustrie gehören Entspannung und Unterhaltung zum Gebrauchswert. Das Manko dieser Güter: Ihr Konsum erzeugt rasch Überdruss. So stellt sich auch beim regelmäßigen Aufsuchen der Pamschen und Danschen Instagram-Konten rasch Langeweile ein. Der Content aller Videos ermüdet, die ewige Wiederholung des Immergleichen von Swimming Pool, Fitness-Center, Sportwagen-Tuning, Sonnenuntergang am Strand und Backvorbereitung in der Musterküche. Das Kaufen, Konsumieren, den Körper modellieren, das Lebensmodell der Role Models kennt nur rezeptive Vergnügungen.

Ein Podcast verhandelt die Frage: »Was kann ich eigentlich?« Pam zählt auf: Dem Bruder die Haare schneiden, sich selbst die Haare färben, ein Kochbuch schreiben, die Nägel lackieren. Das Wesentliche kommt nicht vor: Wie sein Leben mit einer vernünftigen Tätigkeit fristen? Dan und Pam haben dem Anschein nach nicht wirklich etwas zu tun, und dieses Nichtstun am Strand von Bali oder den Geysiren Islands spiegeln sie ihren Followern als den Inhalt eines sinnvollen Lebens vor. Auf ihren Websites ist als Gegenleistung für die von der Telekom abgebuchten Gebühren ein Nichts verbucht, eine bleibende Leere, ein horror vacui.

Arbeit war einmal als »Verausgabung von menschlichem Hirn, Muskel, Nerv, Hand« zu beschreiben, so zu Zeiten von Marxens Kapital.[31] Aus diesem Katalog der Organe fast völlig verschwunden sind die Muskeln und beinahe auch die Hand. Sie wird in den vorherrschenden Arbeitsprozessen zu wenig mehr gebraucht als zum Eintippen von Programmierbefehlen oder um eine Maus auf einer Computeroberfläche zu steuern.  Die Körper sind frei fürs tägliche Workout geworden. Auf Instagram spiegelt sich die Formveränderung menschlicher Arbeit wider, das Überflüssigwerden der Körper im Produktionsprozess. Es spiegelt sich auch die gar nicht utopische Idee einer Gesellschaft frei von Mühsal ab. Die von Dan und Pam mitproduzierte Warenästhetik erzeugt Bedürfnisse, die sie nicht befriedigen kann, deren Befriedigung aber an der Zeit wäre; denn der erreichte Stand der Produktivkräfte hat ein Leben längst möglich gemacht, das der Lebensnot nicht ständig abzuringen wäre. Wolfgang Fritz Haug hat darauf hingewiesen, und seine Kritik der Warenästhetik endet deshalb keineswegs kulturkritisch. In den Bildern der Werbung – und die Influencer sind die Personalisierung dieser Bilder - »werden den Menschen fortwährend unbefriedigte Seiten ihres Wesens aufgeschlagen…«[32]

Noch einmal Wolfgang Fritz Haug: »Indem der Schein, in dem die Waren einherkommen, die Menschen ausdeutet, versieht er sie mit einer Sprache zur Ausdeutung ihrer selbst und der Welt.«[33] Die Welt richtig ausgedeutet, würde ihre Umstülpung zur Folge haben. Bisher bietet die Ware ein Minimum an Gebrauchswert mit einem Maximum an reizendem, sich den menschlichen Sehnsüchten anschmiegendem Schein. Umgestülpt gälte: Das Produkt bietet ein Maximum an Sehnsüchte, Genüsse und Bedürfnisse befriedigendem Gebrauchswert und seine Verpackung wäre beinahe überflüssiger Schein. Die Warenästhetik macht eher hungrig als satt, aber sie macht hungrig auf eine richtige Mahlzeit. Sie bringt eine Triebkraft, das Lustprinzip, ins Spiel, die sich so einfach nicht abspeisen lässt. Der Kapitalismus führt einen Widerspruch mit sich, der seinen Produktionsprozess permanent stört und seine Konsumtionssphäre permanent am Laufen halten soll. Die selbstdiszipliniert arbeitenden Individuen sollen nach Feierabend und auf Knopfdruck sich ihrer Triebstruktur überlassen und dem gebotenen Spektakel. Das überfordert so manchen, und in den Ausschreitungen, mit denen Wochenendspektakel zu Ende gehen, kommt diese Überforderung zum Ausdruck.

Pam sieht in einem Interview schon das Ende ihrer Instagram-Karriere kommen, bringt es aber nur mit ihrem fortschreitenden Alter oder mit der neuesten Plattform, mit Tiktok, in Verbindung. Eine allgemeine Unzufriedenheit macht sich im Netz bemerkbar, wie sie notiert: »Und natürlich gibt es Social Media Leute, die alles negativer interpretieren oder damit nicht zurechtkommen, dass alles so schön ist, aber genauso gibt es auch Leute, die in der Schule Probleme haben oder bei der Arbeitsstelle Probleme haben. Aber ich finde das ist kein Grund die ganze Positivität, die man damit schaffen kann, wegzuschmeißen.«

Dass die gebotene Armseligkeit, in der »alles so schön ist«, auf achtmillionenfache Nachfrage trifft, darüber könnte man trübsinnig werden. Aber es hilft nichts, eine an kritischer Öffentlichkeit interessierte Publizistik muss die Frage beantworten, wie sie sich zu Instagram & Co. verhält. Bloßes Ignorieren ist wohl keine vernünftige Option. Der Entlarvungsgestus hilft ebenso wenig, zudem stört sein asketischer Zug. Nicht dass die jungen Mädchen das Schminken lernen, steht zur Kritik, auch nicht das Bedürfnis nach Entspannung am Feierabend. Dass dies alles sein soll, der vor dem Feierabend liegende Arbeitstag ausgeblendet wird, wäre zu kritisieren.

Wo die Influencer an Grenzen stoßen, sollten sich für kritische Kräfte Räume öffnen. Die jungen Followers melden Autonomieansprüche an, die in die Phantasie und in die Konsumsphäre abgedrängt werden, weil ihnen die Produktionssphäre verschlossen bleibt. Eine ihnen Selbstbestimmung vorenthaltene Arbeitswelt wartet auf sie, allem Gerede von New Work zum Trotz.  Das haben sie aus ihren Praktika oder ihrer Ausbildung mitgenommen, und die Gespräche mit ihren Eltern bestätigen diese Erfahrung.  Der Weg in diese Berufswelt ist vorgezeichnet, und dass er so ausweglos erscheint, treibt in die Arme der phantastische Fluchtwege versprechenden Influencer. Damit ist keineswegs präjudiziert, dass die jungen Internetnutzer für betriebliche Realität bearbeitende Politik, zum Beispiel der Gewerkschaften, unzugänglich wären.

Eine kritische Öffentlichkeit müsste beim Wort nehmen, was die sozialen Medien nur versprechen: Kommunikationsapparat zu sein. Diese Medien sind tendenziell egalitär, das Internet eine weltweite Öffentlichkeit. Jeder kann an ihr teilnehmen, sie öffnen einen Ort für Selbsttätigkeit, ihre Programme sind immateriell und beliebig reproduzierbar, die gespeicherte Information steht allen offen. Es geht ein Moment von Vergesellschaftung in sie ein. Was weitgehend fehlt, ist eine Gegenöffentlichkeit, die diese Chancen ergreift. Warum keine Zeitung, die von ihren Lesern geschrieben wird? Die Plattformen der sozialen Medien wären professionell zu nutzen. Und selbst das Amateurhafte hat auf YouTube noch seine Funktion; die Kamerafunktion der Handys hält die Übergriffe der Polizisten fest.

Eine kritische Publizistik darf keine Scheu haben, Podcasts und Videos zu produzieren. Nicht die Versinnlichung von aufklärenden Texten ist das Problem, sondern ihre Versimpelung. Maschinenstürmerei wäre es, die digitale Maschinerie gar nicht erst stürmen zu wollen. Politische Aufklärung und Filmkunst gehen gut zusammen. Auf dem Web-Kanal des Altmeisters Alexander Kluge (dctp.tv) kann man dies sehen.

Plattformen wie Instagram sind nicht per se nur für seichte Unterhaltung vorgeformt. Ihre Versprechungen wären beim Wort zu nehmen. Es sind keine monologischen Medien, ihre technologische Struktur verlangt nach Interaktion. Als Floyd Georg in 2020 Opfer der Polizeigewalt in Minneapolis wurde, hatte sich auf Instagram eine Solidaritätsbewegung formiert. Dank der social Media war die Empörung weltweit zu vernehmen. Kommentare in bester, aufklärender Manier tauchten blitzschnell auf. Die Regierung, so ein US-Blogger, braucht Monate, um die Bevölkerung vor einem Virus zu schützen, aber Sekunden, um die Polizei auf die Protestierenden los zu hetzen. Black Lives Matter unterbrach selbst Pams und Dans Werbeprogramm. Bei Daniel Fuchs war Sendepause:  Mit Blackout Tuesday brachten viele Nutzer ihre Solidarität zum Ausdruck. Pamela Reif gab einer »Rassismus zerstört« betitelten Videobotschaft Raum, einem Statement voller Wut und Aufklärung, vorgetragen von einer älteren Dame.

Die E-Musik

Adorno verwendet den Begriff Kulturindustrie polemisch. Es schwingt ein Schämt-Euch! mit. Die heutige Musikindustrie trägt ihren Titel mit Stolz. Der Bundesverband Musikindustrie (BVMI, Berlin) »vertritt die Interessen von rund 200 Tonträgerherstellern und Musikunternehmen, die mehr als 80 Prozent des deutschen Musikmarkts repräsentieren.«2019 setzte die Musikindustrie in Deutschland 13,6 Milliarden Euro um.[34]Das Streaming Geschäft macht mehr als die Hälfte davon aus, so die Selbstdarstellung.

Die Musiksparten unterscheiden sich durch die Verwertbarkeit ihrer Produkte. Die Unterscheidung in E-Musik (ernste Musik) und U-Musik (Unterhaltungsmusik) wurde von den Verwertungsgesellschaften eingeführt, um nach einem Punktesystem die Produzierenden zu vergüten. Die E-Musikerinnen und Musiker bekamen mehr. Die Verteilungskämpfe waren politisch. Während der Hitlerzeit «genoss die ernste Musik generell eine Vorzugsstellung. Der damalige Präsident der Reichsmusikkammer, der Komponist Richard Strauß, konnte sich früh mit seiner Forderung durchsetzen, bei Übertragungen ein »Ernstes Drittel« für die Komponisten von symphonischer Musik, von Kammermusik sowie Chor- und Kirchenmusik zu reservieren. Als sich die deutsche Kriegslage verschlechterte, sah Goebbels in der Aussendung von Unterhaltungsmusik eine Möglichkeit, breite Bevölkerungsschichten für die Staatsführung einzunehmen. Hitler liebte Operetten. Das »Ernste Drittel« wurde reduziert.[35]

Auch das, was die Sparteneinteiler »klassische Musik« nennen, unterliegt den Zwängen medialer Vermittlung. Sie zieht fast alle musikalischen Aktivitäten in ihren Sog. Das Wort »musizieren« ist bereits angestaubt. Das Wort Live-Musik trifft den Sachverhalt, dass Menschen für Anwesende singen und spielen, auch nur bedingt. Es gibt Live-Übertragungen, die sich stolz von Musikkonserven abgrenzen. »Live« bedeutet hier Gleichzeitigkeit mit der Aufführung und hat nicht den Nachgeschmack von Zweitverwertung. Ohne diese Übertragungen und den damit verbundenen Verkauf von Senderechten wären viele Konzerte nicht möglich. Das Publikum wird mit seinem Räuspern, Scharren und noch knapp übertragenem Klatschen zum Echtheitssiegel, die Prominenz in der ersten Reihe, die den Saalmikrofonen am nächsten sitzt, zu unfreiwilligen Statisten und Claqueuren. Bei Fernsehübertragungen schwenkt die Kamera kurz ins Publikum, um dem Konservengeschmack entgegenzuwirken. Aber auch bei Übertragungen älterer Konzertaufnahmen (paradoxerweise »Aufzeichnung eines Livekonzerts vom«… genannt) werden Scharren, Husten und Beifall nicht herausgeschnitten, wobei das Tonarchiv notfalls ein paar Sekunden Beifall liefert. Prämieren der Oper in New York werden direkt weltweit in Kinos übertragen. Räumliche und zeitliche Distanz zur Aufführung werden durch eine Aura von virtuellem Dabeisein verwischt. Die »Konzertindustrie«[36] macht Präsenz, also die ursprüngliche Form des Konzerts, zum Schein.

Die mediale Vermittlung unterwirft die Musik der globalen Verwertungslogik. Die Coronapandemie gab diesem Prozess weiteren Anschub. Künstlerinnen und Künstler verlegten sich gezwungenermaßen auf Live-Streaming, also zeitgleiche Übertragung, wobei so viel Publikum im Aufführungssaal zugelassen war, wie es die Abstandsregeln erlaubten. (Welche Chancen diese Übertragungsart birgt und wie sie das Verhältnis von Musizierenden und Hörenden verändert, beschreibt Bernhard Uske[37]). Für das gute alte Konzert wäre der Begriff »Analogkonzert« (wie Analoglesung, Analoggottesdienst usw.) am passendsten.

Industrielle Musik (Industrial Music) bringt das analoge Stadium gänzlich zum Verschwinden. Diese Musik kommt ohne menschliche Stimme und Instrumente aus. Der Computer generiert alles. Sie wirkt steril bis zur Qual. Sekundengenau sich wiederholender Rhythmus verträgt das menschliche Ohr nur begrenzt. Deshalb mischen die Tontechniker einen Human Touch bei, der dem Produkt kleine Ungenauigkeiten einfügt. Programmierer bringen den Faktor Mensch ein, sind gleichsam Mechanical Turks.

Künstlerische Vorbehalte gegen die Vermarktung gibt es nach wie vor. Universitäten, Musik- und Kunsthochschulen verabschieden Semester für Semester hochqualifizierte Menschen, für die es keinen entsprechenden Stellenmarkt gibt. Sie richten sich in Kleinverlagen, Spezialbuchhandlungen, Bretterbühnen und alternativen Kinos ein. Sie haben gelernt, bestimmte Marktmechanismen für sich zu nutzen. Musikerinnen und Musiker gründen kleine Ensembles, die dann in ständigem Konkurrenzkampf mit Ihresgleichen stehen. In diesen Nischen sind auch ernsthafte Künstlerinnen und Künstler der neoliberalen Vergesellschaftung ausgesetzt. Sie sind abhängig von Vermittlungsagenturen, die sich im Gestrüpp der Fördergelder, Subventionstöpfe und den Profilen von Veranstaltern auskennen. Deren Kunstfertigkeit im »Hamsterrad aus Projekt- und Förderanträgen«[38] ist Teil der künstlerischen Produktivkraft. Wer an den Standards dieses Agentennetzes vorbeiproduziert, hat verloren. Anspruchsvolle Künstlerinnen und Künstler versuchen deshalb, auf zwei Beinen zu stehen: Unterricht an einer Musik- oder Kunstschule wegen der Krankenkasse und um dem Finanzamt ein Einkommen vorweisen zu können, und Privatunterricht. Solisten und Ensembles verdienen sich mit Mucken etwas dazu. Mucken (oder: Muggen, laut Duden aus dem Englischen von mug, Dreck, Drecksarbeit; andere Herleitung: Im 18. Jahrhundert Bezeichnung für Bettelmusik[39]), sind musikalische Gelegenheitsgeschäfte, vulgo: Musik und Knete, Musik gegen Geld. Aber auch das hat seine Tücken. Ein Ensemble, das zu bekannt wird, hat Mühe, sein Niveau zu halten. Es wird zum Label. Wenn es zu oft angefragt wird, fehlt Übungszeit, und die Musiker müssen auf die Schnelle zusammentelefoniert werden. Was sich dann auf der Bühne versammelt, hat oft mit der YouTube-Präsentation der Anbieter nicht viel zu tun (Es entspricht eher dem ‚Muckenhaufen‘). Literaten verdienen sich durch Korrekturlesen oder Übersetzungen den Lebensunterhalt. Hat ein Autor einen Bestseller gelandet, muss spätestens im dritten Jahr ein neuer Titel des Erfolgsautors her. Fotografen verdienen Geld bei Hochzeiten und beteiligen sich nebenher an Ausstellungen von Kunstfotos in Hinterhöfen. Diesen Spagat können sie bis zur ersten längeren Erkrankung oder einer Pandemie durchhalten. Ihre Rente liegt unter der staatlichen Grundsicherung.

Die Aufspaltung der Künstlerpersönlichkeit sagt viel über die gesellschaftliche Funktion der Kunst. Kultur ist Standortvorteil, wenn es um das Anlocken von Firmenniederlassungen geht »Die Kulturindustrie ist eine der wichtigsten Wachstumsbranchen«, hat ein Frankfurter SPD-Oberbürgermeister einmal bei seiner Antrittsrede gesagt. Das kunstproduzierende Individuum fungiert in einem Räderwerk kommunaler Kulturpolitik und darf sich als Trost für diese Schmach sogar ein paar Extravaganzen leisten: Lässige Kleidung, Männer mit Pferdeschwanz… Auch Kafkas Hungerkünstler durfte einen Wutausbruch bekommen und »zum Schrecken aller wie ein Tier an dem Gitter« seines Käfigs rütteln. Solche Schocks beglaubigen die Echtheit der Produkte. Wenn dieser Lebensstil zur Mode wird – Anna Wiener nennt es »Kreativschaffendenkleidung«[40] -, entsteht massenhafter Individualismus, das Milieu, das sich verbreitet, wenn ehemals heruntergekommene Stadtteile ihre Gentrifizierung hinter sich haben.  

Hintergrundmusik

Bis in die dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts war Musik ortsgebunden. Wer sie hören wollte, musste zu den Musizierenden gehen. Dann transportierte die mediale Vermittlung sie in den öffentlichen Raum (Einkaufszentren, Kaufhäuser, Restaurants). Wer sich dort aufhält, wird gezwungen zu hören, was die Musikindustrie vorgibt. In ihrem Feature Von der Fahrstuhlmusik zum Streaming geht Ina Plodroch dieser Entwicklung nach.[41]

1936 ertönt zum ersten Mal Musik im Fahrstuhl, um die Menschen zu beruhigen. Die Gefahr, dass das Seil riss, war real. Die Firma Muzak hat diese Musik breit eingesetzt. Der Name ist bis heute Synonym für diese Funktionsmusik. Muzak-Erfinder George Owen Squier wollte damals, dass die Menschen jederzeit mit Musik beschallt werden. Im Büro sollten sie effektiver sein und danach konsumieren.

Durch Streamingdienste und Smartphones ist Musik heute allgegenwärtig. Menschen setzen sich ihr freiwillig beinahe ständig aus. Sie hören ihre Lieblingsalben und immer häufiger die von den Streamingdiensten vorgegebenen Playlists. Diese Dienste wollen ihre Hörer mit einem Chill-Klangteppich zum Dauerkonsum anregen. Ein Algorithmus verspricht, personalisierte Musik mithilfe der Messung von Puls und Hormonspiegel zu bieten.

Musik, die zur reinen Funktionsmusik wird, tendiert dazu, keine Musik mehr zu sein. Ein Start up in Hamburg will die sture Zwangsbeschallung beim Einkaufen durch intelligente »neuartigen Lösungen« ersetzen. »Wir mögen das Gedudel in Geschäften auch nicht und nutzen Klang, um im Hintergrund eine maskierende und angenehme Atmosphäre zu schaffen. Das bedeutet, wir spielen keine Musiken im herkömmlichen Sinne, sondern leichte Klangflächen, die eben grade über der Wahrnehmungsschwelle liegen und im allgemeinen Geräuschteppich verwoben sind,« so die Responsive Acoustics GmbH. Oder: »Wir nennen es nie Musik, sondern immer funktionelle Sounds, oder funktionelle Klanglandschaft.«[42] Definiert man Musik als Organisation von Tönen in der Zeit, dann ist auch das Musik. Sie will eben nur keine mehr sein. Begriffe wie »funktionelle Klanglandschaft« wollen sich abgrenzen gegen alles, was irgendwie an künstlerischen Anspruch (‚Klassik‘) erinnern könnte. Mit Händel kann man einen bestimmten Menschentyp verjagen, und es gibt Stadtverwaltungen, die dessen Musik erfolgreich gegen Obdachlose im Eingangsbereich von Bahnhöfen einsetzen.

Solcherart verdünnte Musik führt eher zur Entspannung und nicht zu Stress-Symptomen, gegen die sich Initiativen wie »Lautsprecher aus« wenden.[43]
Weiche Musik arbeitet eher mit Saiteninstrumenten, wobei zu hohe Lagen vermieden werden. Sie soll die haptische Weichheitswahrnehmung beeinflussen. »Weichheit ist für viele Produkte, gerade in der Textilindustrie, ein zentrales Kriterium für die Kaufentscheidung des Kunden«, so Ina Plodroch in ihrem Rundfunkbeitrag. Harte Musik schließt Schlaginstrumente ein. Sie passt zu Modeabteilungen für männliche Jugendliche. Der 4/4-Takt ist der Takt der Marschmusik. Die Kunden sollen aber stehenbleiben. Bei schneller Musik gehen Kundinnen und Kunden schneller durch den Supermarkt, was weniger Umsatz bedeutet.

Musikstücke werden mit einer Stimmung (Mood) markiert. Ein Stück kann energetisch, fröhlich, traurig oder wütend sein. Algorithmen oder menschliche Kuratoren stellen danach die Playlisten zusammen. Beruhigende Musik entsteht so: »Man instrumentiert die oder arrangiert die ohne Gesang. Richtige Fahrstuhl- oder Kaufhausmusik ist ohne Stimmen, wenn sie vorkommen, dann in Form von Chören, die nur Vokalisen singen, nur ‚aaahhh‘. Dann lasse ich Instrumente raus, die zu sehr herausstechen. Eine Trompete wäre zu spitz. Sondern der ganz überwiegende Teil wird mit Geigenflächen instrumentiert, vielleicht mal ein paar Flöten und vielleicht mal eine Klarinette, aber nichts Spitzes, keine Singstimme, kein Text.«[44] Texte lenken vom Konsumangebot ab. Instrumentalmusik oder die »von einer Künstlichen Intelligenz kreierten Klanglandschaften«[45] eignen sich besser zum Kundenfang.

Musik verändert die Produktwahrnehmung. Studien zeigen angeblich, dass französische Hintergrundmusik in einer Weinabteilung dazu führt, dass mehr französischer Wein gekauft wird. Studien dieser Art werden immer wieder zitiert; ob sie strengen wissenschaftlichen Kriterien standhalten, sei dahingestellt. Kaum eine ist öffentlich zugänglich. »High Trust Music« soll nach solchen Studien bewirken, dass Menschen der Apotheke oder dem Anwalt, der das Werbevideo auf YouTube schaltet, stärker vertrauen.

Das Angebot ist nach Stimmungen und Situationen sortiert. Es gibt die Work-Out Playlist, die Learning Playlist, die Sunday Afternoon Playlist oder die Uplifting-Chill-Playlist. Je nach Situation wird eine passende Musik ausgewählt, die einer Stimmung angepasst wird, die erreicht werden soll, und sie lässt sich von Siri, der Sprachassistenz, ordern. Auch für den erwünschten Beischlaf gibt es die entsprechende, ‚romantische‘ Musik. Eine Playlist nennt sich Piano Musik; die soll fürs konzentrierte Arbeiten gut sein.[46]

Die Musikindustrie suggeriert, dass eine bestimmte Playlist auf eine Einzelperson zugeschnitten ist (Plakattext: »Genau deine Musik«). Die Stöpsel im Ohr verstärken diese Illusion, denn sie blenden den Rest der Welt akustisch aus, das also, was das andere des Individuums wäre. Die Umwelt wird nicht mehr erfahren, sondern musiktechnisch vermittelt. Die verstöpselten Ohren sind im Straßenverkehr eine Gefahrenquelle. Der Radfahrer kann das Hupen des Autofahrers nicht hören. Unfälle im Straßenverkehr haben sich so sehr gehäuft, dass für unzulässige Handybenutzung am Steuer eine Strafzahlung fällig ist.

Die elektronische Lieferkette fesselt das Individuum. Yuval Noah Harari sieht die Zukunft so: »Nehmen wir einmal an, Sie hatten einen heftigen Streit mit ihrem Freund oder ihrer Freundin. Der Algorithmus, der für Ihre Stereoanlage oder Ihr Soundsystem verantwortlich ist, wird sogleich Ihre innere emotionale Erregung erkennen, und auf Grundlage dessen, was er über Sie persönlich und über menschliche Psychologie ganz allgemein weiß, wird er Songs spielen, die genau auf ihre gedrückte Stimmung zugeschnitten sind und ihrem Kummer entsprechen.«[47]

Die Musikindustrie arbeitet an einem intelligenten Lautsprecher: »Wir haben mit einem Prototyp begonnen und darüber nachgedacht, wie wir eine endlose Maschine bauen können, die Ambientemusik erschaffen würde, die den kognitiven Zustand beeinflusst.«[48] Es kommt also auf die Tageszeit an, das Wetter, Tageslicht. Denn all das beeinflusst die Energie, die jeder hat… Und wir haben versucht festzustellen, wie sich das Energielevel über den Tag hinaus verändert. Und wir wollen dabei helfen, diesen natürlichen Rhythmus neu auszurichten.«[49]

Eine App nutzt dann möglichst viele Daten eines Smartphones: Das Wetter und Biodaten wie Herzfrequenz und eine künstliche Intelligenz erzeugt in Echtzeit die Sounds. Die Psyche des Nutzers »… gibt Impulse ab und darauf antwortet ein passender Sound. Dem Sound kommt die Aufgabe zu, den seelischen Impuls zu verstärken oder herunter zu dimmen (Ärger, Zorn).«[50] Die Musikindustrie hat für jede Tageszeit und Lebenslage ein abgestimmtes Angebot parat. Das ganze Leben wird zum Fahrstuhl; es geht auf und ab.

Durch die Stöpsel im Ohr ist die Außenwelt nicht gänzlich verloren. Intelligente Lautsprecher oder Kopfhörer können ausgewählte Teile davon zurückholen. »Mit diesem Modus können Hörerinnen und Hörer sich bewusst dafür entscheiden, mit den Kopfhörern im Ohr, die Vögel im Park zu hören, und sich beispielsweise gleichzeitig von dem personalisierten (…) Sound in die richtige Stimmung bringen lassen… Und so fügen sie Ihrer Realität im Grunde genommen diese zusätzliche Farbe oder diesen zusätzlichen Geschmack mit Klang hinzu, was etwas völlig Neues ist und etwas, das noch niemand zuvor gemacht hat.«[51] Der Sieg der Elektronik über die Ästhetik führt eine Entfremdung zu Ende, die von ihrem Ausgangspunkt nichts mehr weiß.

Wer sich künstlerische Ansprüche bewahrt hat und sein Geld in der Kulturindustrie verdient, kann sein Selbstwertgefühl nur durch Scham retten, zu der er sich bekennt, Scham darüber, der Kulturindustrie ausgeliefert zu sein, und Wut über die, die daran verdienen. Es geht ihm wie dem Hungerkünstler bei Kafka, der die Speise nicht finden konnte, die ihm schmeckt. Der Hungerkünstler kommt aus der Mode und stirbt fast unbeachtet in seinem Käfig, an dessen Gitter er einst gerüttelt hatte. »<Nun macht aber Ordnung!> sagte der Aufseher, und man begrub den Hungerkünstler samt dem Stroh. In den Käfig gab man einen jungen Panther. Es war eine selbst dem stumpfsten Sinn fühlbare Erholung, in dem so lange öden Käfig dieses wilde Tier sich herumwerfen zu sehen. Ihm fehlte nichts…«

Mit herzlichem Dank an
»Kritiknetz - Zeitschrift für Kritische Theorie der Gesellschaft« wo der Essay zuerst erschienen ist.

Literatur

Adorno, Theodor W.: Horkheimer, Max: Dialektik der Aufklärung, Frankfurt am Main, 1969
Adorno, Theodor W.: Résumé über Kulturindustrie. Gesammelte Schriften, Bd. 10.1. Frankfurt am Main, 1977
Altenried, Moritz: Die Plattform als Fabrik: Crowdwork, Digitaler Taylorismus und die Vervielfältigung der Arbeit. Prokla 187, Bd. 47. 2017
Anders, Günther: Die Antiquiertheit des Menschen, Band II, Zürich 1984
Jürgen Habermas: Überlegungen und Hypothesen zu erneutem Strukturwandel der Öffentlichkeit. In: Seeliger, Martin : Sevignani, Sebastian: Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit? Leviathan Sonderband 37/2021, Nomos Baden Baden
Haug, Wolfgang Fritz: Zur Kritik der Warenästhetik, Frankfurt am Main, 1971
Haug, Wolfgang Fritz, in Kursbuch 20, Frankfurt am Main, 1970
Kern, Peter: Die Angestellten zwischen Büroalltag und Fluchtphantasie, Münster, 2019
Kluge, Alexander; Negt, Oskar: Öffentlichkeit und Erfahrung, Frankfurt am Main, 1972
Marx, Karl, Das Kapital I, MEW 23, Berlin 1977
Oevermann, Ulrich: Zur Sache, in Adorno-Konferenz 1983, Frankfurt am Main, 1983
Plodroch. Ina: Die Überall-Musik: Von der Fahrstuhlmusik zum Streaming, Deutschlandradio Deutschlandfunk 2020
Wiener, Anna: Code Kaputt: Macht und Dekadenz in Silicon Vally. Aus dem amerikanischen Englisch von Cornelia Röser. München, Droemer, 2020.

[1] Adorno, Horkheimer 1969, S. 133, a.a.O. S. 135,132, 151, 145f., 155, 158

[2] Adorno: Résumé über Kulturindustrie, ges. Schriften 10.1, S. 345

[3] a. a. O. S. 338

[4] a. a. O. S. 339

[5] Zit. nach Presseamt der Bundesregierung, 30. 10. 18

[6] vergl. Kern, 2019

[7] Wiener, Anna, 2020

[8] Adorno, Horkheimer, 1969, S. 131

[9] Deutsches Musikinformationszentrum (MIZ) (Hrsg): Musikwirtschaft in Deutschland

[11] The New Yorker, 3.-10.08.2020

[12] Wiener, S. 144

[13] Adorno, Résumé, S. 345

[14] Habermas 2021

[15] Wiener, S. 184

[16] FAZ 29. 8. 2020

[17] vergl. Adorno/Horkheimer, a.a.O. S. 140 ff

[18] a. a. O, S. 137

[19] Hua Hsu: Starving Artists: How can we pay for creativity in the digital era? in: The New Yorker, 14.9.2020

[20] Die Hitmaschine, FAZ, 29.12.2018

[21] Wiener, S. 212

[22] Altenried 2017

[23] Plodroch, Ina: Die Überall-Musik, Deutschlandfunk 2020

[24] Adorno/Horkheimer, S. 129

[25] Tyrannei des Schwarms, FAZ, 08.08.2020 und Viel Geld für wenig, FAZ, 28.10.2020

[26] Haug, 1971

[27] Kern 2019

[28] Anders S. 252

[29] Kluge ; Negt, S. 174

[30] Oevermann, S. 250

[31] Marx, S. 185

[32] Haug, 1970, S. 154

[33] a. a. O.

[34] FAZ 17.9.2020

[36] in: Ensemble Modern »on air«, Ensemble Modern Magazin, Frankfurt am Main, 20/2.

[37] FAZ, 15.7.2020

[38] Welscher, Hartmut: Landschaft im Stresstest, in: Ensemble Modern Magazin, Frankfurt am Main, 20/2

[40] Wiener, S. 221

[41] Plodroch, Ina

[43] http://www.lautsprecheraus.de/

[44] zit. n. Plodroch

[45] a. a. O.

[46] a. a. O.

[47] Harari, Yuval Noah: 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert. Beck 2018, zit. n. Plodroch

[48] Stavitsky, Oleg, zit. n. Plodroch

[49] Plodroch, Ina

[50] Stavitsky, Oleg, zit.n. Plodroch

[51] a. a. O.

Artikel online seit 13.11.23
 

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