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Ein Panoptikum von Histörchen

Rechtzeitig zum 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich
erscheint
Florian Illies' neuestes Werk »Zauber der Stille«.

Von Gregor Keuschnig
 

Der 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich, dem Maler der Romantik schlechthin, wirft seine Schatten voraus. Für 2024 sind große Ausstellungen in Berlin, Dresden, Hamburg und Friedrichs Geburtsstadt Greifswald geplant. Man ahnt schon die Berge von Postern, Kaffeetassen, Kühlschrankaufklebern und Postkarten in den Museumsshops. Da will auch Florian Illies nicht fehlen, der mit Zauber der Stille einen im typischen Illies-Duktus verfassten Band vorlegt, angekündigt als "Reise durch die Zeiten". Um es nicht zu einfach zu machen, hat Illies keine Chronologie verfasst, sondern sortiert seine Histörchen nach den vier Elementen Feuer, Wasser, Erde und Luft. Jedem Element wird ein (jeweils sattsam bekanntes) Gemälde vorangestellt; mehr als diese vier Bilder werden nicht gezeigt, was zu einem vermehrten Suchmaschinenkonsum beim Leser führt.

In Feuer, dem umfangreichsten Kapitel, erfährt man, wie Friedrichs Geburtshaus abbrannte und lernt einiges darüber, wie häufig seine Bilder Opfer von Flammen oder Zerstörung wurden. Es gibt viel Kurioses (etwa als jemand 1943 seine Friedrich-Bilder aus Schutz vor Bombardierung in einen Museumskeller verbringt – und diese dort wenige Stunden später vernichtet wurden) und der Autor kann es auch in diesem Buch nicht lassen, die geschilderten Ereignisse mit anderen, inkompatiblen Vorfällen zu kombinieren. Als etwa 1931 der Münchner Glaspalast abbrennt – darunter auch Friedrich-Bilder – rattert die Möglichkeitsmaschine auf Hochtouren. Denn schließlich wohnte damals nicht weit entfernt Geli Raubal, Adolf Hitlers Nichte, die, wie der Autor fleißig nachgeschlagen hat, "drei Monate nach dem schockierenden Brand….im Alter von 23 Jahren ein tödliches Feuer auf sich selbst eröffnen" wird. Und wie Thomas Mann, der auch zu dieser Zeit in München lebte, dieses Inferno mitbekommen hat – auch das wissen wir nicht. Aber schön, dass wir mal über dieses Nichtwissen ein bisschen geschrieben haben.

Es sind diese Passagen verblasener Pseudo-Gelehrsamkeit, die einem dieses Buch verleiden. Sicher, Friedrich und Richard Wagner hätten sich treffen können, weil sie einmal im gleichen Gasthof logierten. Haben sie aber nicht – und selbst wenn: was könnte man daraus ableiten? Als Friedrich 1813 vor den französischen Truppen von Dresden in das kleine Städtchen Krippen (heute Bad Schandau) flieht, geht ausgerechnet dort der verhasste Napoleon an Land. Illies ist begeistert: Er "muss ihn gesehen haben, aus dem Fenster seiner Wohnung oder aus den waldigen Hügeln." Ein andermal muss der kleine Ort Wiek auf der Halbinsel Rügen für eine irrwitzige Analogie herhalten. In Wiek entstand, so weiß der Autor, in Friedrichs Kopf das Bild Auf dem Segler. Ein Mann und eine Frau – wie gewohnt in Rückenansicht – segeln händchenhaltend auf einem Schiff. Und knapp 200 Jahre später startet in Wiek die Andromeda, "eine kleine Segelyacht", aufs "offene Meer" und "in der Nähe von Bornholm" ziehen dann die Besatzungsmitglieder ihre Taucheranzüge an und kurz darauf sind große Teile der Nord Stream-Pipelines zerstört.      

Insgesamt drei Mal ist die Rede von einem Schlaganfall des Malers. Illies glaubt, einen Grund zu kennen: "Sein Körper", so heißt es mit aufgesetzter Theatralik, "lässt ihn spüren, dass das politische Klima in Deutschland vergiftet ist." Verwirrend dabei, dass einmal die linke Seite gelähmt ist, ein andermal die rechte. Ein Irrtum? In der Zeittafel am Ende des Buches ist nur von einem Schlaganfall 1835 die Rede, von dem er sich in einer Kur recht gut erholte. Tatsächlich hatte Friedrich aber 1837 einen zweiten, der ihn fast vollständig lähmte. Die Öffentlichkeit nahm kaum Notiz davon; der Stern Friedrichs war längst im Sinken begriffen. Die Ästhetik beispielsweise der Düsseldorfer Malerschule begann, dominant zu werden.

Immer wieder werden Einflüsse Friedrichs auf andere Künstler eingestreut. So seien etwa der Wald in Walt Disneys Bambi, das Szenenbild von Becketts Warten auf Godot, ein von den Nazis zerstörtes Denkmal von Walter Gropius, Murnaus Nosferatu und sogar Leni Riefenstahl von den Stimmungen und Formen der Gemälde Friedrichs inspiriert worden. Und auch wenn es nicht passt, wird es passend gemacht. So bei Ernst Jünger, der sich, wie Illies wähnt, 1942 wie der Mönch am Meer sieht oder Marcel Proust, der Friedrichs Wolken-Botschaft in der Recherche verarbeitet haben soll. Ähnlich entbehrlich sind die Ein-Satz-Statements wie zum Beispiel von Gerhard Richter. 

Dabei gibt es durchaus Interessantes. Man erfährt vieles über die verschlungenen Wege von Gemälden, von kauzigen Kunstsammlern und -händlern, von Ver- und Ankäufen, von Menschen wie Andreas Aubert, der Friedrich Anfang des 20. Jahrhunderts aus einem jahrzehntelangen Vergessen wieder publizistisch hervorholte oder die beiden mit Friedrich befreundeten Maler Johan Christian Clausen Dahl und dessen Sohn Siegwald Johannes, die nicht nur lange im gleichen Haus wie Friedrich lebten sondern auch seine Bilder hüteten; Siegwald hatte noch 1890, fünfzig Jahre nach dessen Tod, in seinem Atelier die größte Friedrich-Sammlung, natürlich, um im Illies-Ton zu bleiben, die größte "der Welt".

Eine Posse über drei gestohlene Bilder aus Frankfurt 1994, zwei Turner und ein Friedrich, wird launig erzählt (die Gerichtsakten zitierend). Manches Gemälde ist insbesondere in den Nachkriegswirren verschollen. Immer wieder wird das Verhältnis zu Goethe thematisiert. Der Geheimrat sah zwar das Talent, konnte allerdings wenig mit den Bildern anfangen, aber Friedrich ist besessen davon, Anerkennung von ihm zu erhalten. Aber als Goethe ihn beauftragen will, Wolken naturwissenschaftlich abzubilden, lehnt er entrüstet ab.  

Immer wieder wurde der innig gläubige, deutsche Patriot Caspar David Friedrich politisch vereinnahmt. Zum 100. Todestag 1940 von den Nazis, die ihn zum nordischen Künstler stilisieren wollten und sogar ein Büchlein für Soldaten drucken und zum 200. Geburtstag 1974 von der DDR, die in ihm aber ein bisschen zu wenig Revoluzzertum erkennen. Immerhin, so die These, waren die westdeutschen Linken 68er noch dogmatischer und lehnten Friedrich kategorisch ab.

Im Buch gibt es kaum ästhetische Interpretationen von Illies, der sogar davor warnt, es zu "kompliziert" zu machen. Die Stille, die Friedrich so brauchte, sollte also auch den Rezipienten ein Vorbild sein? Immerhin, einmal entdeckt Illies den "Anfang der abstrakten Malerei", nennt ihn einen "Konzeptkünstler". Das Gemälde vom Mönch am Meer von 1810 ist für ihn das "kühnste Bild". Dann versucht er, die Figuren zu deuten und später die Vögel zu zählen. Wenn er Friedrich als ersten Wolkenmaler überhaupt bezeichnet, vergisst er mindestens die niederländischen Meister des 17. Jahrhunderts wie etwa Jan van Goyen oder, vor allem, Jacob van Ruisdael.

Neben den bereits ausgeführten Anfällen semantischer "Konjunktivitis" gibt es zu Beginn jedes Kapitels noch einen bisweilen peinlichen Prosakitsch, wenn in die Gegenwart Friedrichs eingetaucht wird. Hauptbestandteil von Zauber der Stille sind aus diversen Fachbüchern zusammengetragene Informationen. Fuß- oder Endnoten fehlen allerdings. Am Ende werden einige Quellen genannt (vor allem Herrmann Zschoche); die meisten Bücher sind in den letzten 30 Jahren erschienen. Ob die jeweiligen Autoren von der Kompilationsleistung des Autors begeistert sind?

Auf 2024 freut sich Illies dann doch, nicht zuletzt wegen der neu zu erwartenden Kataloge. Damit dem Leser nichts entgeht, ist ein Faltblatt mit QR-Codes zu den geplanten Ausstellungen beigelegt. Nach der Lektüre dieses Buches kann man sich bei jeder Museumsführung zum Besserwisser aufspielen. Oder man ist schon übersättigt vom Ballast leidlich überflüssigen Wissens.

Artikel online seit 29.11.23
 

Florian Illies
Zauber der Stille
S.Fischer
256 Seiten
25,00 €
978-3-10-397252-8

Leseprobe & Infos


 

 


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