Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik                                           Impressum & Datenschutz

 

Home    Belletristik   Literatur & Betrieb  Krimi   Biografien, Briefe & Tagebücher   Politik   Geschichte   Philosophie  


 








Furor und Traurigkeit

Ludwig Fels posthum erschienener Gedichtband
»Mit mir hast du keine Chance«

Von Lothar Struck
 

Bei Jung & Jung ist unter dem schönen Titel "Mit mir hast du keine Chance" eine Auswahl von 98, teilweise bisher unveröffentlichten Gedichten von Ludwig Fels aus den Jahren zwischen 1973 bis 2018 erschienen. Oskar Roehler, der Sohn von Klaus Roehler, dem ehemaligen Luchterhand-Lektor, der Fels' erste Bücher publizieren half, verfasste ein Vorwort. Die Journalistin Bernadette Conrad steuerte das Nachwort bei. Roehler erzählt vom "flügge werden" des Ludwig Fels, seiner erzwungenen Hinwendung zu anderen Verlagen, weil sein Vater einen Roman von ihm ablehnte. Conrad berichtet von einem "kurzen, herzlichen Mailwechsel" in Fels' "letztem Lebensjahr". Beide weisen auf die sogenannte proletarische Herkunft hin; er, der dichtende Hilfsarbeiter, der weiß, wie man mit Händen arbeitet (siehe unten!), er, der die Armut kennt, das Abgelehntwerden (von allen Seiten), das Zwischen-den-Stühlen-Sitzen.

Das lange Zeit anhaftende Pejorativum vom "Arbeiterdichter" Ludwig Fels wird vermieden, aber dafür fällt in Conrads Text ein anderes Wort: "Als junger Autodidakt…" So schreibt sie über Anläufe, den Dichter-Anfang von 1973 (da war er 27 Jahre alt). Die drei Punkte beenden diesen Satz wie einen Ausruf, als wäre es eine Übertretung einer informellen Klassenübereinkunft und das Gedichteschreiben nur aus einer gewissen Schicht heraus opportun. Als wüsste man als Germanistik- bzw. Schreibschulabsolvent mehr darüber.

Vor- und Nachwort klären nicht, woher der Bruch in Ludwig Fels' lyrischem Œuvre resultiert. Zwischen 1973 und 1988 erscheinen neben zahlreichen Romanen insgesamt acht Lyrikbände, bevor es dann im Gedicht "Weltreise" heißt: Freiwillig schreibe ich keine Gedichte mehr. Und dann, so legt es die Bibliographie nahe, verstummte der öffentliche Lyriker Fels für mehr als zwanzig Jahre, um 2010 dann über "Deutsche Gedichte" in einer Mischung aus Furor und Traurigkeit festzustellen:

[…]
Immer zu wenig
Blut in den Adern, immer
zu kalt.
Immer noch dasselbe hohle Getön
Kunststückchen darüber, wie man
die Hände bewegt, ohne zu arbeiten
schicksalsschwer die Seele runzelt,
um den Schatten zu betören.
[…]

Fels' Abneigung gegen Kunststückchen, gegen Lyrik als elitäres Distinktionsmerkmal, war tief verankert. Seine Gedichte sind direkt auf eine Empfindung oder einen Ausdruck gerichtet. Bemühtpoetische Luftschlösser und elaborierte Wortkonstrukte bleiben Fehlanzeige. Diese "Schnörkellosigkeit" (wer kennt ein adäquateres Wort?) wurde oft zum Anlass genommen, Fels' Lyrik den Rang zu unterschätzen. Vielleicht blieb dem 2021 verstorbenen die ganz große Anerkennung deswegen versagt, weil er auf das "Seelenrunzeln" verzichtete und, wie Oskar Röhler schreibt, "keine umständlichen Metaphern" verwendete. Dabei schaut Fels genau hin, nichts wird geschönt, ob die Prügel an einem US-Soldaten oder ein Leben mit Ratten, Unkraut und Schrott. Für ihn zeigt sich darin aber nichts Erhabenes; hier wird nicht verwandelt, sondern es geht um Wahrhaftigkeit.

Dennoch (oder gerade deswegen?) war sein Glaube an die Gestaltungskraft von Literatur unerschütterlich:

Die Zukunft wird kommen.
Auch die der Literatur.
Sie wird wenig Heimat haben,
wenn sie kommt.
Aber Tag und Nacht und
die Körper, die sie lieben.

Mit diesen "Seven Lines about Future" ist der Sound von Fels' Gedichten zwischen Mühsal, Weh- wie auch gelegentlichem Übermut und Trotz skizziert.

Es geht um Abschied, um Liebe aber insbesondere zu Beginn kämpft das lyrische Ich mit dem harten Alltag, das Bezahlenkönnen der Miete, der stumpfsinnigen Fabrikarbeit (Ich liebe meine Arbeit nicht), dem Totschlagen von Sonntagen (mit Schlaf), um das Gefühl (bis zur Angst), den eigenen und den Ansprüchen seiner Liebsten nicht gerecht zu werden. In "Aussichtslos" wird sogar mit dem Freitod (Wenn du die Tür verriegelst // spring ich aus dem Fenster) gespielt, um dann mit Mit mir // hast du keine Chance ins Unernste abzuschweifen. (Eine bessere Titelzeile für den vorliegenden Band kann man sich schwer vorstellen).

Dabei wirkt der Autor nie verbissen oder wehleidig. Im Gedicht "Stand" ist zunächst vom Überleben die Rede, vom Keller, der ein rußiges Loch ist, von der Angst vor einem Krieg und dem fehlenden Bunkern (man ist Ende der 70er), um mit einer neckischen Volte zu schließen: In meinem Testament // bitt ich um Erbschaften. Und dies obwohl er bekennt,  kein Glück mit Geld zu haben. Diese Selbstironie – ein probates Mittel kurz vor einer drohenden Verzweiflung – treibt Fels ins absurde in "Lottobettler", in dem er alle Möglichkeiten des Glücksspiels, die er versucht hat, Revue passieren lässt: Die Pferde, auf die ich setzte // brachen vorm Start zusammen und Mein Boxchampion starb // bei einer Wirtshausschlägerei. Als Einziges bleibt eigentlich nur noch der Bankraub. Selten zeigt sich Muße für das Schöne, für Heide und…Gebirg und wogendes Getreide. Fast wie ein Stoßseufzer dann: Man muss erfahren haben // Welche Welt vergeht.

Immer wieder gibt es die (etwas kokette) Flucht ins Selber-Kleinmachen (Ohne mich kämen wir weiter). Hoffnung liegt im Zusammensein und im Schreiben; manchmal zeigt sie sich im endlos erscheinenden Himmel (als Symbol für die Unerschöpflichkeit des Daseins). Metaphysisches findet sich selten; mal wird Gott angerufen, an andermal liegt der verwehte Klang einer Kirchenglocke in der Luft. Es gibt sogar eine launige "Ode an den Kommunismus", der als Esel dargestellt wird. Die Welt als Getto ist eines der seltenen, resignativen Gedichte. Aber dann ist da als Kontrapunkt das herrliche Poem zu und über "Afrika"; Liebesbeweis und eine Art Gebet für seine Adoptivtochter.

Später nehmen die Gedichte über Tod zu, die Trauer um das Sterben der Mutter, aber auch hier ist kein Raum für Melancholie oder gar Rührseligkeit. Das eigene Ableben wird zum biologischen Prozess imaginiert: Und die Würmer zerren mich um die halbe Erde // Sanft und tief durch vergessene Schichten. Denn: Wir haben nichts // außer der Unendlichkeit // um uns herum. Am Ende dann ein Requiem auf "Laika", die Hündin, die einst im Weltraum geopfert wurde und, so wünscht der Dichter, womöglich noch herumfliegt.

Letzteres gehört zu den bisher unveröffentlichten Arbeiten, wie man im Zusammenspiel zwischen Siglen-Erklärung und Inhaltsverzeichnis (beide am Schluss des Buches) rekonstruieren kann. Freilich wäre es hilfreich gewesen, das Entstehungsdatum mit anzugeben, denn "unveröffentlicht" ist kein zeitlicher Hinweis. Überhaupt fehlt die Angabe, wer die Auswahl getroffen hat (und nach welchen Kriterien). Aber man will nicht zu sehr kritisieren. Entscheidend ist, dass es dieses Buch gibt.

Auf dem hinteren Klappentext finden sich dann noch zwei QR-Codes, die, Spotify-Konto vorausgesetzt, auf eine Ludwig-Fels-Playlist zu mehr als viereinhalb Stunden, ausgewählt von seiner Ehefrau Rosy, führt. Hier gibt es unter anderem Musik von The Kinks, Frank Zappa, Van Morrison, Madeleine Peyroux, Johnny Cash, Jorma Kaukonen oder Tracy Chapman. Die Zeitreise kann dann noch einmal aufs Neue beginnen. 

Hinweis: Auszüge aus den Gedichten von Ludwig Fels sind in Kursivschrift. Der Titel des jeweiligen Gedichts wurde zusätzlich noch in Anführungszeichen gesetzt.

Artikel online seit 04.07.23
 

Ludwig Fels
Mit mir hast du keine Chance
Gedichte 1973–2018
Mit einem Vorwort von Oskar Roehler und einem Nachwort von Bernadette Conrad
Jung und Jung
ca. 144 Seiten
22,00
978-3-99027-278-7

 

 


Glanz & Elend
- Magazin für Literatur und Zeitkritik
Home   Literatur   Krimi   Biografien, Briefe & Tagebücher   Politik   Geschichte   Philosophie    Impressum - Mediadaten