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Versuche der Selbstvervollkommnung

Anna Baars Streifzüge und Randnotizen »He, holde Kunst«

Von Lothar Struck
 

In ihrem neuesten Buch mit dem schwungvollen Titel He, holde Kunst versammelt die österreichische Schriftstellerin Anna Baar 45 Texte über Musik, Kunst, Fotografie und Literatur. Es sind nicht nur Nachdrucke ihrer Essays, Reden oder Aufsätze der letzten acht Jahre, sondern, wie betont wird, "Fortschreibungen". Die "Streifzüge und Randnotizen" sind gegliedert in drei Abschnitte: "An die Musik", "Betrachtungen" und "Schriften und Lektüren" und variieren zwischen einer halben und maximal sechs Seiten. Manchmal werden im Text Marginalien eingesetzt, die zusätzliche Gedanken anzuteasern.

Immer geht es auch um die persönlichen Erlebnisse und ästhetischen Prägungen der Autorin, die vorübergehenden und bleibenden Lieben, Illusionen und Desillusionen, Mut und Verzagtheit. Wie beiläufig werden diese Entwicklungen erzählt, wie die Entdeckung der Musik, das Klavierspielen, später dann Zeichnen (die ersten Versuche, damit das Taschengeld aufzubessern). Ob bei Beethoven, den Pianisten Glenn Gould und Ivo Pogorelić, dem Film Amadeus, Nick Cave, der DDR-Band "City", "die Ästhetisierung der Erbarmlosigkeit" in einem Museum, dem Maler Klemens Brosch, der Fotografin Regina Anzensberger oder dem jugoslawischen Architekten Ilija Arnautović. Man spürt in diesen Texten die Suche nach der Selbstvervollkommnung, das, was Wilhelm von Humboldt einst "weise Tätigkeit" nannte. 

Schließlich entdeckt sie für sich das Schreiben und sorgt für einen Schockmoment bei ihrer Mutter, die einmal ihr Notizbuch mit dem Tagebuch verwechselte. Im Kapitel über "Schriften und Lektüren" ist Anna Baar schließlich in der unmittelbaren Gegenwart angekommen. Immer deutlicher werden dabei auch Akzente von Zorn und Furor artikuliert. Dabei wird niemand ausgespart, der die Kunst für seine Zwecke usurpieren möchte. Weder die Allüren der reaktionären Kärntner Politik noch die Imperative der sich progressiv gebenden Moral- und Korrektheitsapostel sind für Baar akzeptabel. Sie beklagt beispielsweise die heute gestellten Gesinnungsfragen an Künstler und konstatiert, dass die "Welt der Selbstgerechten … am Mangel an Gnade [krankt]". Dabei sei der Künstler nur "Zwischenhändler einer Obrigkeit, die ihm selber fremd bleibt".   

Persönlich ergriffen bin ich über die beiden Essays zu Fabjan Hafner. Zunächst die Erinnerung an den letzten Anruf des Freundes, der durch technische Probleme mehrfach unterbrochen und schließlich vertagt wurde (es kam nie mehr dazu). Und dann, nach der Nachricht vom Freitod, diese Mischung aus Wut, Trauer, Verzweiflung und schließlich die Selbstbezichtigung: "Wir haben uns blamiert. Wir sind an dir gescheitert."

Jahre später erschien ein Auswahlband mit seinen "ersten und letzten" Gedichten, die in Zeitschriften und Anthologien verstreut zu finden waren; übersetzt von Peter Handke. Man lernte von Hafners klugen literaturwissenschaftlichen Texten und bewunderte seine kongenialen Übersetzungen (unter anderem vom großen Florjan Lipuš), aber vernachlässigte die Gedichte. Nun lag ein Teil dieses "leisen Werks", dass man zu Lebzeiten dieses grandiosen Menschen nicht entsprechend gewürdigt hatte, endlich in angemessener Form vor. Baar konnte dieses Buch kaum erwarten und schob die Lektüre dennoch auf: "Der Bammel davor, den Freund nach bald vier Jahren Abwesenheit endlich aufzufinden...". (Merkwürdig: Mir erging es ähnlich.)

Der Bammel schwand und es gelingt ihr ein großartiges Erzählstück über die Lyrik Hafners. Wie überhaupt vor allem in den längeren Texten schöne Assoziationen gelingen und bisweilen fruchtbare Umwege beschritten werden. Etwa in den Texten zu Ilse Aichinger oder Ingeborg Bachmann. Anna Baar nimmt nicht nur beide Dichterinnen vor allzu voreiliger Vereinnahmung von wem auch präventiv in Schutz sondern vermeidet auch den häufig zu findenden Phrasenbrei. Das alles führt dazu, dass die Lektüre dieses kleinen Bändchens anregend und vergnüglich zugleich ist.

Artikel online seit 02.10.23
 

Anna Baar
He, holde Kunst!
Streifzüge und Randnotizen
Wallstein Verlag
146 S., geb., Schutzumschlag
20,00 €
978-3-8353-5527-9

 

 


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