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Der letzte Mohikaner der literarischen Boheme
Von René Steininger |
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Ein Bekannter zeichnete
sein Portrait einmal in einem Satz: Ein depressiver Postangestellter in der
Nachtschicht mit einer kuriosen Affinität für klassischer Musik. Und wirklich:
Die Bandbreite seiner Bücher ist schmal. Zwei schnörkellose Romane, die Bukowski
1975 bzw. 1979 veröffentlicht hat, umreißen schon das ganze Themenspektrum
seines Werks: Faktotum, 2006 mit Matt Dillon in der fehlbesetzten
Hauptrolle verfilmt, stellt die Welt der Tagelöhner und Underdogs auf der
untersten Stufe der amerikanischen Einkommenspyramide vor. Das Liebesleben
der Hyäne (der englische Titel Women trifft besser, worum es geht)
dagegen handelt von dem, was ihnen am Ende eines langen Arbeitstages vom
American dream gerade noch bleibt: vom Ficken, Saufen und Wetten.
Das Tagebuch überrascht
durch seinen lockeren Ton, seine lebendige, um nicht zu sagen jungenhafte Verve.
Als ob der Siebzigjährige der Altersmilde jetzt so sehr misstraute wie vierzig
Jahre zuvor den Gesten der jungen Wilden. Diesen hatte er sich selbst in seinen
schwierigen Anfängen nie anzuschließen vermocht, weil er als Letztes ans
Allgemeinwohl dachte, wenn er schrieb, sondern damit lediglich seine eigene
Haut aus dem brennenden Weltgebäude retten wollte. Der postapokalyptische Humor,
der schon in seiner frühen Lyrik für die schönsten, surrealsten Pointen
zeichnet, begleitet auch im Tagebuch im heiteren Allegro den Katzenjammer
der beobachteten Szenerien. Im Auto, während er im Stau feststeckt, fällt ihm
ein:
»Mit einer Schreibmaschine ist es, als würde man durch Schlamm stapfen. Ein Computer, das ist Eisschnelllauf. Eine gleißende Explosion. Natürlich, wenn man nichts in sich hat, ist es egal, auf was man schreibt.«
Deutlicher noch als sein
Tagebuch zeigen die Briefe Bukowskis, die vier Jahrzehnte seiner geistigen
Zwiesprache mit ausgesuchten Zeitgenossen dokumentieren, dass bei ihm, um mit
einem Wort Ludwig Hohls zu sprechen,
»alles
Werk« ist. Wie konzentrische Kreise drehen sich alle Einzelwerke, ob Roman oder
Gedicht, Story oder Brief, um ein einziges, unverwüstliches Zentrum: Charles
Bukowski selbst. Wenn er nun aber als Romancier hinter den Leistungen eines
Thomas Wolfe, Philip Roth oder John Updike zurückbleibt, dann nicht etwa, weil
er diesen als Autor unterlegen wäre, sondern weil der dem Epizentrum am nächsten
gelegene Kreis eben die Lyrik, nicht die Epik ist. Dass Schreiben denjenigen, der unter dem Einsatz seines Lebens schreibt, vor andere tiefenpsychologische Probleme stellt als den professionellen Produzenten auflagenstarken Lesefutters, ist selbstredend. Schon schwerer auszumachen ist, inwieweit soziale Zwänge und systemimmanente Widerstände an der langen Inkubationszeit mitverantwortlich sind. Bezeichnend für Bukowskis Persönlichkeit ist allerdings auch, dass er diese als Ansporn begriff und sich von Absagen so wenig entmutigen wie später durch den Erfolg verdummen ließ. Ein »Brief an den jungen Dichter« aus der Hand Bukowskis liest sich so: »Ablehnungen sind nicht gesundheitsschädlich; sie sind wertvoller als Gold. (…) Die Fleischfresser und halben Irren, die dir die Seiten und die Druckerschwärze geben, haben dich tiefer reingezwungen, damit du ihnen Licht und Farbe zeigst.« (an Joy Sherman) Wo alles Werk ist, verfließen die Genre- und Gattungsgrenzen. Darum sind Bukowskis Gedichte rhapsodisch und seine Briefe oft lyrisch. Damit verstoßen sie gegen unausgesprochene Gesetze des institutionalisierten Literaturbetriebs, der es nicht gerne sieht, wenn seine Schablonen und Kategorien durcheinander geraten und die gut gedrechselte Story eines Epigonen oder das esoterische Gedicht eines Avantgardisten lieber auszeichnet als die im eigentlichen Sinne schöpferischen Texte. Texte, die jenseits von formalem Experiment und kalkuliertem Skandal ein Wagnis eingehen, das die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für Kunst als Ausdruck gesteigerten Lebens noch viel grundsätzlicher in Frage stellt. In Abgrenzung zum Betrieb lässt Bukowski darum kein gutes Haar selbst an ihren prominentesten Vertretern. So erfahren wir etwa in einem Brief an den Kritiker und Autor John William Corrington über den Herausgeber einer renommierten Literaturzeitschrift, »dass er moralisch einwandfrei ist und sich in Theorien der Lyrik bestimmt besser auskennt als ich.« Und genau da wird es problematisch. (…)
Denn: Bukowskis Schwäche für »realitätsnahe« Stoffe, der Schlüssel zu seinem kommerziellen Erfolg, darf nun aber wiederum nicht den Blick auf seine stilistischen Neuerungen verstellen. Denn selbst die Originalität eines so populären Schriftstellers wie Bukowski liegt selbstverständlich in seinem Stil begründet. Die Lyrik der Siebziger Jahre mit ihren Verfremdungseffekten, ihren freien Rhythmen und irisierenden Metaphern, mag als Beispiel dafür genügen. Diese im Fließtext verfassten Gedichte, deren Titel allein (Ein Bild von einem Promenadenkonzert auf einer Streichholzschachtel; An die Nutte, die mir meine Gedichte gestohlen hat; Wenn du darauf wartest, dass der Morgen durchs Fenster kriecht wie ein Einbrecher, der dir an ans Leben will) schon mehr Geschichten bereit halten als so mancher dicke Roman. Jene aber, die sie tatsächlich erzählen, feiern in der Art mittelalterlicher Schwänke die entzauberte Welt, dass es nur so eine Freude ist. Aus dem Repertoire einer Posse scheint auch das Personal zu stammen: Ladenschwengel und einfältige Vorgesetzte, Außenseiter, Nutten und nymphomane Ehefrauen. Die Schauplätze sowieso: die Straßen, die Bars, die Betten.
Über die drastische
Darstellung des Sexuellen bei Bukowski ist viel, aber wenig Erhellendes
geschrieben worden. Der eilfertige Verweis auf vermeintliche Vorgänger
verschleiert mehr, als er erklärt, wenn es um die Frage nach der Originalität
eines Schriftstellers geht. Gewiss, haben Henry Miller und James Joyce Weichen
gestellt und für die Literatur geleistet, was etwa zur selben Zeit in
Frankreich Georges Bataille für die Philosophie unternahm. Im Vergleich mit
Letzterem zeigt sich aber auch, dass Bukowskis Beitrag durchaus eigenständig
ist. Bekanntlich fußt das Werk des französischen Philosophen auf derselben
ontologischen Prämisse, derselben Dialektik von Arbeit und Erotik, Produktion
und Verschwendung. Das Tabu aber, das beide Sphären voneinander trennt und
miteinander verbindet, ist bei Bataille noch intakt, während bei Bukowski nicht
nur die literarischen Gattungsgrenzen zunehmend verschwimmen. Ihre Übertretung
wird nicht mehr in der ritualisierten Formen eines Festes oder einer Orgie mit
Furcht und Zittern zelebriert, und sie katapultiert den Vernunftmenschen auch
nicht in die privilegierten Zonen einer heiligen Erotik, aus denen er sich dann
beizeiten wieder ausklinken muss, um in die heile Arbeitswelt zurückzukehren.
Die soziale Realität, die Bukowski in seinen Büchern abbildet, ist eine einzige
Übertretung, eine Transgression in Permanenz (Tales from the ordinary madness,
so der sprechende Originaltitel einer seiner bekanntesten Sammlungen von
Stories). Und die Verwandlung des Menschen zum Tier, die darin laufend
stattfindet, ist weniger obszön, als grotesk. Sie regt weder auf noch an,
sondern reizt vielmehr zum Lachen. Da, wo seine Texte pornographisch sind,
führen sie wie die industrialisierte Pornographie vor, dass Ficken Arbeit ist.
Knochenarbeit sogar im wahrsten Sinne des Wortes. Denn immer scheint der Tod
dabei seine Hand im Spiel zu haben, wenn der dirty old man seine Gebeine
scheppern lässt. Eine Sexszene in einem Buch von Bukowski zu lesen bedeutet, dem
animal triste bei seiner Sisyphosarbeit zusehen, seiner unheilbaren Suche
nach Ekstase und Glück. Nach einem schnellen Ausweg aus der Verzweiflung des
Lebens. Was wunder, dass seinen Figuren manchmal sogar die Lust an der Lust
vergeht, oder wie es in einer Stelle seines Tagbuchs heißt:
Dieses
»Was
hätte ich sonst tun sollen?« markiert die Distanz, die Bukowski von einem D. H.
Lawrence, einem Bataille und deren letztlich religiös inspirierte Auffassung des
Sexuellen als eines quasi heiligen Einbruchs archaischer Kräfte in die
zivilisierte Welt trennt. Es ist auf der anderen Seite aber auch der Grund,
warum er, der bekennende Misanthrop, bis zuletzt mit Haut und Haaren verstrickt
blieb in die Geschicke einer grellen, neonfarbenen Megapolis. Wo es kein
Außerhalb des menschlichen Herrschaftsbereiches mehr gibt, kein Anderswo, das
den Menschen aus der Hand des Menschen befreien könnte, erübrigt sich auch die
Suche danach. Darum ist Bukowski der entschiedenste Anti-Bukoliker, ein
unerbittlicher Dichter der Urbanität. Die blaue Blume der Romantik, bei Bukowski
blüht sie im Vorgarten einer Satellitenstadt, reduziert auf die winzige Statur
ihrer kleinbürgerlichen Bewohner:
Der Versuch, die
Jesusstatue aus ihrem
»Plexiglaskäfig«
zu befreien, missglückt übrigens, und Bukowski bzw. seinem alter Ego Dan Skorski
bleibt schließlich nur die Flucht vor der Polizei über die Grenze bis nach
Mexiko-City, Los Angeles' syphillitischer Zwillingsschwester. Ein
Millionenmoloch als Endstation romantischer Sehnsüchte? In einem Brief aus dem
Jahr 1980 an seinen deutschen Verleger und langjährigen Wegbegleiter Carl
Weisser weiß Bukowski es freilich doch besser: Was Bukowskis Bücher bei aller Melancholie – und sie kann abgründig sein – am Ende so lesenswert macht, bestätigen schließlich auch die autobiographischen Schriften aus dem Nachlass wieder aufs Großartigste. Das ist die Vitalität, mit der er seine Kunst des Schreibens betreibt. Das Magma, die Energie, die seine Zeilen unterirdisch durchdringen und auf eine so wundersam paradoxe Weise, wie ich es sonst nur aus den Büchern Thomas Bernhards kenne, ihre trostlosesten Inhalte Lügen strafen. Einzig der Gedanke, dass am Ausgang der spätkapitalistischen Gesellschaft eine solche Literatur nun auch zunehmend aus den Regalen der Buchhandlungen verschwindet, stimmt bei der Lektüre ein wenig wehmütig. Es sei denn, man sieht auch darin wiederum nur einen Anlass für eine weitere Story, eine satirische diesmal. Wie Bukowski selbst, der in demselben an Carl Weisser erläutert, warum er, der sich fast zeit seines Lebens mit unterbezahlten Jobs verdingte, noch von Glück reden kann. Gehörte er doch einer Generation von lauter letzten Mohikanern an, der es vergönnt war, das Schreiben tatsächlich noch mit der Suche nach neuen Lebensformen zu verbinden, und die vielleicht mit seinem Tod (endgütig aber mit dem Selbstmord Hunter S. Thompsons im Jahre 2005) erlosch: »Damals war das Terrain noch nicht so überlaufen. Nicht so viele Autoren und Möchtegernschreiber wie heute, nicht so viele Zeitschriften, Kritiker, Verleger, nicht so ein Riesenbetrieb, so eine Industrie. Wenn du heute den Klempner kommen lässt, erscheint er mit seiner Rohrzange in der einen Hand und dem Gummistampfer in der anderen, und in der Gesäßtasche hat er ein Bändchen mit seinen ausgewählten Madrigalen. Selbst das Känguruh im Zoo zwinkert dir zu und zieht aus der Bauchtasche einen Packen Gedichte, sauber getippt, einfacher Zeilenabstand, auf imprägniertem Papier, resistent gegen Wasser und Spucke, Format DIN A4.«
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