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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik
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Glanz&Elend
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Die Genese des Verbrechens

Don Winslow ist der Krimi-Autor der Stunde. Kaum ein Roman des Amerikaners, der nicht in Windeseile die Bestsellerlisten erklimmt. Das Prinzip in seinen Kriminalromanen hat er Charles Darwin »Entstehung der Arten« entnommen. Erstens: Der Stärkere gewinnt. Zweitens: Nur wer sich anpasst und weiterentwickelt, überlebt!


Von Thomas Hummitzsch

Was ist das für ein Mann, der mit jeder Zeile, die er schreibt, mehr Fans gewinnt? Seine rasanten Krimis, die meist im Mafiamilieu spielen und in denen es weder an markigen Sprüchen noch an einem entsprechenden Body-Count mangelt, gehören zu den meistgelesenen in den USA; und seit nicht allzu langer Zeit auch in Deutschland. Don Winslow, geboren 1953, kennt das, worüber er schreibt, aus nächster Nähe. Seine Großmutter arbeitete Ende der 1960er Jahre für den berüchtigten Mafiaboss Carlos Marcello, der den späteren Autor mehrere Male in sein Haus einlud. Sein Vater arbeitete bei der Navy und lud immer wieder Freunde ein, die von ihren mitunter gewaltgeprägten Erfahrungen berichteten. Seine Mutter legte als Bibliothekarin wohl die Ursprünge für Winslows Schreibwahn. Und er selbst arbeitete als Privatdetektiv und Sicherheitsberater, studierte amerikanische Militärgeschichte, führte Touristen durch Kenia und Wanderer durch die chinesische Sichuan-Provinz, bevor er Anfang der 1990er mit Bobby Z seinen ersten Krimi schrieb. Der actionreiche Drogenkrimi wurde umgehend für den Edgar Allen Poe Award nominiert.

Seither sind mehrere tausend Seiten Kriminalliteratur entstanden und es ist davon auszugehen, dass Don Winslow noch lange nicht am Ende ist mit seinen Erzählungen aus der Unterwelt. Nichts anderes sind seine packenden Kriminalgeschichten. Er wirft den Leser in ein unbekanntes Universum, in dem Drogenabhängige, Beach-Boys, Drogendealer, Mafiabosse, Prostituierte, korrupte Staatsanwälte, egomanische Polizisten und Auftragskiller über Sein oder Nicht-Sein bestimmen. Stets geht es dabei hoch her. Der einzelne ist nichts, das System ist alles. Erpressungen, Entführungen, Auftragsmorde, Verfolgungsjagden, Überfälle, Schusswechsel und unterlaufene Ermittlungen fordern ihren Preis. Tote gibt es in Don Winslows Welt wie Sand am Meer.

Die Last der Geschichte

Mit einem entsprechend betitelten Roman gelang dem Amerikaner hierzulande vor zwei Jahren der Durchbruch. Seit Winslows Tage der Toten im September 2010 bei Suhrkamp [!] erschien und der Amerikaner damit die Feuilletons aufrollte, gehört es zur literarischen Allgemeinbildung, dass Explosives drinsteckt, wo Winslow draufsteht. Tage der Toten ist mit seinen knapp 700 Seiten eine unter die Haut gehende kriminologische Aufarbeitung des US-amerikanischen Anti-Drogen-Kampfes in Mittel- und Südamerika, in die Winslow dreißig Jahre Weltgeschichte eingebunden hat. Mehr als fünf Jahre hat er daran gearbeitet, um Fakten zu Fiktion werden zu lassen, ohne dass der Bezug zur Realität verlorengeht. Es finden sich so viele historische Details in dem Buch, dass den Leser die berechtigte Frage umtrieb, warum dieser Winslow kein Sachbuch schrieb. Die Erklärung dafür lieferte er in einem Interview mit der FAZ: »Journalisten können Fakten erzählen, Schriftsteller die Wahrheit«, sagte er dort. Der US-amerikanische war on Drugs zieht sich wie eine rote Linie durch Winslows Roman: das Ende des Vietnam-Kriegs, Nixons Übertragung der Flächenbrandtaktik auf Mittel- und Südamerika, die Iran-Contra-Affäre im Zuge des Nicaragua-Feldzugs oder die opferreiche Zerschlagung der kolumbianischen Drogenkartelle. Im Mittelpunkt steht dabei der amerikanische Drogenfahnder Art Keller und sein endloser Kampf gegen die süd-, mittel- und US-amerikanischen Drogenkartelle.

Zwar setzt der Roman 1997 ein, fällt aber umgehend in den US-amerikanischen war on drugs und die Operation Condor zurück. »Hieronymus Bosch malt den Drogenkrieg«, denkt sich Art Keller beim Anblick eines in Flammen stehenden Mohnfeldes in den 1970er Jahren. Dies ist der Ausgangspunkt und Auftakt der Erkundung eines für Jahrzehnte in Flammen stehenden Kontinents. Winslow zeichnet dem Leser in Tage der Toten ein Panoptikum des Drogenkrieges. Er macht deutlich, dass jede Grausamkeit eine Vorgeschichte und jede Vorgeschichte ihre Seitenpfade hat. Diesen Vorgeschichten und Seitenpfaden folgt Winslows Hard-Boiled-Kriminalroman in einem enormen Tempo, ohne dabei auseinanderzufallen. Ganz im Gegenteil. Über ein buntes Kabinett an mehr oder weniger lang lebenden Personen und Persönlichkeiten vertieft Winslow die einzelnen Pfade des Drogenkrieges bis in die kleinsten Verästelungen und macht dessen Wesen, das Leben als solches in all seinen Fasern zu ergreifen, spürbar. Atemlos verfolgt der Leser die von selbst verübten, bezeugten oder erlittenen Schicksalsschlägen geprägten Lebensläufe der Protagonisten in Don Winslows Tage der Toten.

Da sind die Drogenbosse, die kein Massaker scheuen, um sich gegenseitig das Wasser abzugraben. Die Drecksarbeit machen ihre Fußsoldaten, kleine mexikanische, kolumbianische, amerikanische oder irische Gauner, die alle ihre Weisheiten mit sich herumtragen, bis sie mit einer Kugel im Kopf irgendwo im Straßengraben oder verbrannt in einer Ruine liegen. Zwischen den Bossen, ihren Lakaien und dem ahnungslos-unschuldigen Fußvolk verkehren noch abgehalfterte ehemalige Drogenfahnder und Söldner, die sich, je nachdem, welche Seite mehr zahlt, für Auftragsmorde oder Sicherheitsdienstleistungen ein paar Dollar und ein schnelles Abenteuer verdienen. Die Geheimdienste, Elitetruppen und die Mannen des Opus Dei mischen auch noch kräftig mit. Außer Acht lassen in diesem Reigen darf man weder die Politiker und Regierungsbeamten, denen das Hemd näher ist als der Rock, noch die evangelikalen Bekehrungstheologen und katholischen Priester, die gegen bare Münze oder etwas Zärtlichkeit Absolutionen für Verbrechen erteilen, die man sich grausamer kaum denken kann. Und zwischen all jenen steht Art Keller, der seinem persönlichen Rachefeldzug zynisch nachgeht und dabei einen Faustischen Pakt nach dem anderen schließt. Dieser Charakter verweigert sich dem positiven Heldentum. Art Keller könnte der Gegenentwurf zur Verbrecherwelt sein. Er ist aber einfach nur ihre seitenverkehrte Spiegelung. Er passt sich an, weil ein Überleben anders nicht möglich ist. Es gibt kein anständiges Leben in einer unanständigen Welt.

Don Winslows Tage der Toten ist ein Gigant. Wie es dem 1953 geborenen Amerikaner gelingt, die unrühmliche Rolle seines Heimatlandes in diesem Konglomerat aus Anti-Kommunismus, Drogenkrieg und Liberalisierung nachzuzeichnen, ist famos. Die Schonungslosigkeit und Brutalität, mit der Winslow diese abgrundtief düstere Geschichte erzählt, sucht seinesgleichen. Mit Tage der Toten hat der Amerikaner Dantes Höllenkreise aus dem Jenseits ins Diesseits befördert und bietet seinen Lesern einen Panoramablick auf die sprichwörtliche Hölle auf Erden. Brutal. Knallhart. Mörderisch.

Ein Panorama der amerikanischen Gesellschaft

Dieser fulminante Kriminalroman musste an dieser Stelle eine solche Würdigung erhalten, weil Winslow hier in einer Art kriminalistischen Höhenflug die Fäden zusammenführt, die sich einzeln und mäandernd durch seine zahlreichen anderen Kriminalromane und Thriller ziehen. Nun könnte man meinen, dass dies zu Eintönigkeit führen könnte – weit gefehlt. In seinen handlungs- und ereignisorientierten Krimis erzählt Winslow von den verschiedenen Aspekten der abseitigen Welt des Verbrechens, die den Leser begreifen lässt, dass diese so abseitig gar nicht ist. Ein Blick in die zuletzt erschienenen Romane des Amerikaners macht dies deutlich.

Es gibt eine Theorie, der zufolge jeder maximal sechs Handschläge von jeder x-beliebigen Person auf der Welt entfernt sei. Nur sechsmal guten Tag sagen, und man greift zur Hand des amerikanischen Präsidenten oder des Papstes. Winslows Charaktere geben einem das ungute Gefühl, dass man deutlich weniger Handschläge von der Verbrecherwelt entfernt ist. Zwischen Verbrecherboss, anerkannten Geschäftsmann und handzahmen Familienvater ist oft nur der Vorhang der Nacht, wenn alle Katzen grau sind.

Die Nacht ist auch Ausgangspunkt des im Frühjahr auf Deutsch erschienenen Romans Die Sprache des Feuers. In dem bereits 1999 in den USA erschienenen Roman steht eine andere Version von Art Keller im Mittelpunkt, die den Namen Jack Wade trägt. Wade ist Schadensregulierer für Brandschäden bei California Fire and Life, einer großen Versicherung. Zuvor war er bei einer Elitetruppe der Polizei, die in Brandfällen ermittelte, ist dort aber unehrenhaft entlassen worden, weil er eine Zeugenaussage erpresst hat. Was ihm geblieben ist, sind sein Auto, ein paar alte Surfbretter und die Abwesenheit eines Privatlebens.

Mit seinem neuen Auftrag, Schadenssummen so gering wie möglich zu halten, kann er sich grundsätzlich arrangieren. Wenn Jack Wade aber eines hasst, dann sind es schlampige Ermittlungen. In einem Schadensfall muss er nun feststellen, dass sein Erzfeind aus dem alten Revier, Brian Bentley, schlampig ermittelt. Denn in dem abgebrannten Haus, für das seine Versicherung nun zahlen soll, stimmt etwas nicht. Neben der Leiche, die man »von den Sprungfedern ihres Bettes kratzen musste«, findet Wade Spuren von Brandbeschleunigern und seltsamerweise wenig Brandmaterial. Und die Tote ist die Schwester seiner ehemaligen Geliebten Letty. Er beginnt, genauer hinzuschauen – und mit jedem Schritt, den er weiter geht, als alle vor ihm, öffnet sich unter ihm der Abgrund etwas mehr.

Allein von Jack Wades Ermittlungen in der ausgebrannten Villa, dem Auffinden und Interpretieren von Brandspuren, dem »Deuten des Feuers« zu lesen, ist ein intellektuelles Vergnügen (mit Sicherheit auch für Feuerprofis). Dabei geht es »nur« um solch profane Dinge wie die Qualität der Brandbeschleuniger, die Menge der Brandlasten, die Beschaffenheit des Brandmaterials, die Höhe der Temperaturen oder die Art der Luftzufuhr. Aber wie Winslows Protagonist davon erzählt, wie er einen Brand zu einem leidenschaftlichen Ereignis macht, ist sensationell.

Auf den ersten Blick hat dieser Roman wenig mit Winslows Themenfeld Mafia-Drogen-Politik zu tun, doch mit dem Öffnen des Abgrunds erhält der Leser einen Panoramablick auf die amerikanische Einwanderungsgesellschaft und den abseitigen Pfaden auf dem Weg, den American Dream Wirklichkeit werden zu lassen. »Das Rechtssystem ist auch nur ein System und dient dem System«, schreibt Winslow in seinem gerade erschienenen Kriminalroman Kings of Cool. Dieses Motto gilt auch hier. Da geraten Gerichtsverhandlungen zur Farce und polizeiliche Anhörungen zur Inszenierung. Politiker kungeln mit Mafiabossen, Polizisten und das FBI mit den Männern aus der zweiten Reihe. Hat man sich auf dieses System als Teil der amerikanischen Realität eingelassen, ist man schnell bei der dunklen Seite der Macht.

Auf dieser Seite steht auch Nicky Wale, der es auf den abseitigen Pfaden geschafft hat, zu Erfolg zu kommen. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks aus Russland in die USA ausgewandert, ist er inzwischen ein angesehener Geschäftsmann. Sogar derart angesehen, dass er sich von den kriminellen Machenschaften seines Kartells, dem er seinen Aufstieg zu verdanken hat, verabschieden möchte. Er braucht die Finanzen aus Schutzgelderpressungen, Drogenhandel und Auftragsmorden nicht mehr. Doch nun plötzlich brennt sein Haus und in ihm seine Frau Pam. Von der hatte er sich zwar ohnehin getrennt, aber wer mag es schon, wenn man einem das eigene Hab und Gut abfackelt.

Wale und Wade – die Nähe der Namen lässt vermuten, dass hier zwei Charaktere aufeinandertreffen, die sich nicht ganz unähnlich sind. Beide haben gelernt, sich anzupassen, durchzuboxen und niemals aufzugeben. Rückschläge kennen zwar beide, nur empfinden sie diese nicht als solche. Jeder Schlag in die Magengrube ist Teil eines darwinschen Überlebensprogramms. Sowohl Wade als auch Wale fühlen sich zu Höherem berufen. Sie haben Kontakte und Einfluss und sind bereit, sich dieser zu bedienen. Um das zu erreichen, was sie wollen, gehen beide bis zum Letzten. Der Versicherungsregulierer Jack Wade und Mafiaboss Nicky Wale könnten ein klasse Team abgeben. Könnten!

In Nicky Wale öffnet sich dem Leser der Winslow’sche Kosmos des Verbrechens, den der russische Mafiaboss zwar unter die Oberfläche zu drücken versucht, doch auch hier gilt die Regel, dass es kein richtiges Leben im falschen geben kann.

Von Aussteiger zu Aussteiger oder:
Warum der Drogenkrieg kein Ende nimmt

Alles richtig gemacht zu haben, meinen auch Ben, Chon und Ophelia ('O'). Sie stehen im Mittelpunkt von Winslows Roman Zeit des Zorns, dessen Verfilmung von Oliver Stone Savages im Herbst in die deutschen Kinos kommt. Gemeinsam leben sie in einer Art polygamen Dreierbeziehung in Laguna Beach, Kalifornien. In dem Surferparadies haben sie sich einen Namen gemacht, weil sie das beste Marihuana verkaufen, was man sich denken kann. Doch wer sich in der Welt der Drogendealer einen Namen macht, der hat nicht nur Freunde. Ein Drogenkartell will, dass die drei die Ware nicht mehr exklusiv selbst an den Mann bringen, sondern sie in ihr System zwingen. Darauf haben die Jungs aber keine Lust, was dazu führt, dass das Kartell Ophelia entführt.

Wie man Verhandlungen führt, wenn man eigentlich schon verloren hat, und wie man Wege sucht, wo keine mehr sind, darum geht es in Zeit des Zorns. Die allgemeinen Funktionalitäten des Drogenschmuggels, die Mafia und die Ohnmacht des Staates – all das bildet das Panorama dieser kleinen, aber packenden Geschichte um Ben, Chon und O. Dabei bilden Ben und Chon die Pole, zwischen denen O hin- und hergerissen ist. Sind Ben und Chon wie das Schwarz und das Weiß des Hotu, dem Symbol für das Yin und Yang der Welt, so ist O die kreisrunde Mitte, um die sich alles dreht. Während der Marihuana-Spezialist Ben Problemen lieber aus dem Weg gehen will, will der US-Elitesoldat Chon sie lösen. Und so verfolgen beide ihren ganz eigenen Weg, um O aus den Händen des Kartells zu befreien.

Im Vergleich zu Tage der Toten wirkt diese Geschichte verkürzt und ausschnitthaft, ist aber nicht weniger packend. Sie setzt kurz nach der Wahl Barack Obamas ein und bleibt dort. Die Charaktere werden kaum eingeführt und die Geschichte bleibt im Wesentlichen an der Oberfläche des Drogenkriegs. Wahrscheinlich war gerade diese ausschnitthafte, exemplarische Darstellung mit zahlreichen dialogischen Passagen attraktiv für eine Kinoadaption. Denn eine detaillierte und in die tiefe gehende Behandlung des US-amerikanischen war on drugs, den Winslow selbst für eine Farce hält, ist in Kinozeit einfach nicht zu leisten. Ein Einzelfall im Hier und Jetzt kann diesen Drogenkrieg und sein Andauern gut ins Bewusstsein rufen – erst recht im Kino. Zumal wenn dieser Einzelfall schon geschrieben ist wie ein Drehbuch. Fakten kommen hier nicht gebündelt daher, sondern müssen aus vielen Fragmenten zusammengesetzt werden, die wiederum aus den Perspektiven der einzelnen Personen entstehen. Das erklärt auch, warum Winslow und Stone hier zusammenfanden und das Drehbuch für Savages (so auch der amerikanische Originaltitel des Buches) schrieben.

Don Winslow hat es bei diesem Ausschnitthaften jedoch nicht belassen. In diesen Tagen erscheint sein neuer Roman Kings of Cool, der die Vorgeschichte von Zeit des Zorns erzählt. Dass mit den Coolnesskönigen Ben, Chon und O gemeint sein könnten, daran besteht von Anfang an kein Zweifel. Es ist ebenso aberwitzig wie genial, dass Winslow erst die Geschichte und dann das Präludium erzählt, aber er musste sich etwas einfallen lassen, nachdem das amerikanische Original ein solcher Erfolg wurde, er darin aber Ben, Chon und O schon auf eine einsame Insel entlassen hatte. Darüber hinaus scheint ihm das Ganze dann doch etwas verkürzt gewesen zu sein. Kings of Cool setzt im Jahr 2005 ein, also weit vor der Obama-Wahl (konservative Kritiker hatten aus der Geschichte eine nie intendierte Kritik an Obamas Sicherheits- und Anti-Drogen-Doktrin herausgelesen), und geht im Laufe der Erzählungen zurück bis in die 1960er Jahre. Wenn man so will von den Beach-Boys der 2000er zu den Hippies der 1960er, von Aussteiger zu Aussteiger.

Beschränkt man sich auf die Erzählung des Hippietums, dann kann man Kings of Cool zuweilen wie eine kriminalistische Hardcore-Variante von T.C. Boyles Roman Grün ist die Hoffnung lesen. Don Winslow wollte aber mehr. In der faszinierenden Aufteilung der Erzählung in zwei Generationen führt er den Leser an Verhaltensweisen heran, die sich offenbar durch die Familien von Ben, Chon und O ziehen. Winslow legt hier die Leinen für die Geschehnisse in Zeit des Zorns aus. Der kurze Zeitsprung zurück ins Jahr 2005 ermöglicht es Winslow, Ben, Chon und O als Charakterköpfe einzuführen. Als Leser erfährt man, welche persönlichen Nackenschläge die drei noch als Heranwachsende hinnehmen mussten und wie sie sich von diesen mit dem Aufbau ihres Edelmarihuana-Handels befreiten. Man erhält einen Blick in ihre ganz persönliche (darwinsche) Schule des Lebens. Mit dem größeren Zeitsprung in die 1960er zurück steigt Winslow an der Oberfläche die Generationenleiter hinab, um die Prägung ihrer Eltern und ihrer späteren Feinde zu ergründen. Unter der Oberfläche ist dieses Hinabsteigen in die Geschichte aber auch wortwörtlich zu verstehen. Winslow taucht erneut in die endlose Geschichte des amerikanischen Drogenkrieges hinab, bleibt aber hier in weiten Teilen in den Vereinigten Staaten.

Der Blick in den Süden, nach Mexiko, Kolumbien oder Paraguay ist gar nicht notwendig, um deutlich zu machen, dass die seit Jahrzehnten andauernde Katastrophe in den USA ihren Ursprung hat. Denn hier ist der weltgrößte Absatzmarkt für Drogen. Jedes Jahr werden 20 Tonnen Heroin, 110 Tonnen Amphetamine, 330 Tonnen Kokain und unzählige Mengen an Marihuana in die USA geschmuggelt. Angesichts dieser Zahlen mit dem Zeigefinger auf Mexiko und die südamerikanischen Staaten zu zeigen, hält Winslow für zynisch. Nicht der Irak- oder der Afghanistankrieg sei der längste Krieg, den Amerika seit 1945 auszufechten hat, sondern der Krieg gegen die Drogen, der seit mehr als 40 Jahren unerlässlich tobt. Von diesem Krieg und wie er die Generationen in den einzelnen Ländern geprägt, wie er das amerikanische Rechtssystem beeinflusst und der amerikanischen Gesellschaft seinen Stempel aufgedrückt hat, erzählen Don Winslows hard-boiled-Krimis. Variantenreich, temporeich und packend.

Die Charaktere seiner Geschichten haben jeweils eine geradezu darwinistische Schule des Lebens durchlaufen, deren Motto lautet: Wer sich nicht anpasst, gerät unter die Räder. So wie der Anti-Drogen-Kampf den amerikanischen Haushaltsplanern in Fleisch und Blut übergegangen ist, so ist er dies auch bei den Kartellen, Mafiosis, Dealern, Polizisten und Ermittlern. Alle haben sich darauf eingestellt, eben deshalb nimmt er kein Ende. Als Intervention geschaffen ist er zur Doktrin geworden und inzwischen ideologischer Teil der US-amerikanischen Staatsräson. Wohin dies geführt hat, kann man bei Don Winslow lesen.

Der Artikel erschien auch bei diesseits.de dem Magazin für weltlichen Humanismus.
 

Don Winslow
Tage der Toten
Aus dem Amerikanischen von Chris Hirte
Suhrkamp 2012
689 Seiten
9,99 Euro.

Leseprobe

Don Winslow
Zeit des Zorns
Aus dem Amerikanischen von Conny Lösche
Suhrkamp 2011
338 Seiten
14,95 Euro
Leseprobe

Don Winslow
Die Sprache des Feuers
Aus dem Amerikanischen von Chris Hirte
Suhrkamp 2012
419 Seiten
14,99 Euro
Leseprobe

Don Winslow
Kings of Cool
Aus dem Amerikanischen von Conny Lösche
Suhrkamp 2012
351 Seiten
19,95 Euro.
Leseprobe

Sonderseite des Verlags

Don Winslow im CBS-Interview

 


 


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