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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik
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Glanz&Elend
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Paradoxien der Enträumlichung

Zur Philosophie des 3-D-Films

Von Peter V. Brinkemper

Gleich vorweg: »Star Wars Episode I – 3-D« (2012) ist eine technisch brillante, plastische Version des Films aus dem Jahre 1999, als ästhetisches Raum-Erlebnis aber eine Enttäuschung. Als Profi musste sich George Lucas darüber im klaren sein: Eine enthusiastische neue Offenbarung aus einem Guss, wie bei James Camerons »Avatar – Aufbruch nach Pandora« (2009), war nicht zu erwarten. Es verbietet sich jedoch die Berichterstattung nach dem Muster: hier der ramponierte Olympier Lucas – dort der titanische Überflieger Cameron. Denn Lucas hat uns einen wertvollen Dienst erwiesen.

Trennung oder Verbindung von Ästhetik und Technik?

»Avatar« war ein 3-D-Original-Mega-Hit. Der musste von der Filmwelt erst einmal verdaut werden. Die eigentliche Leistung dieses Werks ist immer noch nicht annährend beschrieben: Das traditionelle Verständnis von Kino und das reale Schauspiel der Akteure verschwand als Restgröße in einem fast total-animierten Pandora-Universum. Insofern war Jake-Sullys-Behinderten-Mensch-Metapher mehr als nur ein Symbol. Eine spezielle Kritiker-Fraktion spielte das Gesamterlebnis herunter. Dazu trennte man polemisch die 3-D-Technologie von der ausgefeilten Ästhetik, und blendete letztere aus. Diese Art der Diskussion hat sich fortgesetzt, und zwar unabhängig davon, welche »Gattung« die 3-D-Filme in der Folge darstellten:

- entweder »Originale« mit unverfälschter Doppellinsenaufzeichnung (real)
- oder Doppelbildproduktion zwischen Bearbeitung, Generierung und Animation (artifiziell);
- oder in »Weiterverwertungen«, z. B. Konversionen von aktuellen 2-D-Vorproduktionen oder älteren 2-D-Filmen (durch Ergänzung von künstlich dazu gerechneten stereometrischen Zweitbildern).

In der Tat hat es unter den schlichteren Konversionen in letzter Zeit auch zahlreiche (ästhetisch wie technisch) minderwertige Produkte gegeben. Wenn eine Konversion ohne überzeugendes Konzept hergestellt wird, ist das 3-D ungefähr so einfallslos wie ihr Ausgangspart in 2-D. In den Sternstunden des Kinos werden sich Technologie und Ästhetik immer gegenseitig befruchten, keiner der beiden Pole kann ohne den anderen auskommen. Einerseits behauptet die Anti-3-D-Fraktion: 3-D sei als Technik völlig überflüssig, es entstünden keine neue Informations- und Schauwerte. Dahinter steckt ein asketisches Vorurteil: 3-D als Verpackung, als Hülle, als purer Bluff; und 2-D als das Wesentliche, als der eigentliche Inhalt und die gültige Gestaltung. Flachwelt-und-Literatur-fixierte Filmkritiker schlagen die Tür zum Raum zu. Sie propagierten in ihren eigenen engen Denkzimmern das gute alte Kinobild und den good old cut. Gleich daneben halten sie ihr eigenes Textblatt und die darauf erscheinenden Buchstaben. Das Paradigma der linearen Lesbarkeit suggeriert immer noch den eindeutigen Verweis auf eine eindeutig fixierbare Ebene. Erst die autoritäre Ordnung der Schrift und dann die davon sklavisch abhängigen Bilder und Eindrücke, deren Eigenlogik und innovatorischer Produktionsbedarf ignoriert werden. Ein konservatives ästhetisches Paradigma, keine originelle Position, die technikindifferente Kinowahrnehmung mit pseudoliterarischem Anspruch verwechselt.

Dagegen lockt die schöne neue Gesamtkunst jenseits von Real- und Animationsfilm: ein utopisches Raum-Elysium und eine schwindelerregende Unterwelt, durchdrungen von hochkonkreten optischen und akustischen Zeichenströmen, welche die Auflösung der alten Symbolik in zahllose, fast taktile Eindrücke und Spuren zur Folge haben, ein ungeahnter audiovisueller Fluss kunstvoller und doch wie selbstverständlich gesetzter Bündelungen, Verbreiterungen, Resonanzen und Unterbrechungen mitten im Kinosaal, längst nicht mehr auf einer Ebene, sondern auf zahllosen Plateaus und Inseln, in vernetzten Clustern und Sphären. Konvergente oder divergente Welten, die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen im dreidimensionalen und hypermedialen Raum. Der traditionelle Film sezierte das Gleichzeitige in der Ungleichzeitigkeit, den Raum der Bilder im möglichst strengen Nacheinander der Zeit. Die rückwärtsgewandte Kritik stagniert in der schlechten Linearität von Stories, in der romanhaften Psychologie der Drehbücher. Sie propagiert bestenfalls den theaterförmigen Realismus eines überschaubaren Szenarios und den printartigen Kanon weniger typischer Posen, Rituale und Kameraeinstellungen, in denen sich der bildliche Ablauf zu erschöpfen habe. Doch wir haben heute andere Zeiten, das Visuelle ist, angesichts der technologischen Möglichkeiten, vom Rausch des Unausschöpflichen befallen; die konkrete Kinoarbeit, ob nun auf analogem oder digitalem Level, ob Real oder Animation, ist längst kein untergeordneter Faktor mehr, sondern ein virtueller Strom der Produktivität, dessen endlose Darstellungsmöglichkeiten man ebenso entfesseln wie exakt steuern muss, um eine sinnvolle Inszenierungsleistung und markante Aussage einzugrenzen.

Rettung im Scheitern – Die Probe: neue Technik bei alter Ästhetik

George Lucas rettet das Niveau und das Profil der Diskussion um das cinematografische 3-D auf seine pragmatische Weise. Er macht die Probe auf die neue Technik – in Verbindung mit einem älteren, fast anachronistischen Inhalt. »Star Wars – Episode I« ist jetzt gut zwölf Jahre alt und der letzte Film der Serie, der (nach der Einarbeitung von über 2.000 visuellen, bereits digitalen Effekten) noch einmal ins alte analoge Medium, auf »Zelluloid«, umgesetzt wurde, bevor man den zweiten und den dritten Teil komplett digital produzierte und (in vielen Kinos) auch so aufführte. Episode I stellt also eine Art analog-digitaler Hybrid dar. Das lässt für Entwicklung der 3-D-Konversion der folgenden rein digitalen Teile II und III ebenso wie für die Verarbeitung der älteren Kinoepisoden noch einiges verheißen.

Was jedoch »analoge Aufnahme« im Star Wars Universum der seit 1977 produzierten Kinofilme (Episode IV, V, VI) bedeutet, ist bereits eine Sache für sich, und längst Pop-Geschichte. Die analoge Aufnahme beinhaltete die stufenweise Transformation, Abschaffung und Irrealisierung ihrer selbst, den Übergang von Bühnen-Realismus zum filmisch manipulieren, reinen technologischen Traum. Es ging nicht um autorenfilmische Entscheidungen oder authentische schauspielerische Inszenierungen. Vielmehr um technoimaginäre Weltenschöpfung, um Wahn und Vision, mehr einlullende Lüge als Enttarnung, Frühformen der Simulation und Dissimulation, geschickt eingesetzte Kulissen, Drehbühnen und Stockwerke, Hintergrundgemälde und Modellbauten, Puppen und Masken; und vor allem um Einfügung von zuvor aufgenommenen menschlichen Akteuren und Objekten in Einzelaufnahmen und bewegten Filmbildern. Alle diese Faktoren schufen eine vielfältige Bild-im-Bild-Illusion und verwiesen auf einen Endlospark fiktiver Erfindungen, zwischen Kinderzimmer-Spielzeug-Zauber, Zukunftsmagie, Weltraumflair, Märchenromantik und Höllenschlund. Einzelbilder, Handlungsszenen und dynamische Flugeinstellungen wurden zerlegt und neu zusammengesetzt, in einem vielfach angereicherten visuellen Compositing, um im besten Falle Komponenten zu phantastisch anmutenden Kinoeinstellungen zu verschmelzen, die als überwältigender Eindruck auf die Fans zurückwirkten. In der noch analogen Produktion wurden Vorformen des späteren digitalen und nun dreidimensional möglichen (Hyper-) Realismus’ ausprobiert: Artwork, Bühnentechnik, Mattepainting und multiple Bildbearbeitung. Durch Aufnahme, Filmschnitt und anwachsende artifizielle Bildgestaltung, dem, was man heute pauschal mit Animation bezeichnet, wurde das Visuelle immer stärker synthetisiert und noch weiter dynamisiert. Es entstanden kompakte Kinoereignisse, die in arbeitsteiligen Studios fast völlig unsichtbar blieben. Die Leistung von George Lucas und seinem Team bestand darin, zunächst die Einzelbild-Trick-Technik, das Stop-Motion-Verfahren Ray Harryhausens in die bewegungsmodellierende Motion-Control-Gestaltung am geschickt beleuchteten Modellbauset (Dykstra) zu verwandeln. Die älteren analogen »Star Wars«-Filme gipfelten im Ritual des finalen Kamerasoges bei den rasanten Fahrten durch die Korridore und Gräben rund um den herannahenden Todesstern. All das ist, mittlerweile auf Blu-ray, ausführlich und instruktiv dokumentiert. In der neueren Serie »Star Wars« I, II, III wurden die älteren analogen Aufnahmeweisen durch digitale Bilderzeugung (CGI), abgelöst, mit der Folge eines immer weiter minimalisierten Schauspiels und schrumpfenden realen Modellbaus. Die detaillierte Erfassung der Einzel-Bewegungen und die immer komplexere Bildzusammensetzung auch im digitalen Bereich führten zu ungeahnten Gestaltungen, hybriden Synthesen und phantastischen Panoramen.

Der Riss zwischen den Fans der älteren und den Konsumenten neueren Kino-Trilogie (und den Nachfolgeprodukten) hat mit der Nostalgie, dem Heimweh zur anfänglichen improvisatorischen Bricolage zu tun, dem haptischen Plüsch-und-Bastel-Charme der ersten Serie gegenüber der technologischen Glätte und Kälte der neueren Produktion. Die digitale Nachbearbeitung der alten Filme, Teil IV, V, VI für das Kino im Jahre 1997 und für die DVD 2004, die digitale Ersetzung von alten Puppen-Figuren, wie Yoda und Jabba the Hutt, und die Anreicherung der Bilder und Einstellungen durch Motive, Figuren und Hintergründe, sowie die dramaturgische Erweiterung durch einige nicht ganz unwichtige Filmminuten – führte zu heftigen Diskussionen über das, was als Original gelten kann. Wer sich die Produktionsgeschichte von »Star Wars« vergegenwärtigt, kommt zu dem Schluss: Es gibt kein Original, sondern nur bestimmte Versionen und intelligente marketingförmige Links mit immer neuen Begleit- und Folge-Produktionen. Lucas und sein technisches Team haben sich von der anfänglichen Film- und Natur-Bühne erfolgreich in die Kulissen und die tiefere Maschinerie des Illusionskinos und von dort aus in immer abstraktere analoge und digitale Bearbeitungs- und Produktionsdimensionen vorgearbeitet. Dabei blieb das Konzept des Originals auf der Strecke, es wurde unzählige Male ausgelöscht und ausradiert, etwa so wie »Alderaan«, der kunst- und kultursinnige Heimatplanet der adoptierten Prinzessin Leia. Und mit dieser verdienstvollen Erkenntnis hilft uns Lucas, die Angelegenheit »3-D« weiter aufzuklären.

Die 3-D-Konvertierung: hyperrealistische Präzision und Präsenz

In der jetzigen Fassung von »Star Wars Episode I« finden sich alle Nach- und Vorteile einer  nachträglichen Redigitalisierung oder  3-D-Konvertierung: Am Ende des Films gibt es auf Naboo die bekannte Schlacht zwischen den ferngesteuerten Kampfdroiden der Handelsförderation und dem chaplinesken Gungans (allen voran: Jar Jar Binks). Technologische Kolonisation gegen indigene Biologie. Ein Äquivalent zum Kampf zwischen der irdischen Söldnertruppe und den einheimischen Na’vi auf Pandora in Camerons »Avatar«. Zum Teil übertrumpft Lucas’ Team in seiner Präzision die malerischen Ungenauigkeiten und bestimmte Bubble-Gum-Disney-Effekte in der Kinofassung von »Avatar«. Ungleich solider und robuster modelliert Lucas die Gungans und ungleich stärker und ausgeglichener gelingt ihm die Integration von Trick- und Realwelt. Sein modellbasierender Realismus hat auf dem digitalen Level eine neue Zuverlässigkeitsstufe erreicht. Man kann geradezu vorhersagen, dass Kritik und Zuschauer durch die Bekanntheit des Inhalts, der Bilder und Gestalten Gefahr laufen, die gediegene Qualität dieser digitalen dreidimensionalen »Star Wars«-Fassung zu übersehen.

Camerons Herausforderung bestand darin, eine Fülle von Teams (darunter Weta und ILM) zu koordinieren, die unter seiner Leitung eine komplett neue Welt schufen und dabei die spärlichen Reste des Realfilms in dem alles überlagernden Animationsstrom geradezu ersaufen ließen. Die allumfassende Animation wurde auf dem aktuellen digitalen Niveau zu ungeahnten Höhen getrieben. Wenn man so will, sind die Himmelsberge nichts anderes als die Vervielfachung des »Titanic«-Eisberges, aber vor allem der Blick von unten, vom noch nicht völlig zuende definierten Meeresgrund des neuen Mediums. »Avatar«, das war nicht nur ein merkwürdiger Drehbucheinfall, sondern auch ein Kunstgriff der Deterritorialisierung, die Integration von Trick- und Realsequenzen geschickt immer weiter zu verlagern, bis in die absonderlich verdrehten Details des Motion-und-Performance-Capture-Verfahrens, angewandt zwischen robotgestützter Realistik und neobarbarischen Maskengesichtern. Steven Spielberg konnte sich in »Jurassic Park« (1993) noch eine Warteschleife im analogen Raum als Spannungseffekt leisten: Bei diesem Dinospektakel verzögerte der lange Auftritt der Realschauspieler, dann der mechanischen oder animatronischen Dinopuppen und Skulpturen die Endsequenz der rein digitalen Simulations-Raptoren auf ihrer Menschenjagd. Bei Cameron erlauben die Avatare und Na’vi-Gestalten über lange Zeiträume eine zweite (eigentlich erste) Darstellungsebene und damit die Trennung zwischen dem (invasorischen) humanem Darstellerpersonal und der Eigenwelt der computerbearbeiteten exoterrestrischen-Natur-Gesichter. Die baldige Fortsetzung soll noch tiefer eintauchen und fast ausschließlich in der Na’vi-Welt spielen. Die direkte Begegnung von Na’vi (Avatar) und Mensch, wie zu Beginn im Labor oder im Luft- und Dschungelkampf des Finales, wurde in 3-D mit gewissen Abbildungsunschärfen bezahlt und mit den fiktiven Größenunterschieden kompensiert, um die fremden Eingeborenen eindrucksvoller gegenüber dem nach wie vor faszinierenden Objekt Mensch erscheinen zu lassen.

Dagegen hat das Lucas-Team seit Jahrzehnten und in zahlreichen Varianten endlose prädigitale Vorarbeit geleistet, zur exakten Abbildung und realistischen Integration von Menschen, Modellen, Puppen und filmischen Animationen. Das kommt dem digitalen Know-How zugute. Wie selbstverständlich erscheint am Anfang von »Star Wars Episode I – 3-D« die volle Plastizität von Mensch und Maschine, im wuchtigen Nah- und Fern-Kampf des Jedi Qui-Gon Jinn und seines Schülers Obi-Wan Kenobi mit den Droiden und den skorpionhaften Droidekas an Bord des Kontrollschiffs der Handelsföderation. Hier liegt ein Meisterwerk des nachdigitalisierten und hochdynamischen Compositing in 3-D vor. Insgesamt sind die Farb- und Lichtwerte des neuen Films, ohne 3-D-Brille betrachtet, wesentlich intensiver und präziser gesetzt als in den früheren Kino- oder in den DVD-Fassungen (der Episoden I bis III), die teilweise einen recht milchigen, diffusen, nicht zuende gereiften Ton aufwiesen, als ob man bei der Bildbearbeitung irgendwann willkürlich auf den Aus-Schalter gedrückt hätte. Die häufig im Film auftretenden Video-Hologramme besitzen die für die HD-Blu-ray-Ära typische Schärfe. Watto, das geflügelte Rüsselwesen, ein toydarianischer Schrotthändler, der übrigens gegen die Gehirnwäsche der Jedis immun ist, erscheint, wie andere nichtmenschliche Kreaturen auf Tatooine, als eine greifbare Entität.

Paradoxien der Enträumlichung

Sichtliche Einbußen erleiden alle Felsen- und Wüstenaufnahmen, zumindest bei lichtschwacher Projektion in kleineren Sälen (da die 3-D-Brillen Farbwerte ausfiltern und Licht »verschlucken«). Die digitale Nachbearbeitung und die 3-D-Konversion führen zu einer Verschleierung der feinen tunesischen Wüstentöne, von denen die Atmosphäre der alten »Star Wars«-Filme so immens gegenüber dem Kitschpostkarten-Rot der neueren Episoden II und III profitierte. Die Unterwasserwelt Otho Gunga im Paonga See und die abenteuerliche Fahrt mit dem Bongo durch den Erdkern von Naboo verschwimmen in schneeigem Grau. Der Detail-Anblick auf Coruscant, dem planetaren Metropolis, desillusioniert, der Modellbaucharakter der Hochhäuser tritt etwas zu deutlich hervor.

Stellenweise erscheint die 3-D-Aufbereitung als nachträgliche Rhetorik, die nicht alle Ebenen des vorhandenen Bild-Compositing erfasst. Plastische Objekte, technische und historische Architektur, Sternenkreuzer und italienisch-französische Palastsäulen, vor allem im Nahbereich, treten jetzt auf bewährte Weise wie die Bugfigur eines Flagschiffs hervor. Gestalten, Bauten und Rahmungen im Vordergrund wölben sich, auch vor eintönigeren Landschaften und planen Hintergründen, aber eben hier verliert das Bild an Gesamtplastizität und auch an Tiefenqualität. Dagegen suggerieren Camerons Dschungel-und-Himmels-Felsen-Landschaften und die darin sich verirrende Handlung wesentlich mehr Details, Objektanreize und abendlich-bis-nächtliche Leuchtkraft im imaginären Gesamtraum einer planetaren Natur oder changieren subtiler zwischen spürbarem Dickicht und malerisch-flachem Hintergrund. Durch die actionorientierte Schnittfolge von Nah- und Halbnah-Einstellungen entsteht in Lucas’ »Episode I« immer wieder der Eindruck einer doppelten Leinwand: isolierte 3-D-Nahaufnahmen im Vordergrund, die mal mehr, mal weniger Bezug zum abgeflachten Background haben. In manchen Dialog-Gegenschüssen sind Achse und Abstand der Figuren verzerrt: etwa zwischen Qui-Gon und Shmi Skywalker, der Sklaven-Mutter des jungen, hochbegabten Anakin. In 3-D schauen beide förmlich aneinander vorbei. Manches Gesicht erscheint im Close-Up fast wie die aufgesetzte, verzerrte Maske auf der Oberfläche einer Konversions-»Kartoffel«. Nicht unerheblich hat das fulminante Duell zwischen Qui-Gon, Obi-Wan und Darth Maul gelitten. Speziell das wirbelnde Doppelschwert des Sith-Schülers wirkt jetzt wie ein klobiges Lichtbrikett, windmühlenartig bewegt, jedoch nicht: »wie eine elegante Waffe aus zivilisierteren Tagen«.

Beim Pod-Race führt die Farbabschwächung des Wüsten-Ockers und der Nah-Kampf der 3-D-Konversion mit den Details der Großaufnahmen zur Desintegration des imaginären Bildraums und zum Verlust der Verbindung mit dem Fluchtpunkt in der Bildtiefe. Das Duellrennen zwischen Anakin und dem tyrannisch-betrügerischen Jockey-Dug Sebulba verliert an Geschmeidigkeit und Schub, welche die Darstellung gerade in 2-D noch hatte, wenn sie Nah und Fern im fragilen, dabei hoch-energetischen Flächen-Sog komprimierte. Der Mangel tritt weniger in der riesigen halboffenen Mos-Espa-Arena hervor, sondern vor allem in den Felsformationen, Gebirgsschluchten und Tiefebenen der weitläufigen Außenstrecke. Alles schwirrt, nichts rast mehr, und vor lauter Einzelheiten fehlt plötzlich der Platz für das Rennen. Hier ist 3-D in der Tat kein Mehr, sondern ein Weniger an Information und Gesamteindruck. Das hat nichts mit den Einstellungen anti-holografischer Kritiker zu tun, sondern mit den Erfordernissen der konkreten Film-Wahrnehmung. »Because Episode I was released over 12 years ago, the conversion artists could not go back to the individual separate elements that were composited to make up the original picture. Instead, they had to work with the finished picture.« Gibt es also doch ein Original, wenn das Bastelmaterial dazu verschollen ist? Und gibt es so etwas wie eine neue Zunft digitaler Kunstinterpretation? All das zu bejahen wäre fast ebenso redlich wie Lucas’ Ziel, diesen Film »in a naturalistic stereo style« zu präsentieren. Wir erinnern uns: Stereo war noch lange kein Hi-Fi. Und wir wissen auch: Naturalismus war der kritische Rohzustand, in den der ältere bürgerliche Realismus zunächst im Reich der Literatur verfiel. Wie auf frühen Schallplatten Instrumente, Klänge und Geräusche in einer Art Doppel-Mono willkürlich rechts und links auf zwei Kanäle verteilt waren, während sich der übergreifende Raumklang erst später (im Studio oder per Liveaufzeichnung) einstellte, so sind auch auf der Leinwand der neuen »Star Wars Episode I« Hintergrund und Vorder-3-D oft mechanisch separiert, wie (rundes) Solo und (flaches) Orchester. In solchen Passagen wird der Raum zum Verlegenheitskonzert, zum Teilraum, Restraum, Vorderraum, und klebt lose, als Volumen, hier und da, an den Menschen und den Dingen, so dass man auf ein Erlösungstutti wartet. Die Filmleinwand wird zum engen Wohnzimmer, zum Pilotencockpit, der Gesamtraum kontrahiert und kreißt vor sich hin, in einer »Magical Mystery Tour«, statt als lebendiges Biotop in einer epischen Weltraumoper.

Tiefe und Weite – transmediale Kategorien und nicht nur ein Objekt des Films

Die alte Fassung in 2-D kannte mehr Tiefe und Weite, wenn nicht geistige, so eine illusionäre Tiefenperspektive, beginnend mit dem berühmten Schriftband. Das ist jetzt »far, far away«. Es sieht ganz so aus, als ob die Prinzipien und Grenzen der neuen Medienästhetik an der Scheide zwischen flachem Filmbild und 3-D-Kino immer deutlicher werden: »Raum und Räumlichkeit«, Kontinuität und Diskontinuität, liegen nicht nur im jeweils abgebildeten Ausschnitt und im unsichtbaren Schnitt, also im bloßen Objekt, wie beim konventionellen Handlungsfilm, um im Gehirn synthetisiert zu werden. Sie können in den Space-Operas als konzeptueller Zustand und philosophisches Thema zu einer »imaginären Kontinuität« überwältigender Raum-Zeit-Erlebnisse und übergreifender Erscheinungsformen aufsteigen, die die rasche subjektive Perzeption weitaus überbieten. Die Animation wird wahrhaft philosophisch, und sie sollte sich entsprechender künstlerischer Ideen und subtiler Mittel versichern. Dazu bedarf es allerdings auf der Seite der Rezeption und der Kritik eines speziellen Gespürs, eines »2001 – A Space Odyssey«-Feelings. Cameron profitiert von solchen Kenntnissen und Erfahrungen, nicht zuletzt auch als Tiefseetaucher mit dem Bonus der Ersatzsimulation für Weltraum-Einsätze. Hier liegt das Erfolgsgeheimnis von »Avatar« in der Kino-Erstfassung: die Erfahrung einer interplanetaren oder submarinen Emergenz und ihrer anders und weit auseinander gelagerten Raum-Zeit-Rhythmen, die der mechanischen, wenn auch gehobenen 3-D-Konversion von »Star Wars Episode I« teilweise abgeht. Bei Lucas knallen die alten Cuts des konventionellen Handlungskinos auf die neuen dreidimensionalen Hubbel, wie auf die blauen Booma-Kugeln der Gungans: »Star Wars Episode I 3-D« ist wie ein erster zusammengebastelter Protokolldroide, für den man sich noch keine voll funktionsfähige Raumhülle leisten konnte. Diese Filmversion hilft uns, genauer verstehen, dass 3-D in der Tat noch mehr und noch etwas anderes sein könnte, als die Vertiefung der alten Einäugigkeit, die liest und entziffert – statt zu begreifen und zu sehen.

Ab März dieses Jahres (2012) wird Cameron mit »Titanic 3-D« eine Retourkutsche in der wiederaufbereiteten Höhenwelt globaler Mega-Seller-Filme geben. John Knoll, Visual Effects Supervisor bei Industrial-Light-and-Magic und Photoshop-Miterfinder, ist verantwortlich für diese erste »Stars Wars« 3-D-Kino-Fassung, doch er arbeitet seit langem für Lucas  und  für Cameron.
 


 


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