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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik
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Glanz&Elend
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Jenseits der Mythen

Frank Stenglein Porträt des nunmehr zwei Jahrhunderte alten Stahlgiganten

Von Klaus-Jürgen Bremm


Dass Kapitalisten von je her eine notorische Abneigung gegenüber den Bedingungen freier Märkte haben, ist nicht unbedingt eine neue Erkenntnis. Aber wohl kaum eine Unternehmerfamilie der deutschen Wirtschaft hat für ihre frühere Staatsnähe und die damit verbundenen Privilegien so teuer bezahlt wie die Essener Krupp-Dynastie. Friedrich Alfred Krupp, der einzige Sohn des Firmenpatriarchen und „Kanonenkönigs“ Alfred Krupp, starb 1902 an einem Schlaganfall, wohl nicht zufällig kurz nachdem die Sozialdemokratische Presse eine Schmutz-Kampagne gegen den prominenten Exilanten von Capri und Kaiserprotegé losgetreten hatte. Sein Enkel Alfried Krupp wiederum wurde 1948 von einem alliierten Militärtribunal unter Rechtsbeugung zu zwölf Jahren Haft verurteilt und gleich auch noch enteignet. Vor allem die britische Öffentlichkeit begegnete dem letzten Krupp-Erben und jüngsten Vertreter einer Dynastie angeblich notorischer Kriegsgewinnler mit einer Welle von Hass, die wie so oft kaum durch Tatsachen gerechtfertigt war. Wie der Essener Autor und Redakteur der WAZ Frank Stenglein in seinem neu aufgelegten Porträt des nunmehr zwei Jahrhunderte alten Stahlgiganten zeigen kann, hatte Alfrieds Vater, der ehemalige Diplomat Gustav Krupp von Bohlen und Halbach schon nach den ernüchternden Erfahrungen des Ersten Weltkriegs verzweifelte Anstrengungen unternommen, den zivilen Produktionssektor zu stärken, um wenigstens seine Stammbelegschaft zu halten. Nur sehr zögerlich ließ sich das traditionell wie ein Handwerksbetrieb mit einer großen Fertigungstiefe produzierende Unternehmen am Vorabend des Zweiten Weltkrieges auf die Erfordernisse einer militärischen Massenproduktion ein. Zwar brachte dies formal dem Unternehmen hohe Gewinne, doch nach der totalen Niederlage drohten dem zu einem Drittel zerbombten Unternehmen die Demontage und endgültige Zerschlagung. Zwar hatte sich der Konzern, wie Stenglein einräumt, ebenso wie der Rest der deutschen Schwerindustrie der Ausbeutung von Fremdarbeitern und der Aneignung von Fremdvermögen fraglos schuldig gemacht, doch keineswegs in der herausgehobenen Art, welche die späteren Anfeindungen und Anklagen rechtfertigten könnte. Hätte es nicht seitens der Alliierten eine peinlichen Verwechslung zwischen dem verhandlungsunfähigen Gustav Krupp von Bohlen und Halbach und dessen Sohn Alfried gegeben, so wäre der letztere, wie Stenglein vermutet, sogar noch auf der Anklagebank im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess gelandet.

Nur dem sich abzeichnenden Kalten Krieg hatten es die Essener schließlich zu verdanken, dass ihr Konzern als mögliche neue Rüstungsschmiede für eine zukünftige Armee des Adenauerischen Weststaates im Kern überlebte. Weiterhin konfrontiert mit langlebigen Ressentiments im Ausland, zu denen das Haus durch seine frühere Propaganda allerdings selbst  beigetragen hatte, entschied sich der im Februar 1951 freigelassene Alfried Krupp, in der Gestalt von Berthold Beitz einen völlig unbelasteten Generalbevollmächtigten zu ernennen. Dem ehemaligen Manager der Shell im polnischen Boryslaw gelang es tatsächlich, den Neuanfang bei Krupp mit einer Mischung aus Härte und Konzilianz entscheidend zu prägen. Von Beitz, der wegen seines humanen Verhaltens im Krieg später von Israel als Gerechter unter den Völkern geehrt wurde, soll der Satz stammen, dass ab jetzt kein weiterer Stein mehr verkauft werde. Gleichzeitig aber öffnete der in den Augen der osteuropäischen Staaten völlig unbelastete Manager dem Konzern neue Absatzmärkte im Ostblock. Zu einem effektiven Controlling aber musste der weitverzweigte Konzern, der frei von den Informations- und Mitsprachebedürfnissen ungeduldiger Aktionäre bis in die 1960iger Jahre praktisch aus einem Topf wirtschaftete, durch die Regierung der ersten Großen Koalition gezwungen werden. Eine dringend benötigte Exportfinanzierung stand auf dem Spiel und einigen Banken waren nervös geworden. Es gehört eben auch dies zu den Besonderheiten oder gar Paradoxien eines Familienkonzerns, dass die Krupps trotz ihrer unbestritten sozialen Haltung und ihrer undurchsichtigen Kalkulation zeitweilig zu den reichsten Deutschen zählten. Mit moderner Sozialpolitik hatte dies aber, wie Stenglein betont, wenig zu tun. Vielmehr manifestierte sich in der fraglos zurückhaltenden Entlassungspolitik, die Krupp auch in schwierigsten Zeiten durchzuhalten versuchte, eine überkommene patriarchalische Haltung, die zur Essener Familientradition ebenso gehörte wie die konsequente Abwehr aller Art von Einmischungsversuchen in die Unternehmenspolitik seitens Banken, Gewerkschaften oder sonstiger Arbeitnehmervertreter. Es war daher durchaus keine gewöhnliche Betriebsstilllegung im Zeichen des Strukturwandels, als Krupp in den späten 1980iger Jahren die fast hundertjährige Rheinhausener Hütte schließen wollte. Nicht die schon 1967 vollzogene Umwandlung von Krupp in eine Stiftung, sondern eben diese spektakuläre und sich unter massiven Arbeiterprotesten vollziehende Schließung markierte den entscheidenden Bruch mit der traditionsreichen Unternehmenskultur, der aus Krupp letztlich in der öffentlichen Wahrnehmung ein normales Unternehmen jenseits von Mythen und Verdammungsurteilen machte.

Im selben Jahr 1993, als in Duisburg-Rheinhausen die Hochöfen endgültig erlöschten, wurde das Traditionsunternehmen, inzwischen mit dem Dortmunder Rivalen Hoesch fusioniert, erstmals nach 182 Jahren auch an der Börse notiert. Stenglein konzediert dem Protagonisten dieses jüngsten Abschnittes der Firmengeschichte, Gerhard Cromme, der zuletzt auch noch die Fusion mit dem Duisburger Stahlgiganten Thyssen zustande brachte, zwar Weitblick, Mut und auch das nötige Quantum Sturheit, doch in den Augen der alten Kruppianer und auch des Essener Autoren wird der Manager immer ein Außenseiter bleiben. Anders dagegen Berthold Beitz: Ihm sei es, so Stenglein, in seiner fast sechzigjährigen Tätigkeit in Essen tatsächlich gelungen, den Mythos Krupp auf seine Person zu übertragen. Dass der 98-jährige Beitz auch seine pommerischen Eltern auf dem Familienfriedhof der Krupps in Essen-Bredeney hat bestatten lassen und für sich selbst in dem abgetrennten Geviert bereits eine Grabstätte bestimmt hat, legt offenbar niemand und auch nicht der Verfasser diesem „letzten Krupp“ als Anmaßung aus. Stenglein erzählt die Geschichte des 200-jährigen Unternehmens als gebürtiger Essener, der viele sogenannte Kruppianer noch kennen gelernt hat, mit erkennbaren Wohlwollen, umschifft aber dabei keineswegs die kritischen Punkte. Gewiss hat Krupp im Kaiserreich reichlich Rüstungsgüter produziert und mit seinem Ruf als Kanonenschmiede geworben, aber im Kontext der Zeit galt dies eben auch als patriotische Tat. Gewiss hat Gustav Krupp von Bohlen und Halbach Hitler nicht rundweg abgelehnt, aber als Steigbügelhalter der Nationalsozialisten haben er und seine Standesgenossen aus der deutschen Großindustrie ebenso wenig gedient. Im Kern seiner Darstellung stehen die Firmenchefs, angefangen bei dem fast gescheiterten Firmengründer Friedrich Krupp über den genialen, aber despotischen Kanonenkönig Alfred Krupp bis hin zu dessen Urenkel Alfried Krupp, dem letzten Firmenpatriarchen, dem Stenglein sogar ein gewisses Charisma konzediert.
Der Stil seines Buches ist sachlich, aber gleichwohl gut zu lesen. Zu seinen durchweg plausiblen Positionen in Einzelfragen gelangt er auf der Grundlage der wichtigsten Forschungsliteratur. Als Überblicksband für ein breites Publikum lässt seine Darstellung keine Wünsche offen. Wer tiefer in die Materie einsteigen möchte, wird zu den beiden Bänden von Lothar Gall greifen.

 

Frank Stenglein
Krupp.
Höhen und Tiefen eines Industrieunternehmens
Essen (Klartext-Verlag) 2011
2. verb. Auflag
288 Seiten, 12,95 €
ISBN 978 3 837505184

 


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