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Demokratie ist anstrengend ...

Cora Stephans ärgerlicher Irrtum

Von Michael Knoll

Es gab da einmal eine Frau, die habe ich sehr bewundert. Für ihren ungewöhnlichen Lebensweg und für ihre Intelligenz. Ja, ich meine Cora Stephan. Als Redakteurin von „Pflasterstrand“ war sie mir sofort politisch sympathisch, ihr Buch „Handwerk des Krieges“ habe ich mit viel Gewinn gelesen. Nach ihrem Buch „Angela Merkel – Ein Irrtum“ revidiere ich diese Einschätzung. Nicht die Bundeskanzlerin ist ein Irrtum – Frau Stephan ist einer und ein großer noch dazu.

Ich weiß gar nicht, was ich schlimmer finde: Das Renegatentum der Autorin oder ihre zur Schau gestellte Selbstherrlichkeit, ihre Zweifel am Klimawandel oder ihre Unterstützung der Atompolitik. Es ist ein eitles Buch mit vielen Fehleinschätzung und platten politischen, ja apolitischen Auffassungen. Meine Sympathien für Angela Merkel stiegen jedenfalls mit jeder Seite Cora Stephan. Zehn Seiten mehr und ich hätte mir ernsthaft überlegt, die CDU zu wählen, als Buße, dieses Buch gelesen zu haben.

Die Ausgangsthese von Cora Stephan ist schnell erzählt: Mit großer Bewunderung habe sie 2005 die Reformerin Angela Merkel gewählt. Statt Angie, dieser Frau mit DDR-Biographie, dieser kühlen Naturwissenschaftlerin, unbelastet von irgendwelchen CDU-Männerbünden, habe sie sich aber Tina – There Is No Alternative – eingehandelt, eine Politikerin, die ihren Reformschwung beim Regieren verlor und ihr verfehltes Handeln stets als alternativlos verkauft. An fünf Themen – Steuergerechtigkeit, Rentengarantie, Deutschlandbild, Europa und Klima – exekutiert Stephan Merkels Politik. Dabei stellt die Autorin die Haltung Merkels als vielversprechende Kanzlerkandidatin der konkreten Politik der Kanzlerin gegenüber.

Man muss nun kein Merkel-Fan sein oder gar ihre aktuelle Politik für gut befinden, um festzustellen, dass es einen Unterschied zwischen der Formulierung politischer Ziele und der Realisierung derselben gibt. Dies war schon immer so und wird immer so sein. Es liegt daran, dass man sich mit Koalitionspartner arrangieren muss, die nicht immer der gleichen Meinung sind. Dies kann im Falle von Angela Merkel und ihrer CDU eben auch daran liegen, dass es keine Mehrheit ihrer politischen Vorstellung von 2003 im Deutschland des Jahres 2005 gab. Sollte sie freiwillig die Macht verspielen, weil das Wahlprogramm mit der Realität nicht mehr in Deckung gebracht werden konnte? Es ist legitim, Meinungen zu verändern, nicht gerade in jener rasenden Geschwindigkeit in Sache Atom, wie es die FDP gerade vormacht. Wer so dreist den Wählerinnen und Wählern nachrennt und eigene Überzeugungen über Bord wirft, wie gegenwärtig die Liberalen, haben es verdient, von der politischen Bildfläche zu verschwinden. Es ist aber etwas anderes, wenn eine Bundeskanzlerin erkennt, dass in einer Großen Koalition Wahlziele nicht zu realisieren sind.
Noch einmal: Die Rhetorik in Wahlkämpfen ist das eine, Regierungshandeln das andere. In der Politik, in welcher Staatsform auch immer, geht es zentral um die Erringung und Erhaltung von Macht. Macht ist die zentrale Kategorie von Politik. Das kann man doof finden oder auch nicht, es ist so. Und wer dies dennoch doof findet, sollte sich Max Webers Auslassungen über die Politik einmal durchlesen: „Wer Politik betreibt, erstrebt Macht.“ Demokratie hat die Beschränkung und Beschneidung von Macht institutionalisiert, durch kontrollierende Institutionen wie Parlamente, Verfassungsgerichte und Wahlen. Dennoch gilt: Ohne Macht keine Politik. Wer wie Frau Stephan Macht aber als eine moralische Größe definiert, als etwas zu Vermeidendes, denkt unpolitisch.

Mit ihrer a- und unpolitischen Sicht auf Politik tappt Stephan dann auch stets in jedes intellektuelle Fettnäpfchen, das sich ihr bietet. Besonders schrecklich ihre Auslassung zur Situation der Parteiendemokratie in Deutschland. Da wird von der „tiefer werdenden Kluft zwischen Volksparteien und Volk“ bramarbasiert, „die Zweifel an der Legitimität jener wecken, die sich auf Legalität, also auf Regeln und Verfahren, hinausreden wollen“. Und zum Beleg kommt sie mit „harten Zahlen“: „Im Fall einer Koalition mit einem kleineren Partner wird es noch kurioser: Grüne oder liberale Außenminister und Vizekanzler sind von über 90 Prozent der Wähler nicht gewählt worden.“ Richtig, aber ohne die 6,7 Prozent, die beispielsweise Bündnis 90/Die Grünen bei den Bundestagswahlen 1998 geholt haben, hätte Gerhard Schröder nur in einer Großen Koalition regieren können. Ich hoffe wahrlich nicht, dass sich Cora Stephan das gewünscht hätte.

Stephans Allheilmittel gegen diese Form der seltsamen Repräsentation des Wählerwillens in Parlamenten und Regierungen ist übrigens die Einführung des Mehrheitswahlrechts. Sie sollte einmal die Wahlen in Frankreich studieren, wo genau dieses System dazu führt, dass Leute in Parlamente gewählt werden, die selbst in zwei Wahlgängen nie über 50 Prozent erreicht haben. Vielleicht sollte Frau Stephan mal ihre Nachbarn in Laurac-en-Vivarais fragen, wo sie einen Teil ihres Lebens verbringt. Oder sich die Wahlergebnisse von Großbritannien des letzten Jahres anschauen, als die LibDems zwar 23 Prozent der Wählerstimmen holte, aber nur zehn Prozent der Sitze im Parlament. Ist das gerecht? Spiegelt das den Willen der Wählerinnen und Wähler besser wider als das deutsche Wahlsystem?

Gegen die gängigen Vorurteile über Politik gibt es nur ein Mittel, selbst Politik zu machen. Ein interessantes Projekt, bei dem man viel über sich und seine Mitmenschen lernen kann. Erfahrungen, die völlig anders sind als beim Spiegel-Lesen am Küchentisch mit einer Tasse Kaffee in der Hand. Es ist erstaunlich, wie viele begabte, rhetorisch exzellente, durchsetzungsfähige, die Interessen aller Gruppen der Bevölkerung bedenkende Politiker wir in Deutschland haben, die noch nie eine Parteiveranstaltung besucht, geschweige denn aktive Politik betrieben haben. Diese besserwisserische, sich die Hände nicht schmutzig machen wollende Haltung ist das größte Problem der Politik in Deutschland. Demokratie ist anstrengend und sie lebt vom Mitmachen. Nicht vom Besserwissen.

Zu guter Letzt eine Anmerkung zum Europabild der Dame mit Haus in Frankreich. Neben vielen anderen dummen politischen Einschätzungen ist die abenteuerlichste wohl die, die europäische Währungsunion aufzugeben. Kein Scherz, Frau Stephan möchte den Euro abschaffen und die D-Mark wieder einführen. Vielleicht um ihr Urlaubsgefühl in Laurac-en-Vivarais zu steigern, indem sie wieder mit Francs zahlen kann. Die 22 Milliarden, die Deutschland an die EU für den dauerhaften Rettungsschirm zur Verteidigung der europäischen Einheitswährung überweisen wird, müssen Stephan ein Gräuel sein. Und sie wird sich denken: Was könnte man in Deutschland mit 22 Milliarden Euro nicht alles anfangen? Man könnte zum Beispiel die Hypo Real Estate und die Commerzbank stützen. Für beide Banken, durch und durch deutsch, hat die Bundesregierung seit 2008 fast 28 Milliarden Euro ausgegeben. Nicht eingerechnet die 100,5 Milliarden Euro an Garantien, die allein die Hypo Real Estate beanspruchen kann, dieses Wunderwerk an deutscher Finanzexpertise.

„Angela Merkel – Ein Irrtum“ ist kein Buch über die Bundeskanzlerin, sondern über Cora Stephan. Es ist ein Buch über den Irrtum Cora Stephan. Vor der Lektüre dieses Buches ist zu warnen.
 

Cora Stephan
Angela Merkel. Ein Irrtum
Paperback, Klappenbroschur
Knaus
224 Seiten
ISBN: 978-3-8135-0416-3
€ 16,99

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